Die Entstehung von Babylon 5 - Teil 4: Nicht eingeschlagene Wege
Der ursprüngliche Fünfjahresplan
Als JMS damit begann, auf Conventions und im Internet die Werbetrommel für "Babylon 5" zu rühren, wurde er nicht müde, zu betonen, dass es sich um eine epische, fortlaufende, auf fünf Jahre angelegte Geschichte handelt, quasi wie ein Roman fürs Fernsehen (etwas, dass Warner – vermeintlich um potentielle neue Zuschauer nicht abzuschrecken, nie in den Vordergrund stellte, da dieser heutzutage mehrheitlich vertretene Zugang eben nicht die Norm, sondern vielmehr die Ausnahme war). Und tatsächlich, wenn man das fertige Produkt ansieht, könnte man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wirklich das Gefühl haben, dass alles schon immer so geplant war, und unweigerlich auf "Der Weg ins Licht" hinauslaufen sollte. Ein Blick auf seinen ursprünglichen Plan macht jedoch deutlich, wie viel sich vielmehr insbesondere durch den Ausstieg von Michael O'Hare zwangsläufig verändert hat. Dass man eben trotzdem bei der Erstsichtung, ohne Kenntnis des ursprünglichen Plans, den Eindruck hat, dass das alles von vornherein genau so gedacht war, ist für mich letztendlich JMS' größte Leistung bei "Babylon 5". Allen, die sich diese Illusion bewahren wollen, kann ich nur raten, erst ab der nächsten Überschrift weiterzulesen. Wer jedoch wissen will, wie "Babylon 5" ursprünglich hätte verlaufen sollen, für den habe ich nachfolgend die im exklusiven fünfzehnten Band der "Script Books" abgedruckte Synopsis zusammengefasst.
Vorab sei gleich einmal auf einen der größten Unterschiede hingewiesen: In der Überschrift mag "Fünfjahresplan" stehen, genau genommen war es aber eigentlich ein Zehnjahresplan. Denn: "Babylon 5" hätte unmittelbar in den Ableger "Babylon Prime" überleiten sollen, der dann ebenfalls wieder auf fünf Jahre angelegt war. Dieser wäre auch deutlich stärker eine Fortsetzung der Geschichte gewesen, als dies beim doch eher eigenständigen "Crusade" der Fall war. Damit aber genug der einleitenden Worte; es wird Zeit, sprichwörtlich hinter die Kulisse des Zauberers von Oz zu treten, und sich anzusehen, wie es nach dem Pilotfilm "Die Zusammenkunft" ursprünglich hätte weitergehen sollen (wobei ich die Parallelen zur tatsächlich in der Serie erzählten Geschichte mindestens so spannend finde, wie die Unterschiede): Nach den beunruhigenden Worten des Minbari-Attentäters hätte Sinclair, so wie auch in der Serie, versucht, Licht ins Dunkel der ihm fehlenden vierundzwanzig Stunden während der Entscheidungsschlacht des Erd-Minbari-Krieges zu bringen. Die Auflösung ähnelt sehr stark jener aus der Serie bekannten, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Sinclair ist nicht Valen, sondern vielmehr die Figur aus einer alten Prophezeiung der Minbari, die das Volk – welches von Generation zu Generation kleiner und schwächer wurde – wieder zu neuer Größe führen soll.
