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Willkommen in Siegheilkirchen Drucken E-Mail
Review zum semi-autobiographischen "Deix"-Film Kategorie: Filme - Autor: Björn Flügel - Datum: Dienstag, 05 Juli 2022
 
 
Willkommen in Siegheilkirchen
Originaltitel: Rotzbub
Produktionsland/jahr: Österreich 2021
Bewertung:
Studio/Verleih: Aichholzer Filmproduktion/Filmladen/Pandora Film Verleih
Regie: Santiago Lopez Jover & Jonathan del Val
Produzenten: UJosef Aichholzer, Ernst Geyer & Marcus Salzmann
Drehbuch: Martin Ambrosch
Filmmusik: -
Kamera: -
Schnitt: Philipp Bittner
Genre: Animation/Komödie
Kinostart Deutschland: 07. Juli 2022
Kinostart Österreich: 24. März 2022
Laufzeit: 86 Minuten
Altersfreigabe: FSK ab 12
Trailer: YouTube
Kaufen: Noch nicht verfügbar
Mit: Markus Freistätter, Gerti Drassl, Mario Canedo, Maurice Ernst, Roland Düringer, Erwin Steinhauer, Katharina Straßer, Adele Neuhauser, Sußi Stach, Gregor Seberg, Wolfgang Böck, Branko Samarovski, Thomas Stipsits, Jürgen Maurer, Armin Assinger, Karl Fischer, Ulrike Beimpold u.a.


Kurzinhalt: In den 1960ern wächst in Siegheilkirchen, einem Dorf in der tiefsten österreichischen Provinz, der Rotzbub auf. Er ist im Zeichnen ein außerordentliches Talent und verdient sich mit erotischen Zeichnungen, die seine Mitschüler unter die Leute bringen, ein Taschengeld dazu. So träumt er auch davon, Künstler zu werden, anstatt das Wirtshaus seiner Eltern zu übernehmen oder Buchhalter zu werden. Als eine Gruppe reisender Roma, sogenannte "Zigeuner", das Dorf besucht, verliebt er sich in die schöne Mariolina. Allerdings planen einige braun gesinnte Dörfler einen Anschlag auf das Lager der Roma. Während der Rotzbub das zu verhindern versucht, steht im Dorf die Enthüllung des neuen Wandgemäldes am Rathaus an…

Review: Szenenbild. Der Name Manfred Deix mag hierzulande nicht den hohen Bekanntheitsgrad wie in seiner Heimat Österreich haben, dennoch dürften seine schonungslosen, oftmals drastischen Karikaturen und Cartoons auch diesseits der Alpen so manchem Leser z.B. des Stern, Spiegel oder der Titanic geläufig sein. 2013 begannen die Vorbereitungen zum "Deix-Film", an dessen Entwicklung der Künstler persönlich noch bis zu seinem Tod 2016 beteiligt war. Nach mehrmaligen pandemiebedingten Aufschüben feierte der Film, der unter der Regie des auf bayerischen Lokalkolorit spezialisierten Marcus H. Rosenmüller ("Wer früher stirbt, ist länger tot") und Santiago Lopez Jover ("Ein Hologramm für den König"), seines Zeichens Experte für Animation und visuelle Effekte, im Sommer 2021 auf dem Filmfestival in Annecy Premiere, und am 7. Juli 2022 steht endlich der deutsche Kinostart ins Haus. Das Konzept scheint auf den ersten Blick vergleichbar mit Brösels "Werner" oder Moers' "Kleines Arschloch". Hier wie dort steht eine rebellierende, geradezu anarchistische Hauptfigur im Mittelpunkt, wobei die Nebenfiguren zu überzeichneten Spottbildern degradiert werden, all das eingebettet in respektlosen, überspitzten Regionalismus.

