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16 Uhr 50 ab Paddington Drucken E-Mail
Miss Marples erster filmischer Einsatz Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Freitag, 02 Dezember 2022
 
Advent-SPECiAL

 
16 Uhr 50 ab Paddington
Originaltitel: Murder She Said
Produktionsland/jahr: UK 1961
Bewertung:
Studio/Verleih: George H. Brown Productions/MGM
Regie: George Pollock
Produzent: George H. Brown
Drehbuch: David Pursall & Jack Seddon, nach dem Roman von Agatha Christie
Filmmusik: Ron Goodwin
Kamera: Geoffrey Faithfull
Schnitt: Ernest Walter
Genre: Krimi/Komödie
Kinostart BRD: 02. Februar 1962
Kinostart UK: 26. September 1961
Laufzeit: 87 Minuten
Altersfreigabe: FSK ab 12
Trailer: YouTube
Kaufen: Einzel-DVD, Komplettbox
Mit: Margaret Rutherford, Arthur Kennedy, Muriel Pavlow, James Robertson Justice, Thorley Walters, Charles Tingwell, Conrad Phillips, Ronald Howard, Joan Hickson, Ronnie Raymond, Stringer Davis u.a.


Kurzinhalt: Miss Marple sitzt im Zug, als auf dem Nebengleis ein etwas schnellerer Zug an ihr vorbeifährt – und sie Zeugin eines Mordes wird. Sie informiert sofort den Schaffner, und nach der Ankunft am nächsten Bahnhof auch die Polizei. Diese hat zu dem Zeitpunkt den Zug bereits durchsucht – jedoch keine Leiche gefunden. Man geht daher davon aus, dass die doch etwas wunderliche alte Dame im Zug eingeschlafen ist, und dies nur geträumt bzw. sich eingebildet hat. Das will die gute Jane Marple nicht auf sich sitzen lassen. Wenn die Polizei nicht aktiv werden will, so beschließt sie, dann muss sie die Dinge eben selbst in die Hand nehmen. Sie untersucht die Stelle, an der es passiert ist, und meint, Schleifspuren zu finden, die zum Anwesen der Ackenthorpes führen. Zufällig ist bei denen gerade eine Stelle als Hilfskraft frei, die Miss Marple nur zu gerne annimmt. Mit der tatkräftigen Unterstützung ihres treuen Freundes Mr. Stringer macht sie sich daran, den Mord aufzuklären. Dafür muss sie aber natürlich zuerst einmal beweisen, dass ein solcher überhaupt stattgefunden hat…

Review: Szenenbild. Nachdem man mit "Das letzte Wochenende" (1945), "Zeugin der Anklage" (1957) und "Das Spinngewebe" (1960) drei "eigenständige" (sprich, nicht einer Reihe zugeordnet) Werke Agatha Christies verfilmte, war es 1961 endlich Zeit für den ersten Auftritt von einem ihrer beiden bekanntesten und beliebtesten Ermittler: Miss Jane Marple. Christie selbst war dem Vernehmen nach vom Casting Margaret Rutherfords in der Rolle ursprünglich nicht sonderlich begeistert, da diese nicht wirklich der Beschreibung der Figur in den Romanen entspricht. In weiterer Folge wurden die beiden jedoch gute Freundinnen, und schließlich widmete sie ihr sogar den Marple-Roman "Mord im Spiegel". Und auch wenn sich danach noch viele andere Darstellerinnen an die Rolle wagten, für viele sollte Rutherford bis heute die Miss Marple bleiben. Rutherford legt die Figur herrlich schrullig an, und verleiht dem Film damit nicht nur viel von jenem Humor, der ihn so auszeichnet, sondern gibt ihrer Ermittlerin auch ihren ganz eigenen, unvergleichlichen Charme. Es macht einfach Spaß, diesen Kriminalfall an ihrer Seite zu lösen.

