Die Vor- und Nachteile des ComicfilmboomsKategorie: Kolumnen - Autor: Christian Deglmann - Datum: Mittwoch, 06 Mai 2015
Die Filmbranche wird zur Zeit von Comicverfilmungen dominiert. Filme wie "The Avengers: Age of Ultron" oder "Guardians of the Galaxy" fahren Boxofficerekorde ein und ein Ende scheint nicht in Sicht. Disney, sowie 20th Century Fox und Warner Bros haben die Starttermine für Verfilmungen von DC- und Marvelhelden bis 2019 bereits fest verplant. Dies spaltet die große Gemeinschaft der Film- und Kinofreunde! Die einen sind vor Vorfreude total von der Rolle, die anderen sehen dieser superheldenlastigen Zukunft eher entnervt entgegen. Ich zähle mich zu ersteren, was nicht heißt, dass ich die andere Seite nicht verstehe. Heute will ich mich mit den positiven und negativen Aspekten des Comicfilmbooms auseinandersetzen!
Fangen wir doch mit der Contraseite an. Es ist immer schlecht wenn ein bestimmtes Genre zu dominant wird und zum Selbstläufer mutiert. Dann bekommt man nämlich eine Menge Filme, die alle eine ähnliche Prämisse und einen ähnlichen Aufbau haben. Künstlerische Freiheit wird zugunsten von Massenabfertigung zurückgeschraubt. Marvel haut zur Zeit zwei Filme im Jahr raus und will demnächst auf Filme pro Jahr aufstocken. Die Leute von DC schlafen natürlich auch nicht und wollen demnächst mit ihren Comicverfilmungen ein ähnliches Tempo einlegen. Zudem kommen dann noch Fox, die auch einen Happen vom Kuchen wollen. Die Studios suchen den nächsten lukrativ klingenden Comichelden aus, engagieren Regisseur und Drehbuchautor, die diese Auftragsarbeit erledigen und fertig ist der nächste dantasie- und lieblose Kassenknaller. Da bleibt der eine oder andere originelle Film auf der Strecke, da das Studio lieber auf ein großes Franchise setzt, das garantiert Gewinn abwirft, auch wenn der Film selbst mies ist.
Doch dies ist eine recht harsche Schwarzweißmalerei. Hollywood produziert zur Zeit auch fernab der Comicverfilmungen immer weniger Neues und verlässt sich immer weiter auf die bereits etablierten Marken. Unsere auf mehrere Jahre ausgelegten Comicfranchises hatten eben das Glück, sich gerade noch rechtzeitig zu Publikumsmagneten zu entwickeln. Auch die Sache mit den lieblosen Auftragsarbeiten würde ich so in vielen Fällen nicht unterschreiben. Klar sind viele Trittbrettfahrer mit am Start und natürlich haben wir viele uninspirierte Arbeiter, die einfach den nächsten Streifen produzieren. Aber das ist bei jedem erfolgreichen Trend der Fall. Auf der Haben-Seite steht da z. B. Joss Whedon. Der Schöpfer von "Buffy", "Firefly" und auch Regisseur von "The Avengers" und dessen Fortsetzung sowie (neben Konzernchef Kevin Feige) genereller Ansprechpartner für das Marvel-Filmuniversum. Dieser Typ hat das erste Skript für den ersten "X-Men"-Film geschrieben, das dann bis auf 1-2 Sätze komplett umgemodelt wurde. Er wollte eine "Wonder Woman"-Serie drehen, die es nicht auf die Bildschirme schaffte und er hat bei Marvel selbst als Comicautor gearbeitet. Er lebt, um zu schreiben und was er sehr gerne schreibt sind Comicgeschichten. Marvel holt auch Indie-Regisseure wie James Gunn mit an Bord. Dieser quirlige Filmemacher, der für seine abstrusen Streifen bekannt ist – zumindest in Fankreisen – kann einen großen Film wie "Guardians of the Galaxy" drehen. Ein unbekannter Regisseur dreht einen Film über eine unbekannte Comicreihe und es wird trotzdem ein Hit – gerade weil seine ungewöhnliche und verrückte Art so gut zu der Comicvorlage passt. Jemand wie James Gunn hätte es ohne den Comicboom wahrscheinlich nie geschafft, sich einen großen Namen zu machen. Auch die Russo-Brüder, die den zweiten "Captain America" drehten, sind alles andere als die üblichen Verdächtigen. Die beiden Fans der Comics sind zuvor hauptsächlich für Sitcoms wie "Community" und "Arrested Development" auf den Regiestuhl gesessen. Marvel geht sehr oft große Risiken ein, die andere Studios nicht im Traum genehmigen würden, doch sie schaffen es auf diese Art, Mauern einzureißen und den Comicfans solche Filme zu geben, auf die sie oft schon seit Jahrzehnten warten. Im anderen Lager, bei DC hatten wir bis vor ein paar Jahren diesen Christopher Nolan, für den sich früher kein Schwein interessierte, doch mit seiner modernen und ernsthaften "Batman"-Interpretation ist er einer DER Filmemacher unserer Generation geworden! Und das zurecht.
