Originaltitel: The Naked Now Episodennummer: 1x03 Bewertung: Erstausstrahlung USA: 03.10.1987 Erstausstrahlung BRD: 21.09.1990 Drehbuch: J. Michael Bingham Regie: Paul Lynch Hauptdarsteller: Patrick Stewart als Captain Jean-Luc Picard,
Jonathan Frakes als Commander William T. Riker,
LeVar Burton als Lt. Geordi LaForge,
Denise Crosby als Lt. Tasha Yar,
Michael Dorn als Lt. Worf,
Gates McFadden als Dr. Beverly Crusher,
Marina Sirtis als Counselor Deanna Troi,
Brent Spiner als Lt. Commander Data,
Wil Wheaton als Wesley Crusher Gastdarsteller: Brooke Bundy als Lieutenant Commander Sarah MacDougal, Benjamin W.S. Lum als Jim Shimoda u.a.
Kurzinhalt:
Die Enterprise soll ein Forschungsschiff unterstützen, dass sich in der Umlaufbahn einer kollabierenden Sonne befindet, um diese genauer zu erforschen. Kurz nach der Ankunft stellt man einen ersten Kontakt her, und muss erkennen, dass sich die Besatzungsmitglieder des Schiffes sehr sonderbar verhalten. Kurz darauf hört man über den offenen Kanal, wie eine Luftschleuse geöffnet wird - binnen weniger Sekunden sind alle an Bord befindlichen Leute tot. Nachforschungen zeigen, dass die Crew unter einer Art Infektion litt, welche das gar seltsam anmutende Verhalten ausgelöst hat. Nach und nach stecken sich auch die Besatzungsmitglieder der Enterprise an. Auch Wesley Crusher wird infiziert, und übernimmt in seinem "Rausch" die Kontrolle über die Enterprise. Dadurch bringt er jedoch die Besatzung in höchste Gefahr, als die Sonne kollabiert, und eines der Bruchstücke genau auf die Enterprise zufliegt…
Denkwürdige Zitate:"Ah, good, Data, at least you're functioning." "Fully, Captain."
(Data zu Picard, nachdem er gerade Tasha Yar von seiner "vollständigen Funktionstüchtigkeit" in bestimmten zwischenmenschlichen Angelegenheiten überzeugt hat.)
Review:
Bei "Gedankengift" handelt es sich quasi um das Remake der Episode "Implosion in der Spirale" aus der klassischen Serie – ein Aspekt, mit dem man auch nicht wirklich hinter dem Berg hält. Schon allein der Originaltitel "The Naked Now" ist eine recht deutliche Anspielung auf "The Naked Time", es gibt einige Referenzen (die vereisten Leichen, der angezogene Tote unter der Dusche, vor allem aber das ähnliche Geräusch bei der Übertragung der Infektion), und im weiteren Verlauf werden sogar dezidiert die Ereignisse auf der alten Enterprise erwähnt. Leider hat "Gedankengift" neben diesen Aspekte auch ein wesentliches Problem von jener TOS-Folge übernommen, auf der sie basiert: Sie kommt zu früh. Wie schon "Implosion in der Spirale" so zeigt uns auch der TNG-Nachahmer ein sehr seltsames und untypisches Verhalten der Hauptfiguren – welches man aber eigentlich erst dann so richtig schätzen kann, wenn man diese schon gut kennt. Zugegeben, der Pilotfilm hat hier zwar wertvolle Vorarbeit geleistet, aber trotzdem: wenn man sich die Serie zum ersten Mal anschaut, ist diese Episode längst nicht so witzig und unterhaltsam, als wenn man schon mehrere Jahre mit den Figuren verbracht hat und genau weiß, wie untypisch und schräg sie sich hier verhalten.
