Sense8 - 2x12: Amor Vincit Omnia
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Episodenbild (c) Netflix

Originaltitel: Amor Vincit Omnia
Episodennummer: 2x12
Bewertung:
Weltweite Internet-VÖ: 08. Juni 2018 (Netflix)
Drehbuch: Lana Wachowski
Regie: Lana Wachowski
Hauptdarsteller: Doona Bae als Sun Bak, Jamie Clayton als Nomi Marks, Tina Desai als Kala Dandekar, Tuppence Middleton als Riley Blue, Toby Onwumere als Capheus van Damnne, Max Riemelt als Wolfgang Bogdanow, Miguel Ángel Silvestre als Lito Rodriguez, Brian J. Smith als Will Gorski.
Gastdarsteller: Alfonso Herrera als Hernando, Eréndira Ibarra als Daniela, Purab Kohli als Rajan Rasal, Max Mauff als Felix, Ness Bautista als Diego, Freema Agyeman als Amanita, Sukku Son als Detective Mun, Kick Gurry als Puck, Michael X. Sommers als Bug, Valeria Bilello als Lila Facchini, Naveen Andrews als Jonas Maliki, Terrence Mann als Whispers u.a.

Kurzinhalt: Nachdem es BPO mit Lilas Hilfe gelungen ist, Wolfgang gefangen zu nehmen, startet der Rest des Clusters eine Gegenoffensive, und entführt sowohl Whispers als auch Jonas. Letzterer versichert ihnen nach wie vor, auf ihrer Seite zu stehen, doch nach seinen jüngsten Aktionen fällt es Will und den anderen etwas schwer, ihm zu vertrauen. Über die Absichten von Whispers aka Dr. Milton Brandt kann indes kein Zweifel bestehen. Eben dies bringt den Cluster auch in die Bredouille. Denn einerseits wollen sie ihn für einen Gefangenenaustausch verwenden – dies würde ihm aber wiederum ermöglichen, sein "Zombie"-Programm fortzusetzen. Der Cluster schmiedet daraufhin einen ausgeklügelten Plan, um Whispers nach dem Austausch wieder einzufangen – doch Lila Facchini kommt ihnen zuvor. Der wiedervereinte Cluster bricht daraufhin – zusammen mit all ihren Freunden– nach Neapel auf, um zu verhindern, dass Facchini ihren eigenen Deal mit BPO schließen kann…


Review: Episodenbild (c) Netflix Am 05. Mai 2017 ging die zweite Staffel von "Sense8" bei Netflix online. Knappe vier Wochen später – am 01. Juni, und damit just zum Beginn des "pride month" (ungünstiger hätte man das von Seiten Netflix wohl gar nicht timen können) – erschütterte man die Fans mit der Meldung, dass es keine dritte Staffel geben würde. Die geschockten Fans starteten daraufhin eine weltweite Kampagne, um die Absetzung zu bekämpfen. Jede beliebige Meldung auf den Social Media-Accounts von Netflix wurde genutzt, um dem Frust der Fans Gehör zu verschaffen (und oftmals auch für spontane "What's Up?"-Karaoke-Einlagen). Die Support-Mitarbeiter von Netflix wurden sowohl am Telefon als auch im Chat mit Anfragen zu einer Fortsetzung der Serie förmlich überflutet. E-Mails und Protestbriefe wurden geschrieben, YouTube-Videos mit Fans aus der ganzen Welt online gestellt, einzelne Flip Flops eingeschickt, Petitionen gestartet (die größte kam schließlich auf fast 525.000 Unterschriften), eine eigene Website erstellt, um die Maßnahmen besser koordinieren zu können, und und und. 28 Tage später kam dann die – zumindest geringfügige – Entwarnung: Statt die Fans mit dem riesigen Cliffhanger aus "Du willst einen Krieg?" zurückzulassen, würde es ein zweieinhalbstündiges Finale geben, um die Handlung abzuschließen. Genau vor einer Woche, am 08.06.2018, ging "Amor Vincit Omnia" nun online.

