Inhalt & Review:
So sehr er sich auch bemühte: Es fiel Sir Arthur Conan Doyle offenkundig schwer, das "Monster", dass er erschuf, zu Grabe zu tragen. Zuerst schilderte er seinen vermeintlichen Tod in "Das letzte Problem", nur um ihn in "Die Rückkehr des Sherlock Holmes" wieder von den Toten zurückholen. In der letzten dort versammelten Geschichte behauptete Dr. Watson dann, dass diese die letzte sei, die er im Hinblick auf das Schaffen seines Freundes zu veröffentlichen gedenke, nur um in "Seine Abschiedsvorstellung" acht weitere Fälle zu versammeln. Dessen letzte gab der Anthologie dann auch den Titel, doch auch bei dieser vermeintlichen Abschiedsvorstellung sollte es nicht bleiben (wenn auch das letzte Abenteuer dort chronologisch gesehen in der Tat Holmes' letztes war). "Sherlock Holmes' Buch der Fälle" ist nun aber tatsächlich die Sammlung der zwölf allerletzten Holmes-Kurzgeschichten, die von Sir Arthur Conan Doyle selbst geschrieben wurde (der sich trotz seiner vorangegangenen Versuche, seine Schöpfung loszuwerden, im Vorwort dieser sowohl den immer neue Abenteuer verlangenden Lesern gegenüber versöhnlich gibt). Und wie schon "Seine Abschiedsvorstellung" ist auch diese Sammlung wieder ein wenig durchwachsen. Da und dort bietet sie zwar interessante Neuerungen, teilweise zeigen sich aber doch auch schon Ermüdungserscheinungen. Den Anfang macht – zumindest in der deutschen Veröffentlichung des Haffmans-Verlags (die sich an der Erstveröffentlichung orientiert, welche die Geschichten nicht in der Reihenfolge ihres ursprünglichen Erscheinens im Strand Magazine beinhaltet), "Der illustre Klient", wo es Holmes mit dem österreichischen Baron Gruner zu tun bekommt. Die Story an sich ist etwas banal, Gruner aber ein ganz interessanter – und herrlich arroganter – Gegenspieler, und die Erzählung somit insgesamt ok.
An "Der erbleichte Soldat" sticht in erster Linie der Erzähler hervor, denn statt aus Sicht von Dr. Watson wird diese hier nun vielmehr von Sherlock Holmes persönlich erzählt – der es sich auch nicht nimmt, sich an den aus seiner Sicht allzu blumigen Schilderungen seines guten Freundes zu mokieren. Wer daraufhin eine ganz trockene und reine wissenschaftliche Abhandlung erwartet, täuscht sich. Vielmehr steht Holmes seinem guten Freund in Wahrheit nicht viel nach – durch den Wechsel der Perspektive, die uns einen noch deutlicheren Blick in Holmes Geist ermöglicht, sticht die ansonsten nicht übermäßig ausgeklügelte und/oder interessante Geschichte jedenfalls hervor (markant übrigens auch, dass dies eine von gleich mehrere Erzählungen ist, in denen Holmes durch eine wichtige Notiz Einlass zu einer bestimmten Person erhält). "Der Mazzarin-Stein" zählte für mich dann zu den Highlights der Sammlung. Zwar relativ kurz – es hätte nicht geschadet, wenn wir den Fall von Anfang an verfolgt hätten – gefiel mir doch, wie Holmes die Verbrecher hier austrickst und so triumphiert. "Die drei Giebeln" verschreckt zu Beginn mit dem damals leider vorherrschenden Rassismus gegenüber einer afroamerikanischen Figur, entwickelt sich in weiterer Folge aber zu einer durchaus interessanten, gefälligen und unterhaltsamen Geschichte. "Der Vampir von Sussex" zählte für mich dann wieder zu den Höhepunkten der Sammlung. Nicht zuletzt, da Doyle hier zu Beginn mit einer übernatürlichen Erklärung zu spekulieren scheint – was gerade auch beim so wissenschaftlichen Holmes einen doch recht starken Kontrast darstellt – und dann doch noch eine weltliche Erklärung für die Geschehnisse findet. "Die drei Garridebs" war dann ok. Sie besticht vor allem mit jenem Moment am Ende, als Holmes seine tief empfundenen Gefühle für seinen guten Freund Watson durchscheinen lässt, als dieser angeschossen wird. Der Fall an sich war aber nicht unbedingt etwas Besonderes.
