FilmRückblick 2022 - Die besten Filme des Jahres: Die Top 10
Countdown zum besten Film des JahresKategorie: DVD & Kino - Autor: Christian Siegel - Datum: Sonntag, 15 Januar 2023
Die besten Filme des Jahres 2022 – Die Top 10
Das beim Verfolgerfeld gesagte gilt auch hier: Die Reihung bitte nicht zu genau nehmen. Solche Listen sind nun mal bis zu einem gewissen Grad immer Momentaufnahmen, und kann sich sowohl die Meinung zu einem Film im Zeitverlauf ändern, als auch man weitere Filme aus dem betreffenden Jahr sehen, wo man sich rückwirkend denkt, dass der in dieser Liste hätte berücksichtigt gehört – oder vielleicht sogar alle anderen übertrifft. Nach aktuellem Stand sind die nachfolgenden zehn Filme aber die besten, die mir im Jahr 2022 untergekommen sind:
Platz 10: The Northman
Die Filme von Robert Eggers sind für mich ein bisschen ein Phänomen. Alle drei (Lang-)Filme von ihm konnten mir jeweils sehr gut gefallen, allerdings: Meine Motivation, sie mir nochmal anzusehen, hält sich in sehr argen Grenzen. Am ehesten würde mich wohl "The Witch" nochmal reizen; nicht zuletzt dank der (damals schon auffälligen) Performance von Anya-Taylor Joy (die nun auch bei "The Northman" wieder mitmischt), sowie der starken letzten Szene. "The Lighthouse" hingegen hat mich zwar echt mitgerissen und mit seiner unheimlichen Stimmung ebenso in Beschlag genommen, wie der bestechenden Schwarz/Weiß-Optik, aber nochmal ansehen? Ich weiß nicht. Und mit "The Northman" ging es mir jetzt ganz ähnlich: Im Kino selbst hat er mich voll gepackt, und verfolgte ich Amleths streben nach Rache mit großem Interesse. Dabei stachen nicht zuletzt auch die eindrucksvollen Actionmomente mit vielen langen Einstellungen hervor. Auch Alexander Skarsgårds dominante Präsenz trägt viel zum Gelingen des Films bei. Und optisch war er ebenfalls wieder überaus fein. All dies bringt ihm immerhin eine sehr gute Wertung und einen Platz meiner Top 10 ein. Und zweifellos lässt die Tatsache, dass Robert Eggers Filme bis zu einem gewissen Grad (bewusst und absichtlich) anstrengend sind, sie aus der Masse hervorstechen. Es macht mich halt nur zögerlich, sie mir noch einmal anzusehen – und verhindert so wohl auch ein bisschen, dass ich mich in sie so richtig "verliebe". 8/10
Platz 9: Corsage
Dem Vernehmen nach wollte Vicky Krieps nun schon länger einen Film über Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi (oder neuerdings Sisi), drehen. In Marie Kreutzer fand sie schließlich die perfekte Komplizin. Gemeinsam brachten sie mit "Corsage" einen Film auf die Leinwand, der sich als bewusster Gegenentwurf zu Ernst Marischkas verkitschter "Sissi"-Trilogie mit Romy Schneider in der Hauptrolle versteht. Sie zeigen Kaiserin Elisabeth als selbstbewusste junge Frau auf der Suche nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Das titelspendende Korsett dient dabei als Metapher auf gesellschaftliche Zwänge, bzw. die Rolle, in die sie aufgrund ihrer Stellung gedrängt wird – auch wenn diese kaum zu ihrer wahren Natur passt. Dass man es dabei mit der historischen Richtigkeit nicht so genau nimmt, zeigt dabei nicht zuletzt die letzte Szene, die vor allem jene irritieren wird, welche die zuvor bewusst platzierten zeitlichen Anachronismen übersehen haben (oder als Filmfehler abtaten), mit denen eben diesem Finale der Weg geebnet wurde. Aber auch der (moderne) Soundtrack sticht hervor. Vor allem aber besticht "Corsage" mit einer wieder einmal sehr starken Performance von Vicky Krieps in der Hauptrolle, die es aus meiner Sicht allein schon wert ist, sich den Film anzusehen. 8/10
Platz 8: Top Gun: Maverick
