Der Komet
Ein interessantes Gedankenspiel von Hannes Stein Kategorie: Literatur & Comics - Autor: Christian Siegel - Datum: Samstag, 20 Juli 2013
 
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Titel: "Der Komet"
Bewertung:
Autor: Hannes Stein
Umfang: 271 Seiten (mit Glossar)
Verlag: Galiani Berlin
Veröffentlicht: 2013
ISBN: 3-8697-1067-9
Kaufen: Gebunden, Kindle
 

Kurzinhalt: Nach dem ersten Attentatsversuch bei seinem Besuch in Sarajewo beschließt der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand mit den Worten "I bin doch net deppat, i fohr wieder z'haus!", die Heimreise anzutreten. Demnach haben sowohl der erste als auch der zweite Weltkrieg nie stattgefunden, das Habsburgerreich ist nie untergegangen, und Österreich ist in vielerlei Hinsicht immer noch der Nabel der Welt. Deutschland wiederum ist führend was den technologischen Fortschritt betrifft – demnach waren sie auch die ersten, die den Mond besucht und auf diesem auch schon eine Kolonie gegründet haben. Die USA sind dafür immer noch eher eine Kuriosität, und sind nie zur Weltmacht aufgestiegen. Als jedoch im Jahr 1999 Astronomen auf dem Mond einen Kometen entdeckten, der unaufhaltsam auf die Erde rast, scheint das Ende der Donaumonarchie – und der gesamten Menschheit – gekommen zu sein…

Review: Es ist lange her, dass ich mir ein Werk vorgeknöpft habe, dass den Anspruch eines gewissen literarischen Anspruchs gestellt hat. Fast 15 Jahre verbrachte ich – durchaus glücklich und zufrieden – in den Untiefen dessen, dass von Literaturkritikern gerne naserümpfend als "Trivialliteratur" denunziert wird. Also eben jene Literatur, die sich in erster Linie dem Ziel verschreibt, den Leser zu unterhalten, darüber hinaus jedoch – von gelegentlichen sozialkritischen Untertönen oder einer gewissen Charaktertiefe abgesehen – keine höheren literarischen Ziele verfolgt. So gesehen bin ich was "echte" Literaturkritik so wie sie mir in der Handelsakademie beigebracht wurde betrifft, doch ein wenig eingerostet. Verzeiht daher, wenn nachfolgendes Review nicht ganz dem gewohnten Standard einer "akademischen" Literaturbesprechung im Stile eines Marcel Reich-Ranicki entsprechen sollte; vielmehr nähert sich nachfolgende Besprechung dem Roman aus der Sicht eines leicht überdurchschnittlich gebildeten "Ottonormallesers".

Ich schreibe dies vor allem auch deshalb, um deutlich zu machen, dass die sogenannte "höhere Literatur" nicht zu meinem üblichen Lesestoff gehört, weshalb "Der Komet" – nach all den "Star Trek"-, "Star Wars"- und ähnlichen Romanen – schon in gewisser Hinsicht ein "Kulturschock" war, und eine gewisse Umstellung erforderte. Auch brachte mich der Roman in gewisser Weise in meine Schulzeit zurück, wo diese Werke bei mir noch an der Tagesordnung standen. Der Ein- bzw. Umstieg wurde mir dabei zweifellos durch zwei Umstände erleichtert: Einerseits die Tatsache, dass ich Wiener bin – wodurch mich der stark Österreich-bezogene und überwiegend in Wien spielende Roman natürlich ganz besonders angesprochen hat. Und andererseits das "Was-wäre-wenn?"-Szenario, das ich mit dem "Science Fiction"-Genre verbinde, zu dem ich wiederum eine große Affinität habe. Dieses Gedankenspiel halte ich dann auch für die größte Stärke des Romans. Zu Lesen, wie sich Europa in den letzten 90 Jahren hätte entwickeln können, wenn es die beiden Weltkriege nie gegeben hätte, fand ich recht faszinierend. Wobei es sicherlich hilft, wenn man einerseits über historische Grundkenntnisse und andererseits eine gewisse Affinität für Geschichte verfügt.

Hannes Steins Schreibstil ist recht gewitzt, wobei er sich immer wieder auch Stilmitteln wie Zusatzgedanken und Kommentaren in Klammern und ähnlichem bedient. Insgesamt erschien er sich mit seiner oftmals ironischen Betrachtungsweise am Erzählstil von Wolf Haas in dessen Brenner-Romanen zu orientieren; dessen Sprachgewand- und Gewitztheit erreichte er jedoch nur sporadisch. Generell schwankt "Der Komet" zum Teil von einem Kapitel zum nächsten recht stark, was den Schreibstil, die Erzählstruktur etc. betrifft. Dadurch entstand bei mir teilweies ein inhomogener Eindruck; fast so, als wäre der Roman nicht von einer Person, sondern von mehreren Autoren geschrieben wurde, oder als wäre er eine Fusion mehrerer Kurzgeschichten, die alle im gleichen narrativen Rahmen spielen. Womit wir schon beim nächsten Punkt und einem meiner größten Kritikpunkt wären: Es gibt keine schlüssige Handlung. Vielmehr springt Stein von einer Figur, von einem Schauplatz zum Nächsten. Da es insgesamt nur 12 Kapitel gibt bedeutet es auch, dass wir im Schnitt mit jedem Figurenkreis nur rund 3 davon verbringen. Da es zudem immer wieder große zeitliche Sprünge gibt, wirkt "Der Komet" mehr ein Mosaik aus mehreren lose miteinander in Verbindung stehenden Kurzgeschichten, denn ein Roman mit klarer und schlüssiger narrativer Struktur.

Generell bleibt die Handlung – von den teils ausufernden historischen Exkursen in diese alternative Realität abgesehen – sehr oberflächlich. So wird z.B. auch kaum behandelt, wie die Welt, oder auch nur die Protagonisten, auf die Nachricht des Kometen reagieren. Welche Gedanken ihnen durch den Kopf und welche Gefühle ihnen durchs Herz gehen. Alle scheinen den anstehenden Weltuntergang mit einer stillen Apathie hinzunehmen, die man zwar als bewusste Überzeichnung der Wiener Gemütlichkeit verstehen kann, die ich aber nichtsdestotrotz in dieser extremen Form der Übertreibung für unplausibel hielt. Generell hat Hannes Stein bei der Geschichte für meinen Geschmack teilweise falsche Prioritäten gesetzt. Gerade auch die extrem klischeehafte und kitschige Geschichte rund um die Affäre einer adeligen Dame mit einem jungen Studenten nahm meines Erachtens viel zu viel Platz ein, und wirkte mit ihrem liebesschnulzigen Ton in diesem ansonsten sehr nüchternen Roman generell etwas unpassend. Auch das Kapitel mit den Ansprachen von Priestern stach für mich als Fremdkörper hervor. Hier sank der Unterhaltungswert kurzfristig auf ein Mindestmaß.

Eine große Enttäuschung waren für mich auch die Protagonisten. Diese sind extrem oberflächlich gezeichnet, wirken sehr eindimensional, und könnten genauso gut einem Heimatfilm entstammen. Zumal es Hannes Stein auch in diesem Bereich nicht an Klischees vermissen lässt. Eine etwas tiefe Betrachtung der Figuren und eine etwas ausgefeiltere Charakterzeichnung statt der uns hier präsentierten Abziehbilder wäre aus meiner Sicht jedenfalls wünschenswert gewesen. Trotz dieser Kritikpunkte fand ich "Der Komet" insgesamt recht interessant. Die größte Stärke ist dabei sicherlich die faszinierende Grundidee und die damit in Verbindung stehenden und zwischendurch immer wieder eingestreuten und oftmals sehr amüsanten Details. So wird der bei uns bekannte Ausdruck der Anglizismen bei Hannes Stein auf Austrozismen ausgetauscht, da die USA nie denselben kulturellen Stellenwert erlangt haben. Dementsprechend liegt "Hollywood" in den ORF-Studios am Rosenhügel, wo "Szczephan Szpilberg" fleißig seine Filme dreht, da seine Vorfahren nie in die USA flüchten mussten.

