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Mord im Orient-Express Drucken E-Mail
Hercule Poirots wohl berühmtester Fall Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Dienstag, 06 Dezember 2022
 
Advent-SPECiAL

 
Mord im Orient-Express
Originaltitel: Murder on the Orient Express
Produktionsland/jahr: UK 1974
Bewertung:
Studio/Verleih: EMI Film Distributors/Paramount Pictures
Regie: Sidney Lumet
Produzenten: John Brabourne & Richard Goodwin
Drehbuch: Paul Dehn, nach dem Roman von Agatha Christie
Filmmusik: Richard Rodney Bennett
Kamera: Geoffrey Unsworth
Schnitt: Anne V. Coates
Genre: Krimi
Kinostart BRD: 06. März 1975
Kinostart UK: 22 November 1974
Laufzeit: 128 Minuten
Altersfreigabe: FSK ab 12
Trailer: YouTube (Englisch)
Kaufen: Blu-Ray, DVD
Mit: Albert Finney, Lauren Bacall, Ingrid Bergman, Sean Connery, Martin Balsam, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, John Gielgud, Wendy Hiller, Anthony Perkins, Vanessa Redgrave, Rachel Roberts, Richard Widmark, Michael York, Colin Blakely, George Coulouris, Denis Quilley, Vernon Dobtcheff u.a.


Kurzinhalt: Im Dezember 1935 muss Hercule Poirot in einer dringlichen Angelegenheit so rasch als möglich zurück nach London. Allerdings ist die erste Klasse des Orient-Express – für diese Zeit ungewöhnlich – ausgebucht. Sein Freund Bianchi – einer der Direktoren der Bahngesellschaft – kann für ihn jedoch die Unterbringung in einem der Crewquartiere organisieren. Am Abend wird Poirot im Speisewagen von einem Mann namens Ratchett angesprochen. Dieser hat den weltberühmten belgischen Privatdetektiv sofort erkannt, und möchte ihn als Personenschutz für die Reise anheuern, da er zuletzt mehrere Todesdrohungen erhalten hat. Doch Poirot ist sein Gegenüber zutiefst unsympathisch, weshalb er dessen Angebot dankend ablehnt. Am nächsten Morgen steckt der Orient-Express mitten in Jugoslawien in einer Schneewehe fest. Als man alle Passagiere darüber informieren will, findet man Ratchett mit zwölf Stichwunden im Leib tot in seiner Kabine vor. Um Bianchis Gefallen zu erwidern, nimmt Hercule Poirot die Ermittlungen auf. Nacheinander befragt er sowohl die Passagiere als auch die Mannschaft des Zuges. Die Spuren des Verbrechens scheinen dabei fünf Jahre in die Vergangenheit zurückreichen, zum Entführungsfall des Kleinkinds Daisy Armstrong, der weltweit für Aufsehen sorgte – und ein tragisches Ende nahm…

Review: Szenenbild. Der sowohl kreative als auch kommerzielle Misserfolg von "Die Morde des Herrn ABC" sollte die bis dahin überaus erfolgreiche Ära der Agatha Christie-Verfilmungen von MGM jäh beenden. Knapp zehn Jahre später wagte sich EMI an einen weiteren Versuch, Christies wohl berühmtesten – jedenfalls aber fleißigsten – Detektiv auf die große Leinwand zu bringen. Das Ergebnis zählt – zu Recht – sowohl zu den berühmtesten als auch besten Agatha Christie-Verfilmungen. Erfreulicherweise war es der "Queen of Crime" vergönnt, diesen Triumpf noch mitzuerleben: Im Alter von 84 Jahren wohnte sie der Premiere in London bei, und zeigte sich sowohl vom Film an sich, als auch Albert Finneys Interpretation von Hercule Poirot höchst begeistert. Was letzteres betrifft, muss ich ihr leider ein bisschen widersprechen – denn Finney ist leider so ziemlich mein einziger Kritikpunkt an dieser Verfilmung. Wobei, das klingt jetzt auch wieder zu hart; er ist ja keinesfalls schlecht, und ich verstehe Christie, dass sie von seiner Interpretation – gerade auch nach dem katastrophalen Tony Randall – begeistert war. Aber wenn man in den darauffolgenden Jahren halt auch Peter Ustinov (sowie, im Fernsehen, David Suchet) in der Rolle erlebt hat, fällt Finneys deutlich weniger charismatische Darstellung halt unweigerlich ab. Mit Ustinov in der Rolle hätte sich "Mord im Orient-Express" wohl um einen Wertungspunkt mehr freuen können.