Ist es ein gutes, würdiges und befriedigendes Ende für die Serie? Im Großen und Ganzen ja. Auf jeden Fall ist es ein passenderer Abschluss, als es "Du willst einen Krieg?" gewesen wäre – dessen düster-deprimierendes Ende (mit Wolfgang in Gefangenschaft) den optimistisch-hoffungsvollen Grundtonm der die Serie grundsätzlich beherrschte, völlig untergraben hätte. Ist es alles, worauf ich gehofft hatte? Nein. Dies war aber insofern von vornherein ausgeschlossen, als ich ganz einfach gern gesehen hätte, dass Lana Wachowski und J. Michael Straczinsky die Gelegenheit bekommen, ihre ursprüngliche Vision ohne Kompromisse umzusetzen und die Geschichte wie geplant über fünf Staffeln hinweg zu erzählen. Zudem wäre es mir, da ich mich den Figuren sehr verbunden fühle, selbst nach Season 5 noch schwer gefallen, Abschied zu nehmen. Aber auch davon abgesehen leidet "Amor Vincit Omnia" ein bisschen darunter, dass es zwar wenn es nach Netflix geht nun das ultimative Ende der Serie sein soll (Netflix wurde in ihrer Berichterstattung, den E-Mail-Benachrichtigungen, der Anzeige im Streamingdienst selbst etc. nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es nicht einfach nur ein weiteres Special, sondern vielmehr eben wirklich das "Finale" ist), Lana Wachowski jedoch die Tür für eine allfällige Fortsetzung nicht gänzlich verschließen wollte. Tatsächlich feuerte sie die Hoffnungen der Fans im Herbst letzten Jahres mit der Meldung an, die dritte Staffel bereits fix und fertig geschrieben zu haben, falls es sich Netflix doch noch einmal anders überlegen sollte (in der Hoffnung, die Werbung für die Serie durch die Absetzung und die öffentlichkeitswirksame Fankampagnen würden die Zuschauerzahl der Serie ausreichend erhöhen, um eine weitere Fortsetzung trotz der mit ihrer Produktion verbundenen hohen Kosten doch noch lohnenswert zu machen).

Episodenbild (c) Netflix Das Ergebnis daraus ist ein etwas schizophrenes Special/Finale/was auch immer. Für ein richtiges, vollwertiges Finale bleiben zu viele Fragen offen (gerade auch im Hinblick auf die persönlichen Geschichten der Sensates), anderes wiederum wird zu einem befriedigenden und umfassenden Abschluss geführt, der es wohl schwer machen würde, darauf in einer allfälligen Fortsetzung aufzubauen. Völlig auf die Wartebank geschoben werden z.B. Capheus Präsidentschaftskampagne und Litos großer Hollywood-Film. Beides wird mal kurz in einem Nebensatz erwähnt, davon abgesehen bleibt man uns jedoch was diese offenen Fragen am Ende der zweiten Staffel betrifft eine Antwort schuldig. Lito hat generell bei "Amor Vincit Omnia" ein bisschen die Arschkarte gezogen, und bekommt außer einer kurzen Performance als besorgter Pariser (Baquette und Baskenmütze inklusive) nichts zu tun. Selbst Nebenfiguren von außerhalb des Clusters, wie Dani (der man eine extrem starke Szene mit Whispers spendiert), Hernando (der die Idee rund um den trojanischen Bus hat), Mun und vor allem Rajan leisten da einen wesentlich größeren Beitrag zum Geschehen – und die anderen Cluster-Mitglieder sowieso.