"Das Rätsel der Thor-Brücke" zählt für mich dann zu den Höhepunkten nicht nur der Sammlung, sondern auch zu den besten Holmes-Geschichten überhaupt. Ein spannender, schön ausgeklügelter Fall, in dem Holmes seine Fähigkeiten der Deduktion wieder wunderbar ausspielen kann, und am Ende eine beim ersten Lesen überaus überraschende Offenbarung präsentiert, die ich zu den besten aller Holmes-Geschichten zähle. Großartig! Leider folgt auf sie auch gleich mein persönlicher Tiefpunkt der Sammlung: "Der Mann mit dem geduckten Gang" wirkt nicht nur vom Rätsel, sondern auch der Aufklärung her ziemlich bescheuert, und konnte mich leider von vorne bis hinten nicht wirklich überzeugen. Klar, die wunderbare Beschreibung von Holmes Charakter sowie seine Deduktionen reißen auch hier einiges raus, letztendlich war der Fall aber schon ziemlich schwach. "Die Löwenmähne" ist dann die zweite Geschichte, die aus Holmes' Sicht geschildert wird. Ermittlungen als auch Auflösung wissen durchaus zu gefallen, wenn letztere aus meiner Sicht auch ein bisschen offensichtlich war, und Holmes' Genius somit in anderen Erzählungen besser zur Geltung kam. "Die verschleierte Mieterin" war dann ein weiterer Tiefpunkt, nicht zuletzt, da man sich fragt, warum das denn überhaupt eine Holmes-Geschichte ist, da er keinerlei Ermittlungen anstellt, sondern sich nur die Geschichte einer Klientin anhört – und das war's. Dies fand ich noch dazu nicht übermäßig spannend; und sehr kurz war die Erzählung auch. "Shoscombe Old Place", hier als vorletztes enthalten, war das allerletzte von Doyle veröffentlichte Holmes-Abenteuer. "Seine Abschiedsvorstellung" hatte zwar als auch chronologisch letzte Geschichte das bessere Setting, dafür ist der Fall hier ausgeklügelter, interessanter, und gibt Holmes damit auch mehr Gelegenheit, seine Genialität unter Beweis zu stellen. Nicht der beste Fall und somit auch kein überragender Abgesang auf die Figur, aber doch ganz ok. "Der Farbenhändler im Ruhestand", die hier nun den Abschluss bildet, sehe ich ähnlich. Eine ganz bestimmte Idee, die ich hier aus Spoilergründen nicht vorwegnehmen will, gefällt, und die Ermittlungen an sich waren auch nett nachzuverfolgen. Sie mag zwar nichts Besonderes gewesen sein, und vor allem auch als Abschied für die Figur hätte man sich einen prägnanteren Fall gewünscht, erfüllt diesen Zweck meines Erachtens nach aber immerhin besser als "Seine Abschiedsvorstellung".
Fazit:
Die zwölf letzten von Sir Arthur Conan Doyle geschriebenen Abenteuer von Sherlock Holmes und John Watson machen wieder einen etwas durchwachsenen Eindruck. Vor allem zwei Geschichten fallen recht deutlich ab, zugleich gibt es aber auch zwei richtige Highlights. Der Rest war ok bis gut. Auffällig ist, dass nicht mehr alle Stories von Dr. Watson erzählt werden. Einige sind, wie zuvor schon "Seine Abschiedsvorstellung", in der dritten Person gehalten, zwei weitere werden zudem von Sherlock Holmes selbst geschildert. Eben diese Erzählperspektive fand ich sehr interessant und reizvoll, da sie einen noch tieferen Einblick in seine Gedankenwelt bot. Fans des Meisterdetektivs werden hier jedenfalls mit zwölf weiteren, größtenteils gelungenen, Fällen belohnt – das Überdrüber-Highlight für seinen Abschied fehlt allerdings. Vielleicht hat Doyle zu diesem Zeitpunkt selbst schon nicht mehr daran geglaubt, dass Holmes wirklich nicht mehr zurückkehren würde? Wie auch immer, dass er es verabsäumte, seiner berühmtesten Schöpfung einen letzten, großartigen Schwanengesang zu spendieren (weil "Seine Abschiedsvorstellung" taugte als solcher wie ich fand ja auch nur bedingt) trübt den Gesamteindruck schon nochmal ein wenig. Davon abgesehen kommen aber auch an dieser Anthologie wieder einmal weder Holmes- noch Krimi-Fans vorbei.