Kurzinhalt:
Nach der Rückkehr von Ilus muss die Rocinante generalüberholt werden – ein Prozess, der mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird. Während Holden auf der Tycho-Station die Stellung hält, verstreut sich der Rest der Crew in alle mögliche Richtungen. So macht sich Naomi in einer sehr persönlichen Mission nach Ceres auf. Dort trifft sie sich mit ihrem Sohn, den sie vor den anderen bislang geheim gehalten wird – gehört er doch zu einer Vergangenheit, die sie lieber vergessen möchte. Als Filip sie dann jedoch entführt und zu seinem Vater Marco Inaros bringt, wird sie unweigerlich in dessen große Pläne für die Zukunft des Gürtels hineingezogen. Alex kehrt indes zum Mars zurück. Er hofft, das angespannte Verhältnis zu seiner Ex-Frau kitten zu können. Sein Versuch endet in einem Desaster – doch bevor er abfliegt, trifft er sich noch mit Bobbi, und wird in deren Untersuchungen von verschwundenem Material aus der Mars-Navy hineingezogen. Amos wiederum fliegt zur Erde, und kehrt dort nach Boston zurück, wo er einst aufgewachsen ist. Jene Frau, die ihm nach dem Tod seiner Eltern großgezogen hat, ist kürzlich verstorben. Er will sichergehen, dass dabei alles mit rechten Dingen zuging, was schließlich zu einem angespannten Wiedersehen mit einem alten Weggefährten führt. Vor seinem Abflug möchte er dann noch Clarissa Mao im Gefängnis besuchen. Wie sich herausstellt, blieb Amos genau einen Tag zu lang: Denn während seines Besuchs wird die Erde von mehreren Asteroiden getroffen, die mit Tarnvorrichtungen ausgestattet und gezielt in Richtung des Planeten gelenkt wurden. Ein Angriff, hinter dem, wie sich schließlich herausstellt, Marco Inaros steckt…
Review:
Bei den ersten vier Romanen wurde die Perspektive der Rocinante-Crew ausschließlich durch James Holden abgebildet. Die anderen haben wir somit bislang nur über ihn – bzw. aus der Sicht von anderen Figuren, die auf sie trafen – kennengelernt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich "Nemesis-Spiele" stark von den bisherigen Romanen der Reihe: Denn statt irgendwelcher Gastfiguren, aus deren Sicht die Ereignisse geschildert werden, rückt hier nun die komplette Crew der Rocinante in den Mittelpunkt, und werden somit neben Dauerbrenner Holden auch Naomi Nagata, Amos Burton und Alex Kamal in den POV-Status erhoben. Nun wäre das natürlich wenig spannend, wenn sie sich auch hier, wie bislang überwiegend, an einem Ort aufhalten würden, weshalb sich die Crew während die Rocinante repariert wird in verschiedene Himmelsrichtungen verstreut. Dass sie letztendlich dennoch alle irgendwie in die Ereignisse hineingezogen werden, kann man als doch ziemlich konstruiert kritisieren. Für mich überwog jedoch der Vorteil deutlich, sie durch diesen Aufbau endlich einmal besser kennenzulernen, und nicht zuletzt auch mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren. Besonders spannend war dabei zweifellos die Vorgeschichte von Naomi, die uns hier offenbart wird. Zwar wusste ich es natürlich schon aus der Serie (generell, je weiter ich in der Reihe fortschreite, desto kürzer ist die TV-Adaption her, und desto besser kann ich mit somit an die Story erinnern), aber sowohl dort als auch hier (für all jene, welche die Bücher zuerst lesen) ist die Offenbarung, dass sie mal verheiratet war, und vor allem auch einen Sohn hat, zweifellos eine große Überraschung. Darüber hinaus erfahren wir hier, dass sie einst an terroristischen Aktivitäten des militanten Arms des Gürtels beteiligt war. Beides führt nun dazu, dass sie in die großen Pläne von Marco Inaros hineingezogen wird – was es uns als Leser erlaubt, einen Einblick in seine Organisation und eine Machenschaften zu erhalten. In erster Linie ist es aber Naomi selbst, die durch die Betrachtung ihrer Vergangenheit hier enorm als Figur gewinnt. Man fühlt bei dem, was ihr hier alles widerfährt, unweigerlich mit, und vor allem ihr "Weltraumspaziergang" sowie der nachfolgende Abschnitt auf dem verlassenen Schiff, mit dem Marco Holden in die Falle locken will, zählten zu den spannungstechnischen Highlights des Romans. Das war wirklich packend. Und auch emotional hat mich ihre Geschichte von allen hier versammelten zweifellos am meisten mitgerissen.
