Mit: Otto Bettina Weiß, K. Dieter Klebsch, Patrick Winczewski, Katja Nottke, Reiner Schöne u.a. (deutsche Besetzung)
Kurzinhalt: Die 10-jährige Coraline ist soeben mit ihren Eltern in eine neue Stadt umgezogen, fernab von ihren bisherigen Freunden und der bekannten Umgebung. Sie versucht, das beste daraus zu machen, in dem sie häufig Erkundungsreise rund um das Haus unternimmt, dass sich ihre Eltern mit zwei alternden Schauspielerinnen und einem springmausdressierenden Zirkusartisten teilen. Eines verregneten Tages, als ihre Eltern wieder einmal keine Zeit für sie haben und sie verzweifelt nach einer Beschäftigung sucht, stolpert sie in der Wohnung über eine kleine Tür. Neugierig, wo diese hinführt, fleht sie ihre Mutter an den Schlüssel dafür zu finden und aufzusperren – um so enttäuschter ist sie als sie erkennen muss, dass der dahinter liegende Durchgang zugemauert wurde.
Doch als sie in der Nacht von trappelnden Geräuschen geweckt wird, verfolgt sie eine Springmaus, die durch die Tür huscht – und bemerkt, dass dahinter nun auf einmal ein geheimnisvoller Durchgang zu finden ist. Ganz die Entdeckerin, macht sich Coraline auf, um die Umgebung auf der anderen Seite zu erforschen. Schon bald bemerkt sie, dass es sich bei der dort befindlichen Wohnung fast um eine 1:1 Kopie ihres eigenen zu Hauses handelt. Ein leckerer Duft führt sie in die Küche, wo sie schließlich auf ein Wesen trifft, dass wie ihre Mutter aussieht – nur mit schwarzen Knöpfen dort, wo die Augen sein sollten. Diese andere Mutter erklärt ihr, dass in dieser Welt alles so ist wie es sich Coraline wünscht – und sie gerne für immer dort bleiben kann. Doch die Sache hat einen Haken – oder eher Nadel, faden und zwei Knöpfe: Denn um für immer in der anderen Welt bleiben zu können, müsste Coraline der anderen Mutter erlauben, ihr die Augen zuzunähen...
Review:
Erinnert ihr euch noch an die gute alte Zeit der Disney-Klassiker? An eine Zeit, in der animierte Filme, die sich in erster Linie an Kinder richteten, nicht nur eine Aneinanderreihung von Gags waren, sondern ernste Geschichten mit interessanten Figuren und teilweise auch gruseligen Elementen erzählten? Man kann über die "Findet Nemo"'s, "Shrek"'s und "Ice Age"'s unserer Zeit denken was man will – und nur um das klarzustellen, prinzipiell gefallen sie mir ja auch – aber als Filmfan kommt man doch nicht umhin, den eklatanten Wechsel zu bemerken und auch zu bedauern, der aus welchen Gründen auch immer mit dem Aufkommen der 3D-Animationsfilme eingeleitet wurde. All jenen, denen es diesbezüglich ähnlich geht wie mir, sei Henry Selicks neuester Geniestreich "Coraline" wärmstens ans Herz gelegt. Basierend auf dem Kinderbuch von Neil Gaiman (der schon für "Der Sternwanderer" die Romanvorlage geliefert hat), einem modernen Märchen in bester Gebrüder Grimm-Tradition, erschuf er hier einen "erwachsenen" Kinderfilm, wie man ihn schon lange nicht mehr erleben durfte. Natürlich gibt es in "Coraline" immer wieder auch etwas zu Lachen, dennoch hebt sich der Film schon allein aufgrund des ernsteren Inhalts und Tons deutlich von der luftig-locker-humorvollen 3D-Konkurrenz der letzten Jahre ab.
