Mit: Edward Asner, Jordan Nagai, Christopher Plummer, Bob Peterson u.a. (englische Sprachfassung)
Kurzinhalt: Seit dem Tod seiner Geliebten Frau lebt der Rentner Carl zurückgezogen in seinem kleinen Haus mitten in der Stadt. Eben dieses ist einem Baukonzern ein Dorn im Auge, dass gerade dabei ist die komplette Stadt zu modernisieren – sein Häuschen soll einer neuen Anlage weichen, doch Carl weigert sich, zu verkaufen. Als es während eines Streits zu einem folgenschweren Zwischenfall kommt, wird Carl als nicht zurechnungsfähig eingestuft und dazu verdonnert, sein Heim aufzugeben und ins Altersheim zu gehen. Doch Carl denkt nicht einmal daran: Stattdessen bindet er Tausende Ballons an sein Haus und fliegt damit davon. Er möchte damit den Lebenstraum von sich und seiner verstorbenen Frau erfüllen, und zu einer verlassenen, weitgehend unerforschten Insel fliegen. Doch er ist nicht allein: Auf der Veranda steht der junge Pfadfinder Russell, der Carl helfen wollte, um damit sein letztes Abzeichnen zu erwerben. Nun begibt er sich zwangsweise gemeinsam mit Carl auf eine Reise, welche den beiden das Abenteuer ihres Lebens bescheren wird…
Review:
Wenn "Oben" euch nicht schon in den ersten 10 Minuten das Herz bricht, kann es dafür nur eine mögliche Erklärung geben: Ihr habt keines. Diese kurze Sequenz gleich zu Beginn, die erzählt, wie Carl und Ellie sich kennen- und liebengelernt haben, uns in Auszügen durch ihr Leben führt und schließlich mit Ellie's Tod endet, ist vermutlich die schönste, berührendste und perfekteste Szene, die Pixar bisher zustande gebracht hat – sei es nun bei ihren Lang- oder den zahlreichen Kurzfilmen. Sie ist so schlicht, aber ungemein auf den Punkt gebracht, und vor allem schonungslos ehrlich, was unsere Kindheitsträume betrifft und die Tatsache, dass es nicht allen Menschen vergönnt ist, sich diese auch zu erfüllen. Ungefähr einer Stunde später, an einer Schlüsselstelle des Films, gibt es den zweiten großen Tränendrücker, wo man uns deutlich macht, dass allein die Tatsache dass uns die Verwirklichung unserer Träume nicht vergönnt war noch nichts darüber aussagt, wie glücklich oder erfüllt unser Leben war. Diese zwei Thematiken und Szenen stehen im Herz dieses Films, der wohl neben "Findet Nemo" den bisherigen Höhepunkt von Pixar darstellt.
Doch es geht nicht nur um Carl, Ellie und ihren Lebenstraum, auch die wachsende Freundschaft zwischen Carl und dem Pfadfinder Russell nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. Aus dieser Beziehung gewinnt "Oben" auch den Großteil seines Humors. Es gibt zahlreiche witzige Dialoge zwischen den beiden, und vor allem Russell bekommt viele amüsante Szenen auf seinen animierten Leib geschrieben. Doch ihr Zusammenspiel dient nicht nur dazu, für Komik zu sorgen. Wie Carl dieser kleine Junge, der ihn je näher er ihn kennen lernt immer mehr an sich selbst erinnert, zunehmend ans Herz wächst, ist auch durchaus berührend. Durch seine Freundschaft zu Russell schöpft auch er wieder neuen Lebensmut. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Thematiken, die "Oben" deutlich mehr Komplexität bescheren, als man das üblicherweise in diesem Genre gewohnt ist. So muss sich Carl z.B. auch der Tatsache stellen, dass sein Idol aus der Jugend zu einem hasserfüllten alten Mann verkommen ist, der einzig und allein vom Ziel getrieben wird, den auf der Insel beheimateten, seltenen Vogel zu fangen. Damit wird just aus jenem Mann, den er als Kind verehrt und vergöttert hat, die große Nemesis seines Lebens. In Russell's Einsamkeit wiederum thematisiert man das Schicksal von Scheidungskindern, während sich in der Handlung rund um die Rettung von "Kevin" eine Message zur Um- und Tierwelt und wie wir mit ihr umgehen eingeschlichen hat. Und last but not least beschwört die ganze phantastische Handlung rund um das fliegende Haus den Geist der besten Jules Verne-Abenteuer herauf.
