Kurzinhalt:
Pearl wächst 1918 in einer Farm im mittleren Westen der USA auf. Sie träumt davon, eines Tages ein Star zu sein, und so ihrem tristen Dasein zu entkommen. Ihr größter Wunsch wäre es, als Tänzerin in einem jener Musical-Filme aufzutreten, die sie sich so gerne im Kino der nächstgelegenen Stadt ansieht. Eines Tages rückt ihr Traum dann einen kleinen Schritt näher, als in der Nähe ein offenes Casting abgehalten wird, um ein paar Tänzerinnen zu suchen, die mit einer Truppe durch die Vereinigten Staaten touren sollen. Gegen den Willen ihrer Mutter Ruth, die für die Träumereien ihrer Tochter kein Verständnis hat, nimmt Pearl zusammen mit ihrer Schwägerin am Casting teil. Als dieses dann jedoch nicht das erhoffte Ergebnis bringt, und Pearls Traum von einem Leben als Star endgültig zu zerplatzen scheint, verfällt die ohnehin schon psychisch instabile junge Frau endgültig dem Wahnsinn…
Review (kann Spoiler enthalten):
Im Gegensatz zu einigen anderen war ich ja von "X" nicht soooo übermäßig begeistert. Dort gefiel mir die erste Hälfte rund um den Porno-Dreh letztendlich deutlich besser als der doch sehr generische Slasher-Teil. Die nette Umsetzung – spielte der Film doch nicht nur in den 70ern, sondern sah auch so aus, als wäre er zu eben dieser Zeit gedreht worden – einzelne Abweichungen von der typischen Slasher-Formel, die zarten anspruchsvolleren Töne rund um den Jugendwahn, sowie die hochkarätige Besetzung machten ihn aber nichtsdestotrotz zu einem soliden Vertreter des Genres. Was letzteres betrifft, erweist sich im Hinblick auf dieses Prequel die Doppelbesetzung von Mia Goth – zugleich als aufstrebendes Porno-Sternchen Maxine, sowie als fröhlich mordende Pearl – als mehr denn nur ein reiner Gag. Denn natürlich schlüpft Mia Goth – die auf dem besten Weg ist, zu einer modernen Königin des Horror-Genres zu werden – in die Titelrolle, und spielt somit nun neben der alten Pearl in "X" auch deren jüngeres Ich im Prequel. Dieses sticht zudem auch wieder was die Inszenierung betrifft hervor. Im Gegensatz zu "X" stimmen zwar Setting und Inszenierungsstil nicht überein, aber kinotechnisch ins Jahr 1918 zu gehen, wäre West dann wohl doch zu retro gewesen. Und da ich mich wie es der Zufall so will zu Beginn des Jahres vermehrt mit dem (Noir-)Kino der 40er bis 60er (und dabei u.a. dem Oeuvre von Alfred Hitchcock) gewidmet habe, war ich letztendlich auf "Pearl" bestens eingestimmt.
Jedenfalls: So wie schon beim Vorgänger liegt in der Retro-Inszenierung für mich eine der größten Stärken des Films. Von Anfang an verleiht nämlich eben dies "Pearl" einen ganz eigenen Charme, und lässt ihm aus dem aktuellen Genre-Einheitsbrei hervorstechen. Neben der Inszenierung gilt dies natürlich auch fürs zeitliche Setting vor etwas mehr als hundert Jahren. In erster Linie lebt "Pearl" aber natürlich von seiner Hauptfigur. Pearl wird uns dabei von Beginn an als psychisch labile Person mit beunruhigenden sadistisch-gewalttätigen Tendenzen (die sie zu dem Zeitpunkt erstmal nur an der Tierwelt auslässt) präsentiert; in der heutigen Zeit wäre sie ein klassischer Fall für einen Psychologen, damals war eine entsprechende Betreuung aber halt natürlich noch Mangelware. Ihre strenge Mutter scheint die betreffenden beunruhigenden Tendenzen ihrer Tochter durchaus zu erkennen, richtet jedoch letztendlich mit ihrem strikten Konfrontationskurs, mit dem sie hofft, Pearl im Zaum halten zu können, erst recht mehr Schaden als Nutzen an. Als dann auch noch Pearls Träume von einer Karriere als Tänzerin oder gar Filmstar zerbrechen, fällt jenes Gerüst, dass Pearls ohnehin schon auf wackeligen Beinen stehende Zurechnungsfähigkeit noch so halbwegs zusammengehalten hat, endgültig in sich zusammen. Die Folgen davon sind teils komisch, teils tragisch, stellenweise ausgesprochen blutig – vor allem aber stets unterhaltsam. Wie ich "Pearl" tonal generell sehr spannend fand. Denn genau genommen ist an den Ereignissen hier ja eigentlich nichts lustig, sondern wird hier vielmehr eine zutiefst tragische Geschichte erzählt, in der eine psychisch labile Person endgültig dem Wahnsinn verfällt – und die Personen um sie herum den Preis dafür zahlen müssen. Dass Ti West eben dies – teilweise auch durch bewusste Überzeichnung, die den Ton ins Absurde driften lässt – jedoch bewusst konterkariert, fand ich höchst spannend. Zumal zumindest ich es so interpretierte, dass eben diese Inszenierung letztendlich Pearls eigene Gedanken- und Gefühlswelt wiedergibt; und er uns somit direkt in den Geist dieser wahnsinnigen Person eintauchen lässt.
