Joker |
Ein Meilenstein für das Comicfilm-Genre
Kategorie:
Filme -
Autor: Christian Siegel - Datum:
Donnerstag, 21 November 2019 |
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Kurzinhalt: Arthur Fleck geht einem freudlosen Job als Clown nach, kümmert sich zu Hause hingebungsvoll um seine kranke Mutter, und leidet sowohl unter Depressionen, wegen denen er eine Psychologin aufsucht, als auch einer neurologischen Erkrankung, die ihn bei Anspannung in unkontrollierbares Gelächter ausbrechen lässt. Ein hartes Los – das noch einmal erheblich schwerer wird, als ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft. Er wird von einer Jugendbande zusammengeschlagen, und verliert als er daraufhin einen Revolver auf die Arbeit mitnimmt entlassen. Seine Mutter wird ins Krankenhaus eingeliefert. Jene Nachbarin, auf die Arthur ein Auge geworfen hat, weist ihn zurück. Sein Idol, der Comedian Murray Franklin, macht sich in seiner Talk-Show über ihn lustig. Und seine Psychologin kann ihn aufgrund von Budgetkürzungen nicht länger betreuen. All dies entlädt sich schließlich in einer folgenschweren Nacht, als er in der U-Bahn ein paar Yuppie-Rowdies ermordet – und dafür von Teilen der Öffentlichkeit als Held gefeiert wird… Review: ![]() Nun war ich im Vorfeld was den Film betrifft insofern ein bisschen besorgt, als ich die Befürchtung hatte, dass dieser die Titelfigur möglicherweise zum Helden stilisieren würde, was mehr als nur bedenklich gewesen wäre. Zum Glück jedoch hatte ich zu keinem Zeitpunkt im Film diesen Eindruck. Ja selbst am Ende nicht, als der Joker vom enttäuscht-wütenden, sich gegen die Reichen auflehnenden Mob als ihr Held und ihre Ikone gefeiert wird, empfand ich keine Freude, und sah darin keinen Grund zum Jubeln. Vielmehr war dies der tragische Höhepunkt einer erschütternd-aufrüttelnden Geschichte über das kollektive Versagen einer Gesellschaft, die als warnendes Beispiel dienen soll, und darüber hinaus einen sozialkritischen Blick darauf wirft, wie wir einerseits mit problemgebeutelten und/oder psychisch kranken Menschen umgehen, die am Rand der Gesellschaft stehen, unsere Faszination mit charismatischen Massenmördern á la Ted Bundy, Charles Manson, Jeffrey Dahmer & Co anprangert, sowie aufzeigt, wie die konstante Ausbeutung und Unterdrückung einer zunehmend unzufriedenen Unterschicht unweigerlich zum Aufstieg (rechts-)extremer Elemente führen muss. Jokers Anhänger sind dabei für mich repräsentativ für Wähler von Trump und/oder rechtspopulistischen Parteien. Ihre Sorgen und ihre Unzufriedenheit mögen teilweise berechtigt sein, doch ihre Unterstützung dieser zerstörerischen Elemente droht die Gesellschaft statt zu heilen vielmehr noch kaputter zu machen. Dies ist allerdings zugegebenermaßen nur meine Interpretation; dass man das auch anders sehen kann, zeigen einzelne vernichtende Kritiken, die Topp Phillips vorwarfen, zu verharmlosen, oder unfassbare Taten wie Amokläufe zu entschuldigen. Diesen Eindruck hatte ich wiederum – zum Glück – zu keinem Zeitpunkt. Trotz allem, was Arthur Fleck zustößt, sehe ich darin keine Entschuldigung/Rechtfertigung seiner Taten. Letztendlich ist aber für mich genau das mit die größte Stärke des Films: So wie jede Art von Kunst ist er wie ein Spiegel, und wird das, was man in ihm sieht, bis zu einem gewissen Grad von jener Person abhängen, die ihn sich ansieht. Und schon allein, dass mal von einer Comicverfilmung behaupten zu können, finde ich ungemein spannend, und ist eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann. ![]() Für mich gibt es nämlich eben nicht diesen einen Joker. Jener von Cesar Romero war ganz anders als jener von Jack Nicholson, Mark Hamill sprach eindeutig eine andere Figur, als sie von Heath Ledger dargestellt wurde, und auch Jared Leto war eine gänzlich andere Interpretation. Dass