Was "Mord im Orient-Express" aber in jedem Fall auszeichnet – und in weiterer Folge auch die Blaupause für die weiteren Kino(!)filme mit Peter Ustinov in der Rolle liefern sollte – ist die hochkarätige Starbesetzung. Nicht nur, dass die Fülle an bekannten Gesichtern den Film allein schon aufwertet, ich halte eine solche gerade auch bei Krimis insofern für essentiell, als man so das berüchtigte Gaststar-Syndrom vermeidet. Vor allem Serien leiden unter diesem sehr gerne, da man dort halt meistes nur einen bekannten Gaststar pro Folge auffährt – und zu 99% ist eben der dann halt auch der Mörder. Was auf der einen Seite ja nur logisch ist, weil natürlich gibst du dem bekanntesten Gesicht auch die wichtigste Rolle mit vermeintlich der meisten und interessantesten Interaktion mit dem Ermittler – es macht aber halt die Fälle zumeist extrem vorhersehbar (dies ist übrigens einer der Gründe, warum ich "Columbo" so liebe, da dies dort aufgrund des Konzepts von vornherein kein Thema ist). Mit einer All-Star-Besetzung wie es hier der Fall ist verhinderst du eben diesen Effekt. Das war definitiv eine der größten Errungenschaften, die zumindest ich "Mord im Orient-Express" zuschreiben und dementsprechend hoch anrechnen würde (wobei ich nicht ausschließe, anderen Vorreitern die es letztendlich eigentlich ihm vorgemacht haben, hier unrecht zu tun). Sidney Lumets Inszenierung ist zudem sehr elegant, überzeugt mit einigen netten Einstellungen und schönen Bildern (wie z.B. die Sonnenuntergangsstimmung bei der Abfahrt des Schiffes zu Beginn). Aber auch die Sets, die Kostüme, die Ausstattung usw. sind allererste Sahne, und fangen vor allem auch die Ära, in der die Geschichte angesiedelt ist, sehr gut ein. Dies ist übrigens ebenfalls ein ganz ein großer Pluspunkt, dass hier nicht das Geschehen in die Gegenwart verlagert wurde – geht dabei doch in meinen Augen gerade auch bei Christies Vorlagen zumeist einiges an Flair verloren.

Szenenbild. Womit wir auch beim letzten großen Pluspunkt von "Mord im Orient-Express" angelangt sind: Die Vorlage. Ich würde behaupten, dass der hier adaptierte Fall, neben "Und dann gabs keines mehr", der bekannteste Roman von Agatha Christie ist. Schon allein das Setting ist wunderbar, mit dem Mord in einem Zug – und damit einem räumlich abgeschotteten Bereich – und dem Schneesturm, in dem dieser schließlich feststeckt. Mit den Passagieren und der Crew mangelt es zudem nicht an Verdächtigen und/oder Zeugen, die es zu befragen gilt. Eben diese Befragungen sind hier zudem sehr gut umgesetzt, und zeigen uns in Flashback die Wahrnehmung der jeweiligen Person (sofern diese die Wahrheit sagt, versteht sich). Und dann ist da natürlich noch die Auflösung. Ich werde mich hier natürlich hüten, etwas zu verraten, aber ich behaupte, dass sie zu den denkwürdigsten zählt, die sich Christie je ausgedacht hat. Eben dies ist dann schließlich auch der letzte Clou, der "Mord im Orient-Express" noch einmal zusätzlich auszeichnet – wenn es auch zugegebenermaßen den Wiederanschauungswert, eben weil man sie wohl kaum vergessen wird, ein bisschen mindert. Aber dafür, dass man sich den Film obwohl man den Mörder/die Mörderin schon kennt, gerne nochmal anschaut, sind dann eben wiederum die Top-Besetzung und die elegante Inszenierung da.

Fazit: "Mord im Orient-Express" zählt zweifellos zu den bekanntesten – und besten – Agatha Christie-Filmen. Der Erfolg ist dabei bis zu einem gewissen Grad zweifellos ihrer grandiosen Vorlage zu verdanken – wobei es den Verantwortlichen zweifellos auch hoch anzurechnen ist, dass sie dieser, nach einigen (teilweise auch nicht einmal schlechten) freien Interpretationen, hier recht nah gefolgt zu sein. Vor allem die Auflösung ist großartig, und sollte dem geneigten Krimi-Fan noch lange in Erinnerung bleiben. Wie "Mord im Orient-Express" generell dann insbesondere am Ende, wenn Hercule Poirot in gewohnter Manier alle versammelt und sie an seinen Deduktionen teilhaben lässt, so richtig aufdreht; wobei mir dort nicht zuletzt der Ansatz gefiel, Flashbacks zu den Aussagen davor einzubauen. Weitere wesentliche Stärken sind die hochkarätige Starbesetzung, die herrlich schrulligen Figuren (Poirot inklusive), der die Verfilmung trotz allen Ernstes durchziehende Humor (einzig den Running Gag rund um Bianchi, der nach jeder Befragung davon überzeugt ist, dass die jeweilige Person schuldig sein muss, fand ich ein bisschen mühsam), sowie Sidney Lumets elegante Inszenierung. Nicht hingegen – zumindest in meinen Augen – Albert Finney, der die Rolle längst nicht so charmant und süffisant anlegt, wie Peter Ustinov dies ein paar Jahre später tun sollte. Mit ihm als Poirot würde "Mord im Orient-Express" wohl zu meinen absoluten Krimi-Favoriten zählen. Ein sehr guter Film, den ich mir immer wieder gerne ansehe, ist er aber auch so.

Wertung:8 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 1974 Paramount Pictures)


Weiterführende Links:
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