FilmRückblick 2023 - Die besten Filme des Jahres: Die Top 10
Countdown zum besten Film des JahresKategorie: DVD & Kino - Autor: Christian Siegel - Datum: Freitag, 19 Januar 2024
Die besten Filme des Jahres 2023 – Die Top 10
Das beim Verfolgerfeld gesagte gilt auch hier: Die Reihung bitte nicht zu genau nehmen. Solche Listen sind nun mal bis zu einem gewissen Grad immer Momentaufnahmen, und kann sich sowohl die Meinung zu einem Film im Zeitverlauf ändern, als auch man weitere Filme aus dem betreffenden Jahr sehen, wo man sich rückwirkend denkt, dass der in dieser Liste hätte berücksichtigt gehört – oder vielleicht sogar alle anderen übertrifft. Nach aktuellem Stand sind die nachfolgenden zehn Filme aber die besten, die mir im Jahr 2023 untergekommen sind:
Platz 10: DogMan
Nach zahlreichen sehr konventionellen und teilweise doch eher mäßigen Filmen liefert Luc Besson mit "DogMan" seinen wohl besten Film seit (mindestens) "Das fünfte Element" ab. Und dabei bin ich a) absolut kein Hundemensch und b) im Vorfeld mit einer großen Portion Skepsis in den Film gegangen, da ich aufgrund der Inhaltsangabe eigentlich nicht wirklich dachte, dass der etwas für mich sein wird. Letztendlich ist es "DogMan" aber gelungen, mich vom ersten Moment an zu packen, und bis zuletzt nicht mehr loszulassen. Luc Besson erzählt hier die Geschichte eines Außenseiters, der von der Zivilisation wiederholt im Stich gelassen wurde – und es dennoch geschafft hat, für sich einen Platz in (oder zumindest am Rande) dieser zu finden. Besson lässt dabei keine Sekunde lang Zweifel aufkommen, auf welcher Seite er steht. Zwar mag es nicht jedem gelingen, sich auf die Idee rund um diese starke, fast telepathische Verbindung zwischen Douglas und seinen vierbeinigen Freunden einlassen zu können – die dafür sorgt, dass er sie auf sehr spezifische Missionen schickt. Andere wiederum mögen den Action-Showdown aufgesetzt finden. Für mich ergaben all diese Elemente jedoch stets ein stimmiges und vor allem auch höchst unterhaltsames Ganzes. Einzig das Ende – möglicherweise auch, weil es von vornherein so schien, als könnte die Geschichte eigentlich nur so ausgehen – verfehlte die gewünschte emotionale Wirkung bei mir etwas, und drohte für mich durch übertriebene Dramatik ins unfreiwillig komische Gegenteil zu brechen. Davon abgesehen ist "DogMan" aber, getragen von einer Wahnsinnsperformance von Caleb Landry Jones, eine wunderbare – und gleichermaßen bedrückende wie herzerwärmende – Außenseiter-Story, die vor allem auch mit Bessons Empathie für seine tragische Hauptfigur besticht. 8/10
Platz 9: Killers of the Flower Moon
"Killers of the Flower Moon" war heuer quasi mein persönlicher Viennale-Eröffnungsfilm (da er zwar nicht Teil des Programms war, aber zufälligerweise am gleichen Tag startete). Der neueste Film des Regie-Altmeisters Martin Scorsese behandelt die systematische Auslöschung von Mitgliedern des Osage-Stamms in den USA, nachdem diese durch den Fund einer Ölquelle plötzlich großen Reichtum erlangten – den sich die weißen Männer nun durch Ehen und Morde unter den Nagel reißen. Das sich daraus entspinnende Krimi-Drama ist mit rund 200 Minuten zwar eine Spur zu ausschweifend erzählt. Vor allem aber fand ich es schade, wie "Killers of the Flower Moon" das eigentliche Herz des Films – Mollie – immer wieder für einen längeren Zeitraum aus den Augen verlor. Den Fokus noch stärker auf sie, und generell die Notlage des Osage-Stamms, zu legen, hätte dem Film in meinen Augen gut getan. Davon abgesehen gelingt es "Killers of the Flower Moon" aber trotz seiner (etwas über)langen Laufzeit auf bestechende Art und Weise, zu unterhalten, und einen in die Story und die Figurenkonstellation hineinzuziehen. Neben Scorseses meisterlichem Talent als Geschichtenerzählers liegt dies nicht zuletzt auch wieder an den starken schauspielerischen Leistungen, insbesondere von Lily Gladstone und Leonardo DiCaprio. Vor allem aber rückt Scorsese mit "Killers of the Flower Moon" ein Unrecht ins Rampenlicht, dass drohte, in Vergessenheit zu geraten; wie wichtig ihm dies war, zeigt insbesondere eine überraschende Entscheidung am Ende des Films. Jedenfalls: Auch wenn ich seine Kritik am modernen Kino nicht immer teile, ist für mich unbestritten, dass die Filmwelt auch im Jahr 2023 mit ihm darin eine reichere war. 8/10
