The Tree of Life
Triple-Review zum kontroversen Oscar-Kandidaten Kategorie: Filme - Autor: Vorreiter | Siegel | Spieler - Datum: Samstag, 25 Februar 2012
 
Oscars 2012

The Tree of Life
(USA 2011)
 
The Tree of Life
Bewertung:
Studio/Verleih: Plan B/Concorde Filmverleih
Regie: Terrence Malick
Produzenten: U.a. Dede Gardner, Sarah Green, Grant Hill & Brad Pitt
Drehbuch: Terrence Malick
Filmmusik: Alexandre Desplat
Kamera: Emmanuel Lubezki
Schnitt: U.a. Hank Corwin, Billy Weber & Jay Rabinowitz
Genre: Drama
Kinostart (Deutschland): 16. Juni 2011
Kinostart (USA): 08. Juli 2011
Laufzeit: 139 Minuten
Altersfreigabe: Ab 12 Jahren
Trailer: klick
Kaufen: Blu Ray, DVD, Soundtrack
Mit: Sean Penn, Brad Pitt, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Fiona Shaw u.a.


Kurzinhalt: Jack, ein Mann im Anzug, wie viele Andere in irgendeinem Job, in irgendeinem Turm aus Glas und Stahl. Auf der Suche nach Bestimmung, erinnert er sich an seine Kindheit in einer texanischen Kleinstadt der 60er Jahre. Angefangen von unbeschwertem Herumtollen entwickelt sich ein Bild einer Familie, in der die Elternparts unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Mutter ist wie ein Bündel emphatischer Energie, mehr im Augenblick verwurzelt und die angebliche Göttlichkeit in allen Dingen bewundernd. Der Vater hingegen bedauert seine eigenen Lebensentscheidungen und versucht Jack und seine Brüder mit strenger Hand auf eine feindliche Welt vorzubereiten. Parallel dazu läuft dokumentarisch die Entstehung des bekannten Universums ab, die in der Entstehung von Leben auf der Erde gipfelt.
Michael Spieler


Review von Alexander Vorreiter: Ganz großes Kino bietet der Gewinner der Goldenen Palme der 64. Filmfestspiele von Cannes: "The Tree of Life". Der Film stellt große Fragen, zeigt dem Menschen seine Grenzen auf und ist unglaublich komplex. Eine nicht ganz unkomplizierte Empfehlung.

Sean Penn schwelgt in ErinnerungenDer Trailer von “The Tree of Life” sagt schon nicht sonderlich viel aus, hat aber eine gewisse Anziehungskraft und deutet an, dass der Film etwas Großartiges sein könnte. Eins vorweg. Der Film ist alles andere als leichte Kost und fordert dem Zuschauer einiges ab. Eingerahmt von einem bewegenden Familiendrama, welches durchaus auf die gesamte Gesellschaft übertragen werden kann, geht es um nichts Geringeres als um den Sinn des menschlichen Lebens inklusive der Entstehungsgeschichte des ganzen Universums. Häh? Richtig – dieser Film kümmert sich nicht im Geringsten darum, auch nur irgendwie leicht verständlich zu sein und fordert sämtliche vorhandenen Reserven des Verstandes auf, sofort hellwach zu sein. Eine klare einfach zu verfolgende Handlung? Nicht in diesem Film. Er lebt von seinen imposanten Bildern und vielfach versteckten Andeutungen und Symbolen.

Er handelt von Jack, welcher in den 60ern als Ältester von drei Brüdern in Amerika aufwächst. Er ist hin und hergerissen zwischen seiner Mutter, welche ihm den Weg der Gnade und Vergebung lehrt und seinem Vater, welcher ihm den Weg der Natur zeigt und für das feindliche Leben stärken will. Zwischendurch springt die Handlung immer mal wieder in die Gegenwart, in der Jack noch immer nicht den Tod seines Bruders verarbeitet hat, was kurz am Anfang des Films angedeutet wird. Die Betonung liegt auf angedeutet! Was genau passiert bekommt man fast nicht mit. Der Film deutet viel an, schwenkt schnell hin und her. Die Frage nach Gott und dem „Warum“ steht im Raum und plötzlich ist eine locker 15-minütige Sequenz zu sehen in der in wunderbaren Bildern die Naturgewalt und die Entstehung des Universums dargestellt wird. Das Ganze ist ungemein imposant, lässt einen plötzlich klein und unbedeutend wirken und irgendwann hüpfen auch noch Dinos herum. Aber um was zur Hölle geht es jetzt eigentlich?