Das Box Office 2022 war bestimmt von zwei Filmen, die abseits ihrer Natur als Blockbuster unterschiedlicher kaum sein könnten. Nämlich einerseits der technologisch fortschrittliche, die Künstlichkeit seiner Welt zelebrierende, und wohl doch eher eine jüngere Generation ansprechende "Avatar: The Way of Water". Sowie der bewusst bodenständige und mit möglichst viel Stunts und wenig CGI umgesetzte, auf der Retro-Welle schwimmende und dementsprechend eher eine Generation darüber ansprechende "Top Gun: Maverick". Schon spannend irgendwie. In jedem Fall ist der Platzierung in der Top 10 (im Vergleich zur Nennung von "Avatar: The Way of Water" als meine größte Kinoenttäuschung 2022) zu entnehmen, dass dieser im Vergleich zu James Camerons Konkurrenzprodukt prima funktioniert hat. Und das, obwohl ich eigentlich noch nie der größte Fan des Originals war, und mich mit diesem somit relativ wenig verbindet. Ganz ehrlich: Ich bin mir sicher, die köstliche Parodie "Hot Shots" öfter gesehen zu haben, als die Vorlage. Umso beachtlicher, wie es "Top Gun: Maverick" gelungen ist, selbst bei mir eine Sogwirkung zu entwickeln, und mich mit einer letztendlich wenig innovativen, jedoch perfekt erzählten Story abzuholen. Blockbuster-Kino vom Feinsten! 8/10
Platz 7: Das Wunder
Mit seiner kritischen Haltung zu (Aber)Glauben im Allgemeinen und religiösen Mechanismen und Institutionen im Besonderen lag "Das Wunder" natürlich genau auf meiner Wellenlänge. Basierend auf dem Roman von Emma Donoghue, die vor ein paar Jahren auch die Vorlage für "Raum" geliefert hat, erzählen Sebastián Lelio und Alice Birch die mitreißende Geschichte einer Krankenschwester, die im Irland des Jahres 1862 das vermeintliche Wunder rund um Anna O'Donnell untersuchen soll, die angeblich seit mehreren Wochen kein Essen mehr zu sich genommen hat. Zwar gelingt es ihr schließlich, das vermeintliche Wunder als Betrug zu offenbaren, und Annas Zugang zu Essen abzuschneiden. Als sich daraufhin deren Gesundheitszustand zunehmend verschlechtert, und ihre Familie keine Anstalten macht, einzuschreiten, stellt dies Libs moralisches Gewissen zunehmend auf die Probe. Kann sie dieses junge, unschuldige Mädchen wirklich einfach so sterben lassen? Die zunehmend entstehende Freundschaft zwischen den beiden ist dabei ein wesentlicher Bestandteil des Films. Aber auch die eine oder andere düstere Offenbarung rund um die Familiengeschichte der O'Donnells, sowie die sehr gute Leistung der immer verlässlichen Florence Pugh, zählen zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren des Films. Sicherlich kein Reißer im klassischen Sinne, aber doch ein Film, der es von Anfang bis Ende verstand, mich zu packen. 8/10
Platz 6: Men - Was dich sucht, wird dich finden
Es liegt wohl leider in der Natur der Sache, dass genau jene, bei denen es am Wichtigsten wäre, dass "Men" sie erreicht, ihn wohl schon allein aufgrund der Thematik und/oder der Umsetzung von vornherein auslassen, oder aber als "woke" abtun und damit auch seine Lehre verwerfen werden. Schade ist dies insofern, als Alex Garland hier ein so eigenwilliger wie wichtiger Film gelungen ist, mit dem er aufzeigt, was in diesem Medium möglich ist. Der originelle Zugang, (fast) jede männliche Figur von Rory Kinnear spielen zu lassen, macht die Verbindung zwischen diesen unterschiedlichen Varianten (toxischer) Männlichkeit deutlich, ohne dabei alles davon in einen Topf zu werfen, und/oder als gleichwertig darzustellen. Neben dieser so interessanten wie effektiven Idee, sowie den großartigen schauspielerischen Leistungen von Kinnear und Jesse Buckley, besticht "Men" vor allem auch mit Garlands Inszenierung. Es dominiert von Beginn an ein Gefühl des Unbehagens, welches sich immer wieder mal über Anspannung bis hin zu richtiggehender Furcht steigert. Und auch visuell besticht "Men" mit einigen interessanten Einfällen und schönen Bildern. Wer offen für diese Art der kritischen Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit und Frauenfeindlichkeit ist, findet ihn Alex Garlands "Men - Was dich sucht, wird dich finden" jedenfalls einen so ungewöhnlichen wie lohnenden Thriller. 8/10
Platz 5: Guillermo del Toros Pinocchio
