Die Entstehung von Babylon 5 - Teil 2: Ein Traum wird Wirklichkeit
Der erste Schritt
Alles beginnt mit einer Idee. Oder, wie im Fall von Babylon 5, mit zwei. Im Sommer 1988 musste JMS, damals für die Neuauflage der SF-Anthologie-Serie "Twilight Zone" tätig, aufgrund eines Streiks der Gewerkschaft der Drehbuchautoren (ein solcher droht übrigens aktuell auch gerade wieder) die Arbeit an der besagten Serie einstellen. Er nutzte diese kreative Pause, um einige andere Ideen für Serien, die schon seit längerem in seinem Kopf herumschwirrten, weiterzuentwickeln. Dabei kristallisierten sich schon bald zwei Favoriten heraus, die ihm besonders interessant erschienen. Eine davon war eine Science Fiction-Serie auf einer Raumstation, der er den vorläufigen Titel "Babylon 5" gab. Diese sollte mit verhältnismäßig kleinem Cast und geringem Budget auskommen. Das Problem: Wie sollte man eine solche, auf einen einzigen Handlungsort und nur wenige Figuren beschränkte Serie auf Dauer interessant gestalten? Die zweite Idee war deutlich gewagter: Eine groß angelegte Weltraumsaga über einen interstellaren Krieg zwischen verschiedenen Spezies, die mehrere Jahre benötigen würde, um sie zu erzählen. Heutzutage wäre dies zwar aufgrund der deutlich höheren Budgets für TV-Serien kein grundsätzliches KO-Kriterium (vorausgesetzt, man findet jemandem, der stark genug an das Projekt glaubt, um es zu finanzieren), Ende der 80er/Anfang der 90er wäre eine solche groß angelegte Serie aber undenkbar gewesen. Die Lösung für dieses Dilemma sollte sich JMS dann schließlich offenbaren, als er eines Morgens in der Dusche stand (im Allgemeinen wohl grundsätzlich nicht der erste Ort, an dem man mit einer solchen Erleuchtung rechnen würde – für JMS aber tatsächlich nicht ungewöhnlich; wann auch immer er sowohl davor als auch danach kreativ in der Sackgasse steckte, schlief er gerne mal eine Nacht darüber, woraufhin ihm sich dann am nächsten Morgen in der Dusche nicht selten die Lösung für das Problem offenbarte): Denn als er dort über die angesprochenen Probleme der beiden Serienkonzepte nachdachte, erkannte er auf einmal, dass es sich dabei um ein und dieselbe Geschichte handelt. Plötzlich sah JMS, wie von einem Blitz getroffen, das Grundgerüst der Story vor sich, und stürmte – ohne sich mit unwesentlichen Details wie sich abzutrocknen aufzuhalten – aus der Dusche, um die wesentlichen Eckpfeiler des fünfjährigen Handlungsrahmens aufzuschreiben. Eben dieser Moment der Erkenntnis war die Geburtsstunde von "Babylon 5".
Die Zukunft nimmt Gestalt an
JMS' nach der Dusche schnell hingekritzelten Notizen nahmen insgesamt zehn Seiten ein, waren aber natürlich keineswegs dazu geeignet, die Serie auch anderen zu präsentieren und einen Sender zu finden, der sie ausstrahlen will. Doch bevor JMS die Idee weiterverfolgen und ausfeilen konnte, endete der Drehbuchautorenstreik, und es galt, so schnell als möglich neues Material für " New Twilight Zone" zu schreiben. Und so musste er sein Serienkonzept vorerst wieder auf Eis legen. Trotzdem verwendete er fast jede freie Minute darauf, weiter an "Babylon 5" zu feilen, und schon bald hatte er seine Ideen ausreichend ausformuliert und strukturiert, um sie an andere Personen heranzutragen, und zu sehen, inwiefern daran Interesse besteht. Seine erste Anlaufstelle dafür waren Douglas Netter und John Copeland, welche die kurzlebige Science Fiction-Serie "Captain Power and the Soldiers of Fortune" produziert hatten, bei der JMS als Drehbuchautor und Story Editor tätig war. JMS war mit besagter Serie selbst nicht sonderlich glücklich, die von Zwischenrufen seitens des Spielzeugfabrikanten Mattel geplagt war, und sich 22 Folgen lang nicht zwischen Kinderserie und ernsthafte Science Fiction-Unterhaltung für Erwachsene entscheiden konnte – aber bereits über etwas verfügte, dass schließlich zum größten Markenzeichen von "Babylon 5" werden sollte, nämlich einen Handlungsrahmen (wenn auch in deutlich rudimentärerer Form). Doch JMS war davon überzeugt, dass sich eine Science Fiction-Serie nicht auf solch einem Niveau bewegen müsste – er wollte ein Charakterdrama schaffen, das halt zufällig in einer SF-Umgebung angesiedelt ist.
