Der Vorleser |
Die Literaturverfilmung in der Kritik
Kategorie:
Filme -
Autor: Christian Siegel - Datum:
Donnerstag, 19 Februar 2009 |
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Kurzinhalt: ![]() Review: "Der Vorleser" ist ein sehr durchwachsener Film. Die ersten 30 Minuten, in der man uns die Liebesgeschichte von Hanna und Michael erzählt, konnten mich nicht wirklich überzeugen. Irgendwie ist das ganze sehr klischeehaft und gewöhnlich; "Die Reifeprüfung" nur halt im Deutschland der 50er Jahre angesiedelt. Die Liebesgeschichte ist nicht unbedingt schlecht, aber das Tempo war mir hier viel zu gering, es passiert einfach zu wenig. Zudem fiel es mir schwer, Michaels Gefühlswelt so richtig nachzuvollziehen, einfach, da er selbst so zerrissen scheint. Einerseits ist er Hanna mit Haut und Haar verfallen, andererseits beginnt er dann im Endeffekt auch den Streit, der zu ihrer Trennung führt. Das Einzige, was diesen Teil der Handlung halbwegs rettet, ist Kate Winslet (und damit meine ich jetzt nicht mal ihre Nacktszenen). Zwar spielt auch David Kross nicht schlecht, aber es ist ihre Leistung, die wirklich zu bestechen vermag. Trotzdem hält man sich alles in allem zu lange mit diesen Teil der Handlung auf, der zwar sicherlich für den weiteren Verlauf des Films wichtig war, aber nichtsdestotrotz entweder etwas kürzer oder zumindest gehaltvoller hätte sein sollen. Denn es ist einfach nichts, dass man so nicht schon unzählige Male in anderen Filmen (und dort zumeist besser) gesehen hätte... ![]() Die zweite Stärke ist Hanna's eigenwilliges Ehrgefühl. Dass sie in regelmäßigen Abständen Juden zur Vergasung auswählen musste, scheint für sie relativ normal und logisch zu sein – immerhin kamen ständig neue nach, wohin also mit allen? Es musste halt einfach Platz geschaffen werden. Bei ihrer Aussage wird deutlich, dass sie nicht aus Angst mitgemacht hat, sondern weil sie es als ihre Aufgabe empfand – "wenige" opfern zum Wohle der Anderen. Eine ähnlich fragwürdige Moral stellt sie zur Schau, als sie mit einem Vorfall konfrontiert wird, bei dem zahlreiche Gefangene auf der Flucht nach einem Angriff in einer Kirche elendig verbrannt sind, weil keiner der Wächter bereit war die Tür zu öffnen und sie in die Freiheit zu entlassen. Sie waren nun mal die Wächter dieser Gefangenen, und die Aufgabe der Wächter ist es, aufzupassen dass diese nicht entwischen, und nicht sie freizulassen. Auch hier scheint sie die Frage zu stellen: "Was hätten wir denn sonst tun sollen?". Und dann kommt es zum Bericht. Die anderen Frauen werfen ihr vor, sie hätte ihn geschrieben, und sie wäre für all die Opfer allein verantwortlich. Doch Hanna kann ihn gar nicht geschrieben haben – sie ist Analphabetin. Doch statt dies dem Gericht gegenüber zuzugeben, nimmt sie lieber die gesamte Schuld auf sich. Sie scheint sich nicht unbedingt für ihre Taten zu schämen, aber sie schämt sich, dass sie nicht Lesen und Schreiben kann. Wahrlich eine faszinierende Figur... ![]() Danach macht "Der Vorleser" einen weiteren Sprung in die Zukunft – wobei dies nicht der erste ist. Bereits zuvor wurde uns mit Ralph Fiennes der zukünftige, von Schuldgefühlen geplagte Michael gezeigt – und wann immer das der Fall war blieb der Film angesichts der bedeutungsschwanger-kitschigen Inszenierung förmlich stehen. Nun, da wir erneut in diese Zukunft springen, gibt es die einzige wirklich gute Szene dieser Zeitebene zu sehen: Michael schnappt sich seine Büchersammlung und beginnt, diese laut vorzulesen und auf Tonband aufzuzeichnen – die er dann an Hanna ins Gefängnis schickt. Für einen kurzen Moment flackert die Handlung hier noch einmal hell auf – ehe der Film dann endgültig in sich zusammenfällt, als Michael 8 Jahre später, kurz vor Hanna's Freilassung, aufgefordert