Müll
Eine zerstückelte Leiche gibt Rätsel auf Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Samstag, 09 Dezember 2023
 
Titel: "Müll"
Bewertung:
Autor Wolf Haas
Umfang: 288 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
Veröffentlicht: 02. März 2022
ISBN: 978-3-4550-1539-3 (D)
Kaufen: Taschenbuch (D)
 

Kurzinhalt: Spät in seinem Berufsleben scheint Simon Brenner endlich seine Berufung gefunden zu haben: Er arbeitet auf einem Wiener Mistplatz, wo er zusammen mit seinen Kollegen dafür verantwortlich ist, dass sämtlicher Müll auch wirklich nur in die dafür vorgesehene Wanne geworfen wird. Eines Tages macht er jedoch einen gar grausigen Fund: Ein menschliches Knie. Sofort rückt die Kripo – darunter ein früherer Kollege vom Brenner – an, und durchsucht den Mistplatz. Man findet daraufhin auch den Großteil des restlichen Körpers, nur das Herz fehlt. Der Ermordete war ein erfolgreicher Geschäftsmann, und wie in solchen Fällen üblich, ist seine Frau die Hauptverdächtige. Doch die ist noch bevor man die Leiche(nteile) gefunden hat verschwunden. Als ihre Tochter zufällig erfährt, dass der Brenner früher Polizist und später Privatdetektiv war, ersucht sie ihn darum, ebenfalls zu ermitteln. Vor allem auch, da die Polizei von der Schuld ihrer Mutter überzeugt ist, und andere mögliche Verdächtige gar nicht erst in Betracht zieht. Und so findet sich der Brenner ein weiteres Mal im Sumpf des Verbrechens wieder…

Review: Nach dem doch ein bisschen enttäuschenden "Brennerova" findet Wolf Haas mit "Müll" zu alter Stärke zurück. Dabei schafft er es neuerlich, sich einer neuen Thematik bzw. einem anderen Milieu zu widmen, als in den bisherigen Romanen. So spielt hier nicht zuletzt der illegale Organhandel eine entscheidende Rolle. Haas bezieht hier nicht zuletzt auch viel Reiz (und Humor) aus den unterschiedlichen Herangehensweisen von Österreich und Deutschland; denn während man in meiner Heimat der Verwendung von Organen nach dem Tod explizit widersprechen muss, ist bei unserem großen Bruder vielmehr die individuelle Zustimmung der betreffenden Person erforderlich. Vor allem auch die ganzen Fragen rund um die "Grenzfälle" fand ich dabei so kurios wie interessant. Etwas anderes war zweifellos auch das Setting am klassischen Wiener Mistplatz (in Deutschland sagt man da scheinbar Altstoffsammelzentrum dazu). Es ist schon lange her, dass ich einen eben solchen besucht hab, aber in meiner Erinnerung geht es dort genau so zu, wie es Haas hier beschreibt. Eine zusätzliche interessante Komponente war zweifellos auch das mit den Brenner als Haussitter; er hat in "Müll" keine feste Wohnadresse, sondern schleicht sich in Häuser oder Wohnungen ein, deren Besitzer gerade verreist sind. Als sich jedoch das Ehepaar, dessen Wohnung er sich diesmal ausgesucht hat, im Urlaub streitet, und sie überstürzt nach Hause abreist, bringt ihn auch dies – zusätzlich zu den Verwicklungen des Falls – in Schwierigkeiten. Aber auch die Freundschaft mit seinem früheren Kollegen wertete den Roman für mich auf.

Über die bislang neun Romane rückblickend finde ich allerdings die mangelnde Kontinuität etwas schade. Damit meine ich nicht, dass sich diese gegenseitig widersprechen würden, aber es fehlt einfach gänzlich an irgendwelchen Verbindungen und/oder Referenzen. Das bedeutet zwar, dass man jederzeit einsteigen und jeden Roman für sich genommen lesen kann. Aber gerade auch zu Beginn von "Müll" frage ich mich z.B., was mit Simon und seiner Freundin aus "Brennerova" geworden ist. Wenn ich schon bei der Kritik bin, muss ich zudem festhalten, dass ich den Showdown fast schon als etwas zu filmreif empfand; es wirkt auf mich fast so, als hätte Haas das bewusst so geschrieben, für den Fall, dass sich Wolfgang Murnberger und Josef Hader doch noch für eine fünfte Verfilmung erweichen können (was ich grundsätzlich ja abfeiern würde). Irgendwie will es aber zu den bislang doch recht bodenständigen Brenner-Abenteuern nur bedingt passen (andererseits war's immer noch leichter zu schlucken als die Geiselbefreiung am Ende von "Brennerova", also sollte ich mich wohl nicht zu sehr darüber beschweren). Der Fall an sich war jedenfalls wieder nett ausgeklügelt, und bot zahlreiche spannende Wendungen und interessante Offenbarungen. Vor allem aber ist und bleibt die Erzählweise der Romane eine der größten Stärken der Reihe. Auch "Müll" ist wieder mit zahlreichen Überlegungen und Abschweifungen des allwissenden Erzählers gespickt, die nicht selten mit dem eigentlichen Fall nicht viel zu tun haben. Aber genau dieser Ansatz, dass einem die Geschichte auch wirklich erzählt wird, machte für mich, zusammen mit der herrlich schrulligen Hauptfigur, schon immer den größten Reiz der Reihe aus. Und auch wenn ich hoffe, dass Wolf Haas zumindest noch einen weiteren Fall für den Brenner schreibt (vielleicht ermittelt er dort dann ja im Altersheim?!), wäre "Müll" in jedem Fall ein gelungener und zufriedenstellender Abschluss.

Fazit: Entgegen des Titels ist der neunte und bislang letzte Brenner-Roman nicht etwa "Müll", sondern vielmehr ein weiterer köstlicher Fall des grantelnden Detektivs, in den er neuerlich auf so zufällige wie widerwillige Art hineingerät. Die größten Stärken bleiben dabei die Hauptfigur, sowie die eigenwillige Erzählweise. Aber auch der Fall hatte es mir hier wieder deutlich mehr angetan, als zuletzt bei "Brennerova". Wolf Haas ist es darüber hinaus gelungen, sich ein weiteres Mal einer neuen Thematik und einem bislang nicht beachteten Milieu zuzuwenden; dass er sich im Verlauf der neun Fälle wiederholt hätte, kann man ihm jedenfalls nicht vorwerfen. Demgegenüber hätte ich mich rückblickend über eine etwas stärkere Verbindung der Romane untereinander gefreut. Im Falle von "Müll" habe ich aber eigentlich wenn überhaupt nur den in seiner Filmreihe etwas aufgesetzt wirkenden Showdown zu kritisieren. Davon abgesehen hat mich auch "Müll" wieder bestens unterhalten.

Bewertung: 4/5 Punkten
Christian Siegel





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