Kurzinhalt:
Gegen Ende der ersten Fünfjahresmission der Enterprise unter dem Kommando von Captain James T. Kirk besucht das Schiff den Planeten Talin IV. Dessen Bevölkerung wird nun schon länger von einem Team der Föderation erforscht, da erwartet wird, dass sie die notwendige Schwelle für einen Erstkontakt schon bald erreichen werden. Sicher ist dies jedoch insofern nicht, als die politische Situation aufgrund zwei großer, verfeindeter Machtblöcke höchst angespannt ist. Gerade erst haben die Talin gelernt, das Atom zu spalten; im schlimmsten Fall könnten sie mit dieser Macht ihren Planeten auslöschen. Eben deshalb ist es essentiell, dass die Enterprise bei ihrem Besuch der auf dem Mond von Talin IV errichteten Basis nicht gesichtet wird. Letztendlich mündet die Mission jedoch in einer Katastrophe, und die Enterprise hinterlässt eine nukleare Wüste. Daraufhin fallen die sogenannten "Fünf von der Enterprise" – Kirk, Spock, Uhura, Sulu und Chekov – in Ungnade. Kirk quittiert den Dienst und versucht irgendwo, wo man ihn nicht erkennt, unterzutauchen. Sulu und Chekov heuern auf einem orionischen Sklavenschiff an. Uhura trifft sich, nachdem sie unehrenhaft aus dem Sternenflottendienst entlassen wurde, mit Dr. McCoy – dessen Ruf unbeschädigt blieb – auf dem Mond. Scotty überwacht indes die Überholung der Enterprise. Und Spock setzt sich vor dem Föderationsrat dafür ein, im Hinblick auf Talin IV die oberste Direktive der Sternenflotte auszusetzen…
Review:
Nach ihrem soliden Erstling "Das Zentralgehirn" legten Judith und Garfield Reeves-Stevens anno 1990 mit dem rund vierhundert Seiten langen "Die erste Direktive" einen so epischen wie dramatischen Roman vor, der damals definitiv aus der Riege an "Star Trek"-Geschichten, die überwiegend einfach "nur" ein weiteres Abenteuer der Enterprise-Crew erzählten, hervorstach. Und auch wenn ich nicht alles an ihrem Zugang gelungen fand, verdient dies jedenfalls Lob und Anerkennung. Nicht zuletzt wegen des Mutes, den sie hier insbesondere zu Beginn bewiesen haben – denn der Auftakt von "Die erste Direktive" ist geneigt, so manchen Fan der klassischen Serie doch ordentlich vor den Kopf zu stoßen. Statt die tragischen Ereignisse rund um Talin IV chronologisch zu erzählen, werden wir hier nämlich ins kalte Wasser gestoßen, und sehen, wie Kirk als Verlader in einem abgehalfterten Raumdock schuftet. Es wird zudem deutlich, dass die sogenannten "Fünf von der Enterprise" in Ungnade gefallen ist, und ihnen die Auslöschung der Zivilisation einer gesamten Welt vorgeworfen wird. Das ist schon eine extrem düstere Ausgangssituation, auf die man sich zugegebenermaßen erst mal einlassen können (und wollen) muss.
Nacheinander klappern wir dann die alte Brückenbesatzung der Enterprise ab, und sehen, wo sie nach diesem tragisch verlaufenden Zwischenfall gelandet ist. Zugegebenermaßen ist nicht jeder dieser Plots gleich interessant und/oder gelungen; vor allem das Abenteuer von Sulu und Chekov bei den orionischen Piraten fällt im direkten Vergleich doch eher ab. Demgegenüber gefiel mir vor allem der Handlungsstrang rund um Spock ausgesprochen gut (wenn auch der Vulkanier bei dem er hier vorstellig wird um vor dem Rat der Föderation sprechen zu dürfen teilweise etwas emotional rüberkam). Allerdings fand ich die vier Monate, welche seit den Ereignissen rund um Talin IV vergangen sein sollen, unnötig lang angesetzt. Fast wirkt es so, als wollten sie mit "Die erste Direktive" allein das im Fernsehen nie gesehene letzte Jahr der Fünfjahresmission der Enterprise erzählen. Aus meiner Sicht hätten vier Wochen aber nicht einfach nur gereicht, es wäre auch plausibler gewesen, und hätte sich zudem leichter in den (egal ob nun "echten" oder literarischen Kanon) einbinden lassen. So hingegen steht "Die erste Direktive" doch ziemlich für sich, und fühlt man sich stellenweise wie in einem Parallel-Universum. Dafür gelang es dem Autorenpaar sehr gut, alle Figuren der Stammbesetzung etwas zu tun, und uns in der Art und Weise, wie sie mit dieser Situation umgehen, auch einen Einblick in ihren Charakter zu geben. Dennoch weckte die Ausgangssituation sowohl damals als ich den Roman Mitte der 90er das erste Mal gelesen habe als auch heute sofort mein Interesse.