Während der Graue Rat und die religiöse Kaste genau daran glauben, ist die Kriegerkaste vielmehr davon überzeugt, dass der Weg des "Außenseiters" zum Untergang der Minbari führen wird. Eine militante Splittergruppe von ihnen war für das Komplott im Pilotfilm verantwortlich, um Sinclair aus der Welt zu schaffen, und so das Eintreten der Prophezeiung zu verhindern. Die religiöse Kaste wiederum hat Delenn nach Babylon 5 geschickt, um den von ihnen ausgewählten Commander der Station im Auge zu behalten (siehe auch ihr Kommentar in der von JMS angefertigten "Special Edition"-Schnittfassung: "Ich bin nur hier, um zu beobachten."). Sowohl das dritte Zeitalter der Menschheit, als auch die Wiedergeburt der Minbari-Zivilisation, hätte sich in weiterer Folge als die Vereinigung der beiden Völker herausgestellt, die sowohl symbolisch als auch wortwörtlich durch das gemeinsame Kind von Sinclair und Delenn erreicht wird. Die beiden wären sich, ähnlich wie Sheridan und Delenn, im Verlauf der Serie näher gekommen, nachdem Sinclair Catherine durch eine Gedankenvergewaltigung (hier finden sich Anzeichen von Anna Sheridans gelöschter Persönlichkeit in "Der Alleingang") verloren hätte. In etwa beim Wechsel von der dritten auf die vierte Staffel wären sie endgültig zusammengekommen, und zum Ende von Staffel vier hätte sich herausgestellt, dass Delenn mit Sinclairs Sohn schwanger ist. Im Gegensatz zur tief empfundenen Liebe zwischen Sheridan und Delenn aus der Serie, kommt Delenn im Erstentwurf jedoch teilweise sehr berechnend, wenn nicht gar manipulativ, rüber. Für sie scheint Sinclair eher ein Mittel zum Zweck zu sein, um die Prophezeiung zu erfüllen.
Parallel dazu hätte sich die Geschichte rund um die Schatten (die hier noch Schattenmänner genannt werden) und die Vorlonen zu Beginn noch auf sehr ähnliche Weise entwickelt – inklusive jenes Moments, wo sich Kosh am Ende der zweiten Staffel den im Garten versammelten Personen offenbart, um das Leben des aus dem Shuttle gefallenen Sinclair zu retten. Der weitere Verlauf des Konflikts, aber auch die Ziele, welche die Schattenmänner verfolgen, hätten sich von der Darstellung in der Serie aber leicht unterschieden. So wäre es ihnen nicht "nur" darum gegangen, Chaos zu stiften, sondern vielmehr die Kontrolle an sich zu reißen. Zudem wäre der Konflikt nicht so – und so früh – wie in der fertigen Serie geendet, sondern die Schatten bis über die fünfte Staffel hinaus eine Bedrohung geblieben. Der Krieg zwischen Narn und Centauri wäre ähnlich abgelaufen, hätte sich jedoch ein bisschen nach hinten verschoben. Zudem hätte G'Kar nach der Eroberung von Narn einen Sonderstatus als Botschafter erhalten, und wäre ab der Mitte der dritten bis zum Anfang der vierten Staffel auf seinen Heimatplaneten zurückgekehrt, um den Widerstand gegen die Centauri anzuführen. Dem Psi-Corps wäre ebenfalls eine noch größere Rolle in der Geschichte zugekommen. Statt einfach nur Agenten der Schatten, wären sie selbst die Drahtzieher vieler Entwicklungen – wie dem Attentat auf Präsident Santiago – gewesen, um ihre eigene Macht zu festigen und zu erweitern. Und Garibaldis Alkohol-Rückfall wäre im Verlauf der vierten Staffel erfolgt, zu dessen Ende – gerade wenn er am dringendsten benötigt wird – hätte er sein Problem dann wieder in den Griff bekommen.
All diese Handlungsstränge wären dann in der fünften Staffel zusammengelaufen, und eskaliert. Die Kriegerkaste hätte die Macht an sich gerissen, den Grauen Rat ins Exil geschickt, den Tod von Sinclair und Delenn angeordnet, und den Krieg gegen die Erde wieder aufgenommen. Ein riesiges Schiff der Vorlonen, mit einem Großteil ihrer Bevölkerung an Bord, wäre von den Schatten, mit Hilfe von Londo, vernichtet worden. Londo hätte im Namen der Centauri die Kontrolle über jenen Sektor des Alls übernommen, in dem Babylon 5 steht – was die Erde angefochten und daraufhin sämtlichen Kontakt zu den Centauri abgebrochen hätte. Die fünfte Staffel hätte dann mit einem Angriff auf – und die Zerstörung von – Babylon 5 durch die Minbari geendet (eben dort hätte dann wohl auch Garibaldi's Flash Forward aus "Verloren in der Zeit" hineingepasst). Sinclair und Delenn wären zusammen mit ihrem neugeborenen Sohn im letzten Shuttle entkommen, während die Station um sie herum explodiert – genau so, wie es Lady Ladira in "Visionen des Schreckens" gesehen hat. Delenn und insbesondere Sinclair wären daraufhin von allen geächtet und verfolgt worden. Von den Minbari sowieso, aber auch von Londo und den Centauri (da sie Londos Rolle bei der Zerstörung des Vorlonen-Schiffs kennen), den Vorlonen (die glauben, dass er in die Verschwörung rund um besagte Zerstörung involviert war), und auch der Erde (die ihn für einen Verräter hält).
