Die Memoiren des Sherlock Holmes
Vom Silberstern-Fall bis hin zum letzten Problem Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Samstag, 29 Juli 2017
 
Titel: "Die Memoiren des Sherlock Holmes"
Originaltitel: "The Memoirs of Sherlock Holmes"
Bewertung:
Autor: Sir Arthur Conan Doyle
Übersetzung: Nokilaus Stingl
Umfang: 304 Seiten (mit Anhang)
Verlag: Haffmans
Veröffentlicht: 1985 (D, Haffmans Verlag) bzw. 1894 (E)
ISBN: 978-3-251-20105-0
Kaufen: Taschenbuch (D), Taschenbuch (E)
 

Inhalt & Review: Die elf Geschichten, die im zweiten Sammelband "Die Memoiren des Sherlock Holmes" versammelt sind, schwanken zwar in ihrer Qualität wieder etwas, allerdings profitiert die Anthologie einerseits von ihrem Abwechslungsreichtum, weil es auch diesmal wieder nicht unbedingt in jedem Fall um einen Mord geht, und andererseits davon, dass sich Doyle mit "Der Flottenvertrag" und "Das letzte Problem" das Beste bis zum Schluss aufhebt. Doch der Reihe nach. Den Anfang macht "Silberstern", wo Sherlock Holmes im Fall eines verschwundenen Pferdes, dass bei einem anstehenden Rennen als Favorit gehandelt wurde, ermittelt. Vom Verbrechen her jetzt nicht ganz so spannend, interessant und mitreißend wie anderes, dafür kommen Holmes Ermittlungen sehr schön zur Geltung, und es gibt wieder einige gelungene Deduktionen zu bestaunen. Insgesamt zwar nicht der beste und denkwürdigste Fall des Meisterdetektivs, aber ein guter und gelungener Einstieg. Demgegenüber fällt "Das gelbe Gesicht" leider etwas ab. Die Auflösung bietet dann zwar einen – für die Holmes-Abenteuer doch eher seltenen – emotionalen Moment, aber die Ermittlungen selbst sind wenig spannend, und die Auflösung konnte zumindest ich mir bald mal denken. Für mich zählt sie jedenfalls zu den schwächeren Holmes-Geschichten. Dabei war sie aber immerhin noch besser als "Der Angestellte des Börsenmaklers". Zwar wie alle Geschichten grundsätzlich nett geschrieben, war diese einer meiner Tiefpunkte dieser Anthologie, wobei sie insbesondere darunter leidet, dass der Fall teilweise stark an "Die Liga der Rotschöpfe" erinnert. Wieder geht es um ein seltsames Jobangebot, dass dazu dient, eine Person einige Zeit lang loszuwerden, um in Ruhe einen Raub begehen zu können. Zudem waren die Schilderungen des Klienten wenig spannend, und Holmes hat eigentlich kaum ermittelt und deduziert. Insgesamt also ein ziemlich schwacher Fall.

"Die Gloria Scott" war da schon deutlich gelungener. Einerseits aufgrund der faszinierenden Reise in die Vergangenheit, zu Sherlock Holmes allererstem Fall, als er versucht, den Tod des Vaters seines guten – und damals einzigen – Freundes aufzuklären. Zwar ist die Geschichte insofern ungewöhnlich, da wir quasi einen Erzähler im Erzähler haben, da Holmes seinem Freund Dr. Watson die damaligen Ereignisse schildert, und wir somit nie "live" dabei sind und das Geschehen direkt miterleben. Davon abgesehen fand ich den Fall aber sehr schön ausgearbeitet, und kamen auch Sherlocks Fähigkeiten da und dort wieder gut zur Geltung. "Das Musgrave-Ritual" leidet dann etwas unter dem dummen, naiven Klienten und seinen nicht minder dämlichen Vorfahren, die alle das besagte Familienritual für einen reinen Scherz halten, und wo keiner auf die sich eigentlich von Anfang an als naheliegend aufdrängende Idee kommt, dass dieses vielmehr den Standort eines Schatzes beschreibt. Von dieser Begriffsstutzigkeit abgesehen war aber auch diese Geschichte soweit recht gelungen – wenn ich sie auch nicht zu den Highlights dieser Sammlung zählen würde. "Die Junker von Reigate" legte da im direkten Vergleich noch einmal eins drauf. Doyle zeigt uns hier einen – vermeintlich – körperlich und gesundheitlich angeschlagenen Holmes, der im Fall seltsamer Einbrüche ermittelt. Die Auflösung mag auch hier für detektivische Spürnasen schon zu ermitteln sein, noch bevor Holmes den Anwesenden seine Deduktionen schildert, aber insgesamt war die Geschichte nett erdacht und spannend erzählt. "Der Verwachsene" erzählt dann wieder einmal von einem Mord. Mit dem dahinterstehenden Rache- und Eifersuchts-Motiven weckte er dabei bei mir Erinnerungen an "Eine Studie in Scharlachrot" und "Das Tal der Angst", deren Komplexität er jedoch natürlich aufgrund der geringen Seitenzahl nicht erreicht. Insgesamt ein sehr guter und interessanter, wenn auch nicht überragender, Fall.