Zwar erwartet man sich von Pixar mittlerweile nichts anderes mehr, trotzdem muss es meines Erachtens lobend hervorgehoben werden: "Oben" ist nicht nur inhaltlich ein wunderschöner Film, sondern auch optisch. Dabei überzeugt nicht nur die Animationsqualität, sondern auch der bewusste Einsatz von Farben, wie z.B. relativ zu Beginn, als Carl's Haus mit seinem grünen Garten das letzte Fleckchen Farbe in einer ansonsten recht trostlosen Umgebung ist. Oder auch die bunten Luftballons, mit denen sich Carl schließlich in die Luft erhebt, um seine trostlose Existenz hinter sich zu lassen. Auch die Gestaltung der Bilder, insbesondere die Lichtgebung, wirkt sehr hochwertig und weiß zu gefallen – z.B. wenn Feuer die Figuren in ein atmosphärisches Licht taucht. Doch nicht nur die Augen werden verwöhnt, sondern auch die Ohren, denn Michael Giacchino's wunderbare, abwechslungsreiche Komposition steht den grandiosen Bildern in nichts nach. Und auch die Sprecher leisten großartige Arbeit und hauchen ihren Figuren leben ein, wobei mich vor allem Edward Asner als Carl überzeugt hat (und ja, ich habe mir den Film aufgrund der besseren Qualität der Tonspur im Original angeschaut – weshalb ich auch die Leistung der Synchronsprecher nicht beurteilen kann).
Unglücklicherweise gibt es an "Oben" aber auch etwas, mit dem ich wenig bis gar nichts anfangen konnte. Die Rede ist von den sprechenden Hunden, allen voran natürlich der freundlich gesinnte Dug. Einerseits ist mir die Idee eines Halsbands, dass ihnen das sprechen ermöglicht, zu abgehoben. Nun mag es auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheinen, so etwas bei einem Film über ein auf Luftballons über die Erde fliegendes Haus zu kritisieren, aber… so unplausibel diese Grundidee auch erscheinen mag, sie ist zumindest nicht gänzlich unmöglich. Es ist wohl einfach nur eine Frage der Menge an Ballons (und ich bezweifle natürlich, dass jene, die man in "Oben" sehen kann, dafür ausreichen würde). Aber eine Technologie, die es Hunden ermöglicht, zu sprechen, wurde noch nicht erfunden, und selbst wenn es eines Tages gelingen mag bezweifle ich, dass just ein alternder Abenteuer auf einer entfernten Insel für diese Erfindung verantwortlich sein wird. Noch viel schwerer wiegt für mich aber, dass sämtlicher Humor rund um die Hunde für mich schlicht und ergreifend nicht funktioniert hat. Es ist eine reine Anbiederung an die kleinsten der kleinen, die möglicherweise mit dem Rest des Films eher weniger anfangen können – womit sich mir die Frage stellt: Muss ein Pixar-Film unbedingt immer (auch) die Kleinkinder ansprechen? Darf es nicht auch mal ein Film sein, den man vielleicht erst ab 10 Jahren genießen kann? So originell und abwechslungsreich "Oben" sonst auch gewesen sein mag, hier beugt man sich leider allzu deutlich den Genrekonventionen…
Fazit:
"Oben" ist nur ein Rudel sprechende Hunde vom Olymp der Animationsfilme entfernt. Denn so sehr mich diese Verbeugung vor den Genreklischees auch geärgert und die betreffenden Gags ihre Wirkung bei mir verfehlt haben mögen, so überwiegen doch klar die positiven Aspekte. Neben der wunderschönen Optik und dem grandiosen Soundtrack von Michael Giacchino überzeugt vor allem die Handlung des Films, die an die besten phantastischen Abenteuerromane, die wir als Kinder verschlungen haben, erinnert. Außerdem weist sie eine Komplexität, Vielschichtigkeit sowie ein Ausmaß an Tiefgang und Anspruch auf, wie man es innerhalb des Genres nur sehr selten erleben darf. Der gelungene Humor, der sich insbesondere aus dem Zusammenspiel von Carl und Russell ergibt, sowie einige bewegende Szenen runden das überaus positive Gesamtbild ab. Sprechende Hunde hin oder her: "Oben" ist ein weiteres Meisterwerk von Pixar, dass weit über dem Genredurchschnitt schwebt…