Kurzinhalt:
Tod wird vermisst, weshalb es auf der Scheibenwelt vor Untoten nur so wimmelt. Nachdem der magisch eher unbegabte Zaubererlehrling Rincewind, der in der Bibliothek der Unsichtbaren Universität arbeitet, alle notwendigen Zutaten besorgt hat, führt der Erzkanzler das Ritual von Ashk-Ente aus, um den Tod zu sich zu rufen. Dieser besteht darauf, auf Urlaub zu sein – man solle ihn gefälligst in Ruhe lassen. Daraufhin wird Rincewind damit beauftragt, Tod zu suchen und ihn dazu zu überreden, seinen Job wieder aufzunehmen. Doch Tod ist deprimiert, aufgrund des schlechten Rufs, den er in der Welt genießt. Da hat Rincewind eine Idee: Er möchte in Holy Wood einen Klicker drehen, mit dem Tod als Hauptdarsteller. Dieser ist begeistert. Doch bevor die Dreharbeiten beginnen können, sind zahlreiche Aufgaben zu bewältigt. Und auch nach der Premiere des Films nimmt die Geschichte nicht ganz den Lauf, wie es sich Rincewind eigentlich vorgestellt hat…
Review:
Nur etwas mehr als ein Jahr, nachdem Psygnosis Adventure-Spieler weltweit mit ihrem sauschweren "Discworld"-Spiel an den Rand der Verzweiflung getrieben hatten, legten sie mit "Discworld 2: Vermutlich vermisst…?!" eine Scheibe – oder besser gesagt zwei, ist das Spiel doch auf 2 CDs verteilt – nach. Während ich das erste Scheibenwelt-Adventure Ende der 90er mal angespielt hatte, zählte die Fortsetzung bis vor kurzem zu jenen ganz großen Adventure-Klassikern, die ich mir ganz bewusst für irgendwann später mal aufgehoben hatte. Nachdem ich letztes Jahr nach "Reaper Man" – was sich angeboten hätte, da "Vermutlich vermisst…?!" lose auf diesem basiert – keine Zeit hatte, um mir das Spiel in Ruhe vorzuknüpfen, schien mir nach Rincewinds neuerlichem Auftritt in "Interesting Times" nun die perfekte Gelegenheit gekommen zu sein, um das bisher Versäumte nachzuholen. Wie es der Zufall so will, begann ich mit dem Spiel just am Tag nach Terry Pratchetts Tod – was der Musical-Nummer "That's Death" mit der man ins Abenteuer startet einen noch deutlich makabereren Touch verlieh, als sie ihn so schon hatte.
Trotz dieses Mankos – wofür das Spiel natürlich nichts kann – fand ich die Sequenz auf schwarzhumorige Art und Weise köstlich. Es ist eine Musiknummer in bester Eric Idle/Monty Python-Tradition – und nicht das einzige Mal, dass ich mich an eben diese erinnert fühlte (was wohl insofern kein Zufall sein dürfte, als Idle Rincewind im Original ja seine Stimme leiht). So wohnen wir im Verlauf des Spiels einer Steinigung bei, und treffen sogar auf musikalische Skelette, die auf einem Hügel gekreuzigt wurden. Diese Verschmelzung zweier Ikonen des britischen Humors fand ich jedenfalls sehr reizvoll. Die Handlung selbst basiert, wie erwähnt, lose auf dem Roman "Reaper Man", genauer gesagt entlehnt man diesem das grundsätzliche Konzept, dass der Tod vermisst wird, und daraufhin die Untoten auf der Scheibenwelt ihr Unwesen treiben. Auch wenn die Handlung selbst sehr unterschiedlich verläuft, finden sich doch so einige Figuren aus der Vorlage – wie die Untoten aus der Selbsthilfegruppe – hier wieder. Ähnlich wie schon der Vorgänger beschränkt sich "Vermutlich vermisst…?" jedoch nicht nur auf diese eine Vorlage, sondern bedient sich Elementen aus zahlreichen anderen Scheibenwelt-Abenteuern, wie u.a. "Moving Pictures", "Pyramids" sowie "Lords und Ladies". Zudem haben zahlreiche aus den Romanen bekannte Figuren hier einen Auftritt. Einige davon, wie den Erzkanzler, den Bibliothekar, Windle Poons, den scheuen Schwarzen Mann oder auch Schnappler, kennen wir dabei bereits aus dem ersten Spiel. Dafür machen wir hier nun u.a. die Bekanntschaft von Oma Wetterwachs, Frau Kuchen, der Elfenkönigin, Albert, sowie Tods Enkeltochter Susanne. Für Fans der Scheibenwelt gibt es jedenfalls auch hier wieder viel zu entdecken, und zumindest mir machte es viel Spaß, aus den Romanen bekannte Orte zu besuchen und/oder Figuren kennenzulernen.