Anderes wird hier nun – zumindest ansatzweise – abgeschlossen, jedoch teilweise auf etwas überhastete und dadurch auch etwas unbefriedigende Art und Weise. Hier ist insbesondere alles rund um Sun zu nennen. Relativ zu Beginn des Finales sehen wir einen Newsbericht aus Südkorea, wo der Politiker der ihrem Bruder in "Du willst einen Krieg?" half, verhaftet wird. Man darf davon ausgehen, dass sich die Jagd nach ihm ursprünglich durch die gesamte dritte Staffel gezogen hätte. So hingegen wirkt das ganze doch ziemlich plötzlich, und da wir das Ganze nur aus der Distanz verfolgen, hatte es auch nur eine geringe emotionale Wirkung, und wollte sich bei mir einfach nicht so recht ein Gefühl der Erleichterung und des Triumphs einstellen. Klar, im Nachhinein ist man immer gescheiter. Hätten Lana und JMS schon während der Produktion der zweiten Staffel gewusst, dass es keine dritte geben würde, hätten sie Joong-Ki mit Sicherheit schon in "Du willst einen Krieg?" verhaften lassen (was auch insofern besser gewesen wäre, als es der Verfolgungsjagd einen echten Sinn gegeben hätte; weil einer meiner größten Kritikpunkte am Finale der zweiten Staffel war ja, dass diese ganze, tolle, spektakuläre und packende Actionsequenz rund um Sun letztendlich am Status Quo nichts veränderte). Aber so war es halt schon irgendwie unbefriedigend. Aber auch ihre Romanze mit Mun litt für mich unter dem Zeitdruck. Bereits bei ihrem Facetime-Gespräch schwingen alle möglichen Gefühle mit, und vor allem dann beim großen Wiedersehen in Paris gehen die Emotionen hoch – und es tut mir leid, aber ich fand nicht, dass sich "Sense8" diese Szenen schon "verdient" hat. Hätte sich ihre Beziehung im Verlauf der dritten Staffel langsam aufgebaut, gerne. Aber bislang hatten sie gerade mal eine größere, nennenswerte Szene miteinander, nämlich das Gespräch und der nachfolgende Kampf am Friedhof. Ihre gegenseitige Anziehung mag dort zwar schon spürbar gewesen sein, aber zwischen Anziehung und tiefempfundener Liebe ist's halt doch nochmal ein deutlicher Sprung – der hier aus meiner Sicht zu überhastet und damit unglaubwürdig vollzogen wird.

Episodenbild (c) Netflix In erster Linie konzentriert sich "Amor Vincit Omnia" aber ohnehin auf die fortlaufende Handlung rund um die Bedrohung durch BPO. Das ist auch jene Storyline, die am deutlichsten abgeschlossen wird (wenn ich mir auch vorstellen kann, wie man daran mit ein bisschen Fantasie anknüpfen könnte), und wo auch wirklich so ziemlich alle offene Fragen beantwortet werden. Doch selbst hier ist der Zeitdruck spürbar. Antworten, die man ansonsten wohl auf mindestens eine wenn nicht gar alle drei weiteren Staffeln verteilt hätte, werden hier nun in zweieinhalb Stunden vermittelt. Das hat dann teilweise doch etwas von Info-Dumping, vor allem soweit es die Vorgeschichte von Angelica und Jonas betrifft, die hier nun bis ins kleinste Detail aufgerollt wird. Erschwerend kommt halt hinzu, dass ich den BPO-Teil von "Sense8" schon immer am uninteressantesten fand (Merke: "Am Uninteressantesten" ist nicht gleichbedeutend mit "uninteressant"), einfach, weil es der konventionellste und unoriginellste Part der Serie ist. Weil irgendwelche finsteren Schattenorganisationen gehören im Mystery-Bereich seit jeher zum guten Ton, und waren gerade auch in den letzten Jahren ("Lost", "Fringe", "Orphan Black"; um nur einige zu nennen) omnipräsent. Vor allem auch die Ähnlichkeiten mit "Orphan Black" finde ich frappant – und durch die Offenbarung von Whispers ultimativem Ziel werden diese auch nicht gerade kleiner.