Dies wäre das Ende der Geschichte von Babylon 5 gewesen – aber nicht das Ende der Geschichte an sich. Denn, wie eingangs schon erwähnt: Der angebliche Fünfjahresplan wäre ursprünglich vielmehr ein – noch einmal um einiges ambitionierterer – Zehnjahresplan gewesen, da "Babylon 5" direkt in die Ablegerserie "Babylon Prime" hätte überleiten sollen. Diese hätte dann schließlich mit jener Geschichte begonnen, die das Gegenstück zu "Verloren in der Zeit" geliefert hätte. Sinclair und Delenn wären in die Vergangenheit gereist, um Babylon 4 zu stehlen – jedoch eben nicht, um die Station in die Vergangenheit, sondern vielmehr die Zukunft zu führen, damit sie ihnen im Kampf gegen alle Mächte, die es auf sie abgesehen haben, als Operationsbasis dienen kann. Dabei hätte man davon profitiert, dass Babylon 4 im Gegensatz zum Nachfolgemodell mobil – und damit quasi ein riesiges Raumschiff – ist. Während der Mission wäre Sinclair um Jahre gealtert, und hätte so – ähnlich wie Sheridan – Lebenszeit verloren. Umgetauft in Babylon Prime, hätten Sinclair und Delenn die Station – bzw. das Raumschiff – benutzt, um durch das All zu reisen, in einem Versuch, Sinclairs Namen reinzuwaschen. Zu Beginn ihrer entsprechenden Bestrebungen hätte es sie unter anderem nach Centauri Prime verschlagen, wo sie erkannt hätten, dass Londo nur mehr eine Marionette der Schattenmänner ist, die ihn mit Hilfe einer mit ihm verbundenen Kreatur, die all seine Gedanken an sie kommuniziert, kontrollieren. In diesem entscheidenden Moment hätte er vor lauter Reue aufgrund der Rolle, die er anfangs noch freiwillig in diesem Konflikt gespielt hat, gegen sie rebelliert, und den beiden zur Flucht verholfen – was ihm jedoch (analog zur Vision seines Todes) das Leben gekostet hätte (die Parallelen zu "Tausend Jahre durch die Zeit" sind offensichtlich).
Im weiteren Verlauf der Serie hätte sich herausgestellt, dass ihre Reise durch die Zeit, um Babylon 4 in ihre Zeit zu holen, auch Auswirkungen auf ihren Sohn hatte, da dieser ungewöhnlich schnell heranwächst. Zwar gelingt es ihnen schließlich, diesen Prozess aufzuhalten, zu dem Zeitpunkt ist er jedoch, rein körperlich, ein erwachsener Mann – jedoch mit dem Geist eines Kindes. Ihr Sohn wird schließlich ein verehrtes religiöses Symbol, und die Erfüllung der Prophezeiung: Der Kinds-Mann dessen Geburt den Beginn einer Ära signalisiert, in dem verschiedene Spezies zusammenkommen, um ein neues goldenes Zeitalter zu erschaffen. Im Verlauf der Serie wächst ihr Sohn schließlich zu etwas größerem als "nur" einem Menschen heran. Die Geschichte von "Babylon Prime" endet mit der Gründung einer großen, interstellaren Allianz, sowie einem letzten, großen Krieg gegen die Schattenmänner, in dem Babylon 4 eine zentrale Rolle zukommt. Die Minbari werden von der Erde besiegt, Sinclairs Name reingewaschen. Delenn trennt sich von Sinclair – potentiell für immer – um in den neu formierten Grauen Rat zurückzukehren. Ihr Sohn steht an der Spitze der neuen Allianz, die verspricht, der Galaxis endlich Frieden zu bringen. Sinclair, sein Lebenswerk vollbracht, kann den lebenslangen Kampf endlich hinter sich lassen, und setzt sich auf einem ruhigen, abgelegenen, unbewohnten Planeten zur Ruhe. Seine letzte Szene – zugleich die letzte Szene von "Babylon Prime" – zeigt ihn, wie er allein am Strand sitzt, und fischt.