Die letzte wesentliche Stärke von "Pearl" ist dann Mia Goth (die uns im heurigen Halloween-SPECiAL noch ein weiteres Mal unterkommen wird; dann jedoch mit deutlich zweifelhafterem Erfolg), die nicht nur in die Hauptrolle schlüpft, sondern auch am Drehbuch mitgewirkt hat. Diese geht in der Rolle ihres bisherigen (Film-)Lebens völlig auf, und lässt uns so richtig in die im wahrsten Sinne des Wortes verrückte Welt ihrer Figur eintauchen. In schauspieltechnischer Hinsicht ganz besonderen Eindruck hinterlassen dabei einerseits eine mehrminütige Monologsequenz ohne Schnitt, und andererseits ihr langes, verkrampftes und zunehmend verstörendes Grinsen während der Credits. Zu kritisieren gibt es (im Vergleich zum Vorgänger) relativ wenig. Man hätte ihn da und dort wohl noch leicht kürzen können, um auf eine Laufzeit näher an neunzig Minuten zu kommen. Die Morde sind zudem nicht sonderlich zahlreich, und es dauert auch relativ lange, bis Pearl ihren ersten begeht; davor bekommen erstmal "nur" Tiere ihre Gewalt zu spüren. Und wer sich von einem Horrorfilm nervenzerreißende Spannung erwartet, wird bei "Pearl" auch eher nicht auf seine/ihre Kosten kommen. Ich hingegen hatte mit diesem Prequel definitiv meinen Spaß.
Fazit:
Den Vorgänger fand ich ja eher "nur" solide; "Pearl" konnte mich da schon mehr überzeugen. Inszenatorisch ist auch dieser sehr stark von einer früheren Epoche – in diesem Fall den 50ern – inspiriert, was ich neuerlich als eine der größten Stärken des Films empfand. Schon allein die altmodischen Credits wärmten mein Cineasten-Herz. Aber auch Pearl als Hauptfigur hatte es mir angetan. Diese ist von Beginn an eine Psychopathin, die aufgrund des Geschehens hier nun endgültig dazu getrieben wird, ihren mörderischen Tendenzen freien Lauf zu lassen. Das mitzuverfolgen machte durchaus Spaß. Mia Goth brilliert in der Hauptrolle mit einer wunderbaren, vielschichtigen Performance, und insbesondere einer mehrminütigen Dialogszene ohne Schnitt, in der sie sich die Seele aus dem Leib spielt. Die Morde mögen zwar nicht zahlreich sein, sind dabei allerdings sehr launig, teilweise aber durchaus auch bedrückend, umgesetzt. Den ganzen Film durchzieht dabei ein faszinierender Frohsinn, der die ja eigentlich sehr düstere Handlung (immerhin erleben wir hier, wie eine psychisch kranke Figur endgültig dem Wahnsinn anheimfällt) auf spannende Weise konterkariert, und uns in Pearls verstörende Gedanken- und Gefühlswelt hineinzieht. Vor allem aber ist "Pearl" – im wahrsten Sinne des Wortes – irrsinnig unterhaltsam!