Im zweiten Teil springen wir dann einige Zeit zurück, woraufhin die schicksalhafte Mission rund um Talin IV aufgerollt wird. Auch dieser Part des Romans vermochte mich größtenteils, zu packen, und stellenweise auch zu faszinieren. Wir bekommen hier interessante Einblicke in die Denk- und Handlungsweise der Föderation. Nicht alles davon mag immer 100%ig mit dem (teils später) etablierten TV-Kanon übereinstimmen. So ist die entscheidende Grenze für den Erstkontakt hier nicht das Erreichen der Warpschwelle, sondern das Bewusstsein, dass andere Lebewesen im All existieren könnten (was wiederum frappant an die Herangehensweise in "The Orville" erinnert, und in meinen Augen auch deutlich mehr Sinn macht). Zudem hebelt das Nichteinmischungsprinzip im Gegensatz zur Interpretation dann insbesondere bei TNG (siehe "Brieffreunde") die Verpflichtung, einem Volk am Rande der Vernichtung zu helfen, nicht aus (auch hier ist mir der Ansatz von Reeves-Steevens deutlich näher als der Kanon). Und der Erwähnung des Erstkontakts der Menschen mit Centauriern sollte in weiterer Folge dann im Kanon ebenfalls widersprochen werden. Schafft man es, über diese Widersprüche hinwegzusehen, wird man aber mit einer faszinierenden Betrachtung einer schwierigen und zunehmend eskalierenden Mission belohnt. Mich zog alles rund um Talin IV jedenfalls größtenteils in den Bann.
Leider aber kam der dritte und letzte Teil an diesen dann nicht mehr ganz heran. Wie die "Fünf von der Enterprise" dann letztendlich auf zufällige Art und Weise doch wieder zusammentreffen, ist auch etwas bequem (um nicht zu sagen unglaubwürdig) – letztendlich allerdings noch der kleinste Kritikpunkt. Deutlich schwerer wiegt, dass mich die Auflösung, was bzw. wer genau hinter der Katastrophe steckte, leider absolut nicht überzeugt hat. Hier ist zuerst einmal festzuhalten, dass es Anhand der Erzählweise und wie die fünf Starfleet-Offiziere in Ungnade gefallen sind natürlich von vornherein klar war, dass sich am Ende herausstellen wird, dass sie keine Schuld trifft. Insofern war diese Offenbarung alles andere als eine Überraschung. Mich hat aber auch der hier präsentierte Gegner dann nicht wirklich überzeugt. Die Idee mag zwar originell sein, aber dass es den angeblich rein instinktgesteuerten Wesen gelungen sein soll, eine Zivilisation auf diese Art und Weise zu manipulieren, passt für mich nicht zusammen. Dafür braucht es mehr als nur Instinkt, nämlich Intellekt. Am schwersten wiegt für mich aber der Rückzieher, den die beiden dann am Ende machen. Denn wie sie es zuvor in ein paar Nebensätzen immer wieder kurz andeuteten, stellt sich dann schließlich heraus, dass ein Großteil der Talin das nukleare Feuer in einer Art Schutzhibernation überlebt haben. So mutig "Die erste Direktive" begonnen hat, so mutlos – ja geradezu feig – lassen die Reeves-Stevens die Geschichte dann ausklingen. Das darf man schon schade finden.
Fazit:
Ich rechne es Judith & Garfield Reeves-Stevens hoch an, dass sie bei "Die erste Direktive" angetreten sind, nicht einfach nur ein weiteres 08/15-Abenteuer der Enterprise-Crew zu schreiben, sondern etwas Neues zu wagen. Und im Hinblick auf die düstere Ausgangssituation sowie die Art und Weise, wie die Leserschaft hier zu Beginn ins kalte Wasser geworfen wird, ist "wagen" auch genau das richtige Wort. Davon abgesehen, dass ich die vier Monate, die dazwischenlagen, für unnötig lang empfinde (und es dieser lange Zeitraum schwer macht, die Ereignisse hier in Einklang mit anderen Erzählungen zu bringen), sprach mich diese düstere Ausgangssituation definitiv an. Am besten gefiel mir dann aber der Mittelteil, wo die Mission rund um Talin IV dann aufgerollt wurde. Hier gab es ein paar interessante Einblicke in die Politik der Föderation, vor allem aber gefiel mir das zunehmende Gefühl der Spannung, als die Lage, trotz aller Bemühungen der Enterprise-Crew, immer weiter eskaliert – wobei natürlich das Wissen um den tragischen Ausgang die Dramatik noch einmal zusätzlich befeuert. Leider fiel just der dritte und letzte Teil für mich dann ziemlich ab. Dass natürlich eine dritte Partei die wahren Schuldigen sind, war zwar wenig überraschend, leider aber hat mich eben jene Antwort, die Judith & Garfield Reeves-Stevens hier dann im Hinblick darauf geben, nicht wirklich überzeugt. Am Schwersten wiegt aber sicherlich der Rückzieher, den sie hier dann machen, weil wohl letztendlich selbst ihnen die Ausgangssituation zu düster war. Und so nimmt ein Roman, der überaus mutig begonnen hat, ein ziemlich mutloses Ende.
Bewertung: 3.5/5 Punkten
Christian Siegel
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