Die Tragödie der Telepathen
Die Zusammenfassung von JMS' ursprünglichem Plan zeigt, dass es ihm trotz der gravierenden Änderungen, die nach dem Ausstieg von Michael O'Hare notwendig waren, gelungen ist, viele der früheren Elemente bei der Anpassung – wenn auch in abgewandelter Form – zu bewahren. Doch es gibt einen Handlungsstrang, der ihm – trotz aller verzweifelter Versuche, ihn zu retten – immer wieder entgleiten sollte. Bevor wir uns damit näher auseinandersetzen, ein Wort der Warnung: Während die oben abgedruckte Zusammenfassung offiziell ist, ist der nachfolgende Teil des Artikels – von wenigen Details abgesehen (auf die ich jeweils dezidiert hinweisen werde) – reine (wenn auch faktenbasierte) Spekulation meinerseits. Dabei will ich das sprichwörtliche Pferd von hinten aufzäumen, und mit einer tatsächlich noch von JMS verlautbarten Information beginnen: Wäre Claudia Christian nicht nach der vierten Staffel ausgestiegen, wäre sie es gewesen (statt Lyta), die sich – am Boden zerstört aufgrund des Verlusts von Marcus – in eine Beziehung mit Byron gestürzt hätte. Zugleich hätte sie, nun da John Sheridan Präsident der Interstellaren Allianz ist, das Kommando über Babylon 5 übernommen. In dieser Funktion wäre ihr schließlich aufgrund der zunehmenden Eskalation des Telepathenkonflikts keine andere Wahl geblieben, als Bester – jenen Mann, den sie am meisten hasst – zu rufen, um Byron – jenen Mann, den sie zu lieben gelernt hat – aufzuhalten. Angesichts der – auch von mir geteilten – Antipathie, die weite Teile des Fandoms gegenüber Byron empfinden, verstehe ich zwar, dass viele von der Idee, dass sich Susan mit ihm eingelassen hätte, nicht wirklich begeistert sind. Doch egal was man von diesem Aspekt halten mag, wir können uns wohl darauf einigen, dass die Telepathen-Storyline mit ihr in dieser zentralen Rolle wesentlich dramatischer gewesen wäre.
Soweit die offiziellen Informationen, reisen wir nun ins Reich der Spekulation: Ich bin nämlich davon überzeugt, dass der Susan/Byron-Plan nur mehr Plan B (wenn nicht gar Plan C) war. Denn, wir erinnern uns: Ursprünglich war von JMS ja eigentlich eine Liebesgeschichte zwischen Susan und Talia geplant – die letztendlich aufgrund des verführten Ausstiegs von Andrea Thompson zwar im Verlauf der ersten beiden Staffeln vorbereitet, in "Verräter ohne Schuld" jedoch nur mehr ganz zart angedeutet werden konnte. Sieht man sich jedoch Talias Charakterentwicklung an – insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse aus "Der Gedankenpolizist" – so erscheint es nur logisch, dass es in der fünften Staffel ursprünglich keinen Byron (und in den Staffeln drei und vier keinen Marcus; oder aber zumindest keine Liebesgeschichte zwischen ihm und Ivanova) gegeben hätte, sondern vielmehr Talia dort die Führung der abtrünnigen Telepathen übernommen hätte (und das nicht nur, weil beide lange blonde Haare haben). Hätte sich das Ganze dann so entwickelt, wie es zwischen Ivanova und Byron geplant war, hätte diese dramatische Wendung, mit gleich mehreren Jahren Vorgeschichte dahinter, noch einmal um einiges stärker gewirkt, als es auch so schon – ohne den Ausstieg von Claudia Christian – der Fall gewesen wäre.