Nach dem unverzeihlich seele nlosen "Realmake" von Disney präsentiert Guillermo del Toro hier eine ungemein düstere Variante der Geschichte rund um die Marionette, die so gern ein echter Junge wäre. Das Ergebnis ist Kinomagie pur, und hätte sich möglicherweise sogar die Höchstwertung (und damit eine deutlich höhere Platzierung) sichern können, hätte man nicht die aus meiner Sicht eigenwillige Entscheidung getroffen, mit Disney nicht einfach nur als Animationsfilm, sondern als Musical in direkte Konkurrenz zu treten. Die Musikeinlagen wirkten auf mich in dieser ansonsten sehr düsteren und erwachsenen Variante aber irgendwie Fehl am Platz. Von diesem Manko abgesehen ist "Guillermo del Toros Pinocchio" aber fantastisch, angefangen von der Story an sich (die in wesentlichen Punkten von der bekannten Disney-Verfilmung abweicht), dem Design der Figuren, der Stop Motion-Animation, sowie nicht zuletzt der riesigen Portion an Herz (und Melancholie!), die der Film verströmt. Angefangen beim Mitleid, dass man mit Gepetto empfindet, über die Freundschaft zwischen Pinocchio und Candlewick, die im zweiten Weltkrieg auf die Probe gestellt wird, bis hin zu den wiederkehrenden Begegnungen Pinocchios mit dem Tod. Ein starker Gegenentwurf zum unsterblichen Disney-Klassiker, mit dem sich Guillermo del Toro wieder einmal als ein Meister des modernen Märchens beweist. 9/10
Platz 4: Ennio Morricone - Der Maestro
Apropos Meister: Noch vor seinem Tod im Juli 2020 machte sich sein Freund und Weggefährte Giuseppe Tornatore mit der Dokumentation "Ennio Morricone - Der Maestro" daran, dem legendären (Film-)Komponisten ein filmisches Denkmal zu setzen. Ich selbst hatte das Glück, ihn 2x in Wien live zu erleben, und in seinen wunderschönen Kompositionen zu schwelgen. Seine Musik hingegen begleitet mich schon sein ganzes Leben; tatsächlich war die Schallplatte mit seinem Soundtrack zu "Spiel mir das Lied vom Tod" maßgeblich dafür verantwortlich, meine Liebe zur Filmmusik entfachen. Insofern war diese Dokumentation – die ich dank einer Sondervorstellung des Wiener Filmmuseums bereits im Februar 2022 zu Gesicht bekam (noch dazu nur wenige Tage vor meinem Geburtstag) – für mich ein absoluter Pflichttermin. Und sollte es (no na) auch für alle sein, die sich so wie ich für Filmmusik im Allgemeinen und das Werk von Ennio Morricone begeistern. Tornatore widmet sich dabei seinen Anfängen – mit einigen faszinierenden Archivaufnahmen – ebenso, wie seinen berühmtesten Werken, und lässt vor allem neben einen Weggefährten auch den Maestro selbst zu Wort kommen. Das Ergebnis ist mindestens so sehr Verbeugung vor wie Portrait eines der berühmtesten und besten Komponisten der Filmgeschichte. 9/10
Platz 3: Petite Maman - Als wir Kinder waren
"Petite Maman - Als wir Kinder waren" ist zwar nicht unbedingt der Beste, womöglich aber zauberhafteste Film, den Celine Sciamma bislang gedreht hat. Der Film erzählt von einer eigentlich unmöglichen Begegnung der neunjährigen Nellys mit ihrer Mutter, als diese im gleichen Alter wie sie war. Etwas, dass die Phantasie mancher scheinbar überstieg – sprach das Programmheft der Viennale doch davon, dass sich Nelly ihre Mutter ganz offensichtlich nur einbilden würde. Eine Sichtweise, der nicht nur der Film direkt widerspricht, sondern die auch Sciammas offenkundige Intention hinter "Petite Maman" negiert. Denn im Zuge einer solchen, fiktiven Erzählung – eines Filmmärchens, wenn man so will – ist diese Begegnung nämlich eben nicht nur sehr wohl möglich, sie ist noch vor allem auch Sinn und Zweck der Übung. Ihre fantastische Geschichte erlaubt nämlich eine Annäherung zwischen Mutter und Tochter, wie sie im echten Leben – leider – nie möglich wäre. Es ist eine faszinierende Idee, die in weiterer Folge in einige höchst emotionale Momente mündet. Über all dem schwebt dabei die Thematik der Trauer und des Verlustes – da sowohl Nelly als auch Marion den Tod ihrer Großmutter zu verkraften haben. Das Ergebnis ist ein bezaubernder, traumhaft schöner Film – und Kinomagie pur. 9/10
Platz 2: Everything Everywhere All At Once