wir hier erfahren, wie Arthur Fleck zum Joker wird, bedeutet deshalb eben nicht, dass ich zugleich etwas über die anderen, bisherigen Interpretationen weiß. Heath Ledgers Joker ist für mich immer noch das gleiche Mysterium, das er bei "The Dark Knight" war – und das ist auch gut so. Letztendlich hat für mich "Joker" jedenfalls als Origin Story sehr gut funktioniert, und gefiel mir gerade auch die Art und Weise, wie Jokers Aufstieg indirekt auch Batman erschafft, ausgesprochen gut. Interessant fand ich zudem, wie der Film den sonst oftmals fast schon heilig gesprochenen Thomas Wayne in ein deutlich ambivalenteres Licht taucht (tatsächlich blieb für mich bis zuletzt offen, ob Penny tatsächlich so verrückt war, wie von ihm behauptet, oder sie nicht doch die Wahrheit sagte, und er seinen Einfluss genutzt hat, um sie loszuwerden). Auch eine andere oftmals vorgebrachte Kritik teile ich nicht, nämlich, dass bei "Joker" alles nur geklaut wäre. Natürlich ist er von früheren Werken beeinflusst, jedoch macht er eben daraus keinen Hehl, sondern zollt Inspirationsquellen wie "Taxi Driver" und "The King of Comedy" durch das Casting von Robert De Niro in einer Schlüsselrolle vielmehr direkt Tribut. Und, ganz ehrlich: Pro Generation einen Film wie "Taxi Driver" oder "Falling Down" zu haben, halte ich dann doch für verkraftbar. Und rein produktionstechnisch halte ich "Joker" ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Das New York der frühen 80er fängt der Film phänomenal ein, angefangen von den Locations und Sets über die Kostüme und die Ausstattung bis hin zum ganzen Flair des Films. Die düstere Grundstimmung, die Regisseur Todd Phillips – mit Unterstützung der Filmkomponistin Hildur Guðnadóttir– aufbaut, ist eine weitere ganz große Stärke des Films. Die Musikauswahl ist ebenfalls grandios. Und vor allem ein paar wirklich starke Momente, die ich jetzt schon für unvergesslich halte (wie den Tanz auf den Stiegen), stechen hervor. ![]() Fazit: "Joker" ist der "Taxi Driver" bzw. "Falling Down" der aktuellen Generation. Wie der Film bei einem ankommt wird allerdings neben der Erwartungshaltung – denn wer mit einem klassischen Comicfilm á la Marvel rechnet, wird hier zweifellos enttäuscht werden – und dem eigenen Filmgeschmack (eh so wie immer) in erster Linie davon abhängen, wie man ihn interpretiert. Denn im Gegensatz zu einigen anderen (vor allem auch Kritikern) hatte ich persönlich nie den Eindruck, dass "Joker" seine Titelfigur zum Helden stilisiert. Arthur Fleck ist – so wie Travis Bickle oder D-Fens vor ihm – niemand, den man anfeuern soll; vielmehr fand ich das Ende überaus bedenklich, erschütterte es mich, und machte mich traurig. Todd Phillips Joker dient als warnendes Beispiel für die selbstzerstörerischen Tendenzen unserer Gesellschaft, ohne dabei Arthur Flecks Taten zu entschuldigen oder gar zu huldigen. Aber er entzieht sich nun mal eben auch einer klassischen Einteilung in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, in Helden und Bösewichte, und zeigt, dass das Leben nun mal wesentlich komplexer und differenzierter ist als solche Labels. Getragen von einer phänomenalen Performance von Joaquin Phoenix in der Titelrolle, und ausgestattet mit einer wunderbar-düsteren Atmosphäre, die sich mit zunehmender Laufzeit immer mehr verdichtet und auf sein tragisch-unvermeidliches Ende hinsteuert, entzieht sich "Joker" dabei konsequent den üblichen Klischees und Elementen des klassischen Comic- und/oder Superheldenfilms – und zeigt auf, was in diesem Genre möglich ist, wenn man denn will. Das macht "Joker" zwar im Jahr von "Endgame" trotz allem nicht zum besten, sehr wohl aber zum interessantesten Comic-Film des Jahres. Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2019 Warner Bros)
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