Bunter Rausch, dunkler TraumKategorie: Kolumnen - Autor: Christina Hansen - Datum: Montag, 13 Oktober 2008
Irgendwann, als sich mein Alter noch in einstelligen Zahlen bemaß (oder allenfalls in niedrigen zweistelligen), sah ich mit meinen Eltern den Beatles-Film Yellow Submarine im Fernsehen. Die von Heinz Edelmann entworfenen psychedelischen Bilder beeindruckten mich nachhaltig. Ich konnte damals noch nicht benennen, was mich an ihnen so faszinierte, doch im Laufe der Jahre erkannte ich, daß es das Traum- oder Rauschhafte dieser Bilder war, was mich so in den Bann zog. Nach und nach fand ich rauschhafte Bilder auch andernorts – in den bizarren Animationen und Filmen von Terry Gilliam, den Animes von Hayao Miyazaki, und nicht zuletzt den Comics von Künstlern wie Winsor McCay, Möbius und Benoit Peeters und Francois Schuiten.
In Webcomics sind spektakuläre Traumbilder leider bisher noch unterrepräsentiert, denn Webcomics konzentrieren sich noch immer weitgehend auf die Vermittlung eines kurzen, täglichen Witzes. Doch auch hier gibt es mittlerweile einige Beispiele beachtlicher visueller Extravaganz.
Rice Boy - von Evan Dahm
So präsentiert Evan Dahm mit seinem vor kurzem abgeschlossenen (und neuerdings auch als Buch erhältlichen) 458-Seiten-Werk Rice Boy eine berauschende Mischung aus epischer Fantasy à la Herr der Ringe und den grellen Farben und schrägen Kreaturen aus Yellow Submarine. Das Resultat ist Fantasy auf LSD, garantiert Elben-, Zwerg-, Ork- und Hobbit-frei. Nicht, daß ich - immerhin bekennender Tolkienfan - etwas gegen die besagten Spezies hätte; doch das Einerlei moderner Fantasy kann schon gelegentlich ein Gähnen auslösen. Da ist es erfrischend, sich von Dahm in die Welt von Overside entführen zu lassen, in der Rice Boy, der einer kleinen weißen Halmafigur ähnelnde Held, von einem im Auftrag eines mysteriösen Gottes stehenden Maschinenmann mit Namen The One Electronic (kurz: T.O.E.) damit beauftragt wird, eine uralte Prophezeiung zu erfüllen. Rice Boy wendet ein, daß er dazu nicht die nötigen Voraussetzungen mitbrächte, da er lediglich “Pflanzen anbauen und Sonnenuntergänge betrachten und Geschichten anhören” könne, doch – ganz wie der ebenso bescheidene Hobbit Frodo – macht er sich dann natürlich trotzdem auf den Weg. Seine Reise führt ihn aus seiner Heimat, den Match Woods (dt.: “Streichholzwälder”), in weitaus seltsamere Gefilde, wo er vielen fremdartigen Wesen begegnet – hilfreichen, nicht so hilfreichen, und ganz und gar nicht hilfreichen.
Dahm verfremdet das klassische Muster des Fantasyepos nicht nur durch den psychedelischen Schauplatz, sondern auch immer wieder durch, einerseits, einen knochentrockenen, unterschwelligen Humor und, andererseits, eine vielleicht noch unterschwelligere, planvoll-naiv anmutende Poesie. Während der Humor anzudeuten scheint, daß man die epischen Geschehnisse um Götter, Monster, vergessene Zivilisationen, faschistoide religiöse Diktaturen und dergleichen mehr nicht so ernst nehmen solle, sagt einem die Poesie das Gegenteil, oder vielmehr: daß die Geschichte ganz und gar ernst zu nehmen sei – aber vielleicht nicht unbedingt auf der offensichtlichsten Ebene.
