Kurzinhalt:
Nach dem Eros-Zwischenfall ist die Lage zwischen den inneren Welten angespannt. Ein Schusswechsel auf dem Jupiter-Mond Ganymed droht den Krieg zwischen dem Mars und der Erde nun endgültig eskalieren zu lassen. Die einzige Überlebende, die Mars-Soldatin Roberta "Bobbie" Draper, behauptet jedoch, nicht etwa auf die UN-Einheiten geschossen zu haben, sondern vielmehr auf das, was diese verfolgte und tötete. Die Aufzeichnungen ihres Anzugs bestätigen ihre Aussage: Wie es scheint, hat jemand auf Ganymed Experimente mit dem Protomolekül angestellt. Prax ist indes verzweifelt auf der Suche nach seiner Tochter, die von ihrem Arzt und einer unbekannten Frau aus dem Kindergarten entführt wurde. Als es die Rocinante-Crew bei einem Versorgungsflug ebenfalls nach Ganymed verschlägt, treffen sie aufeinander, und man beschließt, alles zu unternehmen, um Prax zu helfen, seine Tochter wieder zu finden. Auf der Erde findet indes ein Krisengipfel mit Vertretern vom Mars statt, um die Lage zu beruhigen. Chrisjen Asavarala, die Untersekretärin der exekutiven Administration der Erde, nutzt Bobbis Besuch, um sie abzuwerben. Zusammen verfolgen sie die Spur des Protomoleküls, um herauszufinden, wer für den jüngsten Ausbruch verantwortlich ist…
Review:
Im zweiten Band öffnet sich die Story nun insofern, als wir sie diesmal nicht mehr nur aus der Perspektive von zwei, sondern gleich vier Charakteren verfolgen: James Holden, Roberta "Bobbie" Draper, Crisjen Asavarala, und Praxidike "Prax" Meng. Was aber ähnlich bleibt, ist die Struktur: Auch diesmal beginnen diese vier Handlungsstränge unabhängig voneinander, um in weiterer Folge dann zunehmend zusammenzulaufen, so dass wir Ereignisse, an denen mehrere bis alle "point of view"-Figuren beteiligt sind, dann aus einer abwechselnden Perspektive miterleben. Diese zusätzlichen Sichtweisen bereichern die Geschichte nicht zuletzt durch die "Öffnung"; war "Leviathan erwacht" sehr auf die Perspektive der Gürtler fokussiert, erhalten wir diesmal nun auch einen Einblick in die Erdregierung, und das Militär vom Mars. Dadurch fühlt sich "Calibans Krieg" um einiges epischer an, als der Vorgänger. Die Story selbst fand ich auch wieder sehr packend. Einige Momente mögen zwar an "Leviathan erwacht" erinnern, insbesondere der Rettungsversuch rund um Mengs Tochter, wo ich teilweise ein bisschen einen Eros-Flashback hatte. Aber einerseits ist das aufgrund der Fortführung der Protomolekül-Story nur logisch, und andererseits ist das ja insofern bewusst bzw. beabsichtigt, als die Autoren Holden eben mit dem Trauma, dass er dort davongetragen hat, konfrontieren wollen. Womit wir schon beim nächsten Punkt sind: Die Charakterisierung ist eine große Stärke der Reihe, wobei ich "Calibans Krieg" auch diesbezüglich noch etwas stärker einschätzen würde, als den Vorgänger. Insbesondere Holden gewinnt eben durch die Erfahrungen im ersten Band, die ihn nach wie vor verfolgen, deutlich an Profil. War er dort der aufrechte Held, bekommt seine strahlende Persona diesmal doch ein paar dunklere Risse, als sich immer wieder Wesenszüge bemerkbar machen, die eher an Miller denn an ihn erinnern.
Aber auch Avasarala fand ich als Figur sehr gelungen. Sie ist die eine aufrechte Politikerin, die irgendwie versucht, durch den Sumpf der Korruption zu waten. Vor allem aber nimmt sie sich kein Blatt vor dem Mund, und spart auch nicht mit Kraftausdrücken; wobei mir nicht zuletzt auch die später folgende Erklärung dafür gefiel, warum sie sich diese Ausdrucksweise angewöhnt hat. Bobbi hatte es mir ebenfalls enorm angetan. Ähnlich wie Holden trägt auch sie vom Protomolekül ein Trauma davon, und muss sich diesem Dämon dann am Ende stellen. Und nicht zuletzt ihr Zusammenspiel mit Avasarala war wirklich großartig. Bleibt noch Prax, und der war für mich tatsächlich jene Figur, die am wenigsten hervorstach. Zwar ist es nur logisch und nachvollziehbar, dass der Charakter von seinem Wunsch geprägt wird, seine Tochter wiederzufinden, insgesamt blieb er mir aber bis zuletzt leider doch ein bisschen eindimensional. Zwar kann ich mir angesichts der POV-Erzählweise auch nicht wirklich denken, wie es ohne ihn gegangen wäre, aber ich denke, die anderen drei Besatzungsmitglieder der Roci – Naomi, Amos und Alex – hätten mich da doch eher/mehr interessiert. Würde ich die Romane gänzlich ohne Vorwissen lesen, hätte ich wohl auch keine Freude mit dem Epilog und dem darin präsentierten Cliffhanger rund um Miller gehabt, da ich grundsätzlich ja kein Freund davon bin, wenn solche Tode auf einmal rückgängig gemacht werden. Hier profitiert der Roman davon, dass ich aus der Serie schon weiß, was es damit auf sich hat; sonst hätte es dafür wohl auf den letzten Zeilen noch einen halben Punkt Abzug gegeben. So oder so war "Calibans Krieg" aber jedenfalls eine gelungene Weiterführung der mit "Leviathan erwacht" begonnenen Geschichte, die zudem mit dem Artefakt, dass am Ende von Venus aus gestartet wird, schon wieder sehr neugierig auf die Fortsetzung macht.
Fazit:
"Calibans Krieg" konnte mir wie schon der Vorgänger sehr gut gefallen. Der hatte zwar die dramatischeren Momente zu bieten – insbesondere natürlich den Tod einer Hauptfigur – dafür war der zweite Band aufgrund der gleich vier Erzählperspektiven "weitläufiger" und epischer. Auch die Charakterisierung hatte es mir wieder sehr angetan, und gefiel mir hier sogar noch eine Spur besser als bei "Leviathan erwacht" – nicht zuletzt, als ich Holden interessanter dargestellt fand. Aber auch Crisjen Avasarala und Bobbie Draper, mit denen es nun endlich auch zwei weibliche Perspektiven gibt, hatten es mir angetan. Einzig Prax blieb bis zuletzt etwas blass und eindimensional. Die Geschichte hat mir ebenfalls wieder sehr gut gefallen, auch wenn ich sagen muss, dass ich die Schilderung der Ereignisse auf Eros im Vorgänger doch noch die Spur packender fand, als die entsprechenden Einlagen hier. Insgesamt schenken sich letztendlich in meinen Augen beide nichts – und erweist sich "Calibans Krieg" somit als würdige und bereichernde Fortsetzung der "Expanse"-Reihe.