Viele beeindruckende Bilder und Überblendungen zeichnen 'Tree of Life' ausAntworten darf man von dem Film nicht erwarten, er nähert sich ihnen an und weicht im richtigen Moment aus, lässt alles offen. Gibt es Gott? Warum ist manches so und nicht anders? Hier wird keine Welt und Wertevorstellung geliefert. Es sind die beeindruckenden Bilder und geschickten Wechsel, die für sich sprechen. Endlose Wolkenkratzer werden zu weit in die Höhe ragenden Baumwipfeln, Venen zu Blättern, Weltraum zu Quallen, zu einer Befruchtung. Dazwischen wieder eine sehr emotionale und bewegende Handlung, die viel zeigt aber nie eine Lösung für irgendeine Frage parat hält, viel vermuten lässt, aber keine Gewissheit liefert. Der Schluss übersteigt jegliche Realität. Ein Zauber der Phantasie? Ganz verstanden habe ich ihn nicht, wobei ich mich frage, ob man überhaupt irgendetwas komplett verstehen kann…

Fazit: Sinnlose Effekthascherei? Mitnichten – der Film ist ein visuelles Meisterwerk von vorne bis hinten, unglaublich tiefsinnig, hinterfragend. Alle Bilder scheinen bewusst und mit Absicht gesetzt. Alles hat seinen tieferen Sinn. Er berührt, regt zum Nachdenken an, lädt zum Philosophieren ein und zeigt dem Menschen seine Grenzen. Ich werde mir “The Tree of Life” irgendwann auf jeden Fall noch mal anschauen. Die schauspielerische Leistung ist überzeugend, Brad Pitt dürfte als Vater seine beste Leistung bislang abgeliefert haben. Eine Enttäuschung? Auf keinen Fall – nur wenn man eine endgültige vorservierte Handlung und Lösung erwartet. Eine Empfehlung? Für absolut jeden, der sich nicht vor anspruchsvollen Filmen scheut. Man muss sich auf ihn einlassen und nicht stumpf konsumieren, dann erfährt man seine Klasse.

Wertung:8.5 von 10 Punkten
Alexander Vorreiter
Ursprünglich veröffentlicht am 1. August 2011 auf acht9 (Link zum Original-Artikel).
Wir bedanken uns beim Autor und der Redaktion für die freundliche Genehmigung zur Verwendung des Reviews!


Review von Christian Siegel: Jessica Chastain als liebevolle MutterNach dem einschläfernden "The New World" konnte mir "The Tree of Life" zwar deutlich besser gefallen – aber wirklich angesprochen oder gar begeistert hat er mich nicht. Einige – meiner bescheidenen Meinung nach; andere werden das bestimmt anders sehen – jener Schwächen, die "New World" für mich so anstrengend gemacht haben, sind leider auch hier wieder präsent, allen voran die immer wieder auftretenden, schwülstigen Off-Kommentare, in denen uns Terrence Malick seine eigene Spiritualität, und seine eigenen Gedanken und Gefühle – durch die Stimme seiner Figuren – aufzwingt, statt uns unsere eigene Interpretation zu finden zu lassen. Eben dies ist für mich auch der allergrößte Kritikpunkt an "The Tree of Life": Er ist zu persönlich, zu speziell, ich traue mich gar zu sagen: zu egoistisch. Er richtet sich aus meiner Sicht an eine eher kleine Zielgruppe, deren Nerv er genau erwischen und die dementsprechend begeistert von ihm sein werden. Leider gehöre ich wohl nicht dazu.

