Kurzinhalt:
Der Teenager Chris zieht mit seiner Mutter nach Los Angeles, genauer gesagt den Stadtteil Inglewood. Als Neuling zieht er rasch die Aufmerksamkeit der Schultyrannen auf sich. Neben ihm haben sie es auch wiederholt auf Roger abgesehen. Wohl nicht zuletzt deshalb freunden sich die beiden Außenseiter unweigerlich an. Es dauert nicht lange, da erhalten die beiden mysteriöse Nachrichten. Irgendjemand – oder etwas – scheint mit ihnen Kontakt aufnehmen zu wollen. Während Chris zunehmend beunruhigt bis richtiggehend verängstigt ist, wird Roger von dieser unheimlichen Macht die sie zu erreichen versucht förmlich in den Bann gezogen. Eben diese bietet ihm dann schließlich die Möglichkeit, sich auf eine Art und Weise zu rächen, zu der Roger selbst nie in der Lage wäre. Als sich die mysteriösen Todesfälle an ihrer High School häufen, kommt Chris zunehmend ein schrecklicher Verdacht…
Review:
"OtherSyde" hat mir definitiv um einiges besser gefallen als JMS erster Roman; wobei man an dieser Stelle nochmal darauf hinweisen muss, dass "Demon Night" ja eigentlich nur eine Fingerübung war, er ihn in erster Linie für sich selbst geschrieben hat, und ursprünglich gar nicht vor hatte, ihn zu veröffentlichen. Doch so oder so, "Demon Night" war etwas gar sehr von den Romanen von Stephen King und Konsorten inspiriert, und ließ JMS' individuelle Handschrift weitestgehend vermissen. Nicht so "OtherSyde", der von Beginn an deutlich eigenständiger – und persönlicher – wirkt. Man muss nicht zwingend seine Autobiographie "Becoming Superman" gelesen haben, um zu erkennen, dass dieser Roman stark auf seinen eigenen (traumatischen) Erfahrungen beruht, sei es nun im Hinblick auf Bullys an der Schule, oder auch was häusliche Gewalt betrifft. "OtherSyde" ist dabei ein ziemlich trister Roman, der bereits ziemlich deprimierend beginnt, und daraufhin eigentlich nur immer düsterer wird. Zwar gibt es zwischendurch auch immer wieder (dringend notwendigen) auflockernden Humor, im Vergleich zum doch recht dominierenden Schatten hat das entsprechende Licht hier aber doch eher Seltenheitswert. "OtherSyde" liegt eine merkliche Frustration und Wut zugrunde; es wird deutlich, dass JMS hier seine eigene Vergangenheit in einem phantastischen Kontext verarbeitet; im Vergleich zu späteren Werken fehlt hier aber ein bisschen die Hoffnung und der Optimismus. Was nicht als Kritik gemeint ist, aber halt im Vergleich zu "Babylon 5" (auf das JMS hier übrigens eine Anspielung eingebaut hat – und das bereits 1990, drei Jahre, bevor der Pilotfilm ausgestrahlt wurde), "Sense 8" oder selbst "Together We Will Go" (trotz einer denkbar düsteren Ausgangssituation) ziemlich deutlich auffällt.
In jedem Fall erzählt "OtherSyde" eine packende Geschichte, die einen als Leser von Beginn an in den Bann zieht. So wie Chris muss man hilflos miterleben, wie Roger in den Einflussbereich dieser anderen Seite gerät, und durch diese schließlich zu unvorstellbar grausamen Taten getrieben wird. Dies schmerzt umso mehr, als man Roger bis zu einem gewissen Grad verstehen kann, und dementsprechend die ganze Zeit hofft, dass er seinen Fehler erkennt, und von dieser mächtigen Kraft ablässt. Stattdessen sehen wir, wie er zunehmend von dieser Macht berauscht ist, und eben diese schließlich die schrecklichste Seite seiner Persönlichkeit zum Vorschein bringt (damit finden sich hier übrigens einige spannende Parallelen zu Londos Fall bei "Babylon 5"). Letztendlich erleben wir hier die Geburt eines Amokläufers, nur dass die Morde hier nicht mit einer Maschinenpistole, sondern mit Hilfe von übernatürlichen Mächten begangen werden. So oder so sind die weiteren Ereignisse durchaus erschütternd; zumal JMS trotz der Sympathie, die wir zu Beginn unweigerlich für Roger empfinden, nicht davor zurückschreckt, die Konsequenzen seines Handelns zu schildern. Doch nicht nur inhaltlich, auch stilistisch war ich von "OtherSyde" sehr angetan. Im Gegensatz zu "Demon Night" ist seine individuelle Handschrift beim zweiten Roman praktisch von Beginn an zu erkennen. Zudem baut sich von Beginn an eine nette Spannung auf; und insbesondere das letzte Drittel ist dann mordsmäßig spannend, so dass es schwer fällt, den Roman aus der Hand zu legen. Die charmanten Nebenfiguren, sowie einzelne hervorstechende (und teilweise erschreckende; wie z.B. rund um das Schicksal von Tony) Momente, runden das überaus positive Gesamtbild ab.
Fazit:
"OtherSyde" ist ein packender Jugend-Horror-Roman. Eindeutig beeinfluss von JMS' eigenen Erfahrungen, erzählt er hier eine zunehmend erschütternde Geschichte, die sich auf der einen Seite mit Bullying und seinen Auswirkungen befasst, und andererseits als Analogie auf Amokläufe an (US-)Schulen verstanden werden kann. So wie Chris müssen auch wir als Leser hilflos mit ansehen, wie Roger zunehmend dem grauenvollen Einfluss der anderen Seite verfällt, und seinen Rachegelüsten freien Lauf lässt – mit furchtbaren Konsequenzen. Und so findet man sich rasch in einem moralischen Zwiespalt, will man Roger doch eigentlich mögen, und empfindet man ob seiner schlimmen Erfahrungen an der Schule und zu Hause unweigerlich Mitleid mit ihm. Jedenfalls gelang es "OtherSyde" aufgrund der sympathischen und/oder interessanten Figuren, der packenden Story, sowie JMS' hochwertigem Schreibstil von Beginn an, mich in den Bann zu ziehen.
Bewertung: 4/5 Punkten
Christian Siegel
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