Kurzinhalt:
Seit Jahrzehnten befindet sich die Menschheit im Krieg mit den katzenähnlichen Kilrathi, und ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines neuen Piloten, der frisch von der Akademie auf die T.C.S. Tiger's Claw versetzt wird, und dort als Wing Commander mit wechselnden Flügelmännern einen Einsatz nach dem anderen fliegt. Sein Geschick im Cockpit und seine Kampfkünste im Duell mit den Piloten der Kilrathi wird letztendlich maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg der für die Menschheit so entscheidenden Vega-Kampagne entscheiden…
Anmerkung:
Das nachfolgende Review sowie die Bewertungen beziehen sich nicht nur auf das Grundspiel, sondern berücksichtigen auch die beiden "Secret Missions"-Erweiterungskampagnen.
Review:
Als "Wing Commander" vor genau 25 Jahren erschien, revolutionierte das Spiel – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal innerhalb der Reihe – in vielerlei Hinsicht die Computerspiel-Industrie. So war es das erste Game, dass es dem Spieler erlaubte, Luftkämpfe im Weltall auszutragen – und das in damals revolutionärer Grafik. Statt Linienrastern oder schlichten Polygon-Modellen dominierten hier zum ersten Mal 3D-Modelle das Geschehen, und lieferten eine für damalige Zeit sensationelle und revolutionäre Grafik. Vor allem auch die kleinen Kampfschiffe der Kilrathi können sich dabei in meinen Augen selbst heute noch sehen lassen. Den Großkampfschiffen sieht man ihr Alter schon deutlicher an, und gerade auch die Tiger's Claw verkommt im Anflug je näher man ihr kommt zu einem unschönen Pixelbrei. Davon abgesehen hat die Grafik aber selbst heute noch einen Charme, und damals war sie ohnehin ein echter Augenöffner. Nicht zuletzt auch mit ihr gelang es "Wing Commander" de facto, ein völlig neues Genre zu begründen, dass in weiterer Folge Konkurrenten wie den "X-Wing"-Spielen den Weg ebnen sollte.
Die wahren Errungenschaften und Stärken von "Wing Commander", die dafür sorgen, dass mich das Spiel selbst 25 Jahre später noch zu fesseln und zu faszinieren vermag, liegen in meinen Augen aber ohnehin woanders. So legte Spieledesigner Chris Roberts von Anfang an viel Wert darauf, den Spieler nicht einfach nur auf eine Mission nach der anderen zu schicken, sondern ihn vielmehr Teil eines detailreich ausgearbeiteten Universums zu machen. Ein Ziel, dass über viele verschiedene – teils revolutionäre – Errungenschaften erreicht wird. Das beginnt schon beim damals beiliegenden Handbuch, dass mehr war als eine schlichte Spielebeschreibung, und vielmehr das Universum vorstellte. So wurde man in groben Zügen über die Vorgeschichte des Konflikts zwischen Menschen und Kilrathi aufgeklärt, lernte die späteren Flügelmänner sowie die Asse der Kilrathi kennen, mit denen bzw. gegen die man später dann fliegen würde, es gab den einen oder anderen Tipp für den Raumkampf gegen den Gegner, sowie ausführliche Beschreibungen aller eigenen und gegnerischen Schiffe. Verpackt wurde dies in ein fiktives "Claw Marks"-Magazin – so als würde man tatsächlich auf der Tiger's Claw sitzen und dieses Heftchen durchblättern. Das über dem gesamten Spiel stehende Ziel, den Zuschauer hineinzuziehen, setzt sich dann auch über das Gameplay und die Inszenierung fort. So bekommen wir zwischen den Missionen nicht nur Gelegenheit, einen Blick aufs Killboard zu werfen (und dabei zuzusehen, wie wir in der Rangliste erstaunlich schnell hinaufklettern), sondern können auch mit dem Barkeeper oder wechselnden Piloten reden. In diesen Gesprächen – die hier noch keine Dialogoptionen zulassen – erfahren wir mehr über den Verlauf des Krieges, bekommen Tipps für die Weltraumkämpfe, und lernen unsere zukünftigen Flügelmänner und -frauen besser kennen. Überaus positiv fällt dabei auch gleich die internationale Herkunft der Piloten auf. Europäer etc. sind hier nicht einfach mit Quoten vertreten, vielmehr machen Amerikaner eher die Minderheit aus, gibt es Piloten aus Schottland, Belgien, Australien, Japan und so weiter. Damit wird plausibel das Gefühl vermittelt, dass sich auch wirklich die gesamte Menschheit im Krieg mit den Kilrathi befindet.
