Kurzinhalt:
Seit mittlerweile fünfzig Jahren führt Bilbo Beutlin nun schon ein beschauliches Leben in seiner gemütlichen Hobbit-Höhle im Auenland. Dann jedoch steht eines Tages der Zauberer Gandalf vor seiner Tür. Kurz darauf klopfen noch insgesamt dreizehn Zwerge an Bilbos Tür an, und bitten um Einlass. Thorin, ihr Anführer, erzählt ihm, dass sie auf dem Weg zum Erebor, dem einsamen Berg, sind. Dort war einst das große Reich der Zwerge, ehe sie vom furchtbaren Drachen Smaug aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Nun wollen sie den Berg wieder zurückerobern – und Bilbo Beutlin, der von Gandalf als talentierter Dieb angepriesen wurde, soll ihnen dabei helfen. Zuerst kommt es für Bilbo überhaupt nicht in Frage, dass er die Zwerge auf dieser Quest begleitet – immerhin führen Hobbits ein doch eher ruhiges Leben; Abenteuer sind bei ihnen verpönt. Dann jedoch vernimmt er doch den Ruf der Ferne, und beschließt, sich der Gemeinschaft anzuschließen. Für Bilbo ist dies der Auftakt des größten Abenteuers seines Lebens – im Zuge dessen es auch zu einer Begegnung mit dem finsteren Wesen Gollum kommt, die sich wiederum Jahrzehnte später für das weitere Schicksal Mittelerdes von entscheidender Bedeutung erweisen wird…
Review:
"In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit." (Alternativ: "In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit"; wobei ich in diesem Fall ausnahmsweise tatsächlich der Krege-Übersetzung den Vorzug gebe). Mit diesen unvergesslichen Worten beginnt das erste Abenteuer aus Mittelerde, dass von J.R.R. Tolkien anno 1937 veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen, die das Glück hatten, "Der Hobbit" und "Der Herr der Ringe" in ihren Kinder- und/oder Jugendjahren zu entdecken, kam ich erst verhältnismäßig spät zu diesem Privileg – nämlich aufgrund der Ankündigung der Kinofilme. Im Jahr 2001 machte ich dann den aus meiner Sicht schweren Fehler, "Der Herr der Ringe" zu lesen, ehe die Trilogie ins Kino kam. Nicht falsch verstehen, die Filme sind genial (die Bücher natürlich auch), aber ich fragte mich damals bei der Premiere von "Die Gefährten", um wie viel spannender und packender ich das alles gefunden hätte, wüsste ich noch nicht, was passieren wird (wie z.B., wenn die Hobbits am Brandywein-Fluss vor den Ringgeistern fliehen). Zusammen mit "Der Herr der Ringe" las ich damals auch "Der kleine Hobbit" (eben noch in der Übersetzung von Walter Scherf; jene von Krege knöpfte ich mir dann erst nach der Trilogie vor, bevor ich auch "Der Herr der Ringe" zum zweiten und schändlicherweise bisher letzten Mal in meinem Leben las), der natürlich im direkten Vergleich unweigerlich abfällt, wo man aber halt schon auch immer im Hinterkopf behalten muss, dass sich dieser noch an eine ganz andere, deutlich jüngere Zielgruppe wendet (und ja ursprünglich auch als Gute-Nacht-Geschichte für seine Kinder begann). Jedenfalls ist nun nach all den Jahren für mich die Zeit gekommen, ein weiteres Mal in die Welt von Mittelerde einzutauchen, und mir dabei nun zum ersten Mal auch alles, was über "Der Herr der Ringe" hinausgeht, vorzuknöpfen. Eine (erwartete) Reise, auf die ich schon sehr gespannt bin – und die natürlich nun mit "Der Hobbit" (zum ersten Mal in der englischen Originalfassung) ihren Anfang nahm.
