Kurzinhalt:
Derry, Maine, im Jahr 1958. Sieben Außenseiter finden in den Sommerferien zum sogenannten Club der Verlierer zusammen: Der stotternde Bill Denbrough, der beleibte Ben Hanscom, die in ärmlichen Verhältnissen aufwachsende und unter ihrem gewalttätigen Vater leidende Beverly Marsh, der Hypochonder Eddie Kaspbrak, der Pausenclown Richie Tozier, der stille Jude Stanley Uris, sowie der Afroamerikaner Mike Hanlon. Im Verlauf des Sommers wachsen sie zusammen, und stellen sich letztendlich gemeinsam nicht einfach nur dem Bully Henry Bowers und seinen Mitläufern, sondern auch jenem Schrecken, der in der Kanalisation von Derry haust, und dessen zyklisches Erwachen – rund alle siebenundzwanzig Jahre – zahlreiche Todesopfer fordert; unter anderem auch das von Bills Bruder Georgie. Gemeinsam gelingt es ihnen tatsächlich, Pennywise' Treiben ein Ende zu setzen, noch bevor dieses den Höhepunkt erreicht. Zugleich schwören sie, dass sie, falls "Es" nicht tot sein sollte, zurückkehren werden, um dem Grauen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Siebenundzwanzig Jahre später ist es dann soweit: Der in Derry gebliebene Mike Hanlon ruft seine Jugendfreunde an, und erinnert sie an ihren Schwur. Nun müssen sich Bill, Ben, Beverly, Eddie, Richie, Mike und Stanley dem Grauen aus ihrer Kindheit ein weiteres Mal stellen…
Review:
Viele halten ja Stephen Kings "Der dunkler Turm"-Saga für sein Magnum Opus. Ich hingegen plädiere für "Es" als das zentrale Werk aus Stephen Kings Schaffen. Zwar kann ich nicht behaupten, von ihm schon alles zu kennen (bei seinem Output ist das ja auch gar nicht so leicht), aber von jenen Romanen, die ich bislang gelesen habe, halte ich "Es" – trotz des kleinen Mankos am Ende – für den Besten. Vor allem aber ist es aus meiner Sicht jenes Buch, wo er sich was seinen im Verlauf seiner Karriere gefundenen Stil auf dem Höhepunkt befindet. In keinem anderen Roman (von denen, die ich bislang kenne) ist es ihm auf ähnliche Art und Weise gelungen, seine Stärken – eine gruselige Grundstimmung, erschreckende Horrorelemente und -einfälle die einem im Gedächtnis bleiben, seine tiefgehende Charakterisierung, sein ausschweifender Schreibstil, und sein Hang zu erzählerischen Umwegen – zu einer einzigartigen Leseerfahrung zu verschmelzen. Was "Es" dabei unter anderem hervorstechen gibt, und ihm einen ganz besonderen Reiz verleiht, sind die beiden Zeitebenen. Auf der einen Seite haben wir hier einen Jugendroman im Stile von "The Body" (jene Kurzgeschichte, welche die Vorlage zu "Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers" lieferte), wo es Stephen King auf bestechende Art und Weise gelingt, den Zauber dieses ganz besonderen Lebensabschnitts einzufangen. Natürlich erzählt er hier von sieben sehr spezifischen Figuren, die auch sehr spezifisches erleben. Und dennoch glaube ich, dass sich jeder von uns in der einen oder anderen Situation, oder auch in einzelnen Aspekten ihrer Persönlichkeit, wiederfinden wird. Und auf der anderen Seite haben wir dann wiederum den Erwachsenen-Teil. Dieser ist auch der Hauptgrund, warum ich persönlich glaube, dass man "Es" eigentlich erst im mittleren Alter so richtig schätzen kann: Wenn man "Es" als Jugendlicher liest, kann man nämlich zwar mit dem entsprechenden Teil einiges anfangen (und funktionieren zugegebenermaßen auch die Horrorelemente besser; denn während diese so manchem Teenager Alpträume bescheren könnten, hatten sie auf mich als abgebrühten Erwachsenen nicht mehr ganz diese erschreckende Wirkung) – aber zum Erwachsenen-Teil fehlt einem in dem Alter doch irgendwie der Bezug.