"Implosion in der Spirale" gelang es immerhin durch einen Aspekt, diesen Nachteil ansatzweise wieder auszugleichen: Neben dem untypischen Verhalten, das für Lacher sorgen sollte, benutzte man die Grundidee nämlich auch dafür, tiefer in die Figuren einzutauchen. Egal ob Sulu, der degenschwingend durch die Korridore des Schiffes hüpft, Kirk, der seine Hassliebe zur Enterprise verdeutlichen darf, oder auch der weinende Spock, der hier endlich zeigen darf, dass es sehr wohl über Emotionen verfügt, und diese nur für gewöhnlich unterdrückt… ihnen allen ermöglichte es die Infektion, uns jene Seiten ihrer Figur zu zeigen, die sie sonst vor sich und vor den anderen – und damit auch vor uns – verbergen. Dadurch lernten wir sie besser und/oder einmal von einer anderen Seite kennen, was neben dem teils köstlichen Humor den Hauptreiz der Episode ausgemacht hat. Nicht so das "Remake". Statt uns die Figuren besser vorzustellen und uns an ihren verborgenen Wünschen, Sehnsüchten bzw. generell üblicherweise verborgenen, besonderen Charakterzüge teilhaben zu lassen, ist bei "Gedankengift" das Einzige, das passiert, dass sie (fast) alle geil werden, und jeder es mit jedem treiben will. Deanna mit Will, Beverly mit Jean-Luc, und Tasha scheinbar mit so ziemlich jedem, der ihr unterkommt – inklusive Data. Dementsprechend ist auch das Einzige, was wir über sie lernen, dass sie unter ihrer sonst so professionellen, gefassten Hülle scharf wie Nachbars Lumpi sind. Damit lässt man diese Gelegenheit, die Personen näher vorzustellen und uns bisher unbekannte Facetten ihrer Persönlichkeit zu offenbaren, leider ungenutzt verstreichen – und verliert zugleich eine der wesentlichen Stärken der Vorlage.
Ein weiteres Problem von "Gedankengift" ist die mangelnde Glaubwürdigkeit. Wie schon bei "Implosion in der Spirale" sperrt sich ein Crewmitglied in den Maschinenraum ein und steuert von dort aus das Schiff; nur ist es diesmal kein Techniker, sondern der neunmalkluge Wesley, und so leid es mir tut… aber als Riley-Ersatz taugt Wesley nicht viel – und das nicht nur, weil er keine irischen Volkslieder zum Besten gibt. Die Idee, dass dieser Teenager die Kontrolle über die Enterprise übernimmt, ist einfach nur lächerlich. Überhaupt fand ich etwas seltsam, auf welche Art und Weise sich bei Wesley – gerade auch im Vergleich zu den Erwachsenen – der Rausch ausdrückt, und hätte es insgesamt vorgezogen, wenn jemand anders den Maschinenraum besetzt und sich Wesley halt einfach nicht infiziert hätte. Was die mangelnde Glaubwürdigkeit betrifft, fällt dann vor allem auch noch das Bruchstück von der Sonne, dass just auf die Enterprise zufliegt, negativ auf. Zugegeben, was den Spannungsaufbau betrifft, war es grundsätzlich nicht uneffektiv – aber etwas unplausibel wirkt es dann schon. Wie auch, dass neben Warp- und/oder Impulsantrieb nicht einmal Schubdüsen zur Verfügung stehen – und auch niemand auf den Gedanken kommt, aus einem bestimmten Bereich des Schiffes die Atmosphäre entweichen zu lassen und die Enterprise so aus der Flugbahn des Gesteinsbrocken zu bewegen. Von der Möglichkeit, ihn einfach abzuschießen, ganz zu schweigen.
Apropos unplausibel: Dass Data in der Datenbank tatsächlich so lange suchen muss, um die Informationen zur Infektion auf der alten Enterprise zu finden, wirkt auch etwas seltsam. Mit Google hätte er es in wenigen Sekunden gefunden! Und überhaupt, was heißt da, das gleiche der Suche einer Nadel im Heuhaufen? Kommt ein Vollrausch an Bord eines Raumschiffes etwa wirklich so oft vor? Ernsthaft: Etwas unglaubwürdig wirkt es schon, dass man das nicht viel schneller findet. Und da sich das Heilmittel der Enterprise ohnehin als ineffektiv erweist, hätte es wohl nicht den geringsten Unterschied gemacht, wenn man sich diese kleine logische Schwäche erspart und Data die Informationen in Windeseile hätte finden lassen. Der letzte kleine Kritikpunkt, der wirklich marginal ist, aber ich will es auch nicht unerwähnt lassen: Commander Riker setzt sich in einer Szene munter auf eine Computerkonsole! Angesichts der Tatsache, dass sich dort überall Touchscreens befinden, wirkt das schon etwas unvorsichtig. Aber es hat nochmal Glück gehabt, und es ertönte danach keine Computerstimme, die freundlich verkündet: "Danke, dass sie den Selbstzerstörungsknopf gedrückt haben! Das Schiff wird sich in genau drei Minuten selbst zerstören…". Trotz der ausