The Sandman - Vol. 6: Fabeln und Reflexionen
Neun Kurzgeschichten mit Bezug zu Morpheus Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Dienstag, 19 Juli 2022
 
Titel: "Fabeln und Reflexionen"
Originaltitel: "Fables and Reflections"
Bewertung:
Autor: Neil Gaiman
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Zeichnungen: Stan Woch, Bryan Talbot, Shawn McManus, Duncan Eagleson, John Watkiss, Jill Thompson, P. Craig Russell & Kent Williams
Tusche: Dick Giordano, Stan Woch, Shawn McManus, Vince Locke, John Watkiss, P. Craig Russell, Mark Buckingham & Kent Williams
Farben: Daniel Vozzo, Digital Chameleon & Sherilyn Valkenburgh
Lettering: Todd Klein (E)
Cover: Dave McKean
Umfang: 264 Seiten
Verlag: Panini (D), Vertigo (E)
Veröffentlicht: 07. Oktober 2008 (D), 1993 (E)
ISBN: 978-3-866-07628-0 (D)
Kaufen: Taschenbuch (D), Taschenbuch (E)
 

Inhalt & Review: Nach "Traumland" ist "Fabeln und Reflexionen" die zweite Sammlung von Kurzgeschichten – in denen zudem der Titelheld in doch eher recht unterschiedlicher Ausprägung in Erscheinung tritt, in jedem Fall aber nie unmittelbar im Fokus steht. Den Anfang macht "Fear of Falling", in der ein Theaterregisseur am Tag bevor die Proben beginnen sollen plötzlich Panik vor den Reaktionen von Publikum und Kritikern bekommt, und beschließt, das Stück abzusagen – ehe ihn ein Traum vom Gegenteil überzeugt. Zwar thematisch nicht uninteressant, letztendlich aber etwas zu kurz, um wirklich Eindruck zu hinterlassen. In "Three Septembers and a January" steht die reale historische Figur von Joshua Abraham Norton im Mittelpunkt, der sich selbst zum Kaiser der Vereinigten Staaten von Amerika ausrief. Echte Begebenheiten aus seinem Leben werden hier in einen Wettstreit zwischen Verzweiflung und Traum eingebettet, den letzterer schließlich für sich entscheiden kann. Neben der interessanten Bekanntschaft mit dieser historischen Figur, die mir zumindest mittlerweile kein Begriff mehr war (ich schließe nicht aus, dass ich schon mal irgendwann von ihm gehört haben könnte) gefiel mir hier vor allem die interessante Verbindung der beiden Bedeutungen von "Traum" – da Morpheus ihm während er schläft eben einen ebensolchen einpflanzt, und so seinem Leben einen neuen Sinn verleiht. Letztendlich ist es eine Geschichte über Hoffnung, und darüber, dass es nie zu spät ist, seinem Leben eine neue Ausrichtung zu geben, die mir sehr gut gefallen hat. "Thermidor" ist während der französischen Revolution angesiedelt, und stellt in erster Linie Johanna Constantine – eine Vorfahrin von, wie nun wirklich nicht schwer zu erahnen ist, John Constantine – in den Mittelpunkt. Diese soll auf Wunsch von Morpheus den abgetrennten, aber noch lebenden Kopf seines Sohnes Orpheus stehlen, wird dabei jedoch aufgehalten und ins Gefängnis gesperrt. Da ich nicht unbedingt der größte "history buff" bin, fehlte mir hier ein bisschen der Bezug, einzelne Momente – wie der Raum mit den abgeschlagenen Köpfen – verfehlten jedoch die gewünschte Wirkung auch bei mir nicht.

"The Hunt" ist dann stark in der osteuropäischen Folklore verankert, und erzählt von einem jungen Werwolf und seiner Suche nach einer Prinzessin. Eingebettet ist dies als Geschichte, die ein Großvater seiner Enkelin erzählt – die jedoch viel lieber Fernsehen würde, und generell mit, wie sich am Ende herausstellt, seinen Erfahrungen nicht viel anfangen kann. Ich muss gestehen, diesen Rahmen letztendlich spannender gefunden zu haben, als die darin erzählte Story an sich – die jedoch nichtsdestotrotz ebenfalls ihre Momente hatte; insbesondere dann das Ende von seiner Odyssee, wenn er die Prinzessin tatsächlich findet. "August" ist dann wieder historisch geprägt, und geht zurück ins römische Reich, wo sich Kaiser Augustus Cäsar als Bettler ausgibt, um sich unters Volk zu schleichen. Nur dort, so meinte Morpheus einst zu ihm, kann er seine Pläne schmieden, ohne dass die Götter davon erfahren würde. Letztendlich wird deutlich, dass er zwei Zukunftsvisionen kennt, und sich letztendlich für jene entscheidet, in der das römische Reich untergeht. Der Grund, warum er diese Wahl trifft, war dann echt erschütternd – soll jedoch an dieser Stelle nicht verraten werden. Die nächste Geschichte stellt dann mit Marco Polo eine weitere historische Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Nachdem er in der Wüste seine Karawane verloren hat, fällt er in ein Koma, und findet sich in einem der titelspendenden "Soft Places" wieder, in denen die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. Dort trifft er auf Rustichello und Fiddler's Green, ehe er nach der Unterhaltung schließlich mit Morpheus' Hilfe wieder in die Realität zurückkehrt, und von der Expedition seines Vaters gefunden wird. Ganz wollte sich mir leider nicht erschließen, was genau Neil Gaiman mit dieser Geschichte aussagen und/oder erreichen wollte, und generell hat sich mich nicht so recht abgeholt, weshalb ich sie eher zu den schwächeren der hier versammelten Stories zählen würde.

Mit "The Song of Orpheus" folgt darauf dann schließlich die zentrale – und zugleich beste – Geschichte dieser Sammlung, die mit Fug und Recht als ihr Herzstück bezeichnet werden kann. Darin interpretiert Neil Gaiman die bekannte griechische Sage rund um Orpheus innerhalb des Sandman-Mythos neu. Seine Adaption nimmt der Geschichte dabei nichts von ihrer Kraft und Tragik, wobei natürlich insbesondere jener Moment, wo Orpheus von seinem Zweifel übermannt wird und kurz bevor er dabei war, die Unterwelt hinter sich zu lassen, sich nach Eurydike umdreht – und so das Schicksal sowohl von seiner Frau als auch sich selbst besiegelt – hervorsticht. Aber auch Morpheus Unwilligkeit, seinem Sohn zu helfen, bleibt im Gedächtnis – und lässt den Helden (?) der Comicreihe in einem neuen (und deutlich düsterem) Licht erscheinen. Mit dem nachfolgenden "The Parliament of Rooks" konnte ich hingegen nicht wirklich viel anfangen. Hier verschlägt es den Daniel Hall, Sohn von Hippolyta, in Morpheus' Reich, wo er auf die verschiedenen seltsamen Gestalten trifft, die das Traumreich bewohnen. Hier stehen Figuren aus der Bibel im Zentrum, angefangen bei Cain und Abel, die ja bereits zuvor als Bewohner des Traumlands etabliert wurden, bis hin zu den angeblichen drei Frauen von Adam. Möglicherweise liegt's daran, dass ich mit der Bibel nicht viel am Hut habe, aber mir gab diese Erzählung leider nicht sonderlich viel. Da fand ich die abschließende Story "Ramadan" schon um einiges faszinierender. Diese hatte für mich ein bisschen den Touch einer Geschichte aus "Tausend und einer Nacht", und erzählt von Kalif Harun ar-Raschid, der seine Stadt Bagdad so wie sie ist für die Ewigkeit bewahren will, und sie dafür Morpheus überlässt, auf dass sie dort in seinem Traumreich auf ewig währt. Daraufhin vollzieht die Erzählung eine harte Wende in die – damalige – Gegenwart des Golfkriegs, und zu einem zerbombten Bagdad, in denen ein alter Mann einem Jungen eben diese Geschichte erzählte. Eine erschütternde Schlusspointe, die für mich entgegen der märchenhaften Story rund um das für die Ewigkeit bewährte Bagdad in seiner Blütezeit für mich vielmehr die Vergänglichkeit von allem thematisierte – und verschaffte damit "Fabeln und Reflexionen" einen Schlusspunkt, der mich nachdenklich stimmte.

Fazit: Konzeptionell mag "Fabeln und Reflexionen" dem dritten Band "Traumland" sehr ähnlich sein; auch dort wurden kürzere, voneinander weitgehend unabhängige Geschichten erzählt, bei denen zudem Titelfigur Morpheus nur eine untergeordnete Rolle spielte. Insgesamt konnte mir "Fabeln und Reflexionen" aber deutlich besser gefallen – was ganz einfach daran liegt, dass mich die hier erzählten Geschichten überwiegend mehr ansprachen. Zwar konnte ich sowohl mit "Soft Places" und "The Parliament of Rooks" weniger anfangen; und auch "Thermidor" stach bei mir eher mit einzelnen Momenten als der Story an sich hervor. Die anderen Erzählungen konnten mir aber allesamt gut bis ausgezeichnet gefallen, wobei natürlich insbesondere "The Song of Orpheus" hervorstach. Darüber hinaus fand ich die Sammlung sowohl thematisch als auch vom Setting bzw. dem Ursprung der Geschichten her sehr abwechslungsreich. Mal bediente sich Neil Gaiman historischer Figuren, dann wieder bekannten Sagen, Mythen und/oder Religionen. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Mosaik – bei dem die Titelfigur jedoch eher als Verbindungsglied denn als Protagonist dient.

Bewertung: 3.5/5 Punkten
Christian Siegel
Coverbild © 2019 Vertigo






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