Womit wir auch schon beim nächsten Punkt wären: So eindrucksvoll die Location auch gewesen sein mag, aber mit Whispers (Cluster-)Mutter und der Organisation rund um sie herum führt man fünf vor zwölf – und an einer Stelle, wo man eh hinten und vorne kämpft, um die offenen Handlungsstränge in der kurzen verbliebenen Zeit zu einem sinnvollen Abschluss zu führen – ein weiteres Element ein. Das hätte ich mir dann doch für eine allfällige dritte Staffel (so sie denn kommt; ich wäre hocherfreut, bin jedoch sehr skeptisch) aufgehoben. Die wenigen dort vermittelten neuen Informationen hätte man auch anders unterbringen können, und die dadurch gewonnenen Minuten hätten sich sinnvoller verwenden lassen. Und generell ist der Aufbau von "Amor Vincit Omnia" etwas eigenwillig. So nahm man sich für meinen Geschmack doch etwas zu viel Zeit, bis es dann endlich mal zur Übergabe kam. Den Angriff auf ihre Hotelzimmer hätte man sich z.B. schenken können (auch wenn es nett war, Nomi mal kurz ass-kicken zu sehen; aber das hätte sich doch unter anderen Umständen auch einbauen lassen). Gleiches gilt für Wolfgangs Fluchtversuch. Ich verstehe, warum man ihn eingebaut hat. Es zeigt einerseits, dass Wolfgang ein Mann der Tat ist, der nicht einfach nur herumliegt und darauf wartet, vom Rest des Clusters gerettet zu werden. Zudem zeigt man mit den Betten das Ausmaß des Zombie-Programms. Und vor allem auch jener Moment, wo Kala über ihre Verbindung zu Wolfgang davon abhält, sich das Leben zu nehmen, ist wichtig. Dennoch, narrativ bringt die Szene die Geschichte nicht im Geringsten weiter. Vor allem aber seine Rückblenden sehe ich kritisch. Mal abgesehen davon, dass er der Einzige ist, der im Finale mit eben solchen bedacht wird, wollte mir auch einfach nicht einleuchten, warum denn eigentlich. Die bisherigen Offenbarungen zu den Taten seines Vaters reichten mir als Erklärung eigentlich. Den Inzest-Twist hätte ich da nun wirklich nicht mehr gebraucht. Zumal die Thematik in den letzten Jahren in Film- und Fernsehen nun wahrlich präsent genug war. Musste "Sense8" auf den Zug unbedingt auch noch aufspringen? Hätte man sich diese – meines Erachtens überflüssigen – Rückblenden geschenkt, hätte man wertvolle Minuten für die Handlung in der Gegenwart gewonnen, wo man sich ohnehin schwer damit tat, alles in 2-1/2 Stunden zu pressen.

Episodenbild (c) Netflix Ein weiterer kleiner Kritikpunkt ist, dass aufgrund der Tatsache, dass die Sensates alle an einem Platz sind, ein bisschen der Reiz – und eine der größten Besonderheiten – von "Sense8" verloren geht. Gelegentlich "besuchen" sie sich zwar und schenken sich wenn sie in Aktion sind gegenseitig ihre Fähigkeiten, aber die Idee der telepathischen Verbindung über den gesamten Planeten hinweg geht hier ein wenig verloren, oder rückt zumindest stark in den Hintergrund. Das fand ich schon ein wenig schade. Relativ verwirrt war ich auch von der Art und Weise, wie man das Mysterium rund um den Chairman aufbaute. Dadurch, dass man ihn zu Beginn nur mit Maske zeigt, und um seine wahre Identität so ein Aufhebens macht, hätte ich eigentlich gedacht, wir sollten ihn schon von früher kennen. Allerdings scheint die einzige Verbindung die man knüpfen soll zu Jonas' Rückblenden zu sein (und tatsächlich war das der erste "Sense8"-Credit des Darstellers). Warum man um sein Aussehen dann so ein Geheimnis gemacht hat, wollte mir nicht wirklich einleuchten. Last but not least: Auch wenn die zweite Hälfte insgesamt besser und vor allem das Finale am Eiffelturm phantastisch war, und so sehr ich den optimistischen Grundton der Serie auch schätze, aber: Space-Brownie hin oder her, die versöhnlichen Töne von Nomis Mutter kamen für mich völlig aus dem Nichts. Das war dann doch etwas zu viel des Guten.