Ich halte es darüber hinaus – im Hinblick auf JMS' Aussagen, dass er die Figur bewusst sehr oft im Spiegel gezeigt hat, um das mit der verborgenen Persönlichkeit anzudeuten – für wahrscheinlich, dass ursprünglich Talia, und nicht Garibaldi, als Verräter in der vierten Staffel geplant war. Etwas, das für mich beim Vergleich der oben angegebenen Synopsis mit dem tatsächlichen Verlauf der Serie insofern gestützt wird, da auch dort zu erkennen ist, wie einzelne Handlungselemente aufgrund von Michael O'Hares Ausstieg "nur" verschoben, jedoch nicht gänzlich fallengelassen wurden. Und warum Garibaldi eine veränderte Persönlichkeit geben, wenn eine solche bei Talia ohnehin bereits existiert hätte – und JMS zudem mit den Aufzeichnungen des Vicars in "Die Todesbringerin" der Rückkehr ihrer Persönlichkeit Tür und Tor geöffnet hat? Tatsächlich gehe ich davon aus, dass vielmehr genau dieses Ereignis – welches ja auch Garibaldi aus der Bahn geworfen hat – jener letzte Funke gewesen wäre, der Talia dazu gebracht hätte, gegen das Psi-Corps in den Krieg zu ziehen. Doch selbst das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Denn als man ihr die Rolle angeboten hat, wurde bereits Patricia Tallman gefragt, ob sie ein Problem damit hätte, eine lesbische Beziehung zu spielen (die gleiche Frage wurde übrigens später auch Claudia Christian und Andrea Thompson gestellt, die daraufhin vor JMS' Augen einen Knutscher hingelegt haben, der ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb). Im Hinblick auf diese Information – sowie JMS' Aussage, dass Laurel Takashima eine unbewusste Verräterin mit verborgener Persönlichkeit hätte sein sollen (aufmerksamen Beobachtern mag aufgefallen sein, dass es ihr Zugangscode war, mit dem der Attentäter im Pilotfilm die Tür zu Del Varners Quartier geöffnet hat) – halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es ursprünglich zu einer Romanze zwischen Takashima und Lyta Alexander hätte kommen sollen, bei der jedoch im Vergleich zu Ivanova und Winters die Rollen der Verräterin vertauscht gewesen wären. Falls ich damit Recht habe, zeigt es, dass dieser Handlungsstrang tatsächlich bereits auf den Pilotfilm zurückgeht – und ihm trotz aller Versuche, ihn umzusetzen, immer wieder durch die Finger schlüpfen sollte.