Auch wenn "Der Hobbit" im direkten Vergleich mit dem "Herrn der Ringe" natürlich unweigerlich verblasst, ist er für sich genommen dennoch ein großartiges Werk der Fantasy-Literatur. Ein wunderschönes, ungemein fantasievolles Abenteuer, das sich zwar in erster Linie an Kinder richten mag, jedoch nichtsdestotrotz auch Erwachsene immer noch (und immer wieder) zu verzaubern vermag. So ziemlich das Einzige, wo man dem Buch die Zielgruppe anmerkt, ist der teils doch sehr amüsante Ton (der dann u.a. auch zur meines Erachtens in beiden Übersetzungen etwas gar kindischen Troll-Szene führt – "Selber Blödi!"; auf Englisch fand ich das erträglicher). Ansonsten ist "Der Hobbit" aber einfach nur ein wundervolles Fantasy-Abenteuer über eine klassische Queste. Bilbo Beutlin erweist sich dabei als der klassische unwillige Held, wird er doch eher unfreiwillig von Gandalf und den Zwergen in dieses Abenteuer gestoßen. In weiterer Folge darf er dann jedoch nicht nur seinen Begleitern, sondern auch sich selbst, seinen Wert unter Beweis stellen. Die Art und Weise, wie er zunehmend über sich hinauswächst und dabei auch sich selbst überrascht, machen Bilbo, zusammen mit seinem Mitgefühl, seiner Cleverness, und seinem in den entscheidenden Momenten auch immer wieder zur Schau gestellten Mut, zu einem überaus charmanten Helden, mit dem man schon bald mitfiebert. Die für mich größte Stärke des Romans ist aber, wie abwechslungsreich und fantasievoll sich Bilbos Abenteuer gestaltet. Fast jedes Kapitel wartet mit einem neuen, gelungenen Einfall auf, seien es faszinierende und/oder furchterregende Kreaturen, neue Herausforderungen für die Helden, interessante Figuren, und so weiter. Eben dies macht "Der Hobbit" ungemein unterhaltsam, und wenn man ihn das erste Mal liest ohne die Geschichte zu kennen, ist man praktisch bei jedem Seitenumblättern gespannt, was einem auf der nächsten erwarten wird. Dementsprechend schwer fällt es mir, Favoriten herauszupicken – wenn auch zugegebenermaßen "Rätsel in der Finsternis" schon allein aufgrund der Verbindung zu "Der Herr der Ringe" hervorsticht. Aber u.a. auch das Kapitel im Düsterwald (mit dem Angriff der Spinnen), die Flucht aus den Fängen der Waldelben, sowie nicht zuletzt auch die Begegnung mit Smaug hatten es mir überaus angetan.
Wenn man unbedingt etwas kritisieren will, dann stechen wohl in erster Linie zweierlei Punkte ins Auge. Einerseits sind dreizehn Zwerge halt doch etwas zu viel. Die meisten von ihnen hinterlassen daher leider nicht wirklich Eindruck (tatsächlich finde ich sogar, dass die Filme hier zumindest ansatzweise geholfen haben), weshalb in erster Linie Thorin und Bilbos guter Freund Balin hervorstechen; der Rest verkommt zu einer kaum unterscheidbaren Masse. Der zweite ist der dann doch recht enttäuschende Verlauf der Schlacht der fünf Heere – was nicht zuletzt auch daran liegt, dass wir einen großen Teil davon überspringen. Dies kann man zwar damit erklären, dass Bilbo ja ohnmächtig wurde und dementsprechend einen Großteil der Schlacht verpasst hat – allerdings hat Tolkien ja zuvor bereits die Erzählperspektive des Hobbits verlassen, um den Angriff Smaugs auf Dale zu schildern – und wie es Bard zuletzt gelang, den Drachen zur Strecke zu bringen. Insofern hätte nichts dagegen gesprochen, wenn wir auch die Schlacht direkt verfolgt hätten. Dann hätte auch die eine oder andere sich dort zutragende tragische Wendung (obwohl die Geschichte – dank Roman und Film – mittlerweile wohlbekannt sein sollte, will ich hier nichts verraten) stärker gewirkt. Letztendlich – und im Gesamten betrachtet – sind diese Kritikpunkte jedoch nur kleine, vernachlässigbare Schönheitsfehler.
Fazit:
"Der Hobbit" ist eine höchst unterhaltsame Erzählung, die den geneigten Leser praktisch ab dem ersten Satz in ihren Bann ziehen sollte. Der Roman besticht dabei in erster Linie mit der wunderbar ausgestalteten Welt von Mittelerde, und generell J.R.R. Tolkiens Fantasie und Einfallsreichtum, die dafür sorgen, dass es in fast jedem Kapitel etwas Neues zu entdecken gilt. Dementsprechend macht es mindestens so viel Spaß, die Welt von Mittelerde durch Bilbos Augen kennenzulernen, als ihn auf diesem Abenteuer zu begleiten. Eben dieses ist jedoch (wenn man von der etwas enttäuschenden Schlacht am Ende absieht) ebenfalls höchst mitreißend und abwechslungsreich gestaltet. Und Bilbo Beutlin ist ein überaus sympathischer – wenn auch unfreiwilliger – Held, dem man sich rasch verbunden fühlt. Natürlich, im direkten Vergleich mit Tolkiens unvergleichlichem (und unerreichtem) Epos "Der Herr der Ringe" zieht "Der Hobbit" unweigerlich den Kürzeren, und vereinzelt merkt man dem Roman auch an, dass die Hauptzielgruppe der Geschichte doch eher jüngeren Alters ist. Dennoch gelang es "Der Hobbit" auch diesmal wieder, mich von der ersten bis zur letzten Seite zu verzaubern.
Bewertung: 4.5/5 Punkten
Christian Siegel
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