FollowTheBox #37: The Expanse - Staffel 4
Gesamtbetrachtung zur Verfilmung von "Cibola brennt" Kategorie: Kolumnen - Autor: Tu Bacco - Datum: Freitag, 17 Januar 2020
 

FollowTheBox 37 - The Expanse S4Nach dem Öffnen der Tore warten über 1300 neue Sonnensysteme darauf, von der Menschheit erforscht und in Besitz genommen zu werden. Doch die brüchige Allianz zwischen Erd- und Marsregierung, sowie der OPA hat nach der Beinahe-Katastrophe im Ringnetzwerk eine Blockade am Zugang zu den neuen Welten errichtet, um ungenehmigtes Reisen durch die Tore zu unterbinden. Ein paar Raumschiffen, beladen mit Flüchtlingen von Ganymed, gelingt es dennoch die Blockade zu durchbrechen und erfolgreich eine Kolonie auf einem der Planeten in den neuen Systemen zu gründen. Die ersten Bilder der von den Siedlern auf Ilus getauften neuen Welt zeigen aber auch, dass die Oberfläche des Planeten mit Strukturen von den Erschaffern des Protomoleküls übersäht ist. Daraufhin bittet Avasarala James Holden mit der Rocinante nach Ilus zu reisen, um vor Ort das Gefahrenpotential, dass von der außerirdischen Technologie ausgeht, einzuschätzen. Da der vom Protomolekül geschaffene Geist von Miller noch immer in Holdens Kopf spukt und ihn zu einer Reise zu den neuen Welten drängt, um Kontakt mit seinen Schöpfern aufzunehmen, willigt Holden schließlich ein - nichts ahnend, dass er damit einen zerstörerischen Kataklysmus in Gang setzt, der sich vielleicht nicht mehr aufhalten lässt…
Ankunft auf einem neuen Planeten
"Cibola Burn", die Vorlage für die Story der 4. Staffel, hat in Leserkreisen einen schweren Stand innerhalb der Reihe. Das Buch stellt nicht nur beliebte Figuren wie Bobbie und Avasarala aufs Abstellgleis, sondern verlässt darüber hinaus die gewohnten Gefilde des Weltalls und erzählt stattdessen einen Western mit Science Fiction-Einschlag und Survival-Thriller-Elementen auf der Oberfläche eines fremden Planeten. Besonders Letzteres stellt höhere Anforderungen an die Produktion und bricht etwas mit den bisher gesetzten Schwerpunkten innerhalb der Serie, was - ähnlich wie in der Vorlage den Lesern - in der Umsetzung dem einen oder anderen Zuschauer nicht schmecken könnte. Im Fandom wurden deshalb regelmäßig Zweifel geäußert, ob es für die Serie eventuell nicht sinnvoller wäre, wenn der Ausflug der Roci-Crew nach Ilus oder – je nachdem, wen man fragt – New Terra auf das Nötigste zusammengekürzt oder gleich ganz gestrichen werden sollte. Die Macher der Serie haben sich aber von den kritischen Stimmen nicht beirren lassen und liefern in diesen 10 Episoden eine untypisch typische Staffel "The Expanse" mit einem Hauptplot ab, der sich bewusst nicht mit der Tragweite der Geschehnisse früherer Staffeln messen möchte, dabei aber gleichzeitig etwas abseits des bekannten Settings allein auf verlorenem Posten steht.