Nie umgesetzte Story-Ideen und Drehbücher
Vorab: Dieser abschließende Teil von "Nicht eingeschlagene Wege" liefert quasi die Brücke zum fünften und letzten Teil "Die verhinderte Zukunft – Verlorene Kreuzzüge, Erinnerungen und Legenden", wo es dann (unter anderem) um den weiteren Plan (und nie verfilmte Drehbücher) zu "Crusade", den in letzter Minute verhinderten "Babylon 5"-Kinofilm "The Memory of Shadows", sowie den nicht gedrehten mittleren Teil der ersten "Vergessene Legenden"-DTV-Veröffentlichung gehen wird. Hier werde ich mich hingegen auf jene nie umgesetzten Entwürfe und nicht gedrehten Drehbücher konzentrieren, welche die ersten fünf – und hier überwiegend die ersten beiden – Staffeln von "Babylon 5 betreffen. Den Anfang macht "The World Below" ("Die Welt darunter"). Diese Episode hätte sich auf die untere Ebene und die dortigen sogenannten Lurker konzentriert – und zugleich ihren Anführer vorgestellt. Diese Person, von allen nur Boss genannt, dient als ihr Ansprechpartner in allen möglichen Belangen. Er schlichtet Dispute zwischen einzelnen Lurkern, verschafft ihnen Arbeit, und verteilt die Ressourcen. Sinclair und Garibaldi – letzterer eher zähneknirschend – haben ihn nach dem Prinzip "Von zwei Übeln wählt man besser das, welches man schon kennt" zu tolerieren gelernt. Bis ein Ombudsmann, der zwischen zwei Bewohnern der unteren Ebene vermitteln wollte, ermordet wird. Die Story hätte dann in einem Showdown münden sollen, bei dem sich Sinclair und der Boss gegenüberstehen, und ein für alle Mal entscheiden, wer auf Babylon 5 wirklich das Sagen hat (Nachtrag: Nachdem er die Episode in der ersten Staffel nicht untergebracht hat, hätte er es dann auch in der zweiten – nun natürlich mit Sheridan – noch einmal versucht; doch auch daraus sollte letztendlich nichts werden).
"In Their Image" ("In ihrem Ebenbild") sollte die Geschichte von drei Cyberdroiden erzählen, die nach Babylon 5 kommen. Die meisten Cyberdroiden wurden, nachdem sie ein Bewusstsein erlangten, und für die Menschen nicht mehr die Sklavenarbeit verrichten, sondern ihren eigenen Weg bestimmen wollten, ausgelöscht. Die besagten drei zählen zu den wenigen, letzten Überlebenden. Auf Babylon 5 hoffen sie, ihren Schöpfer zu finden, um ihn zu bitten, neue Cyberdroiden zu erschaffen – obwohl dies mittlerweile streng verboten ist. In "Debt of Honor" ("Ehrenschuld") hätte G'Kar erfahren, dass ein Schiff vom Narn-Heimatplaneten auf dem Weg zur Station ist, welches von einem Captain gesteuert wird, der einen Groll gegen ihn hegt. G'Kar hätte daraufhin versucht, vor ihm zu fliehen, und wäre schließlich – in Begleitung von Garibaldi, der sich an seine Fersen heftete –irgendwo im All gestrandet, wo die beiden widerwillig zusammenarbeiten hätten müssen, um wieder nach Hause zu gelangen. Im Entwurf zu "The Resurrectionist" ("Der Wiederbeleber") zeigen sich Anleihen von "Die Heilerin": Ein Hochstapler kommt auf die Station, und behauptet, Tote wieder zum Leben erwecken zu können. Garibaldi ist mit ihm schon öfter zusammengekracht, und kennt seine Masche, doch solange er kein Gesetz bricht, sind ihm die Hände gebunden. Als sich eine junge Mutter an ihn mit der Bitte wendet, ihr im Sterben liegendes Baby zu heilen, ist er zum ersten Mal wahrhaftig und tief berührt – und schafft es schließlich tatsächlich, das Kind zu retten. Es ist das erste Mal, dass er etwas Anständiges in seinem Leben getan hat – wofür er jedoch einen hohen persönlichen Preis bezahlt.