Platz 8: Oppenheimer
Christopher Nolans wieder einmal vom bestimmenden Thema seiner Filmkarriere, der Zeit, dominierten Ansatz zur Erzählweise dieses Biopics – mit dem Herumspringen zwischen den verschiedenen Zeitebenen – fand ich höchst interessant. Statt sich zerfahren anzuführen, hatte ich vielmehr den Eindruck, dass diese beiden Ebenen sehr gut aufeinander aufbauen, und so die Wirkung einzelner Momente sogar noch verstärkte. In Verbindung mit den starken schauspielerischen Leistungen, hervorstechenden Momenten wie eben dem Zünden der ersten Atombombe, dem phantastischen Sounddesign, sowie Ludwig Göranssons eindringlichem Score (der ihm auch völlig zu Recht den Oscar einbringen wird) hatte ich die längste Zeit über das Gefühl, mich in den Händen eines meisterlichen Erzählers zu befinden. "Oppenheimer" ist ein Film, der weniger die Lebensgeschichte seines Subjekts erzählt, als sie vielmehr spürbar macht; und das gelang ihm rund zwei Stunden absolut fantastisch. Leider aber kommt dann der Punkt, wo "Oppenheimer" seinen Fokus verliert; plötzlich ist es weniger ein Film über den Erfinder der Atombombe, als vielmehr seinen Ankläger Strauss. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Nolan von Robert Downey Jrs. Performance so begeistert war, dass er immer neue Szenen für ihn geschrieben hat – bis im dieser Teil des Films schließlich entglitten ist. Und so schlichen sich im letzten Drittel leider doch ein paar Längen ein, welche eine bessere Platzierung verhinderten. Daran konnte auch die starke letzte Szene – wenn wir endlich erfahren, worüber Oppenheimer und Einstein gesprochen haben (die dann auch für einen mehr als versöhnlichen Ausklang sorgt) nichts ändern. Insgesamt ist "Oppenheimer" 2/3 eines Meisterwerks, der von einem unnötig langen Epilog ebenso unnötig heruntergezogen wird. 8/10
Platz 7: Anatomie eines Falls
"Anatomie eines Falls" verstand es von Anfang an, mich zu packen. So wie Daniel, dessen Perspektive für den weiteren Verlauf des Films entscheidend sein wird (und in dessen Haut uns Justine Triet mehrmals auf höchst effektive Art und Weise schlüpfen lässt, in dem wir nur ihn und seine Reaktion sehen, während wir – nur – hören, was er hört), erleben wir Samuels Tod nicht unmittelbar mit. Und wissen somit so wie Daniel, die Polizei, die Anwälte usw. nicht genau, was passiert ist. Es ist unter anderem auch genau diese Unsicherheit, von der "Anatomie eines Falls" lange Zeit sehr gut lebt. Nach dieser gelungenen Initialzündung hatten es mir dann auch die weiteren Ermittlungen – die mir als Laie sehr plausibel erschienen sind – durchaus angetan. Nach einer gefühlten knappen Stunde springt "Anatomie eines Falls" dann ein Jahr in die Zukunft, um uns den Prozess zu zeigen. In diesem geht es letztendlich mindestens so sehr um das Leben, dass Sandra und Samuel gelebt haben, wie um den schicksalhaften Fall an sich. Herzstück dieses Teil des Films war für mich jene längere Sequenz, in der wir den von Samuel aufgezeichneten Streit des Paares erleben (die von mir ja auch zu einer der besten Szenen des letzten Jahres gekürt wurde). Darüber hinaus war der Film fantastisch gespielt, wobei vor allem Sandra Hüller hervorsticht, die hier eine Wahnsinnsperformance abliefert. Dass mich "Anatomie eines Falls" nicht noch mehr begeistert hat, liegt in erster Linie an seiner Länge. Bei allem Lob dafür, dass Triet nicht nur die Geschehnisse hudelt, sondern der Geschichte und den Figuren ausreichend Zeit lässt, aber zweieinhalb Stunden hätten es dann doch nicht sein müssen. Vor allem aber dauerte es mir dann nach dem Urteil etwas zu lang, bis er zum Ende kam. Mit ein bisschen mehr Straffung hätte der Film bei mir wohl eine noch stärkere Wirkung entfaltet. Trotzdem ist er insgesamt ein wirklich mitreißendes Krimi/Gerichtsdrama mit starkem Beziehungsdrama-Einschlag. 8/10