"Der niedergelassene Patient" leidet neuerlich ein bisschen darunter, dass der Klient doch ein wenig naiv und begriffsstutzig wirkt. Auffällig ist dafür, dass Holmes insofern teilweise scheitert, als er zu spät kommt, um das Verbrechen noch zu verhindern. Davon abgesehen ist die Geschichte aber nichts Besonderes. "Der griechische Dolmetscher" war dann der zweite große Tiefpunkt der Anthologie für mich. Neuerlich geht’s um einen mysteriösen Job, und weder die Schilderung des titelspendenden Dolmetschers noch den weiteren Verlauf der Geschichte fand ich sonderlich interessant, geschweige denn spannend. Zumal Holmes auch hier wieder für meinen Geschmack viel zu wenig zu tun und kombinieren bekam. Immerhin folgen danach aber die beiden großen Highlights aus "Die Memoiren des Sherlock Holmes". "Der Flottenvertrag" ist ein extrem interessanter und ausgeklügelter Fall mit einigen hervorstechenden Merkmalen, die den Leser herrlich zum Miträtseln einladen. Mit seinen Deduktionen läuft Holmes zudem hier wieder einmal zu Höchstform auf. Und auch die Auflösung wusste zu gefallen, und wartet mit einer kleinen überraschenden, cleveren Wendung auf. Einer meiner absoluten Lieblingsfälle des Meisterdetektivs! Sir Arthur Conan Doyle wurde der von ihm geschaffenen Figur jedoch zu diesem Zeitpunkt zunehmend überdrüssig – weshalb er es an der Zeit sah, Sherlock Holmes ins Jenseits zu befördern. Eben deshalb, weil es vom vermeintlichen Tod des Meisterdetektivs erzählt, zählt "Das letzte Problem" zu den bekanntesten Abenteuern von Sherlock Holmes. Auffällig ist dabei, dass dieser hier gar nicht wirklich viel ermittelt. Er wendet sich an Watson, flieht mit diesem nach einigen bedrohlichen Begegnungen aus London – während Professor Moriartys Organisation von der Polizei verhaftet wird – und in die Schweizer Berge, wo Watson dann schließlich aufgrund eines Briefes in die Pension zurückkehrt und von seinem Freund getrennt wird. Als er wieder zurückkehrt, findet er nur den Spazierstock, an die Felswand gelehnt, wieder – und dann ist es vielmehr der Assistenz, der zu deduzieren beginnt, und erkennen muss, dass Holmes und Moriarty im Kampf in die Fluten gestürzt sind. Es mag ausgeklügeltere Holmes-Fälle geben – aber was die Dramatik betrifft, reicht wohl keiner an "Das letzte Problem" heran.

Fazit: An "Die Memoiren von Sherlock Holmes" stechen in erster Linie die letzten beiden Fälle heraus. "Der Flottenvertrag" ist wunderbar ausgeklügelt, und einer der verzwicktesten Fälle des Meisterdetektivs, wo auch seinen Ermittlungen viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, und es wieder einige Deduktionen zu bestaunen gibt. Was die Dramatik betrifft, kommt aber natürlich nichts an "Das letzte Problem" heran, auch wenn Holmes dort eigentlich ermittlungstechnisch nicht viel zu tun bekommt. Aber die ganze Geschichte ist einfach wunderbar, packend und sehr atmosphärisch beschrieben, wobei natürlich vor allem das unvergessliche Finale hervorsticht. Die anderen neun hier versammelten Geschichten schwanken in ihrer Qualität hingegen ein bisschen, wobei sich mit "Der Angestellte des Börsenmaklers" und insbesondere "Der griechische Dolmetscher" auch zwei veritable Nieten eingeschlichen haben. Die anderen Fälle sind jedoch überwiegend gelungen, wobei neben Doyles gelungenem Schreibstil, Holmes verblüffenden Deduktionen und den teils gewitzt geschriebenen Dialogen vor allem auch der Abwechslungsreichtum besticht, den sie bieten – ermittelt Sherlock Holmes doch auch diesmal wieder in den unterschiedlichsten Verbrechen. Aufgrund der fantastischen letzten beiden Geschichten wäre ich zwar fast geneigt, "Die Memoiren des Sherlock Holmes" noch eine Spur besser zu bewerten, im Schnitt über alle hier versammelten Geschichten betrachtet halten diese allerdings ziemlich genau das Niveau der vorangegangenen "Abenteuer".

Bewertung: 4/5 Punkten
Christian Siegel
Umschlagbild © 1986 Haffmans Verlag





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