Let Me In
Gelungenes Remake von "So finster die Nacht" Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Mittwoch, 26 Oktober 2011
 
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Let Me In
(Let Me In, USA 2010)
 
Let Me In
Bewertung:
Studio/Verleih: Hammer Film Productions/Wild Bunch Germany
Regie: Matt Reeves
Produzenten: U.a. Tobin Armbrust, Alex Brunner, Guy East & Donna Gigliotti
Drehbuch: Matt Reeves, nach dem Roman und Drehbuch von John Ajvide Lindqvist
Filmmusik: Michael Giacchino
Kamera: Greig Fraser
Schnitt: Stan Salfas
Genre: Horror
Kinostart Deutschland: 15. Dezember 2011
Kinostart USA: 01. Oktober 2010
Laufzeit: 116 Minuten
Altersfreigabe: Ab 16 Jahren
Trailer: YouTube (Englisch)
Kaufen: Blu Ray (UK-Import ohne deutschen Ton), DVD (UK-Import ohne deutschen Ton), Soundtrack (CD), Soundtrack (MP3)
Mit: Kodi Smit-McPhee, Chloe Grace Moretz, Richard Jenkins, Cara Buono, Elias Koteas, Sasha Barrese, Dylan Kenin, Chris Browning, Ritchie Coster, Dylan Minnette u.a.


Kurzinhalt: März 1983 in Los Alamos, New Mexico. Der 12 Jahre alter Owen wird in seiner Schule ständig gehänselt und drangsaliert. Am späten Abend lebt er auf dem Spielplatz der Wohnausanlage mit einem Messer bewaffnet seine Rachephantasien aus. Doch diesmal ist er nicht allein: Ein scheinbar gleichaltriges Mädchen beobachtet ihn dabei. Tags zuvor hat Owen beobachtet, wie sie gemeinsam mit einem alten Mann – ihrem Vater oder gar Großvater? – in die Wohnung nebenan eingezogen ist. Sie stellt sich als Abby vor, und zwischen den beiden entwickelt sich langsam eine Freundschaft – und vielleicht noch mehr. Doch Abby verbirgt ein schreckliches Geheimnis: Sie ist ein Vampir…

Review: ImageAls die Neuigkeit über ein Hollywood-Remake zum grandiosen schwedischen Horrorfilm "Låt den rätte komma in" (hierzulande "So finster die Nacht") die Runde machte, löste das unter jenen (leider viel zu wenigen), welche das Original gesehen hatten, im besten Falle Besorgnis und im schlechtesten Fall Wut und Bestürzung aus. Auch, dass die Wahl auf Matt Reeves fiel, seines Zeichens Regisseur von "Cloverfield", trug nicht gerade dazu bei, die wütende Masse – zu der ich mich übrigens ebenfalls zähle – zu besänftigen. Doch mit der Zeit machten die dunklen Wolken immer helleren, optimistischen Sonnenstrahlen Platz. Das Casting mit Kodi Smit-McPhee und Chloe Grace Moretz erschien nicht nur generell sehr vielversprechend, sondern machte auch deutlich, dass man hier keine verharmloste oder gar ver-"twilight"e Variante des Originals präsentieren würde. Die ersten Szenenphotos und Poster waren ebenfalls sehr vielversprechend. Und dann begannen die ersten Screenings, und jene die das Glück hatten ihn dort zu sehen, waren überwiegend begeistert – nicht wenige waren sogar der Ansicht, Matt Reeves hätte mit "Let Me In" das Original sogar noch übertroffen.

Nun, ganz so weit würde ich dann zwar doch nicht gehen – aber es stimmt schon, Matt Reeves ist hier ein phantastisches Remake gelungen, dass dem Original definitiv ebenbürtig ist. Das allein ist schon beachtlich genug und keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Geschafft hat er dies u.a. dadurch, dass er sich sehr eng an die Vorlage hält – jedoch ohne eine schlichte, einfallslose Kopie abzuliefern. Stattdessen bereichert er einen ohnehin schon großartigen Film um eigene Ideen und interessante Aspekte. Was annähernd gleich bleibt, ist die Epoche, in der die Geschichte spielt. Aus 1981 wird zwar 1983, um die Handlung in der Reagan-Ära verankern zu können (dazu gleich mehr), man sah aber klugerweise davon ab, das Geschehen in die Gegenwart zu verlagern. Der Schauplatz mag zwar geographisch gesehen eine große Reise machen – statt einer Kleinstadt in Schweden eine Kleinstadt in New Mexico, USA – bleibt jedoch vom Konzept her gleich: Eine unpersönliche Wohnanlage inmitten eines kalten, schneebedeckten Ortes – wobei das eisige Setting die Handlung perfekt akzentuiert. Auch der düster-melancholische Ton und der Fokus auf die Figuren und einen eher psychologischen, denn eines blutigen, Horrors wurde beibehalten. Und, ganz wichtig: Die Kinder bleiben auch wirklich Kinder. Aufgrund der starken Ähnlichkeit zum Original in diesen Aspekten gilt hier also grundsätzlich das zu "So finster die Nacht" gesagte. Im Folgenden möchte ich daher in erster Linie auf die Unterschiede dieser Verfilmung im Vergleich zu Tomas Alfredson's Interpretation eingehen; für den Rest verweise ich auf mein Review zum Original.