Das Argument mit der lieblosen Massenware und Auftragsarbeit ist also bei den großen Erfolgen und Wegbereitern dieses Booms nicht angebracht, da dies alles kleine Fische im Teich waren, die Stoff adaptieren wollten, den sie lieben. Nun haben sie die Chance dazu, ohne dass der anzugtragende Produzent (Tom Rothman – googelt ihn, der Kerl macht immer alles kaputt!) auftaucht und ihnen in die Suppe spuckt. Eine andere Sache, die (wie ich finde) viel zu oft missinterpretiert wird, ist das Gleichsetzten von Comicverfilmungen und Superheldenfilmen. Natürlich liegt es auf der Hand einen "Superman"-Film als Superheldenfilm zu bezeichnen. Aber bei "Guardians of the Galaxy" wird das auch getan, was ich nicht verstehen kann. Ich meine, der Film ist eher eine Mischung aus Komödie und Space-Opera ala "Star Wars". Und niemand würde zu "Star Wara" Superheldenfilm sagen – obwohl da die Hauptfigur Superkräfte hat! Aber GotG ist ein Marvelfilm, ergo Superhelden! Auch "Captain America" ist ein Superheld, doch sein letztes Abenteuer war eher Agententhriller als das was man als "klassischen" Superheldenstoff beschreiben würde. Oh ja, er macht unmögliche Sachen und trägt meistens ein Kostüm, aber James Bond, oder jeder andere Actionheld, definiert die Gesetze der Physik neu – mit dem feinen Unterschied, dass Captain America gegen einen Kampjet kämpfen kann, weil er eben ein Supersoldat ist und John McLain oder James Bond das halt einfach so ohne hinreichende Erklärung schaffen. Ich leg mir das natürlich alles etwas zurecht, aber von dieser Seite gesehen muss man doch zugestehen, dass es da eine gewisse Doppelmoral gibt.
Doch das beste Argument für die komplette Comicfilmindustrie sind wir Fans. Selten wurden wir ernst genommen und noch seltener wurde einem als Comicleser etwas Gutes vor die Nase gesetzt. Eine wirklich gerechtfertigte Adaption von Captain America, Iron Man und Thor braucht eben die Interaktion zwischen diesen und dann auch deren Zusammentreffen. Sie nicht in einem "Avengers", "Age of Ultron" oder "Civil War" in einen Film zu schmeißen, wäre so, als hätte man bei "Game of Thrones" nur die Geschichte von Jon Snow in die Serie gepackt. Man muss allein den Umfang rechnen, den die kompletten gesammelten Werke um die eine oder andere Comicfigur enthalten. Ich meine, wäre es nicht unfair gewesen, nur einen "Harry Potter"-Film zu drehen? Die komplette Handlung umfasst doch sieben Bücher! "Spider-Man" erscheint seit den Sechzigern monatlich und obwohl da auch viel Müll dabei ist, könnte man noch dutzende Filme drehen, ohne dass einem das Material ausgeht. Ich als Comicleser (und Zeichner von Comicstrips *hust* *hust*) sehne eine Zukunft herbei, in der ich mich in den Park oder sonstwohin setzen kann und einen Comic lesen kann, ohne dass jemand lächelt oder tuschelt, weil er/sie der Ansicht ist, dass es kitschige Kinderlektüre ist. Das komplette Medium Comic – und da schließe ich auch gerne den japanischen Manga mit ein – wird von unserer Gesellschaft häufig nicht ernst genommen. Als Maler oder Schriftsteller bekommt man staatlich Förderung – Comicautoren bleiben, obwohl ihre Arbeit beides verbindet, außen vor. Comics werden nicht als Kunst angesehen! Wenn also Leonardo Davinci auf seine Mona Lisa eine Sprechblase geklatscht hätte, wäre es nur Schund gewesen. Wenn Tolkien ein begnadeter Zeichner gewesen wäre und den "Herr der Ringe" als Graphic Novel veröffentlicht hätte, wäre dies nicht als Literatur anerkannt. Damit möchte ich nicht sagen, dass der Comic über anderen Kunstformen steht, oder manche Werke als Comic besser sind. Aber wir sollten als Gesellschaft anfangen, dieses Medium wertzuschätzen, wie wir es auch mit einem guten Buch machen würden – und da ist es mehr als hilfreich, wenn aktuell erfolgreichsten Filme Adaptionen von Comics sind.
Der Comicboom wird sicherlich irgendwann abebben und aufhören, genauso wie der Westernboom in den Sechzigern. Denn es wird trotz all meiner Lobpreisungen von dem einen oder anderen Film und Filmemacher wird doch immer mehr ähnliches Material produziert und das Publikum wird früher oder später davon abgesättigt sein. Nicht mehr lange und die Blase platzt, einige Leute verlieren ne menge Geld und das Kino orientiert sich neu – das ist eben der Lauf der Dinge. Trotzdem hoffe ich, dass das Medium Comic im Nachhinein besser dasteht.