The Irishman |
Martin Scorseses jüngstes Gangster-Epos
Kategorie:
Filme -
Autor: Christian Siegel - Datum:
Montag, 18 November 2019 |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kurzinhalt: In den 1950ern arbeitet Frank Sheeran als LKW-Fahrer, und liefert Fleisch aus. Zufällig lernt er an einer Tankstelle den Gangsterboss Russell Bufalino kennen. Über diese Zufallsbekanntschaft gerät er in den Dunstkreis der Mafia in Pennsylvania. Schon bald übernimmt er kleinere Aufgaben für sie, und es dauert nicht lange, bis er in ihrem Auftrag seinen ersten Mord verübt. In den 60ern lernt er dann schließlich Jimmy Hoffa, den Leiter der größten und bedeutsamsten Gewerkschaft in den USA, kennen. Eine Zeit lang arbeitet er, wieder im Auftrag der Mafia, für ihn als Leibwächter. Rausch freunden sich die beiden an, und auch ihre beiden Familien lernen sich kennen. Dann jedoch wird Hoffa wegen Beeinflussung der Geschworenen zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Als er das Gefängnis verlässt, versucht er, wieder die Kontrolle über seine Gewerkschaft zu übernehmen – sehr zum Missfallen der Mafia. Als der Konflikt eskaliert, muss sich Frank Sheeran zwischen seiner Loyalität gegenüber Russell Bufalino und Jimmy Hoffa entscheiden… Review: ![]() Nun ist diese Angewohnheit von Netflix, ihren Filmemachern zu vertrauen, ihnen einfach das erforderliche Budget zu geben und sie machen zu lassen, natürlich nicht immer von Erfolg gekrönt. Es gibt nicht wenige Netflix-Filme, wo man sich danach denkt, ein bisschen mehr Kontrolle oder Einflussnahme hätten nicht geschadet. Im Falle von einem Ausnahmeregisseur wie eben Martin Scorsese ist so etwas hingegen ein Gewinn. Selbst wenn ein traditionelles Filmstudio das nötige Geld in die Hand genommen hätte, damit er dieses Projekt verwirklichen kann, darf man wohl davon ausgesehen, dass sie spätestens bei der Laufzeit Einspruch eingelegt hätten; als Filmfan hätte man somit erst recht wieder auf eine erweitere Fassung im Heimkino hoffen bzw. warten müssen. Und das wäre insofern schade gewesen, als "The Irishman" mit 209 Minuten zwar in der Tat sehr lang, aber eben nicht zu lange ist. Dies ist kein Fall eines Filmemachers, der aufgrund der kreativen Freiheit die ihm geschenkt wird, außer Kontrolle gerät. Hier ist jede Szene, jeder Moment, jede Sekunde die auf Film gebannt ist von Bedeutung, sei es für den Inhalt, die Stimmung, oder die Wirkung des Films. Zudem fand zumindest ich ihn durchgehend unterhaltsam, und derart kurzweilig, dass ich ihn wohl eher auf zwei- statt dreieinhalb Stunden schätzen würde. Neben Martin Scorsese, der halt nun mal ein erfahrener Filmemacher ist (in Gangsterfilm-Genre ganz besonders), sowie dem interessanten Inhalt (im Gegensatz zu "Silence", der mir persönlich halt leider überhaupt nicht angesprochen und dementsprechend doch ziemlich gelangweilt hat) liegt dies sicherlich auch zu einem Großteil an den Darstellern. ![]() In erster Linie ist "The Irishman" aber eine angenehm altmodische und sehr epische, mehrere Jahrzehnte umspannende Geschichte, die praktisch – wenn auch mit Schwerpunkten – ein gesamtes Leben abbildet. Dafür macht man sich die in den letzten Jahren zunehmend in Mode gekommene und mittlerweile – offenkundig – perfektionierte "De-Ageing"-Technologie zu Nutze (es entbehrt übrigens nicht einer gewissen Ironie, dass just Marvel-Filme – über die Scorsese zuletzt ja doch etwas hergezogen ist – bei der Perfektionierung dieser Technologie federführend waren). Die ersten Gehversuche in "Rogue One" waren ja noch etwas "uncanny valley"-ig, in den letzten Jahren bekamen das die diversen Effektstudios aber immer besser in den Griff; bei "Gemini Man" war es dann (abseits der allerletzten Szene; keine Ahnung, was ihnen da passiert ist) bereits ziemlich perfekt, hier ist es nun aber echt nur mehr auf rein intellektueller Ebene ein Problem. Sprich: Wir wissen, dass sie digital verjüngt geworden sein müssen, weil man die betreffenden Szenen halt nicht schon vor vierzig Jahren gedreht wurden – aber optisch auffallen würde es einem nicht. Doch es ist nicht nur die digitale Verjüngung der Figuren, die gesamte Ära der 50er, 60er und 70er, mit den Autos, Gebäuden, der Einrichtung, den Kostümen usw., wird so perfekt wie detailgetreu eingefangen. "The Irishman" transportiert einen hier wirklich in die Vergangenheit, und lässt diese wieder aufleben. Inhaltlich ist der Film dann für mich ein bisschen zweigeteilt: Auf der größeren Ebene setzt er sich mit den Umtrieben der damaligen Mafia auseinander, und bietet generell einen interessanten Einblick in die jüngere US-Geschichte, und das eben nicht nur auf einige allgemein bekannte Ereignisse wie die Kuba-Krise und das JFK-Attentat, sondern auch auf so eine schillernde Figur wie Jimmy Hoffa, den zumindest ich im Vorfeld nur den Namen nach kannte. ![]() Fazit: "The Irishman" ist ein großartiges und angenehm altmodisches Stück Kino für zu Hause. Regie-Altmeister Martin Scorsese bringt hier mit Robert De Niro, Joe Pesci und Al Pacino drei der talentiertesten Darsteller ihrer Generation zusammen, die zugleich auch allesamt schon lange nicht mehr so gut waren, wie hier, und bedient sich der modernen "De-Ageing"-Technologie, um ein episches, Jahrzehnte umspannendes Gangster-Drama zu erzählen. Von Frank Sheerans bescheidenen Anfängen, über seinen Aufstieg innerhalb der Mafia, seiner Freundschaft zu Jimmy Hoffa, seiner Rolle in dessen Verschwinden, seiner Zeit im Gefängnis, bis hin zu seinem Lebensabend, den er vereinsamt in einem Altersheim verbringt. Trotz einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden schleicht sich dabei keine Sekunde Langeweile ein, und fand ich den Film von Anfang bis Ende höchst unterhaltsam. Hier sitzt jede Szene, jeder Blick, jede Geste, jeder Schnitt, und schon allein, diese hochkarätigen Darsteller dabei zuzusehen, wie sie jeweils eine der besten schauspielerischen Leistungen ihrer Karriere abliefern, war ein Genuss. Aber auch die Geschichte an sich fand ich interessant, sowohl was die Aufrollung der historischen Ereignisse als auch das Charakterportrait eines Auftragskillers betrifft. Der einzige Grund, warum ich diesem Gangster-Epos die Höchstwertung (vorerst) verweigere, ist die zumindest in meinem Fall mangelnde emotionale Resonanz. Denn – möglicherweise bedingt durch Franks eigene Emotionslosigkeit – hat mich das Geschehen leider doch eher kalt gelassen. Da kann der Regisseur noch so oft behaupten, Marvel-Filme seien kein richtiges Kino, aber mich persönlich hat "Endgame" emotional weitaus mehr bewegt, als "The Irishman". Sorry, Marty! Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2019 Netflix)
Kommentar schreiben
|