Kurzinhalt:
Nachdem er einen Diebstahl in Jerusalem aufgeklärt hat, erfährt Hercule Poirot, dass er dringend in London gebraucht wird. Dank seines Freundes Bouc von der Bahngesellschaft gelingt es ihm, ein Quartier im Orient-Express zu ergattern, obwohl die erste Klasse – sehr ungewöhnlich für diese Jahreszeit – voll ausgebucht ist. Während der Fahrt lernt er unweigerlich einige der Passagiere kennen, darunter u.a. Edward Ratchett, der ihn als Personenschützer anheuern will, da er glaubt, dass es jemand auf ihn abgesehen hat. Poirot ist der Gentleman – um den Begriff auf größtmögliche Weise zu dehnen – jedoch höchst unsympathisch, weshalb er sein Angebot ablehnt. Am nächsten Morgen wird der Zug dann mitten in Jugoslawien von einer Schneelawine aufgehalten, welche die Gleise blockiert. Als man die Passagiere darüber informiert, wird Mr. Ratchett tot aufgefunden. Im Lauf der Nacht hat sich jemand in seine Kabine geschlichen, und zwölf Mal mit einem Messer auf ihn eingestochen. Um Boucs Gefallen zu erwidern, versucht Poirot den Fall aufzuklären, bevor die jugoslawische Polizei eintrifft…
Review:
Kenneth Branaghs Neuverfilmung von "Mord im Orient-Express" profitiert davon, dass ich den ersten nicht für ein unantastbares Meisterwerk halte. In erster Linie liegt das an Albert Finney, von dem ich in der Rolle des Hercule Poirot nicht übermäßig begeistert war. Insofern war ich definitiv bereit, Branaghs Interpretation – sowohl des Stoffes, als auch der Figur – eine Chance zu geben. Und möglicherweise liegt es ja genau daran, dass mein Urteil insgesamt etwas milder ausfällt, als das bei vielen anderen der Fall war; auch wenn ich trotz aller individueller Stärken (dazu gleich noch) insgesamt der Erstverfilmung dennoch den Vorzug geben würde. Mit ein Grund hierfür: Ich halte Branagh zwar keinesfalls für einen schlechten Poirot – an Peter Ustinov (oder David Suchet) kommt er für mich aber bei weitem nicht heran. Ich finde ihn aber zumindest knapp besser als Finney, was vor allem an den starken letzten Minuten liegt; auch dazu kommen wir noch. Aber auch als Regisseur macht Kenneth Branagh vieles richtig. Seine Inszenierung hat definitiv Flair, und trumpft mit einigen schönen Bildern, netten Einstellungen und längeren Kamerafahrten (wie z.B. wenn Poirot den Zug betritt, und wir von außen an allen Abteilen vorbeifahren) auf.
Anderes ist ihm deutlich weniger gut gelungen. Hier ist insbesondere der teilweise sehr künstliche Look zu nennen. Branagh setzt hier stark auf CGI und digitale Hintergründe, und das merkt man – und genau dieses bemerken ist das Problem. Ich habe nichts gegen dieses technische Hilfsmittel, wenn es unauffällig bleibt. Hier zieht es leider allzu oft die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich, und reißt einen damit aus der Illusion. Davon, dass sich diese moderne Optik mit dem historischen Setting spießt, ganz zu schweigen. Als sehr unnötig stechen zudem die zwei Actioneinlagen hervor, die man hier eingebaut hat. Keine Ahnung, auf die auf Branaghs Mist gewachsen waren, oder von den Produzenten bzw. dem Studio hineinreklamiert wurden – vermeintlich, weil man dem modernen Publikum nicht zutraute, mal zwei Stunden ohne eine ebensolche im Kino zu sitzen. Es passt nur leider überhaupt nicht zu Poirot, und wirkt extrem aufgesetzt und störend. Das hätte man sich nun echt schenken sollen. Trotz dieser Kritik macht "Mord im Orient-Express" aber – so wie auch das "Original" – einiges richtig. Wie z.B. die Starbesetzung bis in die kleinsten Rollen. Was das betrifft, steht die Neuverfilmung der ersten Fassung in nichts nach, ja übertrifft sie möglicherweise sogar noch. Ein weiteres Plus ist auch die Story, bzw. der Kriminalfall an sich. Sei es das Setup, die Befragungen von Poirot nach dem Mord, bis hin zur Auflösung. Wer das Original gesehen hat, den wird diese natürlich nicht mehr überraschen, wer seine erste Bekanntschaft mit der Materie hingegen mit dieser Neuverfilmung macht, den dürfte diese wohl ähnlich aus den Socken hauen, wie das beim Publikum damals der Fall war. Für mich hat dieser Twist jedenfalls auch in dieser Neuverfilmung nichts an Reiz verloren.
Womit wir auch schon beim größten Plus der Neuverfilmung sind: Im Original überlässt Poirot die Entscheidung, wie sie nun weiter verfahren sollen, ja seinem Freund von der Bahngesellschaft. Hier hingegen ist es Poirot selbst, der die Entscheidung trifft. Dies ist nicht zuletzt auch deshalb relevant, weil "Mord im Orient-Express" deutlich macht, wie sehr ihn die Auflösung erschüttert. Von Beginn an müht sich der Film, uns Poirots sehr binäres Weltbild zu vermitteln: "There is right. There is wrong. There is nothing in between." Was Poirot hier am Ende aufdeckt, fordert dieses Weltbild nicht einfach nur heraus, sondern sprengt es förmlich. Und im Gegensatz zum Original, wo er dies verhältnismäßig mit einem Achselzucken abtat, zeigt man uns hier – sowohl mit Branaghs starkem Schauspiel (womit wir auch beim Grund angelangt wären, warum ich ihn knapp über Finney stellen würde), als auch dank Patrick Doyles gefühlvoller, ja fast schon zärtlicher Musik an dieser Stelle – wie sehr ihn dies erschüttert. Es ist dann auch eben diese Stelle, wo Kenneths Branaghs "Mord im Orient-Express" brilliert – und das Original meilenweit hinter sich lässt. Schade halt, dass ihm dies nicht über die gesamte Laufzeit hinweg geglückt ist.
Fazit:
Es ist jetzt nicht so, dass ich im Fall von "Mord im Orient-Express" überhaupt keinen Sinn in einer Neuverfilmung erkennen könnte. Das Original ist zwar sehr gut, ich halte es aber nicht für ein unantastbares Meisterwerk. Und tatsächlich gibt es einzelne Bereiche, wo Kenneth Branaghs die Erstverfilmung übertrifft. Hier ist in erster Linie das Finale zu nennen, welches hier doch nochmal um einiges stärker wirkt, als dort. Aber auch so manche inszenatorische Spielerei wertet die Neuverfilmung für mich definitiv auf. Und Branaghs Interpretation der Figur ist jener von Albert Finney mindestens ebenbürtig, bzw. in meinen Augen sogar überlegen. Was die 2017-Variante von "Mord im Orient-Express" aber leider deutlich herunterzieht, ist der extrem künstliche Look einiger Szenen. Branagh setzt hier CGI und digitale Hintergründe doch etwas zu großzügig ein. Und auch die beiden Actioneinlagen – offenbar meinte man, dass es in einem modernen Film ohne solche einfach nicht ginge – wirken extrem aufgesetzt und störend. Und so zieht die Neuverfilmung insgesamt gegenüber dem "Original" letztendlich doch knapp den Kürzeren.