Kurzinhalt:
Der Schock sitzt tief, als der im Wahlkampf mit seinen rassistischen Äußerungen aufgefallene republikanische Kandidat Joseph Johnson doch tatsächlich zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wird. Während sich Einwanderer mit hispanischen Wurzeln, egal ob legal oder illegal, zunehmend Anfeindungen ihrer Mitbürger gegenübersehen, fühlen sich rechte Gruppierungen und Nazis im Aufwind. Statt zu versuchen, die im Wahlkampf entstandenen Gräben zwischen den Bevölkerungsschichten zuzuschütten, werden diese vielmehr noch tiefer, als Präsident Johnson ein Dekret verabschiedet, dass eine Ausweispflicht für alle legalen Einwanderer vorsieht. Als sich daraufhin einige Staaten weigern, dieses zu verabschieden, beginnt ein Massenexodus in eben diese Bundesstaaten. An der Grenze zwischen Arizona und Kalifornien kommt es dann schließlich zur Katastrophe, als Extremisten mit einem Giftgasangriff tausende Menschen töten. In den Nachwehen dieses verheerenden Anschlags droht der amerikanische Traum dann endgültig zu zerplatzen…
Review:
Als Donald Trump vor etwas mehr als einem Jahr die US-Präsidentschaftswahl doch tatsächlich gewann, war dies für viele Menschen auf der ganzen Welt ein Schock. Ich selbst starrte an diesem Morgen als ich das Handy zückte und die Nachrichten aufrief ebenfalls ungläubig auf das Display, und wähnte mich in einem Alptraum oder einer Art finsterem Spiegeluniversum. Nun kann man mit solchen Nachrichten auf sehr unterschiedliche Art und Weise umgehen. Einige mögen getreu der Vogel Strauß-Politik den Kopf in den Sand gesteckt und die Realitätsflucht angetreten haben. Andere mögen es zum Anlass genommen haben, um sich politisch zu engagieren und zu versuchen, ähnliche Entwicklungen hierzulande zu verhindern (was, wenn man sich die Wahlergebnisse in Deutschland und Österreich ansieht, nicht wirklich funktioniert hat, haben rechte bis offen fremdenfeindliche Gruppierungen doch immer mehr Zulauf). Und manche mögen sich in den Alkohol und ähnliche Drogen geflüchtet haben. Autorin Claudia Kern hingegen wählte einen kreativen Ansatz, um das Trauma der Wahlnacht vom 08. November 2016 zu verarbeiten. Das Ergebnis liegt seit einem knappen Monat im gut sortierten Buchhandel auf, und extrapoliert aus den damals aktuellen Entwicklungen ein sowohl dystopisches als auch überwiegend erschreckend realistisches Bild der Vereinigten Staaten von Amerika am (gesellschafts-)politischen Abgrund.
Für eben dieses Bild bedient sich Claudia Kern eines mosaikartigen Aufbaus, sprich: Sie schildert den Verlauf der Ereignisse aus Sicht verschiedenster Bevölkerungsschichten. Auf der einen Seite ist da natürlich Präsident Johnson, den wir in erster Linie durch die Augen seiner jungen, Hippen Instagram-Fotografin kennenlernen. Als sein größter politischer Konkurrent wird sich in weiterer Folge , der republikanische Gouverneur von Arizona, erweisen – der jedoch insofern um nichts besser ist, als er seine politischen Ambitionen immer über sein Gewissen stellt, und in weiterer Folge einen unverzeihliche Tat begeht, um sich als Gegenkandidat zu Präsident Johnson ins Spiel zu bringen. Neben dieser politischen Perspektive kommt jedoch auch die Sicht der Bevölkerung nicht zu kurz. Einerseits durch den Blick auf legale wie illegale Einwanderer mit hispanischen Wurzeln, die sich bereits am Abend nach Johnsons Wahl rassistischen Übergriffen gegenübersehen, und anhand derer dann schließlich der Flüchtlingsstrom nach Kalifornien – dass sich weigert, Johnsons Dekret zur Ausweispflicht umzusetzen – geschildert wird. Und auch auf die "Gegenseite" wird nicht vergessen. Die Schilderung einer Nazi-Bewegung erweisen sich dabei für mich als ganz besonders eindringlich. Einerseits, da es Kern auf erschreckende Art und Weise schafft, sich in die verquere Gedankenwelt solcher Bewegungen hineinzudenken, und andererseits, da sie bei aller berechtigter kritisch-vorwurfsvoller Auseinandersetzung auch nicht auf einen Erklärungsversuch vergisst, und am Beispiel eines Familienvaters aufzeigt, welche Art von Menschen von eben diesen angesprochen werden – und warum. Mit dem Sohn, der zunehmend Schwierigkeiten mit der "Religion" seiner Eltern hat, gönnt sie uns zudem in der düster-beklemmenden Geschichte auch einen kleinen Lichtblick und Hoffnungsschimmer für die Zukunft.