Interessanterweise... trotz des deutlich erwachseneren Tons richtet sich "Coraline" so deutlich an Kinder wie kaum ein anderer Animationsfilm der letzten Jahre. Wo diese oftmals insbesondere beim Humor Kompromisse eingegangen sind, um auch die erwachsenen Begleiter zu unterhalten – auf Kosten der Kinder, die eben diese Gags oftmals nicht verstehen konnten – richtet sich Henry Selick's neuester Film ganz eindeutig an junge und junggebliebene Menschen. Wer dem Kind in seinem Innern gänzlich abgeschworen und sich kein Fünkchen Phantasie bewahrt hat, der wird mit "Coraline" nicht glücklich werden. Die Thematik, die Story, die Figuren... all das richtet sich an Kinder – insbesondere jene im Bereich von ca. 10 Jahren, die an der Grenze zwischen Kindheit und Jugend stehen. Das soll aber natürlich nicht heißen, dass sich alle älteren Semester den Kinobesuch von vornherein sparen können – ganz im Gegenteil. Die Story und die Figuren sind so gelungen, dass auch Erwachsene daran gefallen finden werden. Denn in Herzen des Films steckt eine sehr universelle Geschichte über unseren Platz in dieser Welt, unsere Wünsche, Träume und Erwartungen... wie man manchmal erkennt, dass das, was man sich so sehr gewünscht hat, doch nicht so toll ist wie erwartet... und, im Kern, der gute alte Kampf zwischen Gut und Böse.
Die größte Stärke von "Coraline", die jung und alt gleichermaßen zu verzaubern vermag, ist eindeutig die absolut beeindruckende Optik. Wer geglaubt hat, "Wallace & Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen" stellte was die Stop Motion-Animation betrifft schon einen Meilenstein dar, der wird bei diesem Film aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Ein zauberhafter Garten erstahlt in leuchtendem Glanz, Springmäuse führen eine Zirkusnummer auf, zwei alternde Schauspielerinnen tragen eine skurrile Variete-Nr. vor, und und und. Die Liste der Szenen, in der man als Filmfan die Leistung der Animateure nur staunend bewundern kann, ist lang... und auch wenn man hie und da doch vom Computer Gebrauch machen musste, so fällt dessen Einsatz (der übrigens deutlich seltener war als man das glauben könnte) während des Films nie auf. Doch nicht nur in solchen optischen Leckerbissen beweist "Coraline", dass die gute alte Stop Motion-Technik noch lange nicht ausgedient hat. Auch die Gesichter und Figuren sind sehr ausdrucksstark und schaffen es problemlos, eine Performance zu vermitteln. Und die optische Gestaltung des Films generell ist sehr originell und überzeugend, und weiß vor allem dank einiger raffinierter Einfälle des Regisseurs (wie z.B. das Design des Schlüssels für die kleine Tür) zu gefallen.
CGI-animierte Filme wie "Monsters vs. Aliens" und "Ice Age 3" haben es vorgemacht, und auch der Stop Motion-animierte "Coraline" ist in ausgewählten Kinos wahlweise in 3D zu bestaunen. Und bestaunen ist das richtige Wort. Ich glaube zwar immer noch, dass von allen Filmen die ich bisher in diesem neuen Format gesehen habe "Monsters vs. Aliens" am deutlichsten davon profitiert hat (aufgrund der unterschiedlichen Größenverhältnisse), aber die auch in 2D schon sehr beeindruckende Welt, die Henry Selick und sein Team hier geschaffen haben, wirkt in 3D noch einmal um einiges imposanter. Bereits in ruhigen Szenen kann der Effekt aufgrund der Tiefe, der er den Bildern verleiht, überzeugen, aber vor allem in den (wenigen) actionreicheren Szenen spielt das Format seine Stärken voll aus. Wer kann, sollte daher meiner Meinung nach noch die paar Euro drauflegen und sich für die 3D-Vorstellung entscheiden. Kommen wir aber nun von der Optik zur Akustik. Grundsätzlich finde ich die sehr klassische Filmmusik von Bruno Coulais sehr gelungen, sie verleiht dem Film, wie schon die originelle Optik, einen eigenen Charme. Einzig das sich des öfteren wiederholende Lied hat mich etwas gestört. Es hat zwar gerade noch gepasst, aber wäre es noch 1-2 Mal öfter gespielt worden, hätte es wohl endgültig begonnen mich zu nerven. Uneingeschränkt überzeugt war ich von der Synchronisation, wo man angenehmerweise auf Pseudo-Star-Besetzungen verzichtet und sich weitestgehend an die Standardsprecher (so vorhanden) der jeweiligen Schauspieler und –innen gehalten hat.
