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Hideo Yamamotos "Homunculus" Kategorie: Kolumnen - Autor: Christina Hansen - Datum: Donnerstag, 29 März 2007
 
FollowTheBox #5: Homunculus
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Susumu Nakoshi lebt zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ein Luxushotel. Auf der anderen ein Park, in dem Obdachlose ihre Zelte aufgeschlagen haben. Zwischen diesen beiden Polen findet Nakoshis prekäre Existenz statt. Er schläft in Embryonalhaltung auf dem umgelegten Beifahrersitz seines Autos und läßt in kalten Nächten den Motor im Leerlauf, um zu heizen. Morgens putzt er sich die Zähne am Brunnen im Park. Sein Äußeres ist – noch – leidlich gepflegt: vielleicht etwas unrasiert, doch Anzug und Mantel sind noch gut in Schuß und verraten, daß ihr Besitzer diesen Lebensstil noch nicht allzu lange pflegt.

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Zu den Obdachlosen ist Nakoshi freundlich und bringt ihnen gelegentlich eine Flasche Sake vorbei, dann laden sie ihn zum Essen ein. Nach dem Essen geht er auf die öffentliche Toilette im Park und erbricht das soeben verzehrte Mahl wieder. Man ahnt, daß es sich dabei um einen symbolischen Akt handelt.

Was den Protagonisten von Hideo Yamamotos Mangaserie "Homunculus" zu seinem ungewöhnlichen "Lebensstil" getrieben hat, erfahren wir nicht. Nakoshi selbst ist in dieser Hinsicht nicht zu trauen: Er ist ein pathologischer Lügner und erzählt jedem Fragenden eine andere Geschichte. Er scheint völlig losgelöst von jeglicher Gesellschaft, ein freiwilliger(?) Außenseiter selbst unter Außenseitern. Bezeichnenderweise ist die einzige Beziehung, die in seinem gegenwärtigen Leben von Bedeutung zu sein scheint, die zu seinem Auto. Mit dem winzigen Wagen verbindet ihn eine Art Symbiose.

Es ist zu vermuten, daß Nakoshi den Parkplatz seines mobilen Domizils sehr bewußt gewählt hat: Er symbolisiert im Räumlichen einen existenziellen Zwischenzustand, eine Phase des Übergangs, des Zweifels, möglicherweise auch der Suche. Das Luxushotel versinnbildlicht – vielleicht - Nakoshis Vergangenheit; der Park eine mögliche Zukunft.

Nakoshi scheint kaum Bedürfnisse zu haben, doch als ihm eines Tages das Benzingeld ausgeht und kurz darauf auch noch sein Auto abgeschleppt wird und nur durch Zahlung einer Strafgebühr zurückzugewinnen ist, steckt er in der Klemme. Deshalb geht er auf das Angebot eines exzentrischen Medizinstudenten ein, gegen Bezahlung eine experimentelle Trepanation an sich vornehmen zu lassen. Die Trepanation ist eine der ältesten Operationen der Menschheitsgeschichte, nachweisbar bereits an menschlichen Überresten aus der Steinzeit. Bei der Prozedur wird dem Patienten ein kleines Loch in den Schädel gebohrt. Dies führt zu einer Reduzierung des Schädelinnendrucks und somit zu einer besseren Durchblutung des Gehirns und - so der Medizinstudent - manchmal angeblich auch zu übersinnlichen Fähigkeiten. Um diese übersinnlichen Fähigkeiten geht es bei seinem (natürlich völlig inoffiziellen) Experiment.

Übersinnliche Fähigkeiten traditioneller Art gewinnt Nakoshi zwar keine - eine ganz neue Art der Wahrnehmung eröffnet sich ihm aber durchaus. Worin diese besteht, möchte ich hier nicht vorwegnehmen. Nur soviel: Nakoshis neue Fähigkeit bietet dem Zeichner die Gelegenheit zu wahrhaft surrealen Bildern, und Nakoshi selbst zu einer nicht unbedingt willkommenen Erkundung seines eigenen Seelenlebens.

Eigentliches Thema von "Homunculus" sind die Unbehaustheit, Selbstentfremdung und Neurosen der Menschen in der modernen japanischen (und vielleicht im weiteren Sinne auch allgemein der modernen) Kultur. Dieses Thema wird schon in Nakoshis Lebenssituation deutlich, und wird vertieft, als Nakoshis Wahrnehmung sich verändert, wobei der Zeichner und Autor Hideo Yamamoto zu phantastischen, traumartigen Bildern greift, um die psychischen Deformationen seiner Protagonisten zu verdeutlichen.

Der Zeichenstil selbst ist relativ naturalistisch: Unnatürlich große Augen oder bis ins anatomisch Unmögliche verlängerte Gliedmaßen sucht man hier vergebens. Gewöhnungsbedürftig für Mangaskeptiker und -neulinge dürften allenfalls die etwas seltsamen, typisch japanischen Soundwords sein, die auch gerne für Handlungen eingesetzt werden, die eigentlich kein Geräusch machen, so z.B. das Hochziehen eines Mundwinkels (hier: „ziii“. Manga-Fakt am Rande: im Manga-Soundwordschatz gibt es sogar ein Soundword für Stille.)

Die Mangaserie "Homunculus" von Hideo Yamamoto ist in Japan mit sieben Bänden noch nicht abgeschlossen und in Deutschland mit bisher drei Bänden bei Egmont Manga und Anime (EMA) erschienen. Die Bände erscheinen circa im Dreimonatsrhythmus, der nächste ist im Mai zu erwarten.

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