Hier geht es nicht um das Schicksal von Erde, Mars oder um den Fortbestand der gesamten Menschheit, sondern "nur" um das Überleben von etwa 200 Siedlern auf der ersten Koloniewelt außerhalb unseres Sonnensystems, wobei das Schicksal dieser ersten Koloniewelt unmittelbar über die Art und Weise des Vorstoßes der Menschheit in die neuen Systeme entscheiden wird. Diese Siedler sind aber keine Kolonisten von den inneren Planeten Erde und Mars, sondern "Gürtler", die sich seit der Ganymed-Krise aus der 2. Staffel auf der Suche nach einer neuen Heimat befanden und in einem Akt der Verzweiflung nun diese neue Heimat auf einem terrestrischen Planeten Ilus hinter den Toren des Ringnetzwerkes gefunden haben. Moment mal, Gürtler auf Planeten? Diese Frage drängt sich geradezu auf, nachdem die Serie bisher eine große Sache um die Überlebensfähigkeit der Bewohner des Asteroidengürtels in Erdschwere gemacht hat und sich selbst die Marsianer in fortwährender Fallbeschleunigung von 9,81m/s² unwohl fühlen. Die Serie nimmt hier zum Glück nicht den bequemsten Weg, sondern exerziert am Beispiel von Naomi die Risiken eines Planetenbesuchs für eine Gürtlerin durch. Trotz der Einnahme von schmerzhaften Medikamenten zur Stärkung der Knochen und zum Muskelaufbau, sowie Sport während der monatelangen Reise nach Ilus, muss Naomi den Planeten aus akuten gesundheitlichen Gründen bereits nach nur wenigen Tagen wieder verlassen. Für der Siedler auf Ilus war dieser Prozess der Akklimatisierung an die Schwerkraft des Planeten noch schwieriger, da sie keinen Zugang zu den qualitativ guten und deshalb vor allem auch teuren Präparaten von den inneren Planeten hatten. Einige Siedler mussten deshalb im Orbit verbleiben, andere haben gar für ihren Traum mit ihrem Leben bezahlt.
Murtry bleibt auch in Staffel 4 seinem uncharmanten Selbst treu.
Wie üblich dauert es bei Westerngeschichten nicht lange bis die ersten Elemente dessen, was wir Zivilisation nennen, nachrücken und die etablierte Ordnung auf den Kopf stellen. Avasarala gibt gegenüber Holden an, dass die "Edward Israel" ausgeschickt wurde, um den Planeten zu erforschen. Das mag sicher Teil der Mission sein, den wichtigeren Aspekt der Aufgabe des Schiffs, dass einem Energiekonglomerat gehört, lässt sie gegenüber Holden lieber unerwähnt: den Gürtlern ihren "Claim" streitig zu machen und den Planeten offiziell für "Royal Charter Energy" (Parallelen zur East India Company sind gewollt) und die Erdregierung in Besitz zu bringen, sowie dafür zu sorgen, dass Ilus nicht zu einem Präzedenzfall für andere Gürtler oder Nachahmer wird. Die Idee mag passend für ein "New Frontier"-Szenario sein, der Plot ist aber meines Erachtens etwas abgedroschen. Die Schreiber spielen zwar ein wenig mit Grautönen, indem sie die Gürtler das erste Blut vergießen lassen, aber spätestens mit dem Auftritt von Staffelbösewicht Adolphus Murtry werden schnell wieder klarere Fronten zwischen Gut und Böse geschaffen. Burn Gorman macht das, was er am besten kann und spielt einen absolut hassenswerten Drecksack, der jede Gelegenheit ausnutzt, um das Leben der Protagonisten und der Siedler für seinem eigenen Vorteil zu erschweren. Das ist kurzzeitig effektiv, Gormans Murtry bleibt so aber auch völlig eindimensional und die Autoren müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sich von den Protagonisten niemand ein Herz fasst und den Dreckskerl umnietet, obwohl der Plot dazu reichlich Gründe und Gelegenheiten liefert. Die Antwort darauf ist leider doch recht banal: Murtry abzuknallen würde der Moral der Geschichte im Weg stehen und vor allem die Handlung massiv verkürzen.