Warum also trotz dieser ausführlichen Kritik noch eine ziemlich hohe Wertung? Nun einerseits, weil "Amor Vincit Omnia" nach der noch etwas holprigen ersten Stunde wesentlich besser wird. Mit dem Geiselaustausch zwischen Whispers und Wolfgang liefert man uns das erste große Spannungsmoment der Folge, und spätestens mit der Ankunft in Neapel dreht das Finale dann so richtig auf. Es war aus meiner Sicht auch eine fantastische Entscheidung, mit Lila Facchini die für mich hervorstechendste neue Figur aus der zweiten Staffel hier nun in den Status der Haupt-Bösewichtin zu erheben. Abseits von Whispers waren die BPO-Schergen ja leider gesichtslos (was ironischerweise ja selbst für den Chairman im Finale gilt, dank seiner Maske), und abseits einer wirklich starken Szene mit Will (wo Terrence Mann die Soziopathie seiner Figur mit bestechender Glaubwürdigkeit darstellt) war Milton ja überwiegend ein ineffektiver Spielball, und zur Passivität verdammt. Lila hingegen hatte bei mir in der zweiten Staffel ziemlich starken Eindruck hinterlassen – und erweist sich auch hier wieder als famose Gegenspielerin. Auch dies wertete die zweite Hälfte des Finales für mich auf. Und vor allem der Angriff auf ihre Festung (das zweite Mal, dass "Amor Vincit Omnia" etwas von einem "heist-movie" hatte – nach der Planung des Geiselaustauschs zuvor) war dann fantastisch, angefangen vom amüsanten Einstieg rund um den trojanischen Touristenbus, über die spannende Jagd durchs Schloss, bis hin zu jenem dramatischen Höhepunkt, als Lila einen der Sensates erschießt. Generell profitiert "Amor Vincit Omnia" – wie die Serie insgesamt – davon, dass ich alle Figuren (und das bezieht sich nicht nur auf die Sensates) mag, und sie im Verlauf der Serie doch zunehmend ins Herz geschlossen habe. Insofern genieße ich jede zusätzliche Minute, die ich mit ihnen verbringen kann. Dass man für das Finale so ziemlich jede Figur die eine halbwegs größere Rolle hatte zurückholte, verstärkte diesen Pluspunkt nur noch – und verlieh dem ganzen Finale, vor allem aber dann der Hochzeit auf dem Eifelturm, den Eindruck einer großen Abschiedsfeier.

Episodenbild (c) Netflix Als weitere wesentliche Stärke des Finales fand ich die unerwartete Art und Weise, wie man das Liebesdreieck rund um Kala, Wolfgang und Rajan auflöste. So sehe das zumindest ich, denn die Reaktionen in den Sozialen Medien machen klar, dass es sich hier mit Abstand um das kontroverseste Element von "Amor Vincit Omnia" handelte, und nicht wenige zeigten sich gerade auch von dieser Entwicklung enttäuscht. Denn im Gegensatz zum von den Kalagang-Shippern erhofften Happy End für sie beide ist es, wie Wolfgang zwischendurch erwähnt, kompliziert, und scheint letztendlich eher in Richtung Dreierbeziehung zu gehen. Für mich kam das wie ich gestehen muss völlig unerwartet (was vielleicht beweist, dass ich doch nicht so aufgeschlossen bin, wie ich dachte?), weil auf die Idee wäre ich im Leben nicht gekommen. Letztendlich passt es aber nicht nur zur Art und Weise, wie "Sense8" alle Formen von Liebesbeziehungen, egal ob traditionell oder nicht, propagiert, sondern stellt gerade auch in unserer heutigen Zeit, die nach wie vor viel zu sehr von maskulinem Macho-Denken geprägt ist, eine ungemein wichtige (und nahezu revolutionäre) Aussage dar. Wolfgang und Rajan lieben beide die gleiche Frau, doch statt in klassisches Alphamännchen-Gehabe zu verfallen, stellen sie ihre Egos zurück, und ordnen ihre eigenen Wünsche jenen von Kala unter. Das fand ich genial – und definitiv besser, als Rajan zu töten oder gar ihn als Bösewicht zu entlarven (und damit den Konflikt auf zu billige und einfache Art und Weise aufzulösen).

