Mit: Michael Keaton, Emma Stone, Edward Norton, Naomi Watts, Zach Galifianakis, Andrea Riseborough, Amy Ryan u.a.
Kurzinhalt:
Anfang der 90er war der Schauspieler Riggan dank seiner Hauptrolle in den Birdman-Superheldenfilmen so gefragt wie nie. Doch nach einer erfolgreichen Trilogie kehrte er der Filmreihe den Rücken. Seither ging es mit seiner Karriere steil bergab. Nun möchte er mit einem Paukenschlag zurückkehren, und auf dem Broadway ein Theaterstück zu Raymond Carvers Kurzgeschichte "What We Talk About When We Talk About Love" inszenieren – und dabei auch gleich in die Hauptrolle schlüpfen. Er hofft damit nicht nur, sein Comeback zu schaffen, sondern möchte insbesondere auch die Anerkennung seiner Kollegen sowie der Kritiker gewinnen. Doch als ein außergewöhnlicher Unfall seinen zweiten Hauptdarsteller außer Gefecht setzt, scheint das Stück unter keinem guten Stern zu stehen. Oder soll sich das Missgeschick vielmehr als Glücksfall herausstellen? Denn seine Hauptdarstellerin, Lesley, ist gerade mit Mike zusammen. Dieser verfügt zwar innerhalb der Branche über den Ruf eines Enfant Terribles, ist jedoch ein absoluter Kassenmagnet; sein Engagement würde dem Theaterstück sehr viel Publicity einbringen und wohl auch dafür sorgen, dass die Zuschauer in Massen ins Theater strömen. Riggan fackelt daher nicht lange und verpflichtet ihn. Doch als die ersten Generalproben katastrophal verlaufen, sieht Riggan statt des erhofften Comebacks vielmehr einem möglichen Karriereselbstmord entgegen. Unaufhaltsam rückt die Premiere näher…
Review:
"Birdman" war eines meiner absoluten Highlights auf der letztjährigen Viennale, und hätte sich in meinem FilmRückblick wohl mit "Boyhood" um den dritten Platz gematcht, wenn er denn letztes Jahr schon regulär ins Kino gekommen wäre. Ab heute kommen aber endlich auch die hiesigen Ottonormal-Kinogeher in den Genuss, sich diesen phantastischen Film – der in den letzten Wochen zahlreiche Preise eingeheimst hat und als einer der ganz großen Favoriten für die diesjährige Oscar-Verleihung gilt – anzusehen. Und Genuss ist genau das richtige Wort, denn was Regisseur Alejandro González Iñárritu und sein phänomenales Ensemble hier abliefern, ist eine filmische Naturgewalt. Ein ungemein energiegeladener Film, der mich von der ersten bis (fast) zur letzten Minute phänomenal unterhalten hat, und der aus der ewiggleichen Blockbuster-Masche wohltuend hervorsticht, es dabei jedoch aufgrund des hohen Unterhaltungswerts dennoch schaffen sollte, auch die Massen für sich einzunehmen.
Irgendwo im Internet habe ich in den letzten Tagen gelesen, "Birdman" sei eine Art männlicher "Black Swan", und auch wenn beide sicherlich über Gemeinsamkeiten verfügen – wie z.B. das Theatersetting, oder der Fokus auf eine/n Schauspieler/in, der/die am Druck zunehmend zu zerbrechen droht – so sind die beiden zumindest tonal sehr unterschiedlich. Wo "Black Swan" ein waschechter, düsterer Thriller war, ist "Birdman" trotz aller dramatischen Momente in erster Linie eine Komödie. Eines seiner hervorstechendsten Merkmale, die vor allem Filmfans auffallen und begeistern dürfte – und von zahlreichen Filmjournalisten bestaunt und in höchsten Tönen gelobt wurde – ist seine Machart. So treibt "Birdman" die Kunst langer Einstellungen ohne einen einzigen erkennbaren Schnitt auf die Spitze, in dem der komplette Film diesen Eindruck vermittelt. Im Gegensatz zu gedanklichen Vorgängern wie "Silent House" bedeutet dies jedoch nicht etwa, dass "Birdman" in Echtzeit spielen würde. Vielmehr vergehen im Verlauf des Films mehrere Tage – nur, dass diese Zeitsprünge eben nicht mit einem Schnitt markiert sind. Mal wird uns der Zeitverlauf direkt gezeigt, z.B. wenn die Kamera in den Himmel schwenkt und es im Zeitraffer hell wird, aber es gibt auch immer wieder Momente – gerade auch bei Schauplatzwechseln – wo zwischenzeitlich ganz offenkundig mehr Zeit vergangen ist, als auf der Leinwand ersichtlich. Dies mag da und dort irritierend sein, steigert jedoch die Intensität und die Unmittelbarkeit des Geschehens enorm – und verleiht dem Ganzen zudem eine gewisse Surrealität. Damit ist die Präsentation als eine einzige Einstellung im Falle von "Birdman" auch weit mehr als ein reines Gimmick – trägt es doch maßgeblich zum energiegeladenen Eindruck des Films bei. Natürlich ist klar, dass der Film nie und nimmer live in zwei Stunden gedreht worden sein kann, und sich da und dort Schnitte befinden müssen. Doch diese sind so gut versteckt, dass sie nicht auffallen.