ImageWie zuvor erwähnt, bereichert Matt Reeves die Geschichte um einige neue, interessante Aspekte. So hat die damalige Gesellschaft im Original nur bedingt eine Rolle gespielt; in "Let Me In" hingegen ist das damalige politische Klima von großer Bedeutung. Reeves nutzt dieses vor allem dazu, Owen's innere Zerrissenheit zu verstärken. In einer Zeit, in der die Sicht dominiert hat, dass sich alles und jeder eindeutig in Weiß oder Schwarz, in Gut oder Böse einordnen lässt, sieht sich Owen mit Abby konfrontiert – einer engen Freundin bzw. genau genommen seine erste Liebe, die jedoch Menschen töten muss, um zu überleben. Bedeutet das, dass sie die Inkarnation des Bösen ist? Und ist er, angesichts der Gefühle die er für sie hegt, ebenfalls Böse? In anderen Fällen fügt Matt Reeves zwar keine neuen Gesichtspunkte ein, verdeutlicht aber etwas, dass im Original verborgener gehandhabt wurde. Ein gutes Beispiel dafür ist der interessante inszenatorische Kniff, uns Owen's Mutter nie deutlich zu zeigen. Sie ist entweder unscharf, oder aber knapp außerhalb unseres Sichtfeldes. Auch seinen Vater bekommen wir nie zu Gesicht, sondern hören ihn nur übers Telefon. Dadurch wird Owen's Isolation auch visuell vermittelt.

Das Remake ist auch um einiges straffer und fokussierter. Der einzige Kritikpunkt, den ich gegenüber dem Original vorzubringen hatte, war ja die parallel verlaufende Handlung rund um die anderen Bewohner von Blackeberg, die mich zwar nicht gestört, den Film in meinen Augen aber auch nicht wirklich bereichert hat. Eben dies lässt Matt Reeves hier weg, und konzentriert sich stattdessen voll und ganz auf Owen und Abby. Da die Laufzeit von "Let Me In" trotz dieser inhaltlichen Kürzungen mit dem schwedischen Original fast ident ist, bedeutet das mehr Zeit für die und mit den beiden Hauptprotagonisten. Des Weiteren profitieren davon noch der ermittelnde Polizist, der hier eine etwas größere Präsenz ist als bei "So finster die Nacht", vor allem aber Abby's Fürsorger. Was "Let Me In" durch eine genauere Schilderung ihrer Beziehung an Interpretationsspielraum und Subtilität verliert, gewinnt man dafür an emotionaler Wirkung – ein Tausch, von dem vor allem eine Schlüsselszene des Films profitiert, die mir hier doch nochmal um einiges besser gefallen hat als im Original. Eine gelungene Neuerung ist auch der Angriff im Auto (statt im Schwimmbad), wo "Let Me In" eine unheimliche Spannung erzeugt. So angespannt war ich im Kinojahr 2011 definitiv selten; ganz klar eines der Highlights des Films, wo Matt Reeves seine inszenatorischen Qualitäten perfekt auszuspielen vermag. Seine Inszenierung ist generell sehr gefällig. Wie Thomas Alfredson so setzt auch er auf eine düster-melancholische Stimmung und auf atmosphärische Dichte statt expliziter Gewaltdarstellung und/oder billiger Schockeffekte. Seine Inszenierung ist ungemein stilvoll und weist einige interessante Entscheidungen auf (wie z.B. die Art und Weise, wie er den "Showdown" im Schwimmbad in Szene setzt).

ImageEine Stärke, die beiden Interpretationen des Stoffes gemein ist, sind die tollen schauspielerischen Leistungen. Jedem, der "The Road" gesehen hat war wohl schon klar, dass es für den schwächlichen Owen keine bessere Besetzung gibt als Kodi-Smit McPhee, dem es jedoch auch gelingt, die düster-rachsüchtigen Aspekte seiner Figur sehr glaubwürdig zu vermitteln. Chloe Grace Moretz (Hit-Girl aus "Kick-Ass") steht ihm in nichts nach; auch wenn sie meiner Ansicht nach knapp hinter Lina Leandersson's Interpretation aus dem Original zurückbleibt, liefert sie nichtsdestotrotz eine tolle Performance ab. Zudem harmonieren die beiden perfekt miteinander, und verleihen der Beziehung ihrer beiden Figuren genau die richtige Mischung aus Zärtlichkeit, Romantik, aber eben auch Fragwürdigkeit und Düsternis. Wie im Original bietet sich hier einiges an interessantem Interpretationsspielraum; die Frage, was Abby für Owen nun genau empfindet, bleibt dankenswerterweise auch hier unbeantwortet, und der Interpretation des Zuschauers überlassen. In Nebenrollen glänzen dann noch Elias Koteas als Polizist, vor allem aber Richard Jenkins als Abby's "Fürsorger", der Per Ragnar aus dem Original weit hinter sich lässt.