Eben dieses Konzept gefiel den beiden Produzenten sehr gut. Neben dem groß angelegten Handlungsrahmen überzeugte sie vor allem die Idee, die Geschichte auf einer Raumstation anzusiedeln – was im Vergleich zu einer Serie, wo Woche für Woche ein neuer Planet besucht wird, natürlich entsprechende Kosteneinsparungen mit sich bringen würde. Sofort erklärten sie sich dazu bereit, als ausführende Produzenten zu fungieren. Sie rieten JMS, ein Drehbuch zu einem sogenannten "Backdoor"-Pilotfilm zu schreiben, bei dem dessen Ratings darüber entscheiden, ob diesem eine Serie nachfolgt oder nicht. Zudem boten sie an, JMS dabei zu unterstützen, einen Käufer für die Serie zu finden – ein Prozess, der sich jedoch als deutlich schwieriger und langwieriger erweisen sollte, als es sich alle Beteiligten je hätten träumen lassen. Der erste Entwurf des Drehbuchs zum zweistündigen Pilotfilm wurde von JMS am 26. März 1989 fertig gestellt. Die offizielle Ankündigung, dass der Pilotfilm in Produktion gehen würde, kam am 20. November 1991. Die 2-1/2 Jahre dazwischen waren geprägt von schweren Verhandlungen, vielen Gesprächen, zahlreichen Ablehnungen und auch dem einen oder anderen gerissenen Geduldsfaden. Ein langer, steiniger Weg, der oftmals nur mehr wegen JMS' sturer Überzeugung weiterbeschritten wurde – und wo er und seine Mitstreiter immer wieder vor den drei gleichen Hürden standen.
Unendliche Einfalt in unendlichen Variationen
Der erste große Stolperstein beim Versuch, "Babylon 5" an ein TV-Studio zu verkaufen, war das Konzept an sich, bzw. das mangelnde Vorstellungsvermögen jener, denen er dieses präsentierte. Denn damals wie heute werden die Entscheidungen in Hollywood nicht von den kreativen Köpfen getroffen, sondern von den viel gescholtenen "Suits", also den Geschäftsleuten ("Anzugträgern"), denen es in erster Linie darum geht, aus einer Serie (oder einem Film) Profit zu schlagen. Eben diese hatten oftmals Schwierigkeiten, die Idee einer so großen Raumstation zu begreifen. Wann immer JMS das Wort "Raumstation" in den Mund nahm, dachten sie unweigerlich an die damalige russische Raumstation MIR, die im Vergleich zu "Babylon 5" nichts anderes ist als eine Tonne im Weltall. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen und den Geschäftsleuten ein besseres Bild davon vermitteln zu können, was genau er sich unter dieser Raumstation mit dem ominösen Namen "Babylon 5" vorstellte, beauftragte JMS den Designer Peter Ledger, der daraufhin einige Entwürfe für ihn anfertigte. Diese zeigten nicht nur eine erste Version des Babylon 5-Logos und einige der Figuren, sondern vor allem auch die Station selbst – sowohl von außen als auch von innen. Leider jedoch waren selbst diese netten Bilder nicht immer ein Garant dafür, dass die Anzugträger die Idee dahinter behirnten. Als Beweis dient vor allem eine Geschichte, die von JMS schon vielerorts erzählt wurde – und die ein gutes Bild davon abgibt, mit welcher Ignoranz er sich teilweise herumschlagen musste: Nachdem man bereits minutenlang über das Konzept der Station, die künstliche Schwerkraft etc. gesprochen hatte und JMS sein bestes tat, um die Idee und die Technik dahinter zu erklären, meldete sich plötzlich einer der Männer zu Wort. Sein Blick fiel gerade auf jenes Bild, das das Innere der Station zeigt, und auf die Menschen, welche die Station bevölkern – und sich im Innern über 360° verteilen. "Was hält sie da oben?", fragte der Mann. JMS, zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich genervt, rutschte daraufhin folgende Antwort heraus: "Superkleber". Nun sollte man meinen, der Geschäftsmann hätte ihn daraufhin erzürnt dazu aufgefordert, den Raum zu verlassen und sich nie wieder blicken zu lassen, stattdessen wendete er ernsthaft ein: "Na, das kann aber nicht funktionieren. Wie sollen sie sich denn bewegen, wenn sie alle an der Decke festgeklebt sind?" Ich denke, es erübrigt sich zu erwähnen, dass auch dieser Termin nicht den erhofften Erfolg brachte.
