Das Protomolekül
Versammelt alle Kurzgeschichten zur "Expanse"-Saga Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Samstag, 17 Dezember 2022
 
Titel: "The Expanse: Das Protomolekül"
Originaltitel: "The Expanse: Memory's Legion"
Bewertung:
Autoren: Daniel Abraham & Ty Franck (als James S. A. Corey)
Übersetzung: Jürgen Langowski
Umfang: 496 Seiten (D)
Verlag: Heyne (D), Orbit (E)
Veröffentlicht: 11. Juli 2022 (D), 15. März 2022 (E)
ISBN: 978-3-453-3322037 (D), 978-0-3565-1778-0 (E)
Kaufen: Taschenbuch (D), Kindle (D), Taschenbuch (E), Kindle (E)
 

Inhalt & Review: "Das Protomolekül" ist keine Fortsetzung zur neunteiligen Romanreihe, sondern versammelt (fast; einzig auf "The Last Flight of the Cassandra", die nach der Zerstörung der Canterbury angesiedelt ist, muss man – wohl aus lizenzrechtlichen Gründen – verzichten) alle Kurzgeschichten, die rund um "The Expanse" geschrieben wurden. Teilweise vor, teilweise während, und in einem Fall auch nach der Hauptstory der Romane angesiedelt, schicken sich diese acht Geschichten an, einzelne Ereignisse und/oder Figuren aus der neunbändigen Saga näher zu beleuchten. Den Anfang macht dabei "Antrieb", der sich mit Solomon Epsteins Entwicklung des nach ihm benannten Antriebs beschäftigt. Die Story ist relativ kurz, aber dennoch eine interessante Charakterstudie, die uns einen Einblick in diese – für die (Vor-)Geschichte bedeutsame – Persönlichkeit des "Expanse"-Universums liefert. Die Erinnerungen die ihm durch den Kopf gehen zeigen uns zudem etwas darüber, wie der Konflikt zwischen der Erde und dem Mars entstanden ist. Insgesamt ein knackiger und packender Auftakt für die Anthologie – dem sogleich mit "Der Schlächter von Anderson Station" mein persönliches Highlight der Sammlung folgte. Wie der Titel schon verrät, geht es hier um Fred Johnson, und rollt den tragisch verlaufenden Angriff auf die aufständischen Gürtler der Anderson-Station auf, die ihm dann eben genau diesen Titel verleihen sollte. Ein fesselnder Einblick in die Seele eines Mannes, der große Schuld auf sich geladen hat, und versucht, eben damit – sowie den Umständen, die zur Tragödie führten – klar zu kommen. Fantastisch!

"Der Gott des Risikos" ist zwischen "Calibans Krieg" und "Abaddons Tor" angesiedelt, und wurde auch als Nebenstory für Bobbie Draper in die vierte "Expanse"-Staffel übernommen. Im Mittelpunkt steht aber eigentlich ihr Neffe David, der für einen skrupellosen Drogendealer ebensolche herstellt, und darob in Schwierigkeiten gerät. Zwar soweit ganz nett, so richtig dreht die Story aber erst mit den Auftritt von Bobbie am Ende auf. "Der Mahlstrom" rollt Amos' Vorgeschichte auf der Erde genauer auf. Einiges davon hatten wir zwar bereits in "Nemesis Spiele" (bzw. auch der TV-Adaption innerhalb der fünften Staffel davon) erfahren, hier aber unmittelbar seine (ziemlich fragwürdige) Beziehung zu Lydia mitzuerleben, und zu sehen, warum genau Erich ihm einen Gefallen geschuldet hat, war schon nett. Neben – bzw. nach – "Der Schlächter von Anderson Station" war das für mich somit das zweite große Highlight von "Das Protomolekül". "Der letzte Abgrund" war ein bisschen ein schwieriger Fall. Alles in der "Gegenwart" fand ich (mit Ausnahme von Cortázars Überlegungen im Hinblick darauf, ob er sein Genie besser verbirgt, oder ihm eben dies doch die Freiheit bringen könnte) vergleichsweise uninteressant. In den Flashbacks offenbarte sich dann aber die Tragik hinter dieser Figur, wobei natürlich vor allem der Aspekt hervorsticht, dass Cortázar im Hinblick auf die an seinem Gehirn vorgenommenen Anpassungen ja gar nicht weiß bzw. einschätzen kann, was er eigentlich verloren hat. Das fand ich schon ziemlich heftig. Und "We had become too important for consequences" war auch ein so spannender wie erschreckender Gedanke. Die Story rund um das Gefängnis hätte man aus meiner Sicht aber kürzen können.