Terrence Malick präsentiert uns in "Tree of Life" zahlreichende weitschweifende Szenen mit langen Einstellungen, einprägsamen und beeindruckenden Bildern. Lange Passagen, die zum Meditieren und Sinnieren einladen. Doch statt seinem Publikum zu vertrauen bzw. ihm zuzugestehen, diese meditative Stimmung dazu nutzen zu können, sich seinen eigenen Sinn in den Bildern und den Stimmungen zu suchen, drängt er uns in eine enge, sehr spirituelle und teilweise religiöse Richtung, was ich enorm schade finde. Ich bin mir sicher, wenn Malick weniger auf Off-Kommentare gesetzt und ich dadurch die Gelegenheit erhalten hätte, meine eigenen Gedanken schweifen zu lassen, hätte mich "Tree of Life" wohl stärker angesprochen und berührt. Etwas, dass bedauerlicherweise auch der Handlung an sich nicht geglückt ist. Auch hier gilt meines Erachtens: Zu spezifisch ist das von Malick hier gezeichnete Familienportrait. Ich hatte weder Brüder, noch – Gott sei Dank! – einen dominanten, unterdrückenden Vater, der dazu geneigt hätte, seine eigene Frustration an seiner Familie auszulassen. Somit konnte ich mich weder mit der einen noch mit der anderen Facette von "Tree of Life" identifizieren. Und auch das Ende am See war mir persönlich zu metaphysisch.

Sean Penn am Ende seiner ReiseTrotzdem ist dies noch kein Grund, ihn einen schlechten Film zu schimpfen. Ja, stellenweise mag er sich, da mich die Off-Kommentare doch gestört und aus der Stimmung gerissen haben, sowohl frustrierend als auch langweilig gewesen sein. Optisch war er dafür jedoch von der ersten bis zur letzten Sekunde eine Wucht, und zwar sowohl in den realen – wo, soweit mir bekannt, ausschließlich auf natürliche Lichtquellen gesetzt wurde – als auch den Effekt-Szenen von Altmeister Douglas Trumbull, der uns bereits vor mehr als vier Jahrzehnten auf eine unvergleichliche "Odyssee im Weltraum" geschickt hat, und dessen Bilder nach wie vor nichts an Faszination eingebüßt haben. Egal, an welcher Stelle man die DVD/Blu Ray anhält, vermögen Bildkomposition, Belichtung etc. zu verzaubern und begeistern. Ebenfalls über fast jeden Zweifel erhaben sind die schauspielerischen Leistungen. Jessica Chastain ist hier – wie in so vielen Filmen aus 2011 – eine wertvolle Stütze, in erster Linie ist es aber Brad Pitt, dessen Schauspiel sowohl begeistert als stellenweise auch verstört. Einzig Sean Penn agierte für meinen Geschmack einen Hauch zu lethargisch – aber das mag von Terrence Malick gut und gern so beabsichtigt gewesen sein.

Fazit: Ich freue mich für jeden, den Terrence Malicks meditative Reise durch alle Facetten – und Entwicklungsstufen – des Lebens begeistert, verzaubert, berührt und fasziniert hat, nur leider gehöre ich nicht dazu. Objektiv kann ich die Perfektion, die vor allem die imposante Bilderpracht verströmt, sowie die gelungenen schauspielerischen Leistungen anerkennen, während ich mich subjektiv darüber ärgere, dass meine eigenen Gedankengänge durch teils schwülstige Off-Kommentare unterbrochen werden und mich dazu zwingen wollen, in (u.a. göttlichen) Bahnen zu denken, mit denen ich nicht wirklich etwas anfangen kann. Ebenfalls subjektiv kämpfe ich an der einen oder anderen Stelle leider auch mit der Müdigkeit, da es mit der Zeit doch etwas anstrengend ist, wenn man das Gefühl hat, dass einem jemand unbedingt seine eigene Spiritualität aufzwingen will. Da ich mich leider – oder Gott sei Dank – auch mit der hier vorgestellten Familiendynamik nicht wirklich identifizieren konnte, hatte "The Tree of Life" mir leider nicht viel zu bieten. Aufgrund der guten schauspielerischen Leistungen sowie der optischen Brillanz kann ich ihn jedoch trotz subjektiver Enttäuschung nicht zu hart abstrafen – denn eines muss man "The Tree of Life" neidlos attestieren: Er ist Kunst. Und wie wir alle wissen: Über Kunst kann, darf, ja vielleicht sogar soll, man geteilter Meinung sein.

Wertung:6 von 10 Punkten
Christian Siegel


Review von Michael Spieler: Brad Pitt als (noch) glücklicher VaterPoesie. Poesie dient Menschen dazu Unbegreifliches, Unerklärbares in unzulängliche Worthülsen zu packen, die bei aller Gewandtheit doch nur an der Oberfläche eines abstrakten Konzeptes wie Liebe oder Glauben kratzen können. Terrence Malick ist nun ein moderner Poet oder man sieht ihn zumindest gern als solchen. Sein Mittel sind gesprochenes Wort und Bilder. Gewaltige Bilder. Leider schafft er es jedoch nicht einen plausiblen Zusammenhang zwischen Familiendrama und Astrodoku zu weben. Vielmehr hat man den Eindruck einem christlichen Wissenschaftler bei dem Verfassen eines defragmentierten Buches zuzusehen. Er versucht Gott, in jeden Klumpen Materie und in die metaphysischen Konzepte wie Seele zu pressen. Für mich als Ungläubigen waren die 137min Film eine rechte Tortur.