In "Target Unknown" ("Ziel Unbekannt") hätte man einen Mann bewusstlos in einem Ein-Mann-Raumschiff gefunden und nach Babylon 5 gebracht. Dort hätte sich herausgestellt, dass er quasi eine lebende Bombe ist; wird in seiner Nähe ein bestimmter Satz ausgesprochen, wird er explodieren. Man weiß weder, wer ihn geschickt hat, noch, wer das Ziel ist. Das Entfernen der Bombe würde ihn töten. Nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hat, flieht er aus dem Medlab, in der verzweifelten Hoffnung, herauszufinden, wer ihm das angetan hat, und sein Leben zu retten. Da er jedoch eine Gefahr für die gesamte Station darstellt, muss er um jeden Preis wieder festgenommen werden. Für die zweite Staffel gab es ebenfalls noch ein paar nie umgesetzte Ideen. Besonders erwähnenswert erscheint mir "The Customer Is Always Right" ("Der Kunde hat immer recht"), in dem es um ein Holo-Bordell –ErotiSystems genannt – gegangen wäre, welches nicht nur bei verschiedenen Interessengruppen und einem Mann der einen anderen verklagen will weil er dort simulierten Sex mit seiner Freundin hatte, sondern vor allem auch bei Ivanova für Ärger sorgt – nämlich als sie erfährt, dass sie das beliebteste "Programm" ist. Spannend ist die Idee vor allem im Hinblick auf "Der Fluss der Seelen", wo einiges davon dann als B-Story (dort dann mit Lochley als beliebtes Modell) eingeflossen ist. In "Rites of Passage" ("Riten des Übergangs") hätte es Keffer nach einer Fehlfunktion seines Navigationssystems bei einem falschen Hyperraum-Sprungtor – und mitten in den Krieg zwischen zwei verfeindeten Völkern – verschlagen. Eine der beiden Seiten hätte ihn gefangen genommen, und aufgrund des Verdachts, er sei ein Söldner für die Gegenseite, zum Tode verurteilt –was wiederum Sheridan und Garibaldi auf den Plan gerufen hätte, um ihn zu retten.
"The Very Long Night of Susan Ivanova" ("Die sehr lange Nacht der Susan Ivanova") hätte einerseits erzählt, wie der Krieg zwischen den Narn und den Centauri ausbricht (siehe "Schatten am Horizont"), während in der B-Story der Gründer der Babylon-Stationen an Bord gekommen wäre. Dieser ist Pazifist, und ist betrübt, zu sehen, wie sein Traum eines Orts des Friedens zu platzen droht. Am Ende ist es dann allerdings er, der G'Kar als einziger unterstützt, und zur Heimatwelt der Narn fliegt, in der Hoffnung, zwischen ihnen und den Centauri vermitteln zu können. In der – titelspendenden – C-Story rund um Ivanova hätte diese, nachdem sie von Sheridan in den Urlaub geschickt wird, eine ruhelose Nacht erlebt, in der sie von einem Schlamassel ins Nächste gerät – und im Vergleich dazu ihr nächster Tag bei der Arbeit wie Erholung wirkt. Schließlich: In "A Dream Within A Dream" ("Ein Traum innerhalb eines Traums") hätte sich G'Kar aufgrund einer Erkrankung in ein heilendes Koma begeben. Dort hätte er einen Traum erlebt, der eine Metapher für den Kampf seines Körpers gegen die Krankheit gewesen wäre. Der Hauptanreiz der Episode wäre im Rollentausch der Schauspieler gelegen: G'Kar wäre als Captain Jack Carr (natürlich gespielt von Andreas Katsulas, nur halt eben ohne Maske) in Aktion getreten, mit Commander Dylan (Mira Furlan) als seine erste Offizierin, und Len (Peter Jurasik) als sein Sicherheitsoffizier. Zusammen mit den Botschaftern Sherdinn (Bruce Boxleitner) von den Minbari, S'san (Claudia Christian) von den Narn, und Garbaldo (Jerry Doyle) von den Centauri hätte er das Rätsel rund um den Traum – bei dem Kosh (die einzige Person, die im Traum und der Realität identisch gewesen wäre) wohl eine große Rolle zugekommen wäre (was wiederum Erinnerungen an "Der Selbstversuch" wachruft) – lösen und so auch sein Leben retten müssen.