Eine Frage des Geldes
Dass einige der Studiobosse selbst wenn sie die Bilder sahen das Konzept teilweise nicht begreifen konnten, war ein Problem – und wenn sie es begreifen konnten, führte das gleich unmittelbar zum nächsten. Denn jeder, der diese opulenten Bilder der Raumstation, ihres Innenlebens und der Ausstattung sah, musste sich unweigerlich fragen, wie man diese Serie – in der TV-Landschaft der frühen 90er – für ein vernünftiges Budget auf die Beine stellen soll. Hinzu kam noch JMS epischer 5-Jahres-Plan voller Schlachten und Kriege, sowie die Fülle an Haupt- und wiederkehrenden Charakteren, welche die Station bevölkern sollten. So ist es nicht verwunderlich, dass niemand JMS Glauben schenken wollte, als er ihnen diese Bilder zeigte und dieses bis dahin in seiner Komplexität und Größe im amerikanischen Fernsehen beispiellose Konzept vor Augen führte, und dann auch noch die Dreistigkeit hatte zu behaupten, dies alles innerhalb eines vertretbaren Budgetrahmens umsetzen zu können. Denn die Geschichte lehrte den TV-Bossen leider etwas anderes: Gerade SF-Serien waren berüchtigt dafür, ihr Budget regelmäßig zu überziehen. Und auch die Serie "V", die Warner Brothers Television fast eigenhändig in den Ruin getrieben hätte, lag erst wenige Jahre zurück, und war damit allen Studiobossen als abschreckendes Beispiel noch gut in Erinnerung. JMS kannte all diese Einwände, und wusste von Beginn an, dass die Budgetfrage einer der größten Stolpersteine auf dem Weg zur Verwirklichung von "Babylon 5" werden würde. Auch er kannte natürlich den schlechten Ruf von SF-Serien und die zahlreichen Fälle, in denen von sich selbst überzeugte Produzenten vor die Sender traten und ihnen versicherten, diese groß angelegte Serie produzieren zu können, ohne das vorgesehene Budget zu überschreiten – und dies dann nicht einzuhalten. Trotzdem war sich JMS sicher, dass es auch einen anderen Weg geben müsse.
Seine Erfahrung im TV-Geschäft hatte ihm aufgezeigt, dass viele dieser Budgetüberschreitungen auf mangelnde Planung und Vorbereitung zurückzuführen war. Hauptverursacher war hier zumeist ein viel zu spät eintreffendes (oder im schlimmsten Fall sogar noch während der Dreharbeiten laufend umgeschriebenes) Drehbuch, was dazu führte, dass sämtliche Abteilungen – Setgestalter, Kostümbildner, Casting, Darsteller usw. – unter Zugzwang kamen, und die jeweilige Produktion dann entweder den dafür vorgesehenen Zeitrahmen überschritt, oder aber viele Überstunden anfielen; was beides den ursprünglich vorgesehenen Kostenrahmen unweigerlich sprengt. Eben diesem Problem wollte JMS durch eine sorgfältige Planung im Vorfeld – und vor allem: Drehbüchern, die konstant zwei bis drei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten fertiggestellt sind – einen Riegel vorschieben. Auch die Idee, die Handlung auf einer Raumstation anzusiedeln, sollte dazu beitragen, dass die Serie mit vertretbarem Budget produziert werden kann; denn da man nicht Woche für Woche einen neuen Planeten besuchen wollte, mussten auch nicht ständig neue Sets produziert werden. Das letzte Ass im Ärmel waren dann schließlich die computergenerierten