Die cinematographischen Zwischensequenzen tragen ebenfalls viel dazu bei, den Spieler so richtig ins Geschehen hineinzuziehen. Vor allem die Startsequenz sticht diesbezüglich hervor. Die ist wirklich sensationell gemacht, und könnte – abseits der Animationsqualität – genauso gut aus einem Film stammen. Zuerst sehen wir nur, im blutroten Alarmlicht getaucht, laufende Schuhe, dann den Kopf des Piloten und eines Technikers, dann wie "wir" uns im Cockpit festschnallen und den Helm aufsetzen, und dann werden wir in bester "Kampfstern Galactica"-Manier ins All hinaus geschossen. All dies ist mit einer peitschenden Musik hinterlegt, die bei jedem Start die Adrenalinproduktion des Spielers anregt. Die Kämpfe selbst sind ebenfalls sehr packend umgesetzt. Die Gegner-KI ist dabei solide, wobei jene der Flügelmänner da und dort zu wünschen übrig lässt (insbesondere bei Maniac, der den Spieler schon gerne mal aus dem Weltall schießt, wenn dieser das Pech hatte, in seine Schusslinie zu geraten). Zudem sind die Missionen sehr abwechslungsreich, und reichen von Patrouillen über Begleitmanöver bis hin zu Angriffsflügen auf ein bestimmtes – meist großes – Ziel.
Der Schwierigkeitsgrad ist dabei konstant ansteigend, im Grundspiel aber noch durchaus fair. Nur eine Mission lässt sich fast nicht bewältigen – was wohl bewusst so gemacht wurde, damit es den Spieler zumindest einmal auf den Verliererpfad verschlägt (dazu gleich mehr). Erst in den Erweiterungspaketen steigt der Schwierigkeitsgrad dann enorm an, und dürfte selbst jene, die mit den meisten Missionen des Grundspiels keine Probleme hatten, vor die eine oder andere harte Herausforderung stellen. Da sich der Schwierigkeitsgrad hier noch nicht individuell einstellen lässt, helfen im schlimmsten Fall dann nur mehr die klassischen, vor allem auch von damaligen PC-Spielen bekannten Cheats, damit man auch die beiden Erweiterungskampagnen beenden und so die Geschichte von "Wing Commander" bis zu ihrem Ende verfolgen kann. Eine der größten Stärken des Spiels, die in meinen Augen (oder eher Ohren) da und dort gerne einmal übersehen wird, ist die – bei der Startsequenz bereits kurz angesprochene und lobend erwähnte Musik. Neben den sehr abwechslungsreichen Melodien, die in Erinnerung bleiben, sticht dabei vor allem ihr situationsabhängiger Einsatz hervor. Solange wir uns friedlich auf Patrouille befinden, gibt’s eine Reisemusik, die bei Feindkontakt dann durch eine neue, deutlich packendere Melodie abgelöst wird. Und wenn unser Flieger schon ziemlich zerschossen ist, weißt uns nicht nur die Schadensanzeige, sondern auch die Musik darauf hin, dass die Lage zunehmend gefährlich bis aussichtslos aussieht. Und auch außerhalb des Cockpits finde ich die Musik sehr gelungen, egal ob für die Bar, die Barracken, oder auch für die Filmsequenzen, wobei es mir die Melodie, die bei Trauerzeremonien abgespielt wird, ganz besonders angetan hat.
Die letzte ganz wesentliche Stärke, mit der sich "Wing Commander" von anderen Spielen – und das nicht nur seines Genres – abhebt, ist die dynamische Missionsführung. Bei fast allen Spielen, die davor (und eigentlich auch danach) erschienen sind, sind Missionen dazu da, bewältigt zu werden. Wenn man sie nicht schafft, darf man sie so oft wiederholen, bis es einem endlich gelingt. Nicht so bei "Wing Commander". Hier kann man durchaus mal bei einer Mission scheitern, und das Spiel geht trotzdem weiter. Dies ist für mich dann auch einer der absoluten Hauptgründe dafür, dass man sich beim Spielen von "Wing Commander" als Teil eines lebenden, atmenden Universums fühlt. Denn ganz egal, wie erfolgreich wir sind, das "Leben" geht weiter – nur wird es bei zu vielen Fehlschlägen unweigerlich auf der Verliererstraße und damit einem Rückzug der Tiger's Claw enden. Im umgekehrten Fall heißt dies wiederum, dass man dem Spieler bei erfolgreichen Flügen durch eben diese dynamische Missionsführung glaubwürdig das Gefühl vermittelt, der entscheidende Faktor in diesem Krieg zu sein – was sich auf mich deutlich motivierender auswirkt, als ein schlichtes "Du hast versagt, versuch's nochmal!".
