Inhalt & Review:
"Die Abenteuer des Sherlock Holmes" ist der erste von fünf Kurzgeschichten-Sammelbänden, welche die kürzeren Fälle des Meisterdetektivs beinhaltet, die Sir Arthur Conan Doyle – meist zur Veröffentlichung im Strand Magazine – verfasst hat. Insgesamt zwölf seiner Fälle sind hier versammelt, die in ihrer Qualität zwar teilweise ein bisschen schwanken mögen, was mir aber sehr gut gefällt, ist die Abwechslung, die sie bieten – steht doch nicht bei jeden von ihnen ein Mordfall im Zentrum. Nun schätze ich zwar natürlich murder mysteries so sehr wie jeder andere Krimi-Fan, nicht zuletzt, da sie wohl das Rückgrat des Genres darstellen. Aber ich fand es doch auch sehr erfrischend, dass Sherlock Holmes seine außerordentlichen Fähigkeiten auch im Bereich von anderen Verbrechen – wie Erpressung, Diebstahl usw. – anwenden durfte. Das wertete die Sammlung für mich noch einmal zusätzlich auf. Was nun die einzelnen Geschichten betrifft: Den Anfang macht "Ein Skandal in Böhmen", der die wohl bekannteste Gastfigur neben Moriarty beinhaltet: Irene Adler, aka "die Frau". Vor allem in den letzten Verfilmungen, egal ob jene von Guy Ritchie oder die BBC-Serie von Steven Moffat und Mark Gatiss, wurde Sherlock eine Romanze mit dieser angedichtet. Ganz so weit geht es in der Erzählung natürlich nicht, dort bleibt sein Interesse bis zuletzt ein beruflich-akademisches, wenn er Irene Adler auch für ihre Schläue bewundert. Und wenn er am Ende als einzige Bezahlung darum bittet, ihre Fotographie zu behalten, könnte man hier tatsächlich eine gewisse Sentimentalität hineininterpretieren. (Nur zur Klarstellung: Es störte mich nicht, dass die modernen Adaptionen auf diese Saat in dieser Art und Weise aufbauten, aber es sei der Vollständigkeit halber halt erwähnt.) Vor allem aber zeichnet sich die Kurzgeschichte dadurch aus, dass es sich um eine der wenigen Fälle handelt, in denen es dem Täter bzw. der Täterin gelingt, Sherlock Holmes zu überlisten. Mehr noch, als sie sich in Verkleidung an ihm vorbeischleicht, schlägt sie ihn gar mit seinen eigenen Waffen. Von diesen Punkten abgesehen ist die Geschichte eigentlich nicht einmal sonderlich packend oder herausragend; aber Irene Adler sowie ihr Erfolg gegenüber Mr. Holmes sorgen dann doch noch dafür, dass sie aus den Sherlock Holmes-Abenteuern heraussticht.
"Die Liga der Rotschöpfe" fiel für mich in dieser Sammlung etwas ab. Das zugrundeliegende Mysterium wirkt dann doch etwas gar schräg, zudem erscheint die Auflösung selbst für einen bei weitem nicht so scharfen Geist wie jenem von Sherlock Holmes recht offensichtlich. Da selbst dieses Abenteuer gewohnt gut geschrieben ist und vor allem mit den beiden wunderbaren Hauptfiguren besticht, ist aber auch diese Kurzgeschichte insgesamt noch ok. "Eine Frage der Identität" wartet ebenfalls mit einem eher ungewöhnlichen Fall auf. Auch diesmal fand ich es relativ einfach zu durchschauen, was es mit dem verschwundenen Gentleman auf sich hat, und insgesamt würde ich die Geschichte als die schwächste der hier versammelten klassifizieren. Immerhin bot aber auch sie wieder ein paar nette Deduktionen. In "Das Rätsel von Boscombe Valley" gilt es schließlich, wieder einmal einen Mord aufzuklären. Hier wurde für mich dann auch klar, warum sich Sir Arthur Conan Doyle für seine Kurzgeschichten teilweise auf andere Verbrechen verlegt hat: Ist es doch nicht unbedingt leicht, eine vernünftige Mordermittlung in so kurzer Zeit darzustellen, da kaum Zeit bleibt, die handelnden Personen vorzustellen, sie befragen zu lassen, und Holmes generell bei den Ermittlungen zu zeigen. Der Mangel an Figuren lässt den Leser somit wieder mal recht rasch erahnen, wer der Mörder ist, und im Vergleich zu z.B. "Das Zeichen der Vier" und "Das Tal der Angst" vermisst man doch ein bisschen die Komplexität, was den Fall an sich betrifft. Dennoch hat mir die Geschichte letztendlich – möglicherweise auch, weil wieder mehr auf dem Spiel stand – wieder besser gefallen als die beiden zuvor. Zumal das Rätsel an sich grundsätzlich wieder nett erdacht war. "Die fünf Orangenkerne" litt in erster Linie darunter, dass der Ku-Klux-Klan (bedauerlicherweise) selbst heute noch jedem ein Begriff ist – ja scheinbar sogar noch mehr, als dies damals als die Geschichte geschrieben wurde der Fall war. Damals mag für den durchschnittlichen Leser die betreffende Auflösung der vermeintlichen Initialen K.K.K. überraschend gewesen sein – während es heutzutage das erste ist, was einem in den Sinn kommt. Von diesem bedauerlichen Punkt abgesehen – für den Doyle aber natürlich nichts kann – konnte mir diese Erzählung aber sehr gut gefallen.