Effekte, mit denen JMS bereits bei "Captain Power" Erfahrung sammeln konnte. Diese steckten zwar erst in den Kinderschuhen und waren Ende der 80er noch keinesfalls so weit, um für einen vernünftigen Preis groß angelegte Effekte fürs Kino zu erschaffen, doch JMS war davon überzeugt, dass die Technologie für den Einsatz am TV-Schirm, wo im Vergleich zur Kinoleinwand natürlich eine viel geringere Auflösung benötigt wird, bereit war. Eine Person, die diese Ansicht teilte, war Ron Thornton, Chef der Firma "Foundation Imaging", die auch bereits die Effekte zu "Captain Power" beigesteuert hatte. Dieser setzte sich hinter seinen Amiga mit angeschlossenem Videotoaster und animierte mit Hilfe des Programms Lightwave 3D eine 30-sekündige Sequenz mit der fertigen Station, die selbst JMS Erwartungen bei weitem übertraf. Und obwohl es sich bei CGI um eine noch relativ neue Technologie handelte, die noch in den Kinderschuhen steckte, war es entschieden billiger, die Effekte auf diese Art und Weise zu produzieren, als auf die gute alte Methode mit Modellen, Kameras etc. zurückzugreifen. Mit seinem Kosteneinsparungskonzept und den CGI-Effekten im Gepäck, konnte JMS zumindest einige Bedenken bezüglich des Budgets zerstreuen – doch damit verblieb immer noch ein großer Stolperstein, der sich fast als unüberwindbare Hürde erwiesen hätte.
Der Weltraum, endliche Weiten…
"Gäbe es 'Star Trek' nicht, hätte es auch 'Babylon 5' nie gegeben." Diesen Satz musste sich JMS während der Produktion der Serie immer wieder anhören, und auch wenn darin ein Körnchen Wahrheit stecken mag, so war "Star Trek" für JMS ein großer und immerwährender Stolperstein beim Versuch, sein Konzept von "Babylon 5" an den Mann zu bringen. Für ihn stellte es sich also ganz anders dar, denn lange Zeit sah es so aus, als würde es "Babylon 5" vielmehr wegen "Star Trek" nie geben. Denn in den Jahren seit der Original-Serie hatte sich in den Köpfen der Studiobosse die Überzeugung festgesetzt, dass Science Fiction im Fernsehen nur dann (langfristig) erfolgreich sein kann, wenn es "Star Trek" im Titel trägt. Die Original-Serie mag zwar nach 3 Staffeln abgesetzt worden sein, war aber in den zahlreichen Wiederholungen ein voller Erfolg, und erreichte schnell Kultstatus. Und auch das späte Spinoff "The Next Generation" schlug sich überaus erfolgreich. Doch von diesen abgesehen, sah es lange Zeit im Fernsehen düster aus für das Genre. 95 % der SF-Serien wurden nach der zweiten Staffel abgesetzt, nur eine ("Zurück in die Vergangenheit"; und bei der beschränkten sich die SF-Elemente auf die erste und die letzte Minute jeder Folge) kam über drei hinaus, die Mehrheit musste sich sogar nur mit einer einzigen zufriedengeben. Ein kleiner Auszug der gescheiterten Serien: "Alien Nation", "Buck Rodgers", "Captain Power", "Kampfstern Galactica", "Logan's Run", "Otherworld", "Planet of the Apes", "Space: 1999", "Salvage: 1", "The Invaders", "The Lost Saucer", "The New Twilight Zone", "The Starlost", "UFO", "War of the Worlds" und das bereits angesprochene "V". All diese Serien scheiterten entweder an mangelndem Zuschauerinteresse, oder an Budgetproblemen – oder beidem.