Interessanter ist der andere Teil der Planetenhandlung. Ilus ist von Strukturen und Ruinen der der Erschaffer des Protomoleküls übersäht und das noch immer in Holdens Kopf spukende Abbild von Miller versucht herauszufinden, was mit dieser uralten Zivilisation geschehen ist, indem es wahllos die alten Maschinen im Planeten wieder aktiviert – mit fatalen Folgen für die Menschen auf oder im Orbit des Planeten Ilus. Die an Intensität zunehmenden Katastrophen, die über die Siedler hereinbrechen, zwingen sie zumindest zeitweise zur Zusammenarbeit und helfen die Handlung aufzulockern. Nach der 3. Staffel hatte ich etwas Sorge, ob die Serie den Sprung von Studio- hin zu kostenintensiveren Außendrehs mit dem bisherigen Budget meistern würde und in der Lage wäre, glaubhaft eine fremde Welt darzustellen. Oder ob "The Expanse" schließlich doch der Fluch einer jeden in Kanada gedrehten SciFi-Serie ereilt und uns auf Ilus dieselben Wälder und Sandbunker erwarten, wo schon Hundertschaften von Jaffa-Kriegern und der ein oder andere Goa'uld ihr Leben lassen mussten. Die Umsetzung von Ilus ist dann aber besser als erwartet ausgefallen. Zwar kann die Serie nicht ganz den Eindruck verhehlen, dass man vor allem in einem stillgelegten Steinbruch für die Außenaufnahmen gedreht hat, die kargen Landschaften des Steinbruchs passen aber wie die Faust aufs Auge für diese doch unwirtliche Welt. Die Effekte haben in der 4. Staffel einen kleinen Quantensprung gemacht und überzeugen, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, nun auch in deutlich komplexeren Szenen als zuvor. Der Tsunami in Episode 6 sieht klasse aus. Das Spektakel ist aber wohl dosiert und verkommt nie zum Selbstzweck, sondern wird immer im Sinne der Story eingesetzt. Die stilsichere Inszenierung rundet das gelungene Gesamtbild ab.
Auch in S4 wird das Auge wieder mit einigen beeindruckenden Szenen verwöhnt.
Trotz explodierender Inseln, schmelzender Monde und künstlicher Planeten bleibt der bodenständige Eindruck, den die Serie bisher begleitet hat, bestehen. Das Exotischste, was Ilus zu bieten hat, sind eben "nur" ein paar giftige Alien-Schnecken. Das mag ziemlich unspektakulär sein, aber Aliens, wie sie für Star Trek oder Star Wars typisch sind, wären unpassend für die Serie gewesen. Allerdings spart der Ilus-Plot letzten Endes mit bahnbrechenden neuen Informationen zu den Erschaffern des Protomoleküls und trotz der schwebenden Kugel im Herzen von Ilus, die Holden als Auge eines zornigen Gottes bezeichnet, auch zu deren Zerstörern. Ja, etwas von den Zerstörern ist noch da, aber darüber, was nun mit Elvi passiert ist, als sie unabsichtlich in das Auge gefallen ist, oder ob von den Zerstörern zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine Gefahr für die Menschheit ausgeht, lässt uns die Serie im Unklaren und mich etwas unbefriedigt zurück. Letzten Endes ging es den Autoren hier mehr um einen Abschied von Miller. Thomas Jane zeigt sich in den letzten Folgen nochmals in Bestform. Das eigentliche Was und Warum Miller machen muss, um die Maschinen von Ilus abzuschalten, gerät dabei zur Nebensache, über die man wohl auch nicht zu sehr nachdenken sollte. Leider fühlt sich das Finale für Ilus, nach dem Höhepunkt in der neunten Folge, insgesamt etwas belanglos an, da die Planetenhandlung im Staffelfinale nur noch eine untergeordnete Nebenrolle spielt und zu schnell und zu sauber abgeschlossen wird. Die Roci fliegt, nachdem die Gefahr gebannt ist und sich die Parteien auf der Oberfläche von Ilus geeinigt haben, wieder in Richtung Sol-System. Happy End. Fertig. Aus.