Was nicht heißen soll, dass mir der Rest nicht auch sehr gut gefallen konnte. Am zweitbesten fand ich wohl alles rund um Amos auf der Erde. Dies war allein deshalb schon sehr spannend, weil es innerhalb der Reihe tatsächlich das erste Mal war, dass wir mehr Zeit auf dem Ursprungsplaneten der Menschheit verbrachten. Schon allein die dortigen Lebensbedingungen besser kennenzulernen war somit sehr interessant. Zudem lernten wir natürlich auch bei Amos mehr über seine (durchaus erschütternde) Vergangenheit, angefangen bei der vor kurzem verstorbenen Freundin, bis hin zu seinem ehemaligen Weggefährten. Und auch das Wiedersehen mit Clarissa Mao hat mich gefreut. So richtig dreht dieser Handlungsstrang dann allerdings auf, sobald Marco Inaros Angriff mit den getarnten Asteroiden beginnt. Amos erlaubt es uns eben, auch hier "live" dabei zu sein, und die Auswirkungen auf die Erde unmittelbar mitzuerleben. Die ganzen Nachwehen waren jedenfalls sehr erschütternd, und gaben der zweiten Hälfte des Romans – zumindest in den Amos-Kapiteln – einen dystopischen Touch. Die Storyline rund um Alex Kamal kann hier zwar nicht ganz mithalten, aber auch diese sorgte für gute Unterhaltung. Mir gefiel, dass das Wiedersehen mit seiner Ex überhaupt nicht so läuft, wie er sich das erhofft hatte. Und sobald Bobbi dann die Bühne betritt, dreht auch dieser Handlungsstrang mächtig auf, zählt diese doch, zusammen mit Avasarala, zu meinen absoluten Favoriten aus der "Expanse"-Reihe. An dieser Stelle sei auch wieder der großartige Handlungsaufbau hervorgehoben. Neuerlich gelingt es Abraham und Franck, mit vier vermeintlich unterschiedlichen Geschichten zu beginnen, die dann nacheinander zusammenlaufen. Eben dies machte auch "Nemesis-Spiele" wieder zu mehr als nur der Summe ihrer Teile. Den Abschluss bildet dann Holden, der hier mal vergleichsweise wenig zu tun bekam. Da er bislang doch sehr stark im Mittelpunkt stand, empfand ich das aber als durchaus angenehme Abwechslung. Zumal es mit dem Angriff von Marcos Getreuen auf die Tycho-Station auch hier einen spannungstechnischen Höhepunkt gab. Zudem machte "Nemesis-Spiele" auch wieder deutlich, wie sich gerade Holden als Charakter im Verlauf der Buchreihe verändert hat. Insgesamt fand ich den Roman jedenfalls derart packend (und gewohnt hochwertig und zugleich flüssig geschrieben), dass ich das bislang dominierende Protomolekül, welches hier nur am Rande eine Rolle spielt, keine Sekunde (oder Seite) lang vermisst habe.
Fazit:
"Nemesis-Spiele" zählt für mich zu den besten Romanen der "The Expanse"-Reihe. Im Gegensatz zu den Vorgängern wird hier das Geschehen nämlich aus der Sicht der komplette Rocinante-Crew – und nicht nur James Holden – erzählt. Nun mag man es erzählerisch etwas gar bequem finden, dass sie sich genau so verstreuen, dass es den Autoren möglich ist, die Ereignisse aus den vier bestmöglichen Perspektiven zu erzählen, für mich überwog aber das Plus, auf diese Weise den Rest der Roci-Crew besser kennenzulernen, bei weitem. Wir erfahren hier mehr über die Vergangenheit von Alex, Amos und Naomi; und auch ihre Erlebnisse in der Gegenwart waren sehr spannend. Im Vergleich zur Serie hat es mich im Roman irgendwie auch deutlich weniger gestört, dass aufgrund der Aufsplittung der Crew die klassische Dynamik fehlte; möglicherweise, weil die "Point of View"-Erzählweise von Beginn an zum Konzept der Buchreihe gehört, und es somit hier nur wie die konsequente Weiterführung der Idee wirkte. Die Story war auch wieder grandios aufgebaut, kurzweilig erzählt, sehr gut geschrieben, und mit einigen netten Zitaten gespickt. Vor allem aber findet sich auch in "Nemesis-Spiele" wieder einige gesellschaftskritische Töne, und wird "Wir gegen Sie"-Schwarz/Weiß-Denken an den Pranger gestellt, während für Solidarität und Zusammenhalt über alle gesellschaftlichen Grenzen hinaus plädiert wird. Eine Message, die nichts an Bedeutung eingebüßt hat.