Inhalt:
Vor fünf Jahren töteten Detective Aubrey und seinen Mannen vom NYPD einen Herren, den man in dringendem Verdacht hatte, der Serienkiller mit dem Künstlernamen Uncle Eddie zu sein. Nun häufen sich erneut Mordtaten mit der Handschrift des bösen Onkels. Während Medien und Kollegen einen Trittbrettfahrer vermuten, keimt in Aubrey die unerquickliche Ahnung, man könne damals den Falschen erlegt haben. Außerdem verdichtet sich zunehmend die Gewissheit, dass der Killer es auf Aubrey persönlich abgesehen hat.
Kritik:
Das breit erschlossene und gut bestellte Feld des Serienkiller-Films ist bereits ganz schön abgegrast. Vom faszinierenden Genussbösen
HANNIBAL aus dem SCHWEIGEN DER LÄMMER, über den herz- und seelenlosen Ausmerzer
HENRY bis hin zum Musicalstar SWEENEYTODD, die Gefühlslagen vor allem der Killer sind detailliert durchdekliniert. Finchers grossartiger ZODIAC mit der Verweigerung einer Auflösung hätte den fulminant dekonstruktionistischen Höhepunkt für das Genre setzen können, aber ausgerechnet ein Newcomer, der bisher mit Kurzfilmen wie
LATE WATCH und QUITTERS in Erscheinung getretene Henry Miller, setzt mit seinem ersten Langfilm einen drauf.
Die Ausgangslage ist klassisch. Ein Serienmörder legt eine blutige Spur, er arrangiert seine Opfer zu bizarren Kunstwerken. Ein alternder Cop (Willem Dafoe), von den Dämonen seiner Vergangenheit zum zwangsneurotischen Alkoholiker getrieben, soll sich noch mal aufmachen, den Killer zu stellen. Solide Grundlage also für so ziemlich jeden zweiten Flick aus dem Bereich. Doch schleichend verlässt ANAMORPH die ausgetretenen Pfade, interessiert sich einfach nicht für das Katz-und-Maus Spiel zwischen Psycho und Polizei, auch nicht für den Täter oder seine Beweggründe, wieso er tötet, wer er ist, was er will, sondern kümmert sich um anderes. Um die Kunst zum Beispiel. Der Titel des Films verweist auf eine Kunsttechnik, die in der Renaissance sehr beliebt war, die Anamorphose, bei der Bilder oder Skulpturen einen neuen Bildinhalt oder ihren eigentlich Sinn mittels Perspektivwechsel oder Verzerrung Preis geben.
Eigentümlich entspannt lässt Miller ANAMORPH angehen. Wir folgen Willem Dafoe zu den Tatorten, in die Pathologie, beobachten ihn beim verklemmten Schnaps trinken, sehen ihn, zwanghaft seine Einkäufe auf dem Kassenlaufband ordnen oder die richtige Perspektive auf die für ihn hinterlassenen Totentableaus finden. Ohne Hektik, sehr zurückgenommen, deuten sich ganz persönlichen Verstrickungen an. Auch die Nebenfiguren bleiben Andeutungen. Nicht in ihrer Präsenz, Peter Stormare als informativer Antikhändler, Clea DuVall als geheimnisvolle Freundin/Tochterfigur sind stark und schön in ihren Rollen. Aber ihre Funktion für den Film bleibt unklar. Die Beziehungen der characters untereinander werden nicht eindeutig erklärt, der Zuschauer darf sich selbst seinen Reim darauf machen, um dann doch noch mal zu überprüfen, ob er dem Bildercode des klassischen Hollywoodkinos auf dem Leim gegangen ist. Das ist oft schön geheimnisvoll, in seinen besten Momenten erzeugt
ANAMORPH eine Stimmung, die an David Lynchs Filme erinnern. Oft genug ist das Geheimnisvolle aber einfach schlecht konstruiert. Eigentlich gibt es viele Momente, die der Sehgewohnheit zuwider laufen, ohne einem Plan zu folgen. Löcher im Drehbuch, unmotivierte Szenen, der strenge Blick wird viele Schludrigkeiten entdecken, die schlichtweg handwerkliche Mängel sind.
So streng sollte man aber nicht sein. ANAMORPH ist ruhig, mutig und nimmt den Zuschauer ernst. Vor allem:
ANAMORPH ist Dafoes Show. Sein Spiel ist großartig, er trifft Gefühle, mehr noch, ihre Andeutung, präzise. Mehr noch als die Abscheu vor den Verbrechen spürt man seine Faszination für die pervers schönen Kunstwerke. Dafoes character lässt sich sogar zur Vollendung eines für ihn unfertig zurückgelassenen Gemäldes hinreißen, mittels riesiger Zeichenmaschine und in der Bauchhöhle des Opfers deponiertem Pinsels, unter den Blicken konsternierter Kollegen. So ist es letztlich Dafoe, der leidlich vergessen macht, dass das Drehbuch so viele Löcher hat. Henry Miller hat ein viel versprechendes Spielfilmdebut hingelegt, seinen Meistern, Lynch und Fincher, hat er eine sehenswerte Hommage geliefert. Und der nächste Film wird dann bestimmt noch besser...
Autor: Ernie Putto
Redaktion: Roger Murmann
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