A GEEKs LiFE #4: Sammlungsreisender Ich gebe es zu: Ich sammle Science-Fiction-Literatur. Man könnte
annehmen, ich sei quasi unbewusst vom Leser zum Sammler avanciert,
gerade so wie William S. Burroughs den Werdegang eines Drogenabhängigen
beschreibt: Man beschließe nicht, süchtig zu werden, so schreibt er in "Junkie",
sondern man wache eines Tages auf, fühle sich hundsmiserabel und sei
süchtig. Ich hingegen habe mich ganz bewusst für das Sammeln
entschieden. Sucht? Dazu später.
Zum Zeitpunkt der Entscheidung war ich 28 Jahre alt und mein Bestand an
Science-Fiction Büchern umfasste vielleicht 20 Exemplare. Dass im
Keller meiner Eltern an die 400 Ausgaben Perry Rhodan lagerten, fiel
mir erst ein Jahr später wieder ein.
Ich las Science-Fiction und stöberte gerne in Buchläden, sah mir die
Buchumschläge an und kaufte mir schlimme Sci-Fi B-Movies auf DVD. Aus
heiterem Himmel kam mir die Idee: Und jetzt sammle ich Science-Fiction
Bücher.
Aber warum Science-Fiction? Warum nicht Biografien, die ich mindestens
eben so gerne lese? Oder Bücher über Musik? Oder gar
Überraschungseierfiguren? Ich kann es nicht sagen. Vielleicht, weil man
als bekennender Science-Fiction Leser meist für wunderlich gehalten
wird. Man gilt als Geek, als Nerd, als komischer Kauz. Ich mochte es
schon immer, wenn andere Leute mich für komisch hielten.
E-Bay sei Dank erstand ich in kürzester Zeit für wenig Geld kisten- und
kiloweise antiquarische Science-Fiction Literatur. Ich las gemächlich
und beschloss weiterhin, alle gelesenen Bücher zu katalogisieren. Ich
bin kein ordentlicher Mensch, im Gegenteil, aber Bücher in Listen
einzutragen bereitete mir ebenso viel Freude, wie Schallplatten zu
sortieren. Nach Interpret, Erscheinungsjahr oder Kaufdatum. Nicht
unbedingt logisch aber ungemein erfüllend.
Im September 2004 beschloss ich dann, mein kleines Science-Fiction
Archiv so aufzubereiten, dass ich es online anbieten konnte. Im
November des gleichen Jahres erblickte Houdini Nation das Licht der
virtuellen Welt. Gleichzeitig begann ich erstmals, mich im Internet
nach anderen Science-Fiction Portalen umzusehen. Und stellte bald fest:
Selbst in dieser Gruppe angeblicher Sonderlinge falle ich einigermaßen
auf. An Jules Verne erinnere meine Website, sagte ein Besucher. Auch
dafür hatte ich mich bewusst entschieden.
Ich mochte und mag es nicht, dass Science-Fiction immer mit Maschinen,
Technik und Metall zu tun hat. Immer ist alles so düster auf den
üblichen Websites. Mein Interesse gilt nicht so sehr der technischen
Machbarkeit von Zeitreisen oder das Aussehen der Zeitmaschinen, sondern
viel mehr die Frage: Wie würde das die Menschheit beeinflussen? Und
deshalb gestaltete ich meine Website als Zeitung in Verne-esquer Optik:
Nachrichten aus Houdini Nation.
Heute, zwei Jahre später, umfasst meine Sammlung knapp 800 Bücher,
davon habe ich 200 Stück gelesen. Ich habe viele englische Originale,
sowie einige Ausreißer: "Von der Erde zum Mond" von Verne auf
Italienisch, der "Krieg der Welten" auf Finnisch. In jedem
fremdsprachigen Land, das ich besuche, kaufe ich mir ein
Science-Fiction Buch, deshalb "Sammlungsreisender". Nicht die Quantität
ist mir wichtig, sondern dass ich alle Bücher in Houdini Nation auch
gelesen habe: Ich will nicht nur besitzen, ich will auch belesen sein.
Und scheue dabei „Star Trek“ und „Star Wars“ wie der Teufel das
Weihwasser. Wieder so ein Spleen.
Um auf die Sucht zurück zu kommen: Ich verspüre keine. Das letzte Buch
habe ich, Stand heute, am fünften Januar gekauft. Und ich habe
hunderte, die ich noch lesen muss. Ich kann aber auch auf das Lesen
verzichten, wenn ich gerade keine Lust habe. So wie gestern Abend.
Ich katalogisiere, ich vergleiche und ich recherchiere. 2006 besuchte
ich Andrew Sawyer in Liverpool, Bibliothekar der Science-Fiction
Foundation Collection mit über 40.000 Titeln und Dozent für
Science-Fiction Studies an der University of Liverpool. Im Dezember
2006 besuchte ich Eyke Volkmer, einen Illustrator, der in den 60ern für
Goldmann gearbeitet hat. Ich durfte schon mit Michael Marrak sprechen,
habe einige Macher von Perry Rhodan kennen gelernt und ich werde mich
in Liverpool für den Science-Fiction Studiengang bewerben. Ich piekse
also mal hier rein, hebe dort einen Teppich an, aber ich mag mich nicht
in Details verbeißen. Ich bin kein Science-Fiction Spezialist, werde
vermutlich keiner werden. Kontakt zu anderen Sammlern habe ich
eigentlich auch nicht. Schon der Gedanke macht mir irgendwie Angst; das
ist, als würde man in eine Art geistigen Spiegel schauen.
Lieber dümple ich weiterhin in Antiquariaten herum, blättere in
Büchern, die doppelt so alt riechen wie sie sind, freue mich über 100
Jahre alte Geschichten, deren Grundideen bis heute ebenso relevant wie
utopisch sind und plane weiter mein Museum der Science-Fiction
Literatur. Aber das, liebe Leser, ist eine andere Geschichte.
Tommi Brem
Februar 2007
Tommi Brem ist Sammler von Science-Fiction Büchern, die er seit 2004
auf der Website www.houdinination.de archiviert. Brem plant die Eröffnung eines Museums für Science-Fiction Literatur im
Jahr 2030. Wir von fictionBOX danken Tommi, dass er unser Team als Gastautor bereichert!
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