Ich war froh, wenn man dem Universum beim Entstehen zusehen konnte und nicht dieses verkopfte Familienschicksal beim Eskalieren miterleben musste. Ein Schicksal, dass in Form von Erinnerungsfetzen am Betrachter vorbeischwebt und mit einer übermäßigen Häufung der selben Bilder krampfhaft versucht poetisch zu erscheinen. Da wird zum hundertsten Male dramatisch durch eine Tür gegangen und ein Lichtschein auf Irgendwen oder Irgendwas gelenkt. Dabei ist dieses häusliche Drama kein Besonderes. Vielleicht zeichnet es sich dadurch aus, dass es nicht eindimensional zeigt, der Vater ist der Böse, die Mutter ist die Gute, sondern davon ausgeht, das jeder Mensch zu beidem fähig ist. So gibt es auch wundervolle intime Momente zwischen Vater und Söhnen, die in ihrer Häufigkeit nur leider nicht so stark ausfallen wie die Herrschsüchtigen. Genauso wie die Bilder in Fetzen auf der Leinwand erscheinen, gibt es endlos wenig Dialog überschattet von szenenübergreifenden einsilbigen, fast mantrahaften Monologen von Jack. Im Rahmen des Möglichen waren die Darstellungen der Familie, besonders der Söhne, recht gut. Ihre Angst vor dem Vater und ihre Position zwischen Vater und Mutter konnten diese drei texanischen Jungs ohne Schauspielerfahrung gut meistern. Aufgrund der Fetzen war es möglich ein wenig Entwicklung innerhalb der portraitierten Kindheitsphase zu erkennen, aber auch hier bleibt es mehr bei Dingen, die der Familie zustoßen, als bei großen Veränderungen in den Charakteren selbst.

Beeindruckende Bilder von Effekt-Zauberer Douglas TrumbullIch würde dem Film Poesie zugestehen, wenn die ganzen Gott- und Schöpfungsgleichnisse heruntergeschraubt würden. Sie entsprechen nicht meiner Lebenswahrheit und umso weniger kann ich mit ihnen etwas anfangen. Im Gegenteil, bei mir baut sich Widerstand auf, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse für spirituelle Zwecke missbraucht wird. Wer "The Fountain" von Aaronofsky mochte, dürfte hier einen Orgasmus nach dem anderen haben. In der Tat war "The Tree of Life" für mich der größte und gleichzeitig bombastischste, esoterische Schwachsinn, den ich je gesehen habe. Der Film bekommt ein Bienchen für die schönen Bilder vom Hubble-Teleskop und den dokumentarischen Teil des Films, der einem nicht zuletzt wegen dem Effektspezialisten Douglas Trumbull wie ein Teil von "2001: Odyssee im Weltraum" vorkommt. Wäre es bei dieser Space-Opera geblieben, sähe mein Urteil ganz anders aus, doch die Verknüpfung mit einem Drama ist meines Erachtens ganz großer Quatsch.

Fazit: Wer sich in die Weiten des Weltraums entführen lassen und von den astronomischen Kräften beeindruckt werden möchte greift doch lieber zu einer Doku, auch wenn man solche Bilder leider wirklich kaum unkommentiert im Kino zu sehen bekommt. Familiendrama funktioniert besser in Serie, "Shameless" wäre da meine Empfehlung. Was der Familiengeschichte nämlich komplett fehlt ist Humor, es wird immer bedrückender und düsterer und ist durchgehend ernst, egal wie toll die Mutter die Umwelt in sich aufsaugt und wie unbeschwert manche Momente erscheinen mögen.

Wertung:2 von 10 Punkten
Michael Spieler
(Bilder © Concorde Filmverleih)


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Weiterführende Links:
Oscar-Special 2012
Review zu "2001: Odyssee im Weltraum"
"The Tree of Life"-Filmbesprechung auf acht9


    



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