Obwohl zwischen beiden Spielen gerade mal etwas mehr als ein Jahr lag, hat sich grafisch in der Zwischenzeit ungemein viel getan. War "Discworld" mit seiner VGA-Grafik anno 1995 nur mehr bedingt auf der Höhe der Zeit, kommt die Fortsetzung in prächtiger SVGA-Grafik daher, die sich meines Erachtens – abseits der etwas abgehakten Animationen aufgrund relativ weniger Einzelbilder – selbst heute noch sehen lassen kann. Ich finde, diese Zeichentrick-Adventures sind noch ziemlich mit am besten gealtert, da man das auch heutzutage kaum schöner hinbekommen würde (von einer höheren Auflösung abgesehen). Und zumindest für mich muss es nicht immer gleich 3D-Grafik sein – schon gar nicht bei einem klassischen Adventure, also einem Rätselspiel. Jedenfalls stellt die Grafik den Vorgänger weit in den Schatten – was innerhalb des Spiels auch noch einmal ganz besonders illustriert wird, als wir eine Sequenz aus dem früheren Spiel besuchen. Die Hintergründe sind wunderbar gezeichnet (wenn auch natürlich rein statisch, ohne sich bewegende Details), und die Figuren sehen ebenfalls toll aus. Ganz ehrlich: Mehr brauch ich bei einem Adventure nicht.
Doch nicht nur grafisch hat sich viel getan, sondern auch was die Rätsel betrifft. Diese wurden beim Vorgänger ja teils heftig kritisiert, und auch wenn mir schwere Spiele immer noch weitaus lieber sind als jene, wo man ohne die Gehirnzellen aktivieren zu müssen durchmarschiert (wie es heutzutage im Genre ja leider immer wieder der Fall ist; was ich insofern lustig finde, als heute im Vergleich zu früher die Lösung immer nur einen Internet-Klick entfernt ist), muss selbst ich gestehen, dass das eine oder andere Rätsel jenseits von Gut und Böse war. Aufgrund der Fülle an Figuren, Gegenständen, Schauplätzen usw. war zudem wildes Herumprobieren kaum möglich – weshalb ich verstehen kann, weshalb damals so mancher Spieler verzweifelt ist (mir wäre es ohne den grandiosen UHS-Ratgeber an einigen Stellen ähnlich gegangen). Die Fortsetzung gestaltet sich da weitaus fairer. Zwar gibt es auch diesmal noch das eine oder andere Rätsel, wo man um die Ecke denken muss, dafür wurden diesmal allerdings immer wieder deutliche Hinweise eingestreut. Einerseits sagt uns Rincewind, wenn wir auf der richtigen Spur sind, zum Erfolg allerdings noch etwas fehlt. Andererseits weist er uns mehrmals darauf hin, dass dies nun ein Hinweis war und wir uns das notieren sollten. Insgesamt halte ich den Schwierigkeitsgrad des Spiels jedenfalls für ziemlich optimal, da es zwar immer noch einige Kopfnüsse bietet, aber nicht mehr so unverschämt schwer ist, wie es der Vorgänger teilweise war. Zudem erspart man uns Frust-Einlagen wie den einen oder anderen Fall aus dem Vorgänger, wo man dachte, eine Aufgabe nun erfolgreich abgeschlossen zu haben, nur auf eine weitere schier endlos erscheinende Rätselkette geschickt zu werden. Positiv auch, dass das Spiel überwiegend nicht linear ist und uns immer wieder gleich vor mehrere Aufgaben stellt. Wenn ich bei Rätsel A grade nicht weiter weiß, mache ich halt bei Rätsel B weiter. Das fördert den Spielfluss und hilft dabei, die Motivation zu stärken und Frust zu verhindern.
Insgesamt fand ich die Rätsel jedenfalls im Großen und Ganzen fair und lösbar. Einzig ein Aspekt erschwerte mir die Rätsellösung unnötigerweise, und zählt somit auch zu meinen wenigen großen Kritikpunkten: Denn da und dort habe ich Locations bzw. die Erweiterungen von Locations – also mit anderen Worten, dass diese nach links oder rechts scrollt – übersehen. Klar, mein Fehler, dennoch finde ich, da und dort (wie z.B. beim Garten der Unsichtbaren Universität, wo ich ursprünglich die Bienenstöcke nicht gefunden habe, beim Friedhof, oder auch beim Drehort in Holy Wood) hätte man deutlicher machen können, dass die Locations in die eine oder andere Richtung weiterscrollen. Und auch der XXXX-Kontinent ist ziemlich gut versteckt. Mit der Zeit hatte ich den Dreh zwar raus, und ging mit der Spielfigur grundsätzlich immer an den Rand des Bildschirms, um auf Nummer sicher zu gehen, dass ich auch wirklich den kompletten Schauplatz überblicke bzw. erforsche, aber bis es so weit war, sind doch einige Körner in meiner Lebens-Sanduhr heruntergerieselt. Das hätte man besser lösen können.
