Kurzinhalt:
Die Erde und der Mars haben sich gegen Marco Inaros verbündet – doch solange dieser das Bombardement mit Asteroiden fortsetzt, können sie ihre Flotte nicht abziehen, um sich ihm entgegenzustellen. Da kommt die Erkenntnis gerade recht, dass die Azure Dragon, ein Schiff der freien Navy, die Asteroidenangriffe steuert. Mit Unterstützung von Bobbie Draper gelingt es der Rocinante, diese auszuschalten – und die Inneren gehen in die Offensive. Dies zwingt Marco Inaros dazu, die Ceres-Station aufzugeben. Er selbst verkauft dies als Erfolg, wird dies doch den Vormarsch der Inneren insofern aufhalten, als sie wenn sie nicht die Versorgung der dortigen Zivilisten sicherstellen alle Vorurteile gegen sie bestätigen würden. Einige in seiner Flotte, wie die Kapitänin Michio Pa, sehen jedoch die Art und Weise, wie er Gürtler im Stich lässt und sie als Spielball im Krieg mit den Inneren verwendet, überhaupt nicht gerne – und sagen sich von ihm los. Doch noch hat Marco Inaros ein Ass im Ärmel: Dank der von ihm installierten Railguns in der Medina-Station kontrolliert er den Zugang zu den Systemen hinter dem Ring. Mit einer koordinierten Angriffsaktion, angeführt von der Rocinante, soll jedoch auch diese letzte Bastion von Marco Inaros fallen…
Review:
Der sechste Band der Reihe bringt eine wesentliche Änderung mit sich: Verfolgten wir bislang das Geschehen immer aus der Perspektive von vier Personen (abseits der Prologe und Epiloge, die oftmals an andere Figuren ausgelagert wurden), haben sich Daniel Abraham und Ty Franck für den Abschluss der Handlung rund um Marco Inaros – ehe die Reihe ab Band sieben einen Zeitsprung vollzieht – von dieser Tradition gelöst. Etwas, dass ich zugegebenermaßen ein bisschen mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehe. Weinend, weil das einerseits schon eine Besonderheit war, und andererseits die beiden Autoren zu einiges an Vorausplanung zwang. Die Handlungsstränge der früheren Bände waren meist sehr clever ausgearbeitet, damit die einzelnen Perspektiven dann zunehmend zusammenlaufen bzw. ineinander übergehen. Hier machen sie es sich vergleichsweise fast zu leicht, da sie einfach zu jener Figur springen, die sie für den jeweiligen Teil der Handlung gerade brauchen. Im Vergleich zu den früheren Bänden wirkt das vergleichsweise bequem. Und Lachend wiederum, da diese "Öffnung" erlaubt, die Geschichte aus den verschiedensten Perspektiven zu verfolgen. Bei den bisherigen Bänden hatte man oftmals den Eindruck, nur einen kleinen Auszug eines größeren Ganzen zu erleben; hier hingegen wird uns wirklich das Gesamtbild mit all seinen Facetten gezeigt. Ein ganz besonderes Plus waren dabei für mich die Kapitel aus der Sicht von Marco Inaros selbst. In der Vergangenheit waren mir nämlich die Gegner insgesamt doch etwas unterrepräsentiert; und selbst Figuren, die als solche begangen, wechselten schließlich auf unsere Seite über, wie z.B. im Falle von Clarissa Mao, oder Dimitri Havelock (etwas, dass man übrigens hier mit Filip Inaros/Nagata wiederholt). Hier nun die Gelegenheit zu erhalten, in seine – verkorkste – Gedankenwelt vorzudringen, fand ich schon sehr spannend.