Platz 6: Deep Sea
Der war soooooo unfassbar schön! Und das bezieht sich zwar absolut auch, aber eben bei weitem nicht nur auf den visuellen Aspekt. Denn ja, "Deep Sea" war zweifellos grandios animiert. In den ersten paar Momenten fand ich die Bilder derart realistisch, dass ich kurz dachte, ich hätte mich geirrt, und der ist in Wahrheit gar kein Animationsfilm (bzw. wird es erst später, vielleicht in Traumsequenzen). Aber auch die deutlich fantastischere Optik der Tiefsee, die dann auch verstärkt nicht nach 3D-Animation sondern klassischen Zeichentrick aussahen, waren wunderbar. Nicht minder beeindruckt war ich von der Musik, die ich mir am liebsten sofort nach dem Film heruntergeladen (oder in einem Streamingangebot gefunden) hätte, um sie ab sofort immer wieder anhören zu können. Mehr noch als das hatte es mir aber vor allem auch die absolut bezaubernde Geschichte angetan. Bereits in den ersten Minuten hat er mir mehrmals das Herz gebrochen, weil mir San Su so unfassbar leid getan hat. Und vor allem am Ende war ich dann echt ein emotionales Wrack. Zugegeben, er hätte eine Spur kürzer sein können; vor allem den ganzen Zinnober nach der Ankunft im Deep Sea Restaurant hätte ich nicht gebraucht. Da war er mir doch etwas zu wild. Aber trotz dieses kleinen Kritikpunkts, der knapp die Höchstwertung verhindert, ist "Deep Sea" für mich einfach nur der schönste, sondern auch beste, bezauberndste und berührendste Animationsfilm der letzten Jahre. Dass der deutsch/österreichische Verleih den abseits von Sondervorstellungen nur in 2D ins Kino gebracht hat, grenzt an ein Verbrechen. 9/10
Platz 5: Close
Seitdem sie denken können, sind zwei junge Burschen miteinander befreundet. Dementsprechend sind sie sich sehr nahe – was so lange kein Problem ist, ehe sie an eine neue Schule kommen, und sie gefragt werden, ob sie ein schwules Paar seien. Etwas, worüber sich Leo und Remi bislang einfach keine Gedanken gemacht haben. Die Etikettierung ihrer engen Beziehung – welcher Gestalt diese nun auch genau sein mag – führt schließlich dazu, dass Leo gegenüber Remi auf Distanz geht; mit tragischen Konsequenzen. Mit "Close" zeigt Lukas Dhont nicht nur auf, dass es selbst in der heutigen Zeit, wo sich vieles schon gebessert hat, mit Homosexualität ein gewisses Stigma einhergeht; er hinterfragt vor allem die Tendenz unserer Gesellschaft zum Verteilen von Labeln, selbst wenn diese nicht zwingend abwertend (gemeint) sein müssen. In erster Linie ist "Close" aber – in weiterer Folge – eine Geschichte über Schuld; und wenn ihr meine Reviews (und FilmRückblicke) nun schon länger verfolgt, dürfte euch aufgefallen sein, dass mich eben solche immer ganz besonders ansprechen (hoffentlich kommt ihr nicht irgendwann auf die Idee, ich hätte irgendwelche Leichen im Keller!). Hinzu kommen dann auch noch die wirklich starken schauspielerischen Leistungen, insbesondere auch von den beiden Neuentdeckungen Eden Dambrine und Gustav De Waele, die ihre innige Freundschaft überaus überzeugend vermitteln. Mich hat dieser Film über den Verlust einer Freundschaft, Schuldgefühle, sowie die Kraft der Vergebung jedenfalls enorm bewegt. 9/10
Platz 4: Living – Einmal wirklich leben
Sprechen wir gleich mal den Elefanten im Raum an: Ja, "Living" ist ein Remake des Klassikers "Ikiru" vom japanischen Meisterregisseur Akira Kurosawa. Allerdings: Nach siebzig Jahren – und damit einer knappen Lebenszeit – darf man sich in meinen Augen auch durchaus mal an eine Neuinterpretation wagen. Dabei bleibt Oliver Hermanus dem zeitlichen Setting treu, verlegt das Geschehen jedoch nach London. Dass sein Remake mindestens genauso gut (bzw. meiner blasphemischen Meinung nach sogar eine Spur besser) funktioniert wie das Original, ist sicherlich zu einem Großteil dem wunderbaren Bill Nighy in der Hauptrolle zu verdanken, dessen urbritischer Charme gepaart mit einem herrlich trockenen Humor den Film enorm aufwertet. Aber auch die Art und Weise, wie er Williams' Entwicklung weg vom Beamten hin zum Menschen spielt, war