Michael Giacchino's Soundtrack ist eine weitere Stärke von "Let Me In". So ähnlich dieses Remake dem Original in vielerlei Hinsicht auch sein mag, anstatt sich an Johan Söderqvist's (genialer) Komposition für "So finster die Nacht" zu orientieren, präsentiert Giacchino eine gänzlich andere, aber nicht minder geniale musikalische Interpretation des Stoffes. Zwar mögen sich hie und da leichte akustische Ähnlichkeiten zu seinem Soundtrack für die Mystery-Serie "Lost" ergeben (gerade auch bei den verwendeten Instrumenten), sein dort geprägter Stil passt aber eben nun mal absolut perfekt zur düster-melancholischen Grundstimmung dieses Films. Nimmt man all diese positiven Aspekte und Änderungen zusammen, hätte man im Endeffekt tatsächlich einen besseren Film als Alfredson's "So finster die Nacht". Es gibt jedoch einen einzigen – für mich nicht unwesentlichen – Aspekt, in dem Matt Reeves Remake nicht ganz an das Original heranreicht. Grundsätzlich gefällt mir seine Inszenierung ja gut – die Atmosphäre, die er hier geschaffen hat, die ruhige, stilvolle Erzählweise etc. Bei der optischen Präsentation kann er hingegen nicht ganz mit "So finster die Nacht" mithalten. Die Farbgebung ist zwar sehr gelungen, aber das Original verfügt über einige einprägsame Szenen und Bilder, an die Matt Reeves Inszenierung in den entsprechenden Momenten aus meiner Sicht nicht heranreicht. Beispielhaft sei das brennende Bett sowie die blutüberströmte Eli/Abby erwähnt, nachdem sie ohne vorherige Erlaubnis in die Wohnung gekommen ist. Reeves' Bilder sind nicht schlecht, aber sie reichen nicht an Alfredsons' ikonischer Interpretation heran. Es ist der einzige Aspekt, wo "Let Me In" dem schwedischen Original leicht unterlegen ist – und der im Endeffekt verhindert, dass Matt Reeves auch in meinen Augen "So finster die Nacht" tatsächlich noch einmal übertreffen kann.

Fazit: ImageMit "Let Me In" ist Matt Reeves eines jener seltenen Remakes gelungen, die dem Original ebenbürtig sind. In einzelnen Aspekten übertrifft er "So finster die Nacht" sogar. Die Handlung ist deutlich fokussierter, mit dem politischen Klima der Reagan-Ära fügt er der Vorlage ein interessantes zusätzliches Element hinzu, und auch einige gelungene neue Szenen lassen sich hier finden – allen voran der spannende Überfall im Auto. Obwohl er einige Nebenhandlungen fallen lässt, ist "Let Me In" nicht kürzer als das Original – stattdessen verwendet er die dadurch freigewordene Zeit, um sich noch näher und ausführlicher mit den Hauptfiguren zu beschäftigen. Doch auch der Polizist, insbesondere aber Abby's Fürsorger (ein grandioser Richard Jenkins), profitieren davon. Matt Reeves Inszenierung ist sehr atmosphärisch und stimmungsvoll, die Handlung bietet einiges an Interpretationsspielraum (wenn auch etwas weniger als im Original), einige emotionale Szenen, und überzeugt vor allem mit der düster-melancholischen Grundstimmung, die auch von Michael Giacchino's wieder einmal wundervoll-stimmiger Filmmusik perfekt unterstützt wird. Einzig an die denkwürdigen, optisch beeindruckenden, ikonischen Szenen und Momente des Originals reicht Matt Reeves' Neuinterpretation visuell nicht ganz heran. Davon abgesehen ist "Let Me In" ein würdiges Remake, dass aufgrund der Unterschiede zum Original auch – bzw. insbesondere – Fans von "So finster die Nacht" empfohlen werden kann. Alle anderen müssen selbst entscheiden, welche Interpretation sie zuerst sehen wollen – zumindest einen der beiden sollte man sich aber als Genre-Fan nicht entgehen lassen. Denn sowohl "So finster die Nacht" als auch "Let Me In" gehören mit zum Besten, dass das Horror-Genre in den letzten Jahren zu bieten hatte.

Wertung:9 von 10 Punkten


Christian Siegel
(Bilder © Wild Bunch Germany)


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Weiterführende Links:
Halloween-Special
Review zu "So finster die Nacht"
Review zu "Cloverfield"
Review zu "Kick-Ass"
Review zu "The Road"







Kommentare (1)
RSS Kommentare
1. 09.11.2011 13:04
 
Original bleibt Original
Das Original "So finster die Nacht" bleibt unerreicht.
 

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