Mit: Gianna Maria Canale, Dario Michaelis, Carlo D'Angelo, Wandisa Guida, Angelo Galassi, Renato Tontini, Charles Fawcett, Gisella Mancinotti, Miranda Campa, Antoine Balpêtré, Paul Muller u.a.
Kurzinhalt:
Im Jahr 1957 wird Paris von einer brutalen Mordserie erschüttert. Die Opfer sind allesamt junge Frauen, deren Körpern jegliches Blut entnommen wurde. Eben dies veranlasst die Presse dazu, dem Täter die Bezeichnung "Der Vampir" zu verleihen. Die Polizei tappt ebenso im Dunkel, wie der Reporter Pierre Latin, der ebenfalls in dem Fall recherchiert. Mit der Zeit hegt dieser schließlich den Verdacht, dass es zwischen den Morden und der reichen du Grand-Familie – insbesondere deren umstritten Wissenschaftler, Professor Julian du Grand – eine Verbindung geben könnte. Dessen Nichte Gisele zeigt schließlich ganz offen ihr Interesse an Pierre, und versucht ihn zu bezirzen – was dieser wiederum ausnutzt, um seinen Vermutungen auf den Grund zu gehen. Noch ahnt er nicht, auf welches gefährliche Spiel er sich dabei einlässt…
Review (kann Spoiler enthalten):
Wer angesichts des Titels einen klassischen Vampirstreifen erwartet, den dürfte "Der Vampir von Notre Dame" wohl eher enttäuschen – ist dieser doch Erzählungen á la "Frankenstein" deutlich näher, als "Dracula" und Konsorten. Schafft man es, die durch den bewusst reißerisch-irreführenden Titel geweckte falsche Erwartungshaltung auszublenden, offenbart sich "Der Vampir von Notre Dame" aber als spannende Mischung verschiedenster typischer Horror-Elemente, angefangen beim Serienmörder, der es auf junge Frauen abgesehen hat (hier offenbart der Film Ansätze des späteren Giallos), einem verrückten Wissenschaftler und seinen illegalen (und natürlich auch fantastischen) Experimenten, bis hin einzelnen Aspekten, die sehr wohl dem klassischen Vampir-Mythos entnommen wurden; wie eben die Idee, dass man sich des Blutes anderer Menschen bedient, um selbst jung zu bleiben. Diesen Mix fand ich doch ziemlich interessant.
Auch inszenatorisch tut sich "Der Vampir von Notre Dame" definitiv positiv hervor. Dies ist natürlich in erster Linie Mario Bava zu verdanken, der hier zuerst als Kameramann und schließlich dann – um die Dreharbeiten abzuschließen, sowie für die gesamte Post-Produktion – auch als Regisseur tätig war (womit "Der Vampir von Notre Dame" zugleich sein Langfilm-Regiedebüt darstellt). Aufgrund der Schwarz-Weiß-Produktion (eine Entscheidung, die sowohl aus Budget- als auch produktionstechnischen Gründen – und hier in erster Linie aufgrund der Special Effects – so getroffen wurde) vermisst man zwar jenes Farbenspiel, für das Bava so berühmt werden (und mit dem er zahlreiche weitere Italo-Regisseure, wie auch Dario Argento, maßgeblich beeinflussen) sollte, dafür gibt es hier aber immer wieder ein ausgesprochen schönes Schattenspiel zu beobachten, wie z.B. gleich zu Beginn im Theater. Was ebenfalls heraussticht, sind die Verjüngungseffekte. Hierzu bediente man sich – wie schon bei Klassikern wie "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" – eines speziellen Makeups, das nur unter bestimmten Lichtverhältnissen sichtbar war. Sobald die entsprechenden Lampen gedimmt/abgedreht wurden, verschwand dieses daher. Der betreffende Effekt sieht auch heute noch sensationell und extrem überzeugend aus; vor allem auch, weil diese "in camera"-Umsetzungauch dynamische Bilder bzw. Bewegungen erlaubte (im Gegensatz zu klassischen "morphing"-Effekten, wo die Aufnahmen damals immer statisch sein mussten, damit man die einzelnen Stufen übereinanderlegen konnte). Zugegeben: Ausgehend von heutigen Sehgewohnheiten hält sich die Spannung hier doch eher in Grenzen. Zudem muss man neben dem Verjüngungskonzept generell auch noch so Ideen, wie das eine Bluttransfusion auch Eigenschaften wie Links- oder Rechtshändigkeit überträgt, schlucken können. Und ein ganz bestimmter (vermeintlicher) Twist war etwas gar vorhersehbar. Davon abgesehen halte ich "Der Vampir von Notre Dame" aber auch heute noch sehenswert – und das nicht nur für Fans des Italo-Horrors.