Was mir ebenfalls gefiel ist, dass nun wo die Figuren im realen Leben zusammenkommen vermehrt mit Untertitel gearbeitet wurde – um zu zeigen, dass sie sich zwar über ihre telepathische Verbindung verstehen, grundsätzlich dabei aber immer ihre eigene Sprache gesprochen haben. Schön, dass man auf dieses Detail geachtet hat. Auch die Inszenierung ist, wie von der Serie gewohnt, wieder über jeden Zweifel erhaben. Und auch wenn die Tatsache, dass die Sensates das Abenteuer größtenteils gemeinsam bestreiten, sowohl das Budget als auch die logistische Herausforderung im Vergleich zur Serie etwas reduziert haben mag, war sicherlich auch "Amor Vincit Omnia" wieder nicht billig – und besticht zudem wieder einmal mit wunderschönen Location-Aufnahmen (Neapel wurde z.B. für einen baldigen verlängerten Wochenend-Städtetrip schon vorgemerkt). Vor allem aber folgt auch "Amor Vincit Omnia" wieder dem bekannten "Sense8"-Muster: Der Plot mag nicht immer 100%ig überzeugen, und auch sonst mag es objektive Kritikpunkte geben die man vorbringen kann – wo die Serie jedoch schon immer glänzte, ist bei den Einzelszenen, und den Emotionen, welche diese beim Zuschauer hervorrufen. Und das war auch beim Finale wieder der Fall. Selbst in der von mir noch eher geschmähten ersten Hälfte gab es ein paar tolle Momente, wie das Gespräch zwischen Nomi und Amanita auf den Dächern von Paris, mit dem Blick auf den Eiffelturm im Hintergrund. Aber vor allem im zweiten Teil des Finales folgt dann ein Höhepunkt auf den anderen; Der Tanz im Zug (wo wieder einmal die reine Lebensfreude gefeiert wird), die köstliche Szene, wie man sich in Lilas Festung schleicht, Jonas Mission, der neuerliche Einsatz eines Raketenwerfers, und so weiter.

Episodenbild (c) Netflix Letztendlich waren es aber vor allem zwei Szenen, die mich begeistert haben. Einerseits jener "showstopper", als eine Person aus dem Cluster (obwohl das Finale vor einer Woche "ausgestrahlt" wurde will ich mich mit Spoilern zurückhalten) von Lila angeschossen wurde. Da blieb mir echt das Herz stehen. Und andererseits die Hochzeit am Ende. Vor allem die Gelübde von Amanita und Nomi waren wunderschön geschrieben, und auch sonst war das ein herzerwärmender Moment (wenn ich auch gestehen muss, ihren Heiratsantrag in "Du willst einen Krieg?" doch eine Ecke bewegender gefunden zu haben). Letztendlich mündet das Finale dann – wie könnte es auch anders sein? – in eine "Sense8"-typische Orgie, und verabschiedet sich die Serie von der Welt (neben einer netten Widmung an die Fans) mit einem unerwarteten letzten Bild, das einen der umstrittensten Momente aus der Auftaktfolge wieder aufleben lässt, und damit einerseits die Brücke zum Anfang schlägt, und andererseits die Zielsetzung der Serie und ihrer Schöpfer noch einmal verdeutlicht, nämlich: Sich – ohne sich auch nur eine Sekunde lang dafür zu entschuldigen – für eine freiere, tolerantere und empathischere Gesellschaft einzusetzen, und dabei keine Kompromisse einzugehen. Und das bis zum letzten Bild.