"Doctor Stange and the Multiverse of Madness" war zwar wirklich gut – letztendlich aber nur der zweitbeste Multiversum-Streifen, der 2022 ins Kino kam. Die betreffende Krone holte sich nämlich vielmehr das unter dem Pseudonym Daniels auftretende Regie-Duo Dan Kwan & Daniel Scheinert, die mit "Everything Everwhere All At Once" ein wahres Feuerwerk an Ideen – und Absurditäten – abliefern. Dabei gelingt es ihnen, wie schon zuvor bei "Swiss Army Man" (rund um Daniel Radcliffe als furzende Leiche, die vom Einsiedler Paul Dano gefunden wird) neuerlich auf so beachtliche wie bestechende Weise, das Absurde mit einer ungeheuren emotionalen Intensität zu verbinden. Als Ergebnis davon bringt einen der Film mal zum Lachen, mal zum Weinen – und manchmal sogar beides zugleich. Im Zentrum steht dabei die angespannte Familiensituation der Wangs, und hier nicht zuletzt der Konflikt zwischen Mutter und Tochter, der dann auch im Zentrum der Multiversen umspannenden Krise steht. Mit großartigen Leistungen von Michelle Yeoh, Stephanie Hsu und Ke Huy Quan, Gastauftritten von (unter anderem) Jamie Lee Curtis, James Hong und Jenny Slate, köstlichen Parodien und Anspielungen, und mehr Ideenreichtum in knapp zweieinhalb Stunden als so manches Filmuniversum im Verlauf von mehreren Filmen zu bieten hat, war "Everything Everywhere All At Once" für mich jedenfalls eines der Kinohighlights 2022 schlechthin. 9/10
Platz 1: Aftersun
"Aftersun" war mein persönlicher Eröffnungsfilm der letztjährigen Viennale. Damit hatte ich das Glück, ihn ein paar Tage oder Wochen zu sehen, bevor der Hype um ihn so richtig Fahrt aufnahm. Zwar glaube ich nicht, dass er mich selbst im Wissen ob all dieses Lobs weniger begeistert hätte – allerdings hat er mich so ziemlich eiskalt erwischt, und dadurch vielleicht doch noch die Spur härter getroffen. In jedem Fall ist "Aftersun" ein großartiger Film, der umso beeindruckender ist, als es sich um das Spielfilmdebüt von Regisseurin und Drehbuchautorin Charlotte Wells handelt. Mit einem gewissen autobiographischen Touch versehen, jedoch letztendlich eine fiktive Geschichte erzählend, geht es in "Aftersun" um den gemeinsamen Urlaub eines jung Vater gewordenen Mannes mit seiner elfjährigen Tochter. Der Film besticht dabei unter anderem damit, wie er auf mehreren verschiedenen Ebenen funktioniert. Auf der einen Seite ist er ein gelungenes und interessantes Coming of Age-Drama, mit Sophie, einem jungen Mädchen, das an der Schwelle zwischen Kind und Jugendlicher steht. Sie ist zwar noch nicht ganz dort, beginnt sich aber zunehmend für die jugendlichen Urlaubsgäste zu interessieren, und in deren Gesellschaft letztendlich schon wohler als im "Kinderbereich".
Auf der anderen Seite haben wir ihren Vater Calum, der von Sophie und ihrer Mutter getrennt lebt, und verzweifelt versucht, eine Bindung zu ihr aufzubauen – während diese sich eben zunehmend für andere Jugendliche interessiert, und dementsprechend von ihm wegbewegt. Letztendlich kratzt all dies jedoch nur an der Oberfläche, und ist der Film so viel mehr als das. Er spielt auf wunderbare Art und Weise damit, wie unsere Erinnerungen funktionieren. Wells baut zudem immer wieder (vermeintlich) alte Camcorderaufnahmen ein. Dann ist da die zweite Zeitebene rund um eine erwachsene Sophie. Vor allem aber erkennt man irgendwann im Verlauf des Films, worauf all das hinausläuft, und warum dieser Urlaub für Calum – und rückblickend auch Sophie – von solch großer Bedeutung ist. Was dann schließlich in der berührendsten Szene mündet, sie ich seit langen im Kino (oder zu Hause) erlebt habe. Da verzeiht man es auch, dass der Film teilweise ein bisschen vor sich hinmäandert, und man darüber diskutieren kann, ob auch wirklich jede der hier gezeigten "Erinnerungen" unbedingt notwendig war. Mich hat "Aftersun" jedenfalls echt enorm beeindruckt, und vor allem ungemein bewegt.
9/10
Wie sieht eure Top 10 des Filmjahres 2022 aus? Ich freue mich über eure Meinung in den Kommentaren!