Viele dieser Probleme waren auch hausgemacht. So fehlte es manchen der Produzenten dieser Serien am nötigen Respekt gegenüber dem Genre bzw. dessen Fans. JMS selbst wunderte sich immer wieder über Aussagen, die im Endeffekt darauf hinausliefen: Zeige den SF-Fans Strahlenpistolen, Raumschiffe und Roboter, und sie sind glücklich. Die Handlung muss nicht anspruchsvoll sein und auch nicht Sinn ergeben – bei Science Fiction ist ja ohnehin alles möglich. Eine Fehleinschätzung, die dazu führte, dass viele Fans der jeweiligen Serie rasch den Rücken kehrten; für die TV-Bosse waren all diese Fälle letztendlich aber nur weitere Belege dafür, dass Science Fiction Nischenunterhaltung ist, deren eingeschränkter Zuschauerkreis durch "Star Trek" bereits ausreichend bedient sei. Und so tingelten JMS, Doug Netter und John Copeland mit ihrem Konzept einer neuen, groß angelegten Weltraumserie mit den Titel "Babylon 5" von Studio zu Studio, versuchten sie davon zu überzeugen, dass sie es anders und besser machen würden als die Leute zuvor, und dass der mangelnde Erfolg von Science Fiction im Fernsehen abseits von "Star Trek" nicht an den Fans, sondern an den Serien an sich liegt. Lange Zeit war eben dies vergeblich. Die lange Liste der Fernsehsender bzw. Fernsehstudios, die ihnen eine Absage erteilten, umfasst unter anderem ABC, HBO, CBS, Fox und auch die Star Trek-Heimat Paramount. Danach wurde JMS von seinem Agenten förmlich angefleht, sich von dieser fixen Idee zu trennen, hätte er doch in der Zwischenzeit schon locker 3 Mainstream-Serien verkaufen können, doch JMS bliebt hart. Eine Sturheit, die sich zuletzt doch noch bezahlt machen sollte.
Die unter Schmerzen geborene Zukunft
Anfang der 90er war der US-TV-Markt – noch lange vor dem digitalen Zeitalter – in einem kleinen Umbruch begriffen. So wie in Deutschland gab es natürlich auch in Amerika nur eine begrenzte Anzahl an Sendefrequenzen. Einige davon wurden von den großen, bundesweit empfangbaren TV-Sendern (die sich dieses Privileg teuer erkaufen mussten) bespielt, andere lokal vergeben. Mitte der 80er hatte man bei Fox dann schließlich die Idee, einige der lokalen Sender zum Fox Network zu vereinen, wo zumindest teilweise das identische Programm gespielt wurde. Nun wollten Warner diesem Beispiel folgen, und unter dem Namen PTEN (Prime Time Entertainment Network) ein eigenes Bündnis von Lokalsendern gründen – und eben dafür brauchte man nun ein Programm. Eben dafür lud man zahlreiche Serienmacher zu Terminen ein, in denen sie ihre jeweiligen Konzepte vorstellen konnten. Dadurch ergab sich auch für JMS die Gelegenheit, einen weiteren – möglicherweise letzten – Versuch zu unternehmen, "Babylon 5" doch noch an einen Sender zu verkaufen. Im ersten Moment schien er dabei großes Glück zu haben, konnte er doch zusammen mit Doug Netter und John Copeland den allerersten Termin dieser intensiven "pitch"-Woche ergattern – beste Voraussetzungen also, da die Teilnehmer seitens Warner noch frisch und ausgeruht waren, und nicht schon unzählige andere Vorträge gehört hatten. Ein schmerzhaftes Missgeschick sollte dann jedoch dazu führen, dass JMS den Termin fast nicht hätte wahrnehmen können: Denn während er zusammen mit seinen beiden Mitstreitern darauf wartete, ins Meeting gerufen zu werden, knirschte er vor lauter Anspannung mit den Zähnen – worauf einer seiner Backenzähne genau in der Mitte, und längsseitig, brach. Netter und Copeland erkannten sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist, und drängten ihn, sofort einen Zahnarzt aufzusuchen; es gäbe auch am Ende der Woche noch einen Termin, den man wahrnehmen könnte. Dann hätten allerdings die Verantwortlichen schon zahlreiche andere Konzepte kennengelernt.