"Der Mann mit der entstellten Lippe" bietet grundsätzlich wieder ein interessantes Mysterium – leider aber fand ich die Auflösung sehr enttäuschend, weshalb ich auch diese Geschichte zu den schwächeren des Bandes zählen würde. Ganz anders "Der blaue Karfunkel", wo sich Holmes auf die Jagd nach einem Juwelendieb macht, und dabei eine nette Kette an Personen abklappern muss, ehe er endlich an den Täter gerät. Dies bedeutet auch eine Reihe schöner Deduktionen – die noch dazu nur mit einem Filzhut, einer geschlachteten Gans sowie dem besagten blauen Karfunkel" – beginnt. Wie Sir Arthur Conan Doyle aus dieser Ausgangssituation einen spannenden Fall spinnt, ist schon beachtlich. Unmittelbar darauf folgt dann mit "Das gesprenkelte Band" mein absoluter Favorit aus dieser Sammlung – bei dem es sich zudem um eine der berühmtesten und populärsten Kurzgeschichten rund um den Meisterdetektiv handelt (nicht zuletzt fängt ja auch die Illustration auf dem Cover der Haffmans-Ausgabe den entscheidenden Moment aus eben dieser Erzählung ein). Ein wundervolles Rätsel mit ein paar effektiven roten Heringen, einem tollen "closed room"-Rätsel, einer tollen Auflösung, sowie einem packenden Finale. Definitiv eine Geschichte, die im Gedächtnis bleibt. Möglicherweise auch aufgrund seiner Platzierung fiel "Der Daumen des Ingenieurs" demgegenüber leider doch ziemlich ab. Für mich lag das u.a. daran, dass der Erzählung des Opfers so viel Zeit bzw. Platz eingeräumt wird, dass Sherlock Holmes kaum mehr Gelegenheit hat, um irgendwas zu ermitteln bzw. zu deduzieren. Dementsprechend werden seine Überlegungen auch viel zu schnell abgehandelt, und kommen so – wie auch seine spezielle, hervorstechende Persönlichkeit – kaum zur Geltung. "Der adlige Junggeselle" war da schon wieder besser, zu den besten der hier enthaltenen Geschichten würde ich sie aber auch nicht unbedingt zählen. "Die Beryll-Krone" ist dann grundsätzlich wieder ein netter Fall, bedauerlich nur, dass Doyle hier auf den letzten Seiten plötzlich eine neue Figur aus dem Hut zieht, von der der Leser nichts wissen konnte, was es schwer bis unmöglich machte, Holmes' Überlegungen nachzuvollziehen, da uns dieses entscheidende Puzzlestückchen nun mal fehlte. Und "Die Blutbuchen" bietet zum Abschluss nochmal einen höchst mysteriösen, jedoch auch etwas banal wirkenden Fall, wo ebenfalls die Erzählung der Klientin etwas zu viel Platz einnimmt – die dafür aber immerhin mit einem packenden und emotional befriedigenden Finale aufwarten konnte.
Fazit:
"Die Abenteuer des Sherlock Holmes" beinhaltet die ersten zwölf Kurzgeschichten, die Sir Arthur Conan Doyle über die Fälle des berühmten Meisterdetektivs verfasst hat. Meine persönlichen Highlights waren dabei "Das gesprenkelte Band" (für mich eine der besten Holmes-Geschichten überhaupt!), "Ein Skandal in Böhmen" (in erster Linie natürlich dank Irene Adler), "Der blaue Karfunkel" (dank der wunderbaren Schnitzeljagd, auf die sich Holmes mit einer tollen Kette aus Deduktionen begibt), "Das Rätsel von Boscombe Valley" (wenn auch gerade diese Geschichte von ca. der doppelten Länge hätte profitieren können, damit sich die Geschichte besser entfalten kann) sowie "Die fünf Orangenkerne" (wo lediglich die offensichtliche Auflösung rund um die Initialen K.K.K. etwas schade war). Demgegenüber fielen für mich vor allem "Eine Frage der Identität" (ein paar nette Deduktionen, davon abgesehen aber sehr banal und fast schon eine Verwechslungskomödie), "Der Mann mit der entstellten Lippe" (aufgrund der nicht wirklich überzeugenden Auflösung), und "Der Daumen des Ingenieurs" (die von der Erzählung des Klienten dominiert wird, was kaum mehr Platz für Holmes' Ermittlungen lässt). Der Rest siedelt sich irgendwo dazwischen an. Unterhaltsam waren sie allerdings grundsätzlich alle, wobei sie was das betrifft aber natürlich auch von ihrer Kürze profitieren. Vor allem aber wurde die Sammlung für mich dann noch durch den Abwechslungsreichtum aufgewertet, den die hier versammelten Fälle bietet – und der "Die Abenteuer es Sherlock Holmes" für mich letztendlich auch zu mehr macht als der reinen Summe ihrer Teile.