Mit: Casey Affleck, Lucas Hedges, Michelle Williams, Kyle Chandler u.a.
Kurzinhalt:
Vor Jahren hat Lee Chandler nach einem tragischen Ereignis Manchester in New Hampshire, USA, den Rücken gekehrt. Doch als sein Bruder Joe stirbt, sieht er sich dazu gezwungen, wieder in seine alte Heimatstadt zurückzukehren. Dort lauern nicht nur die Schatten der Vergangenheit auf ihm, die ihn ständig an jenen tragischen Schicksalsschlag erinnern, der ihn vor einigen Jahren ereilte, sondern auch eine um seinen Bruder Joe trauernde Familie – allen voran dessen Teenager-Sohn Patrick. Als er diesen zum Anwalt begleitet, um das Testament seines Bruders zu öffnen, erlebt Lee schließlich eine Überraschung: Denn dort hat Joe verfügt, dass er im Falle seines Todes das Sorgerecht über Patrick erhalten soll. Eine Aufgabe, der sich Lee jedoch überhaupt nicht gewachsen fühlt…
Review:
Kenneth Lonergans vorangegangener Film, "Margaret", hatte mich ja sehr beeindruckt. Den fand ich zwar zugegebenermaßen noch eine Spur beeindruckender, dennoch hat er mit "Manchester by the Sea" nun ein weiteres fantastisches Drama nachgelegt. Denkt man zu Beginn, er würde sich diesmal in erster Linie dem Thema der Trauer widmen, wird nach rund einer Stunde deutlich, dass auch bei seinem jüngsten Film die Schuld-Thematik wieder eine ganz große Rolle spielt. Immerhin fühlt sich Lee – ob zu Recht, oder zu Unrecht, bleibt dem Gutdünken des Zuschauers überlassen – für das tragische Ereignis aus seiner Vergangenheit verantwortlich. "Manchester by the Sea" erweist sich nun als Charakterstudie eines gebrochenen Mannes, der sich von diesem Schicksalsschlag nie wieder so recht erholen konnte. Und ohne zu viel verraten zu wollen, aber was den Film für mich u.a. so auszeichnet ist, dass er uns eine verkitschte und/oder Hollywood-typische Entwicklung erspart. Das fand ich überaus angenehm und erfrischend.
Während man Margaret die 2-1/2 stündige Laufzeit durchaus angemerkt hat (was für mich jedoch, wie ich erwähnen muss, kein Kritikpunkt war), vergingen die leicht geringere Laufzeit bei "Manchester by the Sea" fast wie im Flug. Ehrlich, ich habe bei der letztjährigen Viennale (deren Eröffnungsfilm dies war) wesentlich kürzere Filme gesehen, die deutlich länger gewirkt haben. Der Film wurde zu keinem Zeitpunkt langweilig und verstand es, mich von Anfang bis Ende zu unterhalten, und teilweise auch richtiggehend mitzureißen und zu berühren. Neben der grundsätzlichen Kurzweiligkeit, die den ganzen Film durchzog, stachen dann aber natürlich auch noch bestimmte, einzelne Momente ganz besonders hervor, wie z.B. Joes erschütternde Erinnerungen an das damalige Ereignis (mein einziger kleiner Kritikpunkt daran sind die ständigen Schnitte in die Gegenwart, die den Fluss immer wieder unterbrechen), einzelne starke Momente mit Patrick, oder auch das Wiedersehen mit Randi. Sehr nett fand ich zudem die unaufgeregte Art und Weise, wie "Manchester by the Sea" mit dem sexuellen Erwachen Jugendlicher umgeht. Und auch wenn im weiteren Verlauf deutlich wird, dass Schuld auch diesmal wieder im Mittelpunkt steht, so spielt nichtsdestotrotz auch die Trauer-Thematik ebenfalls eine wichtige Rolle – und auch diese sprach mich sehr an. Vor allem Patrick fühlte ich mich dabei teilweise stark verbunden. Die eine oder andere zwischendurch eingestreute, amüsante Szene sorgte zudem, dass der Film trotz der ernsten und düsteren Thematik nie zu trübsinnig und deprimierend wird. Und auch die schauspielerischen Leistungen stachen wieder einmal hervor. Vor allem Michelle Williams hatte es mir, obwohl sie im Film eine vergleichsweise kleine (wenn auch entscheidende) Rolle spielt, wieder einmal angetan. Aber auch Casey Affleck war toll, und darf sich nach dieser Leistung wohl ernsthafte Chancen auf den Oscar ausrechnen. Die restliche Besetzung machte ebenfalls eine gute Figur, wobei für mich vor allem noch Lucas Hedges hervorstach. Zwar hätte ich auch nichts dagegen, wenn sich Lonergan dann auch mal einer anderen Thematik zuwenden würde. Aber solange seine Filme über Schuld und -gefühle so gelungen sind wie "Margaret" und "Manchester by the Sea" fällt es mich schwer, mich zu sehr darüber zu beschweren.
Fazit:
"Manchester by the Sea" ist ein überaus netter, schöner, ehrlicher und trotz Überlänge auch sehr kurzweiliger Film, der sich schwierigen Themen ganz ohne Kitsch und Pathos widmet. Vielmehr stehen hier Ehrlichkeit, Sachlichkeit und Bodenständigkeit an der Tagesordnung, jedoch ohne dabei an emotionaler Wirkung einzubüßen. Neben der wundervollen Art und Weise, wie "Manchester by the Sea" mit seinen zentralen Thematiken – Trauer und Schuld – umgeht, stachen vor allem auch die schauspielerischen Leistungen hervor, wobei sich für mich insbesondere Michelle Williams, Casey Affleck und Lucas Hegdes hervortaten. Darüber hinaus bleiben vor allem ein paar wirklich erschütternde Szenen in Erinnerung, wobei Lonergan auch darauf achtet, uns zwischendurch auch immer wieder kurz ein bisschen etwas zum Lachen zu geben, damit sich die aufgestaute Spannung kurz entladen kann und der Film trotz aller Tragik nie zu bedrückend und trist wird. Vor allem aber gefiel mir, dass sich "Manchester by the Sea" nicht den üblichen Konventionen solcher Filme beugt, und vielmehr in der sehr erfrischenden und überraschend tröstlichen Aussage mündet: "Alles wird nicht gut – und das ist ok."