"Seltsame Hunde" ist jene hier enthaltene Geschichte, die am prominentesten in der Serie vor kam, war sie doch Teil der sechsten und letzten Staffel. Angesiedelt auf Laconia, erzählt es davon, wie das kleine Mädchen Cara mit Hilfe des dort aktiven Protomoleküls ihren Bruder nachdem dieser bei einem tragischen Unfall sein Leben verlor wieder zurückholt. Eine wirklich starke Geschichte, die vor allem mit der netten Dualität besticht, welche die Autoren in ihrem Nachwort auch selbst ansprechen: Aus unserer, erwachsenen Sicht ist es eine Horror-Geschichte, aus Caras Sicht jedoch eine über Immigration, und wie sich die zweite Generation in einer Art und Weise an das Leben in dieser neuen Welt anpasst, wie es ihren Eltern aufgrund deren Wurzeln zur Heimat nie möglich sein wird. Ein echt faszinierender Gedanke! Und auch sonst fand ich die Story sehr gelungen und spannend. Demgegenüber war "Auberon" in meinen Augen die wohl schwächste der hier versammelten Geschichten. Nicht schlecht, und ich kann den im Nachwort geäußerten Gedanken der Autoren, dass sie hier quasi eine Story erzählen wollten, welche jene von Captain Singh aus "Persepolis erhebt sich" widerspiegelte, durchaus nachvollziehen. Ich fand nur leider die Geschichte nie sonderlich interessant, oder gar packend. Immerhin, das Ende war dann ganz nett, und zeigte auch sehr schön, wie selbst der aufrechteste Politiker in korrupte Machenschaften hineingezogen werden kann. Den Abschluss bildet dann schließlich "Die Schuld unserer Väter"; sie ist zugleich die einzige hier versammelte Geschichte, die exklusiv für die Anthologie geschrieben wurde. Darin erfüllen die beiden Autoren den Fans der Reihe einen langgehegten Wunsch – erfahren wir hier doch, wie es mit Filip weiterging. Zudem gibt uns die Kurzgeschichte einen Einblick darin, welche Auswirkung das Ende der Ringstation für die Koloniewelten hatte. Vor allem aber sprach mich die moralische Ambivalenz im Hinblick auf Filips Vorgehensweise hier an. Dabei fand ich vor allem spannend, wie es Abraham und Franck gelungen ist, mich voll und ganz auf seine Seite zu ziehen – ich war somit eigentlich sicher, er hätte richtig gehandelt – nur um mir mit Namis Worten an ihn den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Hat sie vielleicht doch recht? Und was sagt es über Filip – und mich – aus, dass er es nicht sehen kann?! Darüber könnte man tagelang diskutieren. Insgesamt ein schöner "Abschluss" für die Figur – und auch ein netter Epilog zur Saga an sich.

Fazit: Wie für solche Anthologien üblich, schwankte auch bei "Das Protomolekül" ein bisschen die Qualität zwischen den einzelnen hier versammelten Kurzgeschichten. Ganz besonders angetan hatten es mir dabei "Der Schlächter von Anderson Station", "Der Mahlstrom" und "Seltsame Hunde". Gut fand ich "Die Schuld unserer Väter" und "Antrieb". Demgegenüber fand ich "Der Gott des Risikos", "Der letzte Abgrund" und "Auberon" eher nur mittelprächtig. Fans der "Expanse"-Reihe erhalten hier jedoch die Gelegenheit, noch etwas tiefer ins Universum einzutauchen, und über ein paar Aspekte, die im Verlauf der neunteiligen Saga oftmals nur angeschnitten wurden, mehr zu erfahren. Als Einstieg in die Saga ist "Das Protomolekül" dabei allerdings definitiv nicht geeignet; dafür nehmen die hier versammelten Geschichten zu viel vorweg. Als Schlusspunkt wiederum kommt weder "Das Protomolekül" im Gesamten noch "Die Schuld unserer Väter" im Besonderen an "Leviathan fällt" bzw. den dortigen Epilog heran. Insofern wäre mein Vorschlag – vielleicht mit Ausnahme von "Der Mahlstrom" (der aber eventuell vor oder irgendwo während "Nemesis Spiele" – quasi als ausgedehnter Flashback – ganz spannend sein könnte) – die Geschichten möglichst chronologisch zu lesen, und quasi direkt in die neunteilige Saga einzubinden. Ich werde es jedenfalls, wenn ich mir die Reihe eines Tages noch einmal komplett vorknöpfe, wohl genau so machen.

Bewertung: 3/5 Punkten
Christian Siegel
(Cover © 2023 Heyne)





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