Mit: Vincent Cassel, Tchéky Karyo, Monica Bellucci, Antoine Basler, Dominique Bettenfeld, Pascal Demolon, Marc Duret, Romain Duris u.a.
Kurzinhalt:
Yann Le Pentrec, genannt "Dobermann", ist der Anführer einer Bande skrupelloser Bankräuber. Durch eine Finte gelingen ihr zwei große Banküberfälle in Folge, wobei die Polizei praktisch tatenlos zusehen muss. Daraufhin nimmt der brutale, brachiale Inspecteur Christini die Jagd auf und macht zunächst das Gangmitglied Olivier, der als Transvestit Sonia auftritt, ausfindig. Nachdem Christini ihm androht, dessen Sohn umzubringen, lässt er sich dazu zwingen, Dobermann zu verraten. In einer Diskothek kommt es schließlich zum großen Showdown, doch die Situation eskaliert…
Review:
Der Action-/Gangsterfilm "Dobermann" des französischen Regisseurs Jan Kounen, der sich in den 1990'ern vor allem mit seinen Kurzfilmen und Musikvideos (u.a. für Erasure) seine ersten Lorbeeren verdient hatte, erreichte auch hierzulande einen gewissen Kultstatus. Weniger wegen des behandelten Stoffes, der auf die gleichnamige Buchserie zurückgeht oder seiner Qualität, sondern aufgrund seiner Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die ihn erst 2011, also gute 14 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, freigab. Seien wir mal ehrlich: Verbotenes reizt doch ganz besonders. Man fragt sich, was der Film wohl beinhaltet, so dass er dem potentiellen Publikum vorenthalten bleibt. Ist er ultrabrutal, geschmacklos, ekelhaft, vielleicht sogar strafrechtlich relevant? Welche Grenzen überschreitet er, dass man ihn nicht sehen soll bzw. darf? Tatsächlich kann ich die Indizierung nicht so recht nachvollziehen, denn 1997, als der Film herauskam, war man, was die Gewaltdarstellungen angeht, schon längst eine härtere Gangart gewöhnt. Sei's drum.
"Dobermann" ist auf den ersten Blick eher ein zweischneidiges Schwert. Der Film hält sich kaum an eine Konvention des Filmemachens und ist aufgrund seiner hektischen Schnitte und seines Getöses mühselig anzusehen. Keiner der vorgeführten Charaktere ist in irgendeiner Weise glaubwürdig, keines der dargestellten Szenarien ist auch nur im Ansatz plausibel. Schon der Prolog entlockt dem Zuschauer ein irritiertes Kopfschütteln: So wird die Taufe der Titelfigur jäh von einem angriffslustigen Dobermann unterbrochen, und schlussendlich fliegt dem Täufling eine scharfe Knarre zu, womit der Hauptcharakter alles an Background hat, was das Drehbuch für nötig hält. Die übrigen Figuren werden gar nicht erst weiter vorgestellt, sondern lediglich durch ihre spleenige Eigenarten definiert. So gibt es beispielsweise den Priester, der seine Brutalität mit Gottes Botschaft rechtfertigt; den hitzigen, labilen Moustique; den muskelbepackten, einfältigen Hundeliebhaber Pitbull; die laszive taubstumme Nathalie und auf der anderen Seite den grobschlächtigen Inspecteur Christini mit seiner Vorliebe für englischsprachige Oneliner. Alles exzentrische, psychopathische Figuren, über deren Motivation man im Unklaren gelassen wird und die man als Zuschauer verabscheut. Wie kann ein Film unter diesen Voraussetzungen überhaupt funktionieren und begeistern? Keine Frage: Der an sich bizarre Stoff und das völlig überzeichnete Figurenensemble befinden sich bei Kouen in guten Händen. Zu keinem Zeitpunkt nimmt er die Essenz ernst, geschweige denn bringt er ihr auch nur den geringsten Respekt entgegen. Ausgiebig zelebriert er eine Gewaltorgie nach der nächsten und treibt dabei den Pegel immer weiter in die Höhe. Aus Spaß an der Freude und einfach, weil er es kann. Die einzelnen Elemente fügen sich passgenau zusammen und ergeben ein stimmiges Gesamtbild - Sei es die Verhohnepipelung des Spießbürgertums, die homophoben Ausschweifungen, der Spott über die unbedarfte Polizeiarbeit, der Fäkalhumor oder einfach nur die schlichte Situationskomik. All das setzt Kounen stilsicher in Szene und erreicht, dass man als Zuschauer wie im Rausch bei der Stange bleibt.
Weiterhin ist es die Abkehr von gewohnten Gut/Böse-Schemata, die den Film noch einmal faszinierender macht. Das erbarmungslose Vorgehen der Dobermann-Gang ist ebenso ambivalent wie die brachiale Taktik des Inspecteur Christini, wobei die genannten Attribute der Sache kaum gerecht werden können. Jenseits aller Moralvorstellungen treibt Kounen seine Figuren selbst über den großen Showdown hinaus voran. Wohl aber bringt Kouen seinem Handwerk vollsten Respekt gegenüber: "Dobermann" ist technisch wie gestalterisch - für damalige Verhältnisse und im Vergleich zum europäischen Film als solcher - hervorragend umgesetzt. Und mit demelben Vergnügen, mit dem Kounen seinen Film inszeniert, spielt auch der Cast auf, insbesondere Vincent Cassel (Dobermann) sowie sein Gegenspieler Tchéky Karyo (Christini), die sich ein inbrünstiges Duell liefern und dabei omnipräsent sind. Dieses Gesamtpaket macht Spaß, vorausgesetzt man ist bereit, über die minimalistische und oftmals zweifelhafte Handlung hinwegzusehen und sich dem Film dafür ekstatisch voll und ganz hinzugeben.
Fazit:
Im Prinzip dürfte ein Film wie "Dobermann" überhaupt nicht funktionieren, da er mit allen Konventionen des Actionfilms bricht. Weder Figuren noch Handlung sind in irgendeiner Weise glaubwürdig; Grenzen zwischen Gut und Böse, Anspruch an Moral und politische Korrektheit sind nicht erkennbar. Und nicht zuletzt ist der Film aufgrund seiner hektischen Schnitte und seinem Lärmpegel, die man in einem Musikvideo verorten würde, recht mühsam anzusehen. Und dennoch funktioniert "Dobermann", eben weil er gängige Klischees und Sehgewohnheiten untergräbt. Jan Kounen erweist sich hier als stilsicherer Regisseur, der es vorzüglich versteht, sein Publikum in einen Rausch zu versetzen. Konsequent treibt er seinen Film durch immer neue Spannungsspitzen - gleich ob durch Actionsequenzen oder neuerliche Gewaltausbrüche - in die Höhe. Ein gut aufgelegter Cast, insbesondere Cassel (Dobermann) und Karyo (Christini) wertet das Gesamtpaket auf.