Fazit: Zugegeben, "Amor Vincit Omnia" ist nicht ganz das triumphale, grandiose Finale, dass ich mir erhofft hatte, und dass sich diese wegweisende, einzigartige und meiner bescheidenden Meinung nach jetzt schon legendäre Serie verdient hätte. Sie ist aber definitiv ein weitaus besserer Abschluss, als "Du willst einen Krieg?" – denn das Finale der zweiten Staffel wäre als Ende der Serie, nicht nur wegen des Cliffhangers, eine Katastrophe gewesen. Klar merkt man "Amor Vincit Omnia" an, dass hier Entwicklungen und Offenbarungen, die mindestens noch eine Staffel hätte füllen sollen, in ein einziges zweieinhalbstündiges Special gepresst wurden. Manche der persönlichen Handlungsstränge der Sensates, und auch einige Figuren, bleiben dabei unweigerlich auf der Strecke, während anderes überhastet wirkt und dadurch die volle emotionale Wirkung nicht entfalten kann. Generell ist die erste Hälfte noch etwas holprig, und leidet unter dem teils etwas lieblosen Info-Dumping, sowie dem Einfügen neuer Elemente in die Mythologie, was ich so kurz vor dem Ende doch eher kritisch sehe. Und generell ist "Amor Vincit Omnia" halt sehr auf die Bedrohung durch BPO konzentriert, und in eben diesem Handlungsstrang lag für mich noch nie die größte Stärke der Serie, ist dieser doch mit Abstand ihr generischster Bestandteil. Andererseits fällt es mir schwer, Lana Wachowski diesbezüglich zu große Vorwürfe zu machen. Sie tut mit der ihr vorhandenen Zeit das Möglichste – und wenn man sich vor Augen führt, dass fast zehn Jahre nach dem "Lost"-Finale Lindelof und Cuse immer noch mit der unsäglichen Eisbär-Frage gequält werden, ist es auch verständlich, dass sie den Fokus auf die offenen Fragen aus der BPO-Storyline legte, um sich ein ähnliches Debakel zu ersparen. Ich persönlich freute mich jedenfalls sehr darüber, sie alle noch einmal sehen zu können, und genoss jede Minute, die ich mit ihnen verbringen konnte. Insofern gilt mein Dank neben allen an der Serie Beteiligten vor allem auch Netflix, die es den Fans zumindest ermöglichten, sich angemessen von ihrem Cluster zu verabschieden.

Episodenbild (c) Netflix Was uns schließlich zum entscheidenden Punkt führt: Denn die Stärken von "Sense8" lagen nun mal schon immer weniger im eigentlichen Plot, als vielmehr den Figuren, der interessanten Grundidee der telepathischen Verbindung zwischen ihnen (und das über alle Distanzen, Länder- und kulturellen Grenzen hinweg), dem Fokus auf Empathie, den starken Einzelszenen, sowie vor allem bei ihrer emotionalen Wirkung. Und eben von diesen Stärken macht "Amor Vincit Omnia" mit zunehmender Laufzeit dann auch zunehmend Gebrauch. Die Tanzszene im Zug, der Showstopper während dem Angriff auf Lilas Versteck, sowie die Hochzeit sind nur einige jener Momente, die mich emotional berührten, und mir noch lange in Erinnerung bleiben werden. Eben diese Highlights waren es schon immer, welche die Serie für mich auszeichneten – denn was die emotionale Intensität betrifft, konnte und kann für mich keine aktuelle Serie "Sense8" das Wasser reichen. Zusammen mit der abschließenden Orgie (die man sich als Fan ja fast schon erwartet hat), der netten Widmung an die Fans (die dieses Finale erst ermöglichten) sowie einem denkwürdigen letzten Bild (für eine nicht minder denkwürdige Serie) verabschiedet sich "Sense8" dann schließlich. Doch wenn schon nicht mit weiteren Staffeln/Episoden/Specials, so wird die Serie auf jeden Fall in den Herzen jener tausenden weltweisen Fans, die von ihr zutiefst berührt wurden, und deren Leben sie teilweise sogar veränderte, fortbestehen. Und das ist definitiv ein Vermächtnis, auf das die Wachowskis und JMS stolz sein können.

Wertung: 4 von 5 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2018 Netflix)




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