In Siegheilkirchen geht es allerdings noch weitaus derber und gnadenloser zu: Die prallbusige Nachbarin erhält nachts Herrenbesuch, Knaben masturbieren auf dem Schulklo, das Verhältnis des Pfarrers zu seinen Schülern lässt zumindest Raum für Spekulationen, die übriggebliebenen Anhänger brauner politischer Ideologie planen ein Attentat auf die reisenden Roma. Bereits anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es dem Film nicht nur darum geht, Lacher zu provozieren, sondern durchaus auch brisante Erscheinungen in der Gesellschaft darzustellen. Jedoch hat der Film auffällige Probleme damit, mit diesen (guten) Zutaten sein Gleichgewicht zu finden und relevant zu bleiben, denn zu oft geht es darum, einfach nur die schrulligen Eigenheiten der Dorfbewohner zu entlarven und zur Schau zu stellen. So wird viel Potenzial verschenkt, denn Deix steht nicht für platte Zoten, sondern für bissige und provokante Satire. Unter dem Strich hätten mehr Substanz und mehr Konsequenz dem Film genutzt, um den Deix'schen Werken gerecht zu werden. "Willkommen in Siegheilkirchen" ist ebenso eine Coming-of-Age-Geschichte basierend auf der Biographie Manfred Deix'. Der Rotzbub begehrt gegen das Kleinbürgertum auf, verliebt sich in das schöne Roma-Mädchen Mariolina, trinkt lieber in der mondänen Bar des kiffenden Poldi Bier anstatt im elterlichen Wirtshaus zu helfen und träumt davon, Künstler zu werden anstatt Buchhalter. Mit ihm setzt der gesellschaftliche Wandel in dieser Idylle der österreichischen Provinz verspätet, aber immerhin doch noch ein. Dieser Themenkomplex liefert einige rührselige Momente, beispielsweise das - zugegebenermaßen nicht unerwartete - Happy End mit Mariolina, aber auch die Emanzipation des bis dahin unterwürfigen Vaters, der auf dem Höhepunkt des Geschehens mit geballter Faust seinen Sohn verteidigt. Der Weg dorthin ist jedoch mühsam, da die Handlung oftmals den Fokus verliert und ohnehin nur spärlich ausgestaltet ist.

Szenenbild. Man sieht dem Film natürlich an, dass er mit schmalem Budget entstanden ist. Insbesondere wirken die Figuren in all ihren Bewegungen recht ungelenk. Dennoch ist er hübsch anzusehen, wirkt doch jedes einzelne Bild wie ein lebendig gewordener Cartoon aus der Hand Deix'. Das ist ungemein erfrischend und hebt den Film vom sonstigen Animationseinerlei ab. Besonderen Spaß macht das Entdecken so verrückter Details wie das Schaubild der Hunderassen, die überall aushängende Ankündigung des Arbeitslosenballs oder die Menütafel vor dem Wirtshaus. Auch Karikaturen von Deix sind hier und dort im Hintergrund auszumachen. Unverkennbar saß den Machern der Schalk im Nacken, und oftmals konnte ich mir ein breites Grinsen und manchen Lacher nicht verkneifen. Noch einige Worte zur Sprache: Selbstverständlich wird in Siegheilkirchen kein Hochdeutsch, sondern rustikales österreichisches Deutsch gesprochen. Das ist zwar authentisch, aber - zumindest anfangs - für den Zuschauer in nördlicher gelegenen Gefilden etwas mühselig. Dem Vergnügen tut das keinen Abbruch, auch wenn einem mancher Wortwitz entgehen mag.

Fazit: Leider ist der Film nicht ganz die schonungslose Abrechnung mit dem kleingeistigen Spießbürgertum in der hinterweltlichen Provinz in den 1960ern, die er hätte sein können. Zu oft weicht die Satire platten Zoten bis hin zu Fäkalhumor, womit er sich recht weit von der Essenz des Deix'schen Werkes entfernt. Die Handlung ist relativ simpel gestrickt und hätte gern weiter ausgeschmückt werden können, denn so schleicht sich manche Länge ein, weil schlicht und ergreifend nichts passiert. Nichtsdestotrotz macht "Willkommen in Siegheilkirchen" Spaß, denn die auftretenden Figuren sind ulkig gestaltet und könnten direkt den Originalkarikaturen von Manfred Deix entsprungen sein. Gespickt mit verrückten Details und einigen gelungenen Pointen sorgt der Film für einige gute Lacher. Man möge sich auch nicht von der "Sprachbarriere" abschrecken lassen, denn das österreichische Deutsch ist an dieser Stelle einfach urig, gemeinhin verständlich und doch auch nett anzuhören, oder?

Wertung:7 von 10 Punkten
Björn Flügel
(Bilder © 2022 Pandora Film Verleih)





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