Da sich JMS diese möglicherweise letzte Chance nicht entgehen lassen sollte, biss er – diesmal nur im sprichwörtlichen Sinne – die Zähne zusammen, und packte ein paar Eiswürfel in seinen Mund, um die Schmerzen zumindest ein bisschen zu dämpfen. Das Eis führte dann zwar dazu, dass Mund und Zunge teilweise taub wurden, weshalb er sich dem versammelten Team nur schwer verständlich machen konnte. Letztendlich sollten sich die jahrelange Vorbereitung, die Erfahrung aus den ganzen früheren (vergeblichen) Meetings, die Konzeptzeichnungen von Peter Ledger, die 30-sekündige CGI-Demo von Ron Thornton, das angedachte Produktionsmodell, die Tatsache, wie weit fortgeschritten die Planung zur Serie im Vergleich zu anderen "pitches" war (lagen doch schon ein Pilotfilm und eine grobe Fünfjahresplanung vor) und eben auch JMS Sturheit und Einsatz (gerade auch im Hinblick auf den gebrochenen Zahn) doch noch auszahlen. Wohl nicht zuletzt auch deshalb, als sich unter den Anwesenden auch eine Person befand, die an der gescheiterten "V"-Serie beteiligt war, und erkannte, dass JMS sich für viele der Probleme, welche diese Produktion plagten und zur Kostenexplosion und schließlich auch der Absetzung führten, vernünftige Lösungen überlegt hatte. Und so wurde von Warner/PTEN die Produktion des Pilotfilms mit dem Titel "Die Zusammenkunft" offiziell in Auftrag gegeben, und "Babylon 5" dazu auserkoren, neben der – kurzlebigen und damit die Vorurteile gegenüber Science Fiction-Serien abseits von "Star Trek" eben doch wieder bestätigenden – Zeitreise-Serie "Time Trax" die Speerspitze des Unterhaltungsprogramms dieser Vereinigung von Lokalsendern zu bilden. "Babylon 5", der langgehegte Traum, schien endlich Wirklichkeit zu werden. Bis eine Hiobsbotschaft aus dem Hause Paramount fast doch noch das Ende der Geschichte von "Babylon 5" bedeutet hätte, bevor diese so richtig begonnen hat.
Das Imperium schlägt zurück
Vorab: Was genau Anfang der 90er da im Hinblick auf Paramount, "Babylon 5" und "Deep Space Nine" passiert ist, werden wir wohl nie wissen. Ich versuche hier, ausgehend von verschiedenen Quellen und Aussagen ein so umfassendes Bild wie möglich zu zeichnen, meine Hand dafür ins Feuer legen, dass all dies 100%ig zutreffend ist, kann ich aber nicht. Glaubt man jedoch den diversen Aussagen von JMS, seinen Weggefährten, aber auch unabhängigen Leuten, die sich seither zu Wort gemeldet haben (wo man jedoch den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen als Außenstehender natürlich nicht überprüfen kann), so sollte sich das Ganze in etwa so zugetragen haben: Ursprünglich wollten Warner und Paramount eigentlich einen gemeinsamen Zusammenschluss an Lokalsendern gründen, um dem Fox Network damit Konkurrenz zu machen. Im letzten Moment beschloss man bei Paramount dann jedoch einen Alleingang, und gründete UPN (United Paramount Network). Daraufhin schloss man sich bei Warner mit Chris-Craft Industries zusammen, um wiederum PTEN ins Leben zu rufen. Als man dort dann "Babylon 5" als eine der Speerspitzen des Programms ankündigte, schlug Paramount – dem, und das ist von allen Seiten unbestritten, die ursprüngliche Fassung des B5-Pilotfilms vorlag – zurück. JMS' Ehefrau Kathryn M. Drennan arbeitete zu diesem Zeitpunkt für "The Next Generation", und wurde selbst Zeugin, wie eines Tages ein Meeting einberufen wurde, um die neue Ablegerserie "Deep Space Nine" zu besprechen. Sobald sie das Wort Raumstation hörte, erwähnte sie von sich aus ihren Interessenkonflikt im Hinblick auf ihre Ehe mit JMS, und zog sich aus dem Projekt zurück. In jedem Fall sind die Ähnlichkeiten zwischen den Pilotfilmen von "Babylon 5" und "Deep Space Nine" (ursprünglich als "Deep Space IX" angekündigt) unübersehbar: Angefangen beim Konzept einer Raumstation in der Nähe eines Sprungtors/Wurmlochs, über Elemente wie den Commander, der von einer großen Schlacht traumatisiert ist, seine temperamentvoll-streitsüchtige (weibliche) Stellvertreterin, den Konflikt zweier Völker, von denen einen das andere bis vor kurzem noch unterdrückt hatte (Narn/Centauri bzw. Bajoraner/Cardassianer), die gewichtige Rolle, die ein Gestaltwandler im Geschehen spielt (in der ursprünglichen Fassung des B5-Pilotfilms gab es nämlich noch kein Holonetz), bis hin zur Szene, wo die Station "vom Kurs abkommt", und wieder in Position gebracht werden muss.