Trotz aller Innovationen – wirft man retrospektiv einen Blick auf die Titel der Reihe zurück, wird deutlich, dass "Wing Commander" letztendlich wenig mehr ist als ein Prototyp. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl an der Story, die – zumindest im Grundspiel – wenig komplex ist, und über ein "wir gewinnen oder wir verlieren den Krieg", je nach Erfolg des Spielers, nicht hinausgeht. Natürlich ist es ungemein motivierend, die unmittelbaren Auswirkungen der eigenen Erfolge zu sehen, und dass sich diese eben nicht nur in einem (in "Wing Commander" unplausibel rasant von statten gehender) Erklimmen der militärischen Karriereleiter, Orden, sowie der Führungsposition am Killboard ausdrückt, sondern wir dann eben auch sehen, dass der erfolgreiche Abschluss unserer Missionen z.B. Zivilisten auf einem Planeten erlaubt, die Kilrathi zurückzuschlagen. Mehr darf man sich aber was Komplexität und Tiefgang betrifft vom ersten "Wing Commander" noch nicht erwarten, weshalb er storytechnisch im Vergleich zu den weiteren Spielen der offiziellen Reihe, aber selbst dem Ableger "Privateer", abfällt. Erst die "Secret Missions" schaffen hier dann Abhilfe. Für diese überlegte man sich nicht nur einige neue, nette Twists, wie z.B. dass man gegen von den Kilrathi gekaperte Schiffe der Konföderation antreten muss, oder auch selbst mal in einem erbeuteten Dralthi fliegen darf, man schenkte auch der Story deutlich mehr Beachtung. So beginnt die erste gleich mit einem tragischen Vorfall auf der Kolonie McAuliffe, und die zweite Erweiterungskampagne ist dann storytechnisch ohnehin dem danach in Kürze anstehenden zweiten Teil "Vengeance of the Kilrathi" näher als Teil 1, mit einer ausgeklügelteren Story, mehr Dialogszenen mit den Piloten, und auch dem ersten Auftritt einiger Figuren, die im zweiten Teil noch eine große Rolle spielen sollten. Die hier noch nicht ganz so ausgeklügelte Story sowie die zugegebenermaßen nicht gerade einfache Steuerung, da man neben einem Joystick auch fleißig Gebrauch von der Tastatur machen muss, sind aber letztendlich auch die einzigen markanten Kritikpunkte, die ich gegenüber dem ersten "Wing Commander"-Spiel ins Treffen führen kann.
Fazit:
"Wing Commander" ist zweifellos einer der ganz großen Klassiker der Computerspiele-Geschichte. Selbst 25 Jahre später macht es immer noch Spaß, sich ins Cockpit einer Hornet, Raptor, Scimitar oder Rapier zu begeben, um zusammen mit einem Flügelmann gegen die katzenähnlichen Kilrathi in die Schlacht zu ziehen und sie aus dem Vega-Sektor zu vertreiben. Storytechnisch köchelt der erste Teil der Reihe zwar vergleichsweise noch eher auf Sparflamme, und erweist sich somit letztendlich eher mal als Prototyp – jedoch einer, der ein neues Genre begründete und zahlreiche Innovationen einführte oder zumindest etablierte. Neben der damals wegweisenden Grafik, die heutzutage natürlich veraltet ist – jedoch abseits der Großkampfschiffe dem nostalgisch verklärten Auge selbst heute noch durchaus gefallen kann – stechen dabei vor allem die großartige und in den Missionen situationsabhängige Musik, die ausführlich ausgearbeitete Hintergrundgeschichte, die filmreife Inszenierung sowie die dynamische Missionsführung hervor. Letztere bedeutet, dass man das Spiel selbst wenn man scheitert (aber überlebt) durchspielen kann, und somit nicht zwangsweise jede Mission stupide wiederholen muss, ehe man sie bewältigt hat. Es ist vor allem auch der letzte Punkt, der dem Spieler das Gefühl gibt, Teil eines echten, atmenden und lebenden Universums zu sein – und ihm somit das Schicksal eines ganzen Sektors in die Hände legt. Spätere Spiele der Reihe mögen noch ausgefeilter gewesen sein und da und dort noch einmal eins draufgesetzt haben, dennoch ist "Wing Commander" für mich ein zeitloser Klassiker, zu dem ich immer wieder gerne zurückkehre.