Vermeintlich das einzige fertiggestellte, unverfilmte und zugleich nie offiziell irgendwo veröffentlichte Drehbuch zu "Babylon 5" stammt von Peter David und Bill Mumy – die in weiterer Folge bei "Space Cases" zusammenarbeiten sollten, wo sie dann eben auch die Antwort auf den von Sheridan in "Minbari lügen nicht" ins All geschleuderten Teddybären lieferten (siehe Teil 3 dieser Artikelserie). Bei "Gut Reactions" ("Bauchgefühle") handelt es sich um ein sogenanntes Spec Script – also ein Drehbuch, dass man ohne Auftrag schreibt und einsendet, in der Hoffnung, dass es gekauft wird – dass die beiden für die fünfte Staffel (vermeintlich irgendwo im mittleren Drittel) geschrieben haben. Darin wird bei Sheridan ein Magengeschwür diagnostiziert. Er bekommt Medikamente, und soll sich schonen. Letzteres klappt jedoch nicht so wirklich, vielmehr muss er sich mit lästigen Anfragen verschiedenster Botschafter herumschlagen, wie z.B. wenn er versucht, zwischen zwei Parteien zu vermitteln, die wegen gerade mal zwei Metern bei der Grenzfestlegung zwischen ihren Reichen streiten. Die Abbai wiederum bitten ihn darum, an einem Empfang teilzunehmen, wo er fünf Stunden nur herumstehen würde, ehe er eine aus vier Wörtern bestehende Rede hält. Er lehnt ab – was er schließlich bereut, als es beim Empfang zu einem Zwischenfall kommt, bei dem der Abbai-Botschafter ermordet wird.
Während Zack Allen die Ermittlungen aufnimmt, schlagen sich Londo und Vir mit Sapano Bincin herum – der von den Centauri-Regierung als Nachfolger von Londo in seiner Rolle als Botschafter auf Babylon 5 gedacht ist. Sapano trägt dabei einige Züge des Londo Mollari, so wie wir ihn im Pilotfilm und den ersten zwei Staffeln kennengelernt haben. Im dritten Handlungsstrang wird ein White Star-Schiff losgeschickt, um zu untersuchen, wer hinter den jüngsten Angriffen auf Schiffe der Brakiri steckt. Es gelingt ihnen zwar, die Attacke auf einen Frachter zu vereiteln, doch die Identität der Angreifer bleibt unbekannt. Nur die Zuschauer erfahren am Ende, dass die Centauri dahinterstecken, um Unruhe in der Allianz zu stiften. Auf Babylon 5 wiederum stellt sich heraus, dass der Abbai-Botschafter von einem anderen Abbai ermordet wurde – bei dem es sich um einen Mitverschwörer von Sapano handelt. Beim abschließenden Kampf bekommt Sheridan einen Schlag in die Magengrube ab – was der Heilung seines Magengeschwürs alles andere als zuträglich ist. Der in Ungnade gefallene Sapano muss zur Heimatwelt zurückkehren, und Londo ernennt Vir offiziell als seinen Nachfolger als Botschafter auf Babylon 5. Soweit zu den nicht umgesetzten Story-Entwürfen und/oder Drehbüchern zu den ersten fünf Staffeln. Abschließend sei jedoch im Hinblick auf den Titel dieses Artikels – "Wie Babylon 5 (auch) hätte sein können" – darauf hingewiesen, dass es natürlich auch bei jenen Drehbüchern, die gedreht wurden, teilweise einige interessante Unterschiede zwischen dem Skript und der fertigen Folge gibt. Dies gilt insbesondere für den Pilotfilm; aber auch bei einigen Episoden der ersten (wie z.B. "Der Selenjäger") und zweiten (insbesondere "Die Feuerprobe") Staffel, gibt es ein paar spannende Abweichungen. Mit dem Verlauf der Serie nahmen jedoch dann auch die Unterschiede zwischen Drehbüchern und fertigen Episoden zunehmend ab. Falls ihr euch für dieses Thema interessiert, erlaube ich mir, euch an dieser Stelle auf unseren ausführlichen Guide zu "Babylon 5" zu verweisen, wo ich eben diese Abweichungen – so vorhanden – in den Hintergründen zur Produktion der jeweiligen Episode beschrieben habe.
Quellen:
"Babylon 5: The Scripts of J. Michael Straczynski – Vol. 1-15" (@ 2005-2008 B5Books.com)
"Babylon 5: Other Voices - Vol. 1-3 (@ 2008 B5Books.com)