(Kleiner Exkurs: Dies ist zugleich einer der beiden faktischen Fehler, die mir aufgefallen sind. Denn der Nachname Spielberg leitet sich vom gleichnamigen österreichischen Ort ab, der bereits vor dem Jahr 900 zum ersten Mal unter diesem Namen urkundlich erwähnt wurde. Es gibt daher keinen Grund, warum Spielberg in dieser alternativen Historie auf einmal Szczephan Szpilberg heißen sollte. Auch die Änderung des Vornamens erschließt sich mir nicht. Außerdem: Sollte eine in Österreich aufgewachsene Sarah Silverman nicht vielmehr Silbermann, statt Silberman, heißen? Der zweite betrifft die Schreibweise des österreichischen Wortes für hässlich: Es heißt "schiach", nicht "schiech". Beides könnte man als vernachlässigbare Kleinigkeiten ansehen. Angesichts der Tatsache, dass der Autor in Österreich aufgewachsen ist, fand ich aber vor allem letzteres ziemlich irritierend. Und vor allem auch angesichts seiner ausgiebigen historischen Recherche fand ich es doch schade, dass nicht seinem ganzen Roman eine ähnliche Sorgfalt anheimfiel. Exkurs Ende – zurück zu den Stärken des Romans.)

Sehr interessant fand ich auch die Idee rund um den Patienten eines Psychiaters, der von den Ereignissen aus der uns bekannten Geschichte – genauer gesagt den Gräueltaten des zweiten Weltkriegs – träumt. Am besten hat mir aber, neben dem gewitzten Einstieg, vor allem das letzte Kapitel gefallen, wo Hannes Stein nochmal alle Protagonisten abklappert und uns zeigt, wie diese die letzten Minuten vor dem Weltuntergang verbringen. Nach dem Roman folgt noch ein ausführlicher Glossar mit Begriffserklärungen, historischen Referenzen und einer Erläuterung der von Stein in seiner fiktiven Entwicklung des 19. Jahrhunderts getroffenen Annahmen. Angenehm dabei ist vor allem auch, dass diese Anmerkungen an den Ende des Buchs gestellt werden, und es somit jedem Leser überlassen ist, ob er den Lesefluss durch eben diese unterbrechen will, oder sie lieber erst nachdem er die Geschichte an sich abgeschlossen hat in einem durchliest – quasi als Anhang. Jedenfalls bot dieser Glossar so manche Erklärung, die mir nicht (mehr) bekannt war. Somit bescherte mir "Der Komet" also auch einen kleinen Bildungseffekt.

Fazit: "Der Komet" ist ein interessantes Gedankenspiel, dessen Ausführung jedoch nicht ganz an das faszinierende Grundkonzept anknüpfen kann. Dafür sind die Figuren zu blass und oberflächlich, entwickelt sich die Handlung zu sprunghaft, fehlt es an einem erkennbaren dramaturgischen Faden, und ist die hier erzählte Geschichte auch in vielerlei Hinsicht zu banal (allen voran, was das Techtelmechtel zwischen dem Studenten und der Ehefrau betrifft). Der Schreibstil ist ebenfalls etwas durchwachsen – nämlich dahingehend, dass er mir teilweise von Kapitel zu Kapitel stark zu schwanken schien. Mal angenehm gewitzt, dann wieder eher nüchtern und sachlich. Dadurch entstand insgesamt ein etwas inhomogener Eindruck, der mir eher das Gefühl einer Ansammlung lose verbundener und von mehreren Autoren verfasster Kurzgeschichten vermittelte, als den eines in sich schlüssigen Romans. Und auch der eine oder andere kleine faktische Fehler hat sich leider trotz Steins ausführlicher Recherche eingeschlichen. Demgegenüber stehen die faszinierende Grundidee, der amüsante Einstieg, zahlreiche interessante Details und lustige Überlegungen und Kommentare zwischendurch, der durch Roman und Glossar gegebene Lerneffekt, sowie das phantastische, launige letzte Kapitel. Vor allem Leser mit einer Affinität zur Geschichte und/oder zu Österreich können sich "Der Komet" also durchaus einmal gedanklich vormerken.

Bewertung: 3/5 Punkten
Christian Siegel




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