Davon abgesehen fand ich den Schwierigkeitsgrad – der sich dennoch auch hier eher an Veteranen als an Quereinsteiger richtet – aber ziemlich optimal so, wie er war. Bei den Rätseln selbst handelt es sich dabei überwiegend um klassische Inventarrätsel, wobei man da und dort auch mal ein bisschen logisches Denken anwenden – und z.B. jemanden von einem Ort fortlocken – muss. Und im Falle von Frau Kuchen ist auch eine etwas abgewandelte – und ziemlich originelle und ausgefuchste – Art von Dialogrätsel eingebaut. Etwas kritisch sehe ich allerdings den Aufbau des Spiels. Denn eigentlich würde man sich ja einen leichten und vom Umfang her noch überschaubaren Einstieg erwarten, ehe es in den weiteren Abschnitten dann immer schwieriger und komplexer wird. Nicht so bei "Discworld II – Vermutlich vermisst…?!". So habe ich persönlich für den ersten Akt bei weitem am längsten gebraucht. Zwar ist die Rätseldichte im zweiten Abschnitt noch einmal eine Spur größer, dafür gab es im ersten Teil aber so wahnsinnig viel zu entdecken; Locations die es auszukundschaften galt, und vor allem auch eine Fülle an Figuren, mit denen teils lange Gespräche zu führen waren. So sehr ich einen nicht-linearen Spielverlauf grundsätzlich auch vorziehe, aber Einsteiger dürften sich von der Fülle an Dinge, die es zu entdecken gab, wohl doch etwas überfordert fühlen. Jedenfalls hat der erste Akt bei mir gleich einmal ein Drittel der Spielzeit ausgemacht. Der zweite Abschnitt weist dann die größte Rätseldichte auf, und kann auch schon mit der einen oder anderen Kopfnuss aufwarten, dafür trifft man weniger (neue) Figuren, weshalb mein Eindruck war, dass ich diesen sogar etwas schneller bewältigte. Der hauptsächliche Knackpunkt ist aber, dass nach diesen beiden langen, ausführlichen Abschnitten ein ziemlicher Einbruch folgt, was die Spielzeit betrifft. Denn die letzten beiden Akte sowie den Epilog lassen sich meinem Eindruck nach in weniger Zeit beenden, als jeder der ersten beiden Teile für sich allein genommen. Dies widerspricht nicht nur der Erwartungshaltung nach einer klassischen Spielkurve mit konstanter Steigerung, sondern sorgt – in Verbindung mit dem geringeren Schwierigkeitsgrad – auch dafür, dass die Spielzeit doch etwas kürzer ist als beim Vorgänger. Darauf sollte man sich im Vorfeld einstellen.
Wie beim Vorgänger ist eine der wesentlichen Stärken des Spiels natürlich der Humor. Ähnlich wie die Vorlage(n) auf denen das Spiel basiert strotzt auch "Discworld II – Vermutlich vermisst…?!" nur so über vor witzigen Figuren, köstlichen Dialogen, und amüsanten parodistischen Anspielungen. Vor allem auf Hollywood bzw. Filme wird immer wieder referenziert, sei es durch Anspielungen auf bekannte Szenen, Dialogzitate, und so weiter. Auch unter den Figuren findet sich das eine oder andere Highlight, wie z.B. den frisch gewaschenen Vampir, der das Nachtleben verabscheut. Und auch Rincewind selbst hatte es mir wieder etwas angetan. Für meinen Geschmack hätte er zwar noch eine Spur feiger sein dürfen, dennoch wartete er mit zahlreichen lustigen Kommentaren auf. Das Tüpfelchen auf dem "i" des Discworld II-Humors sind dann die zahlreichen Anspielungen auf PC-Spiele im Allgemeinen und den Vorgänger im Besonderen. So redet Rincewind gleich zu Beginn über das erhöhte Animationsbudget, und meint, dass in Folge dessen bei den Rätseln eingespart werden musste, weshalb diese nicht mehr ganz so schwierig sind wie im Vorgänger. Hier beweisen die Macher immer wieder (Selbst-)Ironie.