Ballad - von deadmouse
Dunkler, doch ebenso traumhaft-poetisch geht es im leider schon seit längerer Zeit pausierenden Comic Ballad des kanadischen Künstlers deadmouse zu. Der Protagonist, der zu Anfang des rätselhaften Werkes aus dem Zustand einer mumifizierten, größtenteils skelettierten Leiche wieder zum Leben erweckt wird, ist ähnlich unschuldig und unbedarft wie Rice Boy. Die Welt, in die er gerät, orientiert sich jedoch weniger an psychedelischen Bilderwelten und epischer Fantasy als an Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts und – graphisch – an den Kupferstichen derselben Epoche (und modernen Illustratoren wie z.B. Edward Gorey). Deadmouse ist gnadenlos und hingebungsvoll altmodisch in der Wahl seines Stils und seiner Mittel: die Panels von “Ballad” sind angefüllt mit von endloser Geduld zeugenden, hingestrichelten Hintergründen, Strukturen, Schatten, wie es sie im Webcomic wohl nirgends sonst zu bewundern gibt.
Auf der Handlungsebene gibt Ballad auch nach vier abgeschlossenen(?) Episoden immer noch viele Rätsel auf. Nach seiner Wiedererweckung findet sich Ballad als quasi-Bediensteter einer alterwürdigen, allem Anschein nach traditionell mit okkulten Dingen befaßten Familie wieder, wobei sein eigentlicher Status irgendwo zwischen Haustier und Spielzeug der Tochter Elizabeth angesiedelt ist. Es scheint, daß Elizabeth Ballad gewissermaßen erschaffen hat; allerdings hat sie mit seiner Rückkehr ins Leben offensichtlich nichts zu tun und nimmt ihn, um der Sache auf den Grund zu gehen, nach seiner Ankunft gleich erst einmal wieder halb auseinander – an dieser Stelle sollte man anmerken, daß der Comic absolut nicht für Kinder geeignet ist, denn Bilder von Gehirnoperationen mit dem Hackmesser und dergleichen mehr sind an der Tagesordnung.
Nach diesem zugegebenermaßen grauenerregenden Auftakt von Ballads Aufenthalt bei seinen neuen (alten?) Herrschaften ändert sich der Ton ein wenig: der Grusel wird subtiler, weniger blutrünstig, auch wenn Ballad weiterhin Albtraumgestalten wie einem mysteriösen Tentakelvieh im Wald, mörderischen Marionetten oder unheimlichen Schädelkrabben begegnet. Viele Situationen haben einen gewissen grotesken Witz, so z.B. die Begegnung zwischen dem Tentakelvieh und dem sprechenden Hirsch Wimbolton, der letzteres wohl nicht besonders leiden kann. Und das Leben von Elizabeth und ihrem Vater wirkt bei näherem Hinsehen nicht mehr gar so ominös, auch wenn Elizabeths Schlafzimmer voller Riesenratten ist und ihr Vater einen unsichtbaren Kopf hat.
Leider krankt Ballad – abgesehen von der Tatsache, daß der Comic unvollendet ist – an einigen kleineren Mängeln. Die Schrift, wenn auch stilistisch wunderbar zum Zeichenstil passend, ist oft schwer zu lesen und die Verständlichkeit wird weiter eingeschränkt durch relativ häufige Schreibfehler (deadmouse ist vermutlich Legastheniker). Weiterhin liegen einige wenige Seiten nur auf Französisch vor – allerdings handelt es sich um eine sehr kleine Anzahl und der Text auf diesen Seiten ist relativ vernachlässigbar. Und schließlich wird auf einigen Seiten das ästhetische Erlebnis durch Experimente mit Computer-Lettering etwas gestört. Diese Seiten sind zwar besser lesbar, doch der allgemeine Eindruck leidet ganz ungemein unter dem “seelenlosen” Font, der vom Autor glücklicherweise bald wieder aufgegeben wurde.
Trotz dieser Wermutstropfen sei Ballad allen Freunden dunkler und grotesker Phantastik ans Herz gelegt.
Christina Hansen
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