grandios. Wunderbar vor allem auch die gemeinsamen Szenen mit der mir aus "Sex Education" bekannten Aimee Lou Wood, die hier in einer überaus charmanten Rolle zu sehen ist. Und dann ist da natürlich noch die – wenn auch natürlich bereits aus dem Original bekannte – Story, die es mir ebenfalls enorm angetan hat. "Living" vermittelt uns auf berührende Art und Weise, dass es nie zu spät ist, anzufangen, unser Leben zu leben, bzw. uns dafür einzusetzen, die Welt in einem besseren Zustand zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Insgesamt ist Oliver Hermanus jedenfalls in meinen Augen mit "Living" ein mehr als würdiges Remake, und vor allem auch ein ungemein berührender und herzerwärmender Film geglückt. 9/10
Platz 3: The Banshees of Inisherin
Filme über das Ende einer romantischen Beziehung gibt es wie Sand am Meer. Filme, die das Ende einer Freundschaft thematisieren, sind hingegen deutlich rarer gesät. Mit "The Banshees of Inisherin" legt Martin McDonagh genau so einen Film vor; und das in für ihn gewohnt schwarzhumoriger Art und Weise – wobei er neuerlich sein "Brügge sehen… und sterben?"-Dreamteam Colin Farrell und Brendan Gleeson vor der Kamera vereint: Nach jahrelanger Freundschaft beschließt Colm Doherty eines Tages ohne erkennbaren Grund oder akuten Anlass, nicht mehr mit Padraic Suilleabhain befreundet sein zu wollen. Etwas, dass Padraic nicht einfach nur nicht akzeptieren will, sondern vor allem auch nicht akzeptieren kann. Was sich in weiterer Folge daraus entspinnt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, zählte aber jedenfalls zum zugleich komischsten wie auch tragischsten, das mir 2023 im Kino untergekommen ist. Letztendlich habe ich bei diesem Streit – getreu dem Motto, wenn sich zwei streiten, freut sich der dritte?! – wohl am meisten mit Siobhan mitgefiebert. Von allen Beteiligten grandios gespielt, vor beeindruckender Landschaftskulisse gefilmt, und mit zahlreichen sowohl lustigen als auch emotionalen Momenten gespickt, setzt "The Banshees of Inisherin"" Martin McDonaghs Erfolgslauf fort. 9/10
Platz 2: Barbie
Für mich hat "Barbie" das "Barbenheimer"-Duell ganz klar gewonnen. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, nie zuvor in einem Leben einen Film so wie ihn gesehen zu haben. "Barbie" ist saukomisch, auf bitterböse Art und Weise satirisch, hat viel über die Welt in der wir leben zu sagen, bietet einige wirklich berührende, emotionale Momente, und ist vor allem auch die einzigartige kreative Vision von Greta Gerwig, die sich spätestens mit diesem Film als eine der interessantesten Filmemacher:innen erweist, die aktuell in Hollywood aktiv sind. Ich verstehe, dass das kein Film für jedermann (und wohl durchaus auch -frau) ist, und das ist auch voll und ganz ok. Was ich allerdings nicht abkann, sind Leute, die ihn verteufeln, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Ich persönlich fand ich jedenfalls absolut großartig; er ist zudem, wenn auch in meinen Augen knapp nicht der Beste, definitiv einer der wichtigsten Filme, gerade auch mit seiner feministischen Message. Denn mit der Art und Weise, wie er in Barbieland die Machtverhältnisse der realen Welt spiegelt, zwingt er gerade auch uns Männer dazu, mal in die Schuhe der Frauen zu schlüpfen. Vor allem aber: Gerade auch in einem Kinojahr wie 2023, dass von Franchise-Filmen dominiert war, die sich mittlerweile doch teilweise mehr oder weniger alle wie der immer gleiche Film anfühlen, sowie von den aufs große Geld schielenden Produzenten vorgegebenes Filmemachen, welches sich nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner richtet, ist ein solch origineller, kreativer und außergewöhnlicher Film wie "Barbie" ein nicht nur willkommener, sondern fast schon erlösender Hauch frischer (Kino-)Luft. 9/10
Platz 1: Past Lives - In einem anderen Leben