Abschließend ist natürlich noch auch die Frage zu behandeln, wie gut der Film denn als Adaption der Vorlage gelungen ist. Hier ist grundsätzlich festzuhalten, dass sich Selick – im Vergleich zum Comic von P. Craig Russell – doch einige Freiheiten nimmt, sowohl inhaltlicher als auch optischer natur. War der Comic praktisch eine 1:1 Adaption des Romans, baut Selick darauf "nur" auf, und schafft es, einerseits der Vorlage treu zu bleiben, andererseits aber dennoch sein eigenes Werk zu erschaffen, das ganz klar seine Handschrift trägt. Neben der sehr originellen optischen Gestaltung schafft er dies vor allem durch einige neue Figuren, Handlungselemente und Szenen. Angesichts der recht kurzen Vorlage war dies für einen abendfüllenden Spielfilm wohl notwendig, dennoch werden wohl nicht alle Gaiman-Fans z.B. mit Wybie glücklich werden. Ein sehr gelungenes Handlungselement ist dafür meines Erachtens die Idee mit der Puppe, die wie Coraline aussieht. Auch dass sich die Seelen der Kinder in den Augen befinden (statt einfach nur in Murmeln) fand ich angesichts der Knopfaugen so passend, dass ich mich nach dem Filmkonsum gefragt habe, warum Gaiman und/oder Russell da nicht selbst schon draufgekommen sind. Einzig zwei Schlüsselstellen des Romans – Coraline's Erzählung, wie ihr Vater sie vor den Wespen gerettet hat, sowie ihr kurzer Monolog darüber, dass niemand auf Dauer in einer Welt leben will, in der einem wirklich jeder Wunsch erfüllt wird – habe ich schmerzlich vermisst. Davon abgesehen kann man Henry Selick zu dieser gelungenen - eigenständigen! - Adaption nur gratulieren...
Fazit: Henry Selick hat aus Neil Gaiman's modernem Märchen dank zahlreicher skurriler Ideen und optischer Raffinessen einen großartigen Fantasy-Film für Junge und Junggebliebene geschaffen. Die größte Stärke des Films ist dabei ganz klar die grandiose, originelle Optik und die (vor allem in 3D) ungemein beeindruckende Stop Motion-Animationskunst, die hier wieder mal zeigen darf, dass sie selbst in unserer CGI-animierten Zeit noch ihre Daseinsberechtigung hat. Eltern seien jedoch gewarnt, dass im Vergleich zu den harmlosen Animationsfilmen, die man zuletzt gewohnt war, "Coraline" auch erstaunlich düstere und beängstigende Elemente enthält, denen man Kleinkinder besser nicht aussetzen sollte. Auch wenn der Film einige lustige Szenen bietet, ist er doch keine Komödie wie "Monsters vs. Aliens" oder "Ice Age 3", sondern erinnert vom Stil her am ehesten noch an die guten alten Zeichentrickklassiker von Disney, die zwar unterhaltsam und in erster Linie für Kinder gemacht waren, aber dennoch eine verhältnismäßig ernste Story mit teilweise auch durchaus beängstigenden Elementen erzählt haben. "Coraline" ist ein faszinierendes, modernes Märchen mit zahlreichen skurrilen Einfällen, originellen Elementen und einer absolut beeindruckenden Optik, die meines Erachtens den Preis für die Kinokarte allein schon wert ist.