wird ins Gefängnis zu kommen – immerhin ist er Hanna's einziger Bekannter, und soll ihr bei der Eingewöhnung in die normale Welt helfen. Alles an diesem Teil der Handlung fand ich schwach bis richtiggehend grauenhaft. Das Zusammentreffen zwischen Hanna und Michael fühlt sich völlig unnatürlich und unglaubwürdig an. Die schlimmste Szene ist aber jene kurz darauf, als Michael nach New York reist, um mit der Tochter der einzigen Überlebenden des "Kirchen-Massakers" zu sprechen. Seine Motivation war mir in dieser Szene absolut unklar. Was erwartet, erhofft er sich davon? Absolution für Hanna? Vergebung für seine eigene "Sünde", diese Frau geliebt zu haben und immer noch zu lieben? Es ist eine völlig konstruierte und absolut grauenhafte Szene, die mich völlig aus dem Film gerissen hat. Nach einer kurzen, etwas drangepappt wirkenden Szene mit Michael und seiner Tochter ist es dann schließlich vorbei. ![]() Die Inszenierung von Stephen Daldry ist wahrlich kein Highlight. Er verlässt sich fast ausschließlich auf seine Schauspieler, und macht von den inszenatorischen Möglichkeiten des Mediums Film kaum Gebrauch. "Der Vorleser" hätte zum überwiegenden Teil genauso gut als Theaterstück umgesetzt werden können, so bieder und gewöhnlich ist seine Inszenierung. Wenn z.B. Hanna und die anderen Angeklagten ihre Taten schildern, gibt es nicht etwa Rückblenden zu sehen, stattdessen lauschen wir nur ihrer Schilderung – damit hat "Der Vorleser" selbst fast ein wenig etwas von einem Hörspiel. Man könnte die Augen schließen und würde nicht viel verpassen. Etwas irritierend fand ich auch die Entscheidung, alle Schauspieler und –innen mit falschem deutschen Akzent sprechen zu lassen (Anm.: Ich habe mir "Der Vorleser" im O-Ton angesehen), wohl damit die echten deutschen Darsteller nicht negativ hervorstechen. Leider gibt dies dem gesamten Film irgendwie eine unnatürliche Note. Entweder, man dreht gleich komplett in deutsch, oder man dreht ganz normal in englisch, aber das mit dem Akzent macht für mich nicht wirklich Sinn. Der letzte große Kritikpunkt, der den Film die ganze Zeit über plagt, ist die fehlende Chemie zwischen den Darstellern. Kate Winslet liefert für sich genommen eine tolle Performance ab, und auch David Kross ist nicht schlecht, doch ihre Liebesbeziehung fühlte sich für mich extrem unnatürlich und absolut nicht glaubwürdig an. Die Szenen zwischen Winslet und Fiennes waren diesbezüglich sogar noch schlimmer. Es gibt keine Funken, kein Gefühl der Verbindung zwischen diesen Figuren, alles bleibt gefühllos und unnahbar. Dadurch hält "Der Vorleser" den Zuschauer die ganze Zeit über auf Distanz, statt ihn ins Geschehen hineinzuziehen. ![]() Fazit: "Der Vorleser" leidet vor allem unter dem zu gemächlichen Einstieg, dem wenig überzeugenden Schlussdrittel, der simplen Inszenierung sowie der fehlenden Chemie zwischen den Darstellern. Was ihn noch halbwegs rettet ist der Mittelteil des Films, in dem ein paar interessante moralische Fragen aufgeworfen werden, sowie Kate Winslet's großartige schauspielerische Leistung. Doch trotz ein paar guten Momenten hie und da, insgesamt betrachtet ist "Der Vorleser" schon eine ziemliche Enttäuschung. Ein unausgegorener und unausgewogener Film, der sich nicht entscheiden kann, was genau er sein will, und enorm darunter leidet. Zudem erstickt die wenig überzeugende Romanze teilweise jene Elemente, die gelungen und interessant sind. Trotz seiner Schwächen ist "Der Vorleser" sicher kein schlechter Film - nur ist er halt leider auch kein guter, und von allen Oscar-Kandidaten in der Kategorie "bester Film" definitiv der Schlechteste und Unwürdigste... Wertung:5 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © Senator Film)
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