"16 Uhr 50 ab Paddington" profitiert darüber hinaus natürlich auch vom extrem coolen und einfallsreichen Setup. Die Idee, einen Mord zu beobachten, jedoch nicht eingreifen zu können, mag dabei von Alfred Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" inspiriert gewesen sein (der wiederum auf eine Kurzgeschichte von Cornell Woolrich zurückging), erhält hier jedoch durch den vorbeifahrenden Zug nochmal einen ganz eigenen Reiz. Ausgehend von dem Mord, den Miss Marple gesehen hat, und von dem sonst niemand glaubt, dass er stattgefunden hat, entspinnt sich ein wunderbarer, unterhaltsamer und zwar durchaus spannender, letztendlich aber harmloser Film, der damals wie heute sowohl Jung als auch Alt bestens unterhalten sollte. Dies liegt einerseits am wirklich netten Fall, der dazu einlädt, mit Miss Marple mitzuraten. Wir lernen die einzelnen Verdächtigen nacheinander kennen, und erfahren, dass fast jeder von ihnen sowohl Motiv als auch Gelegenheit gehabt hätte. Zudem sind die Figuren, und mehr noch, die Interaktionen zwischen ihnen und Miss Marple, teilweise echt köstlich. Vor allem das Geplänkel zwischen ihr und dem Hausherrn sticht dabei hervor. In ihren gemeinsamen Szenen mit dem Jungen Alexander darf sie sich zudem von ihrer (groß-)mütterlichen Seite zeigen; eine Paarung, die nicht zuletzt auch deshalb so viel Spaß macht, weil Jane der Schelm mindestens ebenso sehr aus den Augen blitzt, wie dem Lausbuben. Der Film findet dabei genau die richtige Mischung aus Spannung und Humor. Denn auch wenn es – insbesondere dank der herrlichen Dialoge ("Not a very nice way to talk about one's family." "Not a very nice family!"), kommen zwischendurch auch immer wieder die Momente, wo Regisseur George Pollock für ordentlich Spannung sorgt, sei es durch die Spieluhr, oder dann beim Finale, wenn Miss Marple dem Mörder (oder der Mörderin?) eine Falle stellt; letzteres sollte zu einem der Markenzeichen der Marple/Rutherford/Pollock-Filme werden, und hebt diese von den späteren Poirot-Verfilmungen ab, wo dann immer alle Verdächtigen versammelt werden, ehe er den Fall aufklärt.

Szenenbild. Margaret Rutherford mag den Film dominieren, aber auch alle anderen Beteiligten liefern tolle Leistungen ab. Rutherfords Ehemann Stringer Davis tritt hier als – für die Filme erfundener – treuer Begleiter Stringer Davis auf, und dient als solcher nicht nur der humoristischen Auflockerung, sondern gibt Jane auch eine Person, der sie ihre Theorien und Überlegungen anvertrauen kann, so dass auch wir als Zuschauer an ihnen teilhaben können. Auch Charles Tingwell als Inspector Craddock blieb der Reihe über alle vier Filme hinweg treu. Aus der restlichen Besetzung sticht insbesondere noch James Robertson Justice als wunderbar grantelnder Hausherr hervor. Zudem ist Joan Hickson, die später auch noch in die Rolle der Miss Marple schlüpfen sollte, hier in einer kleinen Nebenrolle zu sehen. Zugegeben gibt es allerdings zwei Dinge, die man doch als etwas konstruiert kritisieren muss. Dies ist einerseits der Zufall, dass am Anwesen gerade eine Stelle frei ist – was es Jane Marple erlaubt, mehr oder weniger unauffällig herumzuschnüffeln. Und andererseits sollte man meinen, dass der Mörder in der Zwischenzeit ausreichend Gelegenheit gehabt haben sollte, um die Leiche zu entsorgen; zumal er ja auch ganz ohne Marples Ermittlungen damit rechnen musste, dass früher oder später jemand über diese stolpern wird. Von diesem Punkten abgesehen unterhält mich "16 Uhr 50 ab Paddington" aber jedes Mal aufs Neue.

Fazit: Der erste Film mit Margaret Rutherford als Miss Marple ist für mich zugleich auch der Beste. Ausgehend vom wirklich coolen Setup, welches praktisch von der ersten Minute an für Spannung sorgt, gelang dem Filmteam hier eine wunderbare Mischung aus Krimi und Komödie, die auch heute noch beste Unterhaltung für die ganze Familie bietet. Der Fall ist interessant, und lädt den geneigten Zuschauer zum Miträtseln und -raten ein. Interessante Offenbarungen und mordsspannende Momente wechseln sich dabei ab mit amüsanten Szenen, wobei insbesondere die köstlichen Dialoge viel zum Unterhaltungswert des Films beitragen. Und dann ist da noch Margaret Rutherford. Agatha Christie selbst mag mit ihrer Interpretation der Rolle, zumindest anfangs, gehadert haben, aber ich finde sie als Miss Marple einfach nur wunderbar. Herrlich schrullig, bestimmt, clever, und immer mit dem Schalk im Nacken, löst sie den Fall mit mindestens so viel Witz wie Grips. Und auch, wenn bei ihren weiteren Einsätzen aus meiner Sicht das Gesetz der sinkenden Erträge greifen sollte, aber Rutherford war in der Rolle immer ein Genuss; umso mehr hier, wo sie in ihrem meines Erachtens besten Fall ermittelt.

Wertung:9 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 1961 MGM)


Weiterführende Links:
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