Vorab: Die Entscheidung zwischen Platz 1 und 2 ist mir heuer so schwer gefallen, wie vermutlich noch nie. Tatsächlich war es bei mir in der Vergangenheit meistens so, dass ein Film recht klar und deutlich über allen anderen stand (auch wenn sich das vielleicht nicht in der Wertung ausdrücken mag). Heuer allerdings stand ich vor der Wahl zwischen zwei großartigen Filmen, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Und es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass 2023, soweit es Filme betrifft, in einer Art und Weise von "Barbenheimer" dominiert war, wie das nur selten vorkommt. Wann immer wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten im filmischer Hinsicht an 2023 zurückdenken werden, werden es in erster Linie "Barbie" und "Oppenheimer" sein, die uns in den Sinn kommen. Doch macht dies die beiden automatisch zu den besten Filmen des Jahres? Eben nicht; wie man nicht zuletzt auch an der weiter zurückliegenden Platzierung von "Oppenheimer" sieht. Dabei will ich nicht bestreiten, dass "Barbie" im direkten Vergleich zu "Past Lives" zweifellos der außergewöhnlichere Film ist. Aber: Ich habe es in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, wenn die Oscar-Akademie einem "Zeitgeist"-Film gegenüber einem zeitlosen Film den Vorzug gab; sei es nun im Duell "L.A. Crash" gegen "Brokeback Mountain", oder auch "Moonlight" gegen "La La Land". So gesehen galt es nun eben auch, konsequent zu sein, und unabhängig davon, dass "Barbie" der bestimmendere Film war(der mir auch wirklich sehr gut gefallen konnte, wie die denkbar knappe Verdrängung auf den zweiten Platz beweist), jenem Film den Vorzug zu geben, der mich von den beiden – knapp aber doch – mehr beeindruckt hat.
"Past Lives" ist ein Film, den Personen mit doch schon ein bisschen Lebenserfahrung wohl mehr zu schätzen wissen werden, als jüngere Semester. Nicht zuletzt auch, als die Wahrscheinlichkeit, dass man im Leben irgendetwas bereut, mit zunehmendem Alter größer wird. "Past Lives" zeigt uns zuerst die Vorgeschichte von Nora und Hae Song: Wie sich die beiden in der Schule kennenlernen, und rasch enge Freunde werden. Wie sie auch nachdem Noras Familie nach Kanada auswandern für eine Zeit lang in Kontakt bleiben. Und dann schließlich, wie sie zwanzig Jahre später zufällig über Facebook wieder aufeinandertreffen, und Hae Song beschließt, Nora in (mittlerweile) New York zu besuchen. Die Begegnung bringt – natürlich – ein paar alte und vermeintlich längst überwundene Gefühle zwischen den beiden zum Vorschein. Vor allem aber zwingt es sie dazu, ihren jeweiligen Lebensweg zu hinterfragen, und vor allem auch einen Blick darauf zu werfen, wie dieses stattdessen hätte ablaufen können. Und es ist eben genau dieser Punkt, der "Past Lives" für mich so hervorstechen lässt. Und das nicht nur im Grundgedanken selbst, sondern vor allem auch in der herrlich unaufgeregten Umsetzung, die sich bewusst den typischen Film- und (im Hinblick auf romantische Filme/Komödien) Genre-Klischees entzieht, und stattdessen ungemein realistisch und zugleich auch sehr erwachsen wirkt. Exemplarisch verweise ich auf den wunderbaren Dialog zwischen Nora und Hae Song in der Bar; aber auch der Ausgang des Geschehens hat mich nachhaltig beeindruckt. Dass es sich hier um das Filmdebüt von Celine Song handelt, macht "Past Lives" nur umso beeindruckender (und sorgt übrigens zum zweiten Mal in Folge dafür, dass sich der Debütfilm einer Frau über den ersten Platz in meiner Rangliste freuen kann).
Und ja, wie eingangs erwähnt, ist mir die Entscheidung zwischen diesen beiden Filmen nicht leicht gefallen, und kann man durchaus auch für "Barbie" gute Argumente vorlegen. Aber, ganz ehrlich: Bevor ich jetzt ewig mit mir selbst im Clinch darüber liege, ob nun "Past Lives" oder nicht doch "Barbie" der beste Film 2023 war, erfreue ich mich doch viel lieber an diesen beiden außergewöhnlichen (und noch dazu so wunderbar unterschiedlichen) Filmen, die mir in den kommenden Jahren – so wie die beiden Filmemacherinnen, die hinter ihnen stehen – bestimmt noch viele schöne Stunden bescheren werden. Das ist nicht einfach nur "kenug", sondern letztendlich doch das Wichtigste. 9/10
Wie sieht eure Top 10 des Filmjahres 2023 aus? Ich freue mich über eure Meinung in den Kommentaren!