Die Handlung entwickelt sich im Großen und Ganzen erschreckend plausibel, seien es der Auftrieb, den offen rassistische Bewegungen nach Johnsons Wahlsieg verspüren, oder auch die Angst, die sich in der hispanischen Bevölkerung vermehrt ausbreitet. Erst zum Ende hin kommt es dann zu einer Wendung, die mir ein bisschen zu übertrieben erschien. Generell stellt das betreffende Kapitel insofern eine Zäsur dar, als die Geschichte bis zu diesem Punkt sehr durchgängig erzählt war, und man ihr leicht folgen konnte. Eins ging ins andere über, und man hatte nicht das Gefühl, dass wesentliche Ereignisse ausgelassen würden. Nach dem Anschlag kommt es dann jedoch einerseits zu einem größeren Zeitsprung, und andererseits bleibt erstmal lange unklar, was genau dort denn eigentlich vorgefallen ist – von der Frage, wer sich dafür verantwortlich zeichnet, ganz zu schweigen. Eben dieser plötzliche narrative Sprung hat mich doch ziemlich aus dem Buch herausgerissen, und ich brauchte danach eine Weile, ehe ich wieder in die Handlung zurückfand. Und generell bin ich mir nicht sicher, ob es diese Wendung unbedingt gebraucht hat – war das Buch doch auch so schon beklemmend und erschreckend genug. Danach fängt sich "Divided States of America" allerdings wieder, und vor allem die letzten paar Kapitel konnten mir dann wieder richtig gut gefallen.
Fazit:
"Divided States of America" ist ein von Donald Trumps Wahlsieg inspiriertes Mahnmal, das ausgehend von dem damaligen wie aktuellen politischen Geschehen extrapoliert, und ein überaus düster-beklemmendes Bild zeichnet. Eine der größten Stärken des Romans liegt dabei in der mosaikartigen Erzählweise, durch die Claudia Kern auch wirklich ein allumfassendes Bild der Ereignisse zeichnet, vom mächtigsten Mann der Welt über seine politischen Konkurrenten bis hin zu den unter der Politik und dem von ihr angefeuerten Rassenhass leidenden Einwanderern, sowie jene fremdenfeindlichen Bewegungen, die durch Johnsons Wahlsieg Auftrieb verspüren. Trotz der (gesellschafts-)politischen Thematik ist "Divided States of America" nie langweilig, da immer nahe an den Menschen. So manche Momente oder Entwicklungen gingen mir durch Mark und Bein, zwischendurch gibt es aber auch immer wieder kleinere Hoffnungsschimmer am Horizont. Einzig der Anschlag war mir persönlich etwas zu übertrieben. Zumal mich der darauffolgende Zeitsprung doch ziemlich aus der Geschichte herausriss, und den ersten Kapiteln darauf ein bisschen der nötige Kontext fehlte – ehe sich endlich aufklärte, was dort genau geschehen ist. Von diesem Manko abgesehen ist "Divided States of America" aber eine Pflichtlektüre für all jene, die sich für das aktuelle weltpolitische Geschehen interessieren – und das unabhängig davon, wie man persönlich zu Trump steht.
Bewertung: 4/5 Punkten
Christian Siegel
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