So unterhaltsam die Dialoge auch sind, einen Knackpunkt dabei gibt es doch. So sind diese teils doch eine Spur zu ausführlich ausgefallen – was schon mal dazu führen kann, dass man mehrere Minuten mit einem Gespräch verbringt, was den Spielfluss immer wieder unterbricht. Das Spiel bietet dabei leider nur die Option, einzelne Sätze abzubrechen, nicht jedoch den gesamten Dialog. Das kann schon mal dazu führen, dass man bei der Wiederholung eines längeren Gesprächs mehrmals ungeduldig auf die Maustaste drückt, ehe man mit dem letzten Klick ungewollt den gesamten Dialog gleich noch einmal auslöst, da der Zeiger natürlich noch auf dem entsprechenden Symbol war. Auch hier hätte es somit noch Verbesserungspotential gegeben. Allen, die das Spiel so wie ich mit SCUMMVM spielen wollen, seien zudem darauf hingewiesen, dass der Disc-Wechsel dort nicht funktioniert. Vielmehr muss man die Dateien beider CDs auf der Festplatte lagern (eine Anleitung dazu findet ihr hier). Abschließend noch ein paar Worte zur Lokalisierung: Während ich die Romane ja auf Englisch lese, lag mir auch von "Discworld II – Vermutlich vermisst…?!" wie schon beim Vorgänger wieder nur die deutsche Sprachfassung vor. Abseits des etwas komisch klingenden Sprechers, der die Akt-Titel vorliest – mit einer Inbrunst, als hätte man ihn gerade aus dem Tiefschlaf geweckt – scheinen alle Figuren dabei sehr gut besetzt zu sein. Rincewind wird wie beim Vorgänger wieder von Arne Elsholtz eingesprochen, der neuerlich mit viel Inbrunst und Hingabe am Werk ist. Auch davon abgesehen haben alle Figuren, die bereits im Vorgänger zu hören waren, wieder die gleiche Stimme. Die Übersetzung erschien mir ebenfalls weitgehend makellos – wobei das ohne Kenntnis des Originals natürlich ein bisschen schwer einzuschätzen ist. Aber zumindest wäre mir kein grober Schnitzer wie beim ersten Teil mit dem "Tier" aufgefallen. Einzig bei den Filmzitaten hätte man ein bisschen mehr Sorgfalt walten lassen können (z.B. "Ich komme zurück" statt "Ich komme wieder"). Aber das ist zu verschmerzen.
Fazit:
"Discworld II – Vermutlich vermisst…?!" ist ein in allen Sinnen des Wortes phantastisches Adventure, dass dem Vorgänger – mit Ausnahme der kürzeren Spielzeit – in allen Belangen überlegen ist. Grafisch ist vom ersten zum zweiten Teil ein Quantensprung passiert, und ich finde, dass sich die SVGA-Grafik – von der im Vergleich zu modernen Spielen geringeren Auflösung abgesehen – nach wie vor sehen lassen kann. Die Story konnte mir ebenfalls noch einen Tick besser gefallen als beim Vorgänger. Und vor allem rätseltechnisch hat sich enorm viel getan. Zwar immer noch fordernd, fand ich die Rätsel überwiegend fair, wobei auch die zahlreichen Hinweise von Rincewind dabei helfen, dass man sich nicht mehr ganz so verloren und allein gelassen fühlt, wie beim ersten "Discworld"-Spiel. Was die Fortsetzung mit dem ersten Teil gemein hat, sind die gute Musik, die tollen Sprecherleistungen, sowie insbesondere natürlich den phantastischen Humor. "Discworld II – Vermutlich vermisst…?!" strotzt nur so vor amüsanten (wenn auch teilweise ausufernden) Dialogen, abgefahrenen Charakteren, witzigen Einfällen, sowie zahlreichen Anspielungen auf PC-Spiele, Filme und so weiter. Wie beim Vorgänger bedient man sich dabei nicht nur jenem Roman, der den Grundriss der Geschichte geboten hat (hier: ""), sondern auch aus zahlreichen anderen Abenteuer von der Scheibenwelt. Eben dies machte für mich auch den größten Reiz des Spiels aus: Orte besuchen und Figuren treffen, die ich bisher nur vom Papier kannte. Jedenfalls ist "Discworld II – Vermutlich vermisst…?!" für alle Fans von Adventure-Spielen oder von Terry Pratchetts Scheibenwelt ein Muss, und erwies sich für mich als ideal, um dem vor kurzem verstorbenen Autor Tribut zu zollen. Denn als am Ende der Tod Windle Poons an den Arm nahm, um ihn endgültig ins Reich der Toten zu führen, musste ich unweigerlich an Terry Pratchett denken, und hatte doch ein kleines Tränchen im Auge…