Erst wenn man dann in einem ähnlichen Alter ist wie die (erwachsenen) Hauptfiguren, beginnt dieser so richtig seinen Reiz zu entfalten – der dann durch das ständige hin- und herspringen zwischen beiden Zeitebenen, und wie sich diese gegenseitig ergänzen, noch einmal gesteigert wird. Da man dann eben zunehmend erkennt, wo sich die Figuren – teilweise auch bedingt durch die damaligen Ereignisse – weiterentwickelt haben, und wo sich wiederum der Ursprung ihrer gegenwärtigen Persönlichkeit (oder ihrer Lebensumstände) in der Kindheit finden lässt. Und das ist teilweise dann doch eher ernüchternd (insbesondere was Beverly betrifft). Eben dieser Wettstreit zwischen Nostalgie und Bitterkeit ist es dann auch, der "Es" für mich unter anderem so auszeichnet. Genau dort kommt eben auch eine ganz wesentliche Stärke von Stephen King zum Tragen: Die tiefgehende Charakterisierung. Mit Bill, Beverly, Ben, Eddie, Richie, Mike und Stanley hat er sieben sehr unterschiedliche Figuren erschaffen, die ich allesamt sehr interessant fand – und die eben auch wiederum durch das Wechselspiel zwischen ihren jungen und alten Persönlichkeiten an Reiz gewinnen. Teilweise freut man sich darüber, zu sehen, wie sie sich entwickelt haben, und teilweise ist es eben eine doch eher deprimierende Erkenntnis. So oder so, er fängt sowohl die jungen als auch die älteren Versionen der Figuren sehr gut ein, stellt sie uns ausführlich vor, und macht sie so nicht nur greifbar, sondern sorgt auch dafür, dass man sich als Leser mit ihnen verbunden fühlt, und dementsprechend in weiterer Folge dann eben auch so richtig mit ihnen mitfiebert. Doch es sind eben nicht nur die Hauptfiguren, denen sich Stephen King in seiner zu diesem Zeitpunkt schon gewohnten Ausführlichkeit widmet. Auch Nebencharaktere wie Henry Bowers und Tom Rogan werden näher beleuchtet. Und zu guter Letzt ist "Es" eben nicht einfach nur die Geschichte des Loser's Club, sondern auch das Portrait der Kleinstadt Derry, deren Geschichte – und frühere Katastrophen – teilweise ausführlich geschildert werden. Und während ich diesen ausschweifenden Schreibstil in anderen Stephen King-Büchern auch schon mal störend bis richtiggehend nervig fand, trug es hier wiederum zur Faszination der Geschichte bei. Jeder Umweg, egal wie kurz oder lang, trägt letztendlich ein weiteres kleines Steinchen zum faszinierenden Mosaik, das "Es" für mich darstellt, bei.
Die letzte wesentliche Stärke von "Es" ist dann das titelspendende Monster. Ein Wesen, dass sich die eigenen Schwächen und Ängste kennt, und sich genau diese zu Nutze macht, finde ich dann doch nochmal um einiges fieser und nahegehender als einfach irgendwelche Vampire, Zombies, oder ähnliches. Und der kosmische Ursprung sowie das unvorstellbare Alter der Kreatur geben ihm eine Größe, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sieben Kinder oder auch normale, erwachsene Menschen dagegen ankommen sollen. Womit wir schließlich auch die Brücke zu den beiden Kritikpunkten geschlagen hätten. Denn der finale Kampf gegen Es ist dann doch etwas gar metaphysisch, und dadurch im Gegensatz zu den Erlebnissen zuvor irgendwie wenig greifbar. Vor allem aber fand ich die Gruppenbumsszene am Ende völlig unnötig und störend. Während sich alles andere am Roman sehr natürlich anfühlt, wirkt das irgendwie künstlich und aufgesetzt, so als wollte King den Leser am Ende unbedingt nochmal schockieren. Wie sagte Yoda einst so schön: Nötig haben du hast das nicht. Der Roman wäre auch ohne diese Szene schon eindrucksvoll genug gewesen. Andererseits muss man dann aber halt auch die Kirche insofern im Dorf lassen, als wir von rund fünf Seiten aus einem (in der deutschen Fassung) über 1.500 langem Epos reden. Sprich: Ja, ich fand's unnötig, künstlich und aufgesetzt, aber im Bezug zu sowohl den Umfang als auch die Klasse des restlichen Romans ist diese Schwäche für mich letztendlich nicht dramatisch genug, um ihm die Höchstwertung zu verwehren.
Fazit:
Für mich stellt "Es" die Krönung von Stephen Kings schriftstellerischen Schaffens dar. Ein unvergleichliches Meisterwerk, das auch wirklich nur er schreiben konnte, und wo er sich kreativ auf dem Höhepunkt seiner Karriere befand. Er ist für mich auch irgendwie der urtypischste King, mit seiner atmosphärischen Grundstimmung, einzelnen erschreckenden Szenen und Ideen, zugleich aber – trotz aller übernatürlichen Elemente – auch dem Horror im Alltag, kombiniert mit Kings unvergleichlichem Gespür für die Figuren und eine wieder einmal sehr tiefgehende Charakterisierung, sowie seinem typischen, ausschweifenden Schreibstil, der mich in anderen Werken oftmals zur Weißglut trieb, hier jedoch wie die Faust aufs Auge passt, und ein faszinierendes Portrait nicht nur der Hauptfiguren, sondern auch dieser von Es seit Jahrhunderten terrorisierten Kleinstadt schafft. Die zentrale Stärke des Romans liegt für mich aber in den beiden Zeitebenen, und der Art und Weise, wie Stephen King in der 1958er-Handlung den Zauber der frühen Jugend einfängt, während der 1985er-Teil von Nostalgie und Trübsinn geprägt ist. Aus meiner Sicht ist "Es" jedenfalls einer jeder Romane, den jeder gelesen haben sollte – und das in diesem Fall idealerweise 2x. Einmal im jugendlichen Alter der jungen Protagonisten, und dann im mittleren Alter ihrer älteren Gegenparts. Dann erschließen sich einem nämlich, aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven, zwei fast völlig verschiedene Romane – und damit gleich zwei so faszinierende wie fesselnde Lesererfahrungen.
Bewertung: 5/5 Punkten
Christian Siegel
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