Neben Regisseur Alejandro González Iñárritu und seinem Kameramann Emanuel Lubezki (der sich für "Birdman" wohl die zweite goldene Statue in Folge holen wird, nach dem letztjährigen Erfolg für "Gravity") ist hier in erster Linie auch den Schauspielern ein großes Lob auszusprechen. Solche lange Einstellungen sind nämlich natürlich nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch eine darstellerische, die dem Live-Theater näher kommt als der klassischen Filmarbeit. Eine Herausforderung, die das komplette Ensemble auf beeindruckende Art und Weise meistert. Egal ob Michael Keaton, der seit einer halben Ewigkeit nicht mehr so gut war wie hier, die immer verlässliche Emma Stone die hier wieder einmal den Eindruck als eine der talentiertesten Schauspielerinnen ihrer Generation bestätigt, der herrlich wilde Edward Norton, oder auch die wertvollen unterstützenden Leistungen von Naomi Watts, Andrea Riseborough, Amy Ryan oder Zach Galifianakis (der hier endlich mal aus der Rolle des rüden, anstößigen Trottels auf die er zuletzt abonniert zu sein schien ausbricht)… sie alle sind der Herausforderung gewachsen und werten den Film mit ihrer Leistung auf.
Die zentrale und eindrucksvollste Performance des Films kommt aber natürlich von Michael Keaton. Ein ähnliches Karrieretief wie Riggan musste dieser im echten Leben zwar nie durchtauchen – dennoch ist es lange her, dass er in einer Rolle so glänzen konnte wie hier. Generell scheint ihm Riggan – nicht zuletzt aufgrund der offensichtlichen Überschneidungen zu einem echten Leben; man tausche nur Birdman mit Batman und streiche einen Film – wie auf den Leib geschneidert zu sein. Aufgrund der Parallelen ergibt sich eine nette Meta-Ebene, die den Film für mich zusätzlich aufwertete. Zumal er Birdman mit einer niedrigen Stimme spielt, die an Christian Bales Batman erinnert. Jedenfalls dachte ich mir nach "Birdman" unweigerlich, warum eigentlich niemand die Idee hatte, ihn für "Batman vs. Superman" zu casten – ich finde, das hätte dem anstehenden Film einen zusätzlichen Reiz verschaffen können. Doch zurück zu "Birdman": Riggans zunehmenden Verfall – in den Wahnsinn? – zu verfolgen fand ich ungemein packend. Zudem fand ich den Einblick in Theaterproduktionen sehr interessant – nicht zuletzt, da ich mit dieser Kunstform schon lange nicht mehr in Berührung kam (was mich darauf bringt, dass es vielleicht mal Zeit wäre, dies zu ändern). Jedenfalls gelingt es "Birdman" durch die Inszenierung (sprich den Verzicht auf erkennbare Schnitte), die Energie, die Intensität und die Unmittelbarkeit einer Theatervorstellung einzufangen, ohne dabei auf die inszenatorischen Möglichkeiten und die größeren Freiheiten eines Kinofilms was Sets etc. betrifft verzichten zu müssen. Das letzte Puzzlestück ist dann Antonio Sanchez eigenwillige Schlagzeug-Untermalung (ich bin mir nicht sicher, ob man das wirklich als "Filmmusik" bezeichnen kann), welche die rasend-hektisch-manische Energie des Films perfekt einfängt bzw. verstärkt. Mein einziger Kritikpunkt ist das Ende, wo "Birdman" eine Richtung einzuschlagen scheint, die mir nicht wirklich gefallen hat. Ich ziehe es vor, meine eigene Interpretation zu finden und nicht eine scheinbar in letzter Sekunde noch aufgedrängt zu bekommen – zumal sich der Regisseur aus meiner Sicht noch dazu für die falsche Richtung entscheidet. Allerdings kann man die letzte Szene sicherlich unterschiedlich verstehen, und ich weiß auch, dass sie vielen gefallen hat. Aber meinen persönlichen Geschmack hat Alejandro González Iñárritu damit halt leider nicht getroffen.
Fazit:
"Birdman" ist ein ungemein energiegeladener Film mit großartig aufspielenden Darstellern, zahlreichen grandiosen Momenten und vielen witzigen Szenen und Dialogen. Als eine seiner größten Stärken erweist sich dabei der Zugang, den kompletten Film – trotz Tag- und Nachtwechsel sowie offensichtlichen Zeitsprüngen zwischen einzelnen Szenen – ohne einen einzigen erkennbaren Schnitt zu inszenieren, was dem Film etwas sehr dynamisches und kraftvolles gibt, und zudem die Intensität, die Unmittelbarkeit und die Energie einer Theaterproduktion erfolgreich einfängt und auf die Kinoleinwand überträgt. Zusätzlich aufgewertet wird der Film durch die Meta-Anspielungen, Antonio Sanchez peitschender Schlagzeugmusik welche die manische Stimmung des Films perfekt verstärkt, sowie das faszinierende Portrait einer getriebenen Persönlichkeit. Einzig die letzten paar Minuten, in denen der Film genau die gegenteilige Richtung von dem eingeschlagen hat, worauf ich gehofft hatte, verhindern denkbar knapp die Höchstwertung. Da dies jedoch sehr viel mit persönlichem Geschmack zu tun hat und der Film selbst in meinen Augen dadurch kaum an Faszination verlor, sollte sich davon niemand abschrecken lassen. Im Gegenteil; vielmehr stellt "Birdman" in meinen Augen den ersten großen Pflichttermin im heurigen Kinojahr dar. Daher: Hingehen, anschauen, und sich von der manisch-energiegeladenen Stimmung des Films mitreißen lassen!