Fazit:
"Der Vampir von Notre Dame" bot als erster italienischer Horrorstreifen der Tonfilm-Ära die Initialzündung für den Italo-Horror im Allgemeinen, und als erster Langfilm, bei dem Mario Bava (wenn auch erst an den letzten beiden Drehtagen, sowie dann natürlich in der Nachproduktion) Regie führte, für die Karriere eines seiner wichtigsten und wegweisendsten Talente im Besonderen. Schon allein das macht ihn für alle Fans des italienischen (Horror-)Kinos zu einem absoluten Pflichtprogramm. Erfreulicherweise ist er aber nicht einfach nur eine ungewollte Pflichtübung, durch die man sich durchquälen muss, sondern versteht es durchaus, zu unterhalten. Wobei man schon zumindest eine gewisse Toleranz (noch besser eine Vorliebe) für ältere Filme mitbringen sollte, und zudem verkraften muss, dass der Titel bewusst eine falsche Erwartungshaltung weckt – denn ein klassischer Vampirfilm ist "Der Vampir von Notre Dame" definitiv nicht. Ich fand den Mix verschiedener Ideen und (Horror-)Elemente aber sehr interessant. Und auch optisch kann der Film aufgrund der herausragenden Kameraarbeit von Mario Bava, sowie den fantastisch umgesetzten Alterungs- bzw. Verjüngungseffekten, definitiv gefallen. Zwar ist "Der Vampir von Notre Dame" trotz seiner Stärken definitiv nicht zu den besten Italohorror- und/oder Bava-Filmen zu zählen – er ist aber definitiv mehr als einfach "nur" ein (seinem Pionier-Status geschuldetes) Kuriosum, sondern sehr wohl ein würdiger und gelungener Vertreter des Genres an sich.
Wertung: 6 von 10 Punkten
Christian Siegel
Harrys Horror-Hintergründe: Titel:
Der Originaltitel "I vampiri" = 'Die Vampire' deutet einen Streifen an, in dem es vor lauter Vampiren nur so wimmelt. Vampir-Fans werden aber wohl eher enttäuscht sein, ob des hier nur eher angedeuteten Vampirismusses. Aber wenn man schon den ersten (ja, wirklich!) italienischen Horrorfilm der Ton-Ära drehen will, dann darf's ruhig ein wenig reißerisch sein. Im deutschsprachigen Raum hat man sich an der ewigen Popularität des "Glöckners von Notre Dame" ein Beispiel genommen und den Glöckner durch einen Blutsauger ersetzt. Nicht minder reißerisch, aber tatsächlich ein wenig näher an der Handlung des Films dran (auch wenn dieser zur Gänze in Rom gedreht wurde, und das Pariser Wahrzeichen nur per eingefügtem Matte-Effekt vorkommt). Im Englischen war man bei diversen (Wieder)Veröffentlichungen recht erfinderisch und verpasste "I vampiri" noch viele reißerische Titel wie z.B. "Lust of the Vampire", "The Devil's Commandment" oder "Evil's Commandment". Auch gut.
Fassungen:
Tatsächlich existieren von "I vampiri" 4 verschiedene Fassungen, wobei sich das italienische Original (78 Minuten) und die deutsche Kinofassung (74 Minuten) nur marginal unterscheiden. Letztere ist zwar um 4 Minuten kürzer, aber es handelt sich hier ausschließlich um Handlungsschnitte zwecks Straffung. Spannender ist da der amerikanische "The Devil's Commandment"-Cut. Der ist zwar nur mehr 69 Minuten lang, enthält aber dafür ca. 10 Minuten neues Material, das in Amerika exklusiv nachgedreht wurde, und nur dazu diente, das Teil schlüpfriger und reißerischer zu machen. Ein Nackedei-Mord in der Badewanne, ein Showdance in einer Bar, eine dezente Vergewaltigung, sowie einige Detailaufnahmen von Totenköpfen und krallenhaften Händen. Eine weitere Fassung, "Lust of the Vampire", wurde in den 90ern auf einer Bava-Retrospektive gezeigt. Auch diese wurde für den US-Markt geschnitten und mit neuem Material aufgefüllt, hier aber mit expliziteren Nacktheiten. Im Gegensatz zu den o.g. Fassungen ist diese aber leider (oder gottseidank?) bisher nicht auf Scheibe erhältlich.
Soll ich noch ein bisschen mehr ins Detail gehen? Na aber klar doch! Der Film wurde ja bekanntermaßen von Riccardo Freda begonnen, aber von Mario Bava beendet. Freda hat ja mit den Produzenten gewettet, "I vampiri" in nur 12 Tagen abzudrehen. Als ihm das nicht gelang, ist er entnervt abgehaut. Auftritt Bava, der auf Basis des bisher gedrehten Materials das Drehbuch so umschrieb, dass er den Rest in nur 2 Tagen fertigdrehen konnte. Der Audiokommentar von Tim Lucas zeigt sehr gut auf, was von Freda und was von Bava stammt, bzw. wo Bava eventuell Veränderungen vornahm. So fiel u.a. ein ganzer Subplot mit einem zum Tod durch die Guillotine Verurteilten, der wieder zum Leben erweckt wird, unter den Tisch. Dass Szenen davon bereits gedreht wurden, beweist der deutsche Trailer: nur hier kann man einige Sekunden lang sehen, wie ein Charakter zum Schafott geführt wird. Im fertigen Film kommt dieser Charakter in anderer Form vor (nämlich als mörderischer Junkie, der NICHT hingerichtet wird), man kann aber in einer Szene eine massive Narbe rund um seinen Hals sehen, da wo vermutlich der abgehackte Kopf wieder angenäht wurde. Leider werden wir vermutlich nie erfahren, ob es noch mehr Freda-Material gab/gibt, und so nicht in den Genuss seiner originalen unvollendeten Rumpf-Fassung kommen.
Meinung:
Meisterwerk ist er vielleicht nicht unbedingt, aber als Einstieg in den Italo-Gothic ist er wahnsinnig interessant und auch hier schadet es nicht, sich den Film öfters bzw. in anderen Fassungen mit jeweils anderem Ton anzusehen. Jede Sichtung davon lässt "I vampiri" in einem anderen Licht erscheinen. Mir hat das wahnsinnig geholfen. Ich mag ihn inzwischen sehr.