Anders als die Vorlage lässt die Serie die Geschehnisse im Sol-System nicht unbeachtet. Im Gegenteil, es wurde meiner Meinung nach überraschend viel – vielleicht auch zu viel - Aufwand in die Nebenplots mit Bobbie, Avasarala und Drummer, sowie Ashford gesteckt. Bobbie hat nicht den leichten Weg gewählt und sich der der Roci-Crew angeschlossen, sondern ist auf den Mars zurückgekehrt, um für ihre Taten aus dem Finale der 3. Staffel geradezustehen und trotz unehrenhafter Entlassung aus der MCRN als gute Marsbürgerin weiter ihren Teil für den Traum eines terrageformten Mars beizutragen. Nur um mit der Erkenntnis konfrontiert zu werden, dass der Mars-Regierung ihr Idealismus und Loyalität nichts mehr bedeuten und der Traum vom Mars in dem Moment, wo sich die Tore zu 1300 neuen Sonnensysteme geöffnet haben, gestorben ist. Ich stimme hier Avasarala zu: Bobbies Timing ist einfach beschissen! Wozu mühsam in einem generationenumspannenden Prozess versuchen, einen toten Felsbrocken in einen Garten Eden zu verwandeln, dessen Früchte die aktuelle Generation nie ernten können wird, wenn tausende potentiell bewohnbare Planeten in greifbarer Reichweite liegen? Der Einblick in die Mars-Gesellschaft kommt innerhalb der Serie recht spät, zeigt dafür an dieser kritischen Stelle, wie es mit der Großmacht, die nun ihre Existenzgrundlage verloren hat, bergab geht: Arbeits- und Perspektivlosigkeit, das Versagen der Disziplin und Kriminalität bis in die oberen Reihen der Gesellschaft. Mir fällt es jedoch ein wenig schwer Bobbie als Kriminelle zu sehen, auch wenn sie ihr Gewissen zu beruhigen versucht, indem sie sich einredet, dass ihre Raubzüge doch einem guten Zweck dienen. Bobbies Handlungsstrang, der sie die Mars-Krise aus erster Hand erleben lässt, plätschert aber relativ überraschungsarm vor sich hin, nur um sich am Ende der Staffel als Prolog für den eigentlichen Plot der nächsten Staffel(n) zu entpuppen.
Avasarala bekommt es in S4 mit einer Konkurrentin zu tun.
Die Macher sind in den Handlungssträngen, die unser Sonnensystem betreffen, mehr daran interessiert, die Grundlagen für die Handlung der nächsten Staffeln zu etablieren, statt Geschichten zu erzählen, die von selbst auf eigenen Beinen stehen können. Wenn dann in der nächsten Staffel die Dominosteine anfangen zu fallen, mag sich die umfangreiche Vorarbeit auszahlen. Aber da dem Ilus-Plot ein richtiger Knaller, wie beispielsweise das Finale für Miller und Julie Mao auf Eros oder ein Ereignis wie das Öffnen der Tore am Schluss der 3. Staffel, fehlt, mangelt es der 4. Staffel insgesamt etwas an Substanz. Am wenigsten konnte ich etwa mit Avasaralas Wahlkampf anfangen. Auch wenn sie in der Auftaktfolge den besten Spruch der gesamten Staffel geliefert hat, wirken ihre Szenen mehr wie Beschäftigungstherapie für die Schauspielerin, die hier obendrein nicht ihre beste Leistung abliefert. Ich hätte hier lieber die Versöhnungsgespräche zwischen Erde und Mars gesehen, als eine Schlammschlacht zwischen zwei Kandidatinnen, von denen eine von Anfang an sich stur mit der falschen Botschaft unbeliebt bei der Wählerschaft macht und sich zum Schluss nicht zu wundern braucht, warum sie die Wahl verloren hat. Besser gelungen waren die Szenen mit Drummer und Ashford. Ashford haben die Autoren in der 4. Staffel als ambivalente Figur zwar die Zähne gezogen, was den alten Weltraumpiraten dafür nicht nur in Anbetracht der Schlussszene umso sympathischer macht – leider aber zum letzten Mal. Mit Marco Inaros betritt darüber hinaus ein charismatischer neuer Antagonist das Feld und der Cliffhanger ist ein effektiver Köder, um auch bei der 5. Staffel wieder einzuschalten – dann hoffentlich wieder mit einem Knaller!

Fazit: Die 4. Staffel der Serie ist aus meiner Sicht ein zweischneidiges Schwert. Die Roci-Crew erlebt ein durchaus unterhaltsames, wenn auch in sich abgeschlossenes Planetenabenteuer, welches aber weder die Genrekonventionen herausfordert, noch die Figurenentwicklung übermäßig anspornt und dem letzten Endes auch ein markanter Höhepunkt fehlt, der den serienumspannenden Mythos abseits von ein paar vagen Andeutungen substantiell weiterspinnt. Alle anderen Handlungsstränge werden von den Autoren vorwiegend dazu genutzt, um die Weichen für die Handlungsbögen der nächsten Staffeln zu stellen. Die umfangreiche Vorbereitung zukünftiger Handlungsstränge freut mich zwar als Leser der Vorlage und besonders die Abschnitte mit Bobbie auf dem Mars und Ashfords Jagd nach einem gewissen Gürtlerterroristen mit gemeinsamer Vergangenheit zu Naomi Nagata sind voll von Andeutungen und Verweisen auf zukünftige Ereignisse, die mein Leserherz erfreuen. In Unkenntnis der Früchte dieser Vorarbeit zementiert sich jedoch der Eindruck, dass sich, wenn man die Staffel für sich allein betrachtet, relativ wenig, vielleicht auch zu wenig von Bedeutung ereignet hat.

Wertung: 3 von 5 Punkten
Tu Bacco
(Bilder © 2019 Amazon Studios)








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