Auch Warner waren die Ähnlichkeiten nur allzu bewusst. Kurz stand sogar eine Klage im Raum, allerdings warnte man JMS davor, dass sich ein solcher Prozess rund um einen Plagiatsvorwurf Jahre hinziehen, und dabei zumindest das vorläufige Ende für beide Projekte bedeuten würde. Angesichts des ungewissen Ausgangs einer solchen Klage, vor allem aber der möglicherweise einmaligen und letzten Gelegenheit, seinen Traum doch noch zu verwirklichen, schluckte JMS schließlich seinen Ärger (und Stolz) hinunter, und beschloss, einfach weiterzumachen. Etwas, dass ihm nicht zuletzt auch deshalb in weiterer Folge nicht gerade leicht gefallen sein dürfte, als die Ähnlichkeiten zwischen beiden Serien nicht beim Pilotfilm aufhörten, sondern sich letztendlich durch die gesamte Serie zogen. So kommt es in beiden zu einem großen Krieg verschiedener Fraktionen, der letztendlich auf die Intervention zweier mächtiger Gruppen (Schatten und Vorlonen auf der einen, Pah-Geister und Propheten auf der anderen Seite) zurückgehen. Mit am Auffälligsten ist aber sicherlich, dass man sich bei "Deep Space Nine" in weiterer Folge zunehmend vom Vorbild einer fortlaufenden Handlung inspirieren ließ (etwas, dass es bei TNG zwar in rudimentärer Form mit einzelnen Storylines auch schon gegeben haben mag, aber eben nie in dieser Intensität). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die kreativen Köpfe hinter DS9 bis heute jegliche Beeinflussung abstreiten – und selbst JMS diese nicht für verantwortlich hält. Er ist jedoch davon überzeugt, dass die Entscheidungsträger über ihnen DS9 ganz bewusst so nah wie möglich an B5 heranführten, um dem Konkurrenten das Wasser abzutragen – wobei es dabei letztendlich weniger um den Wettstreit zwischen "Babylon 5" und "Star Trek", als vielmehr den Networks PTEN und UPN, ging.
Wie auch immer wie Wahrheit (die ja bekanntermaßen ein dreischneidiges Schwert ist) auch aussehen mag, letzten Endes kann man aus Genre-Sicht festhalten: Ende gut, alles gut. Denn auch wenn der Autor dieser Zeilen zugegebenermaßen nie der größte Fan von DS9 war (eben auch – wenn auch bei weitem nicht nur – weil ich finde, dass alles, was DS9 gemacht hat, B5 vorher und vor allem auch besser machte), so bekamen wir letztendlich quasi zwei Science Fiction-Serien zum Preis von einer. Und was auch immer man von der jeweiligen Serie persönlich halten mag, sollten beide in weiterer Folge ihre Fans finden, und von nicht wenigen zu den besten "Science Fiction"-Serien aller Zeiten gezählt werden. So gesehen könnte man sagen, dass in diesem Fall aus dem Wettstreit zweier Parteien letztendlich die Fans als die wahren Sieger hervorgegangen sind. Ehe es so weit war, gab es nun im Hinblick auf "Babylon 5" nun noch eine allerletzte Hürde zu überwinden: Denn so gut Warner/PTEN das Konzept auch gefallen haben mag, so war man doch unsicher, ob JMS und seine Mitstreiter all das, was sie versprochen hatten, auch wirklich würden halten können. Immerhin brachte JMS noch keine nennenswerte Erfahrung als Showrunner mit, war CGI in dieser Dimension fürs Fernsehen eine unbekannte und unsichere Größe, und klang das mit dem Produktionsmodell zwar grundsätzlich gut, aber ob es ihnen auch gelingen würde, es in dieser Form tatsächlich umzusetzen, musste sich halt auch erst weisen. Und so wurde von Warner/PTEN (im Gegensatz zur "Star Trek"-Konkurrenz) nicht sofort eine erste Staffel, sondern erstmal nur ein Pilotfilm in Auftrag gegeben. Dieser blieb innerhalb des Budgets, und sollte die Verantwortlichen sowohl qualitativ (auch was das CGI betrifft) als auch von den Zuschauerzahlen überzeugen. Nun endlich stand der Verwirklichung von JMS' langgehegtem Traum nichts mehr im Weg. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte…
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