Die Story selbst hat mir auch gut gefallen. Da die Ausstrahlung der sechsten und letzten Staffel noch nicht so lang her ist, konnte ich mich zwar an das meiste noch erinnern – und habe dementsprechend auch bei diesem Band am ehesten erkannt, wo die Verfilmung von der Vorlage abwich. Zudem habe ich zugegebenermaßen einzelne Elemente und/oder Momente aus der TV-Adaption vermisst. Und ja, frühere Bände mögen noch die Spur packender gewesen und vor allem die größeren Highlights geboten haben. Insbesondere das Ende der Bedrohung rund um Marco Inaros kommt dann doch ziemlich plötzlich (wobei ich den Effekt wiederum phantastisch beschrieben fand). Und doch schließt es die Handlung rund um die Free Navy und den Krieg zwischen den Inneren und Äußeren auf sehr zufriedenstellende Art und Weise ab. Mehr noch als von der Story selbst war ich aber wieder einmal von der interessanten Erzählweise angetan, die eben auch die Figuren in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Ja, dadurch, dass unsere Aufmerksamkeit diesmal auf 19 verschiedene Personen verteilt ist (neun davon erhalten dabei jeweils immer nur ein Kapitel), lernen wir sie nicht ganz so gut kennen wie bei den Vorgängern (was zudem bei Dauerbrennern wie Holden oder zumindest aus den Vorgängern bekannten Personen wie Avasarala, Draper, Prax usw. von vornherein kein so großes Thema ist). Der Vorteil ist aber halt wiederum, dass wir im Vergleich zu den Vorgängern im Verlauf der Geschichte mehr Figuren (besser) kennenlernen. Mehr noch als die Geschichte und wie charakterorientiert sie erzählt wird hatte es mir aber wieder mal der Schreibstil an sich angetan, der mit einigen sehr schönen Zitaten aufwartet, seien es Pas Gedanken über Geschichte ("History, Michio believed, was a long series of surprises that seemed inevitable in retrospect."), über die schon erwähnte Beschreibung des Phänomens, welches Marco Inaros den Garaus macht ("A vibration in a guitar string that didn't exist.") bis hin zum abschließenden Gespräch zwischen Holden und Naomi, wo sie sich fragen, ob sie wirklich Einfluss auf die Geschichte genommen haben, oder sich alles auch ohne sie so ähnlich abgespielt hätte, nur halt mit anderen Personen an ihrer Stelle ("Maybe it doesn't matter who leads a war because the things that made the war happen weren't leaders."). Zudem gibt es zwischendurch immer wieder mal auflockernden Humor, wie z.B. wenn sich Avasarala denkt, es wäre unhöflich, etwas laut auszusprechen, und es dann trotzdem macht, oder auch die nette Anspielung auf "Der Marsianer". Und auch der abschließende Gedanke von Anna im Epilog war sehr sehr nett: "Maybe if they could find a way to be gentle, the stars would be better off with them". Wie wahr!
Fazit:
Rein von der Geschichte her würde ich "Babylons Asche" nicht zu den besten Büchern der "Expanse"-Reihe zählen, die war nämlich in früheren Romanen definitiv auch schon mal interessanter, faszinierender, origineller und mitreißender. Zudem bin ich selbst unschlüssig, was ich von der Abkehr des bisherigen Konzepts halten soll, bei dem (abseits von Prolog und Epilog) immer nur maximal vier Personen als POV-Erzähler fungierten. Hier sind es insgesamt neunzehn. Das erlaubt es zwar, den Kampf gegen Marco Inaros aus vielen verschiedenen Perspektiven zu erzählen, verhindert aber eine ähnlich starke Bindung zu den Figuren wie dies früher zumindest teilweise der Fall war, und lässt generell ein bisher markantes Merkmal der Reihe vermissen, und "Babylons Asche" im Vergleich zu den Vorgängern gewöhnlicher wirken. Was letztendlich wohl dramatischer klingt, als es ist: Auch der sechste Band der Reihe bot wieder überaus kurzweilige "Science Fiction"-Unterhaltung, die natürlich auch davon profitiert, dass wir so mancher Figur nach mittlerweile bis zu sechs Abenteuern sehr verbunden sind, und dementsprechend mit ihnen mitfiebern. Zumal man sich aufgrund der offensichtlichen Unterschiede zwischen Serie und Buchreihe selbst bei Kenntnis der Verfilmung nicht sicher sein kann, ob alle bzw. wer aller überleben wird. "Babylons Asche" ist zudem wieder gewohnt gut geschrieben, und wartet sowohl mit ein paar herausragenden Zitaten als auch einer netten Prise Humor auf. Ein bisschen routinemäßig wirkte "Babylons Asche" auf mich zwar schon, aber solange eben diese Routine so unterhaltsam ist wie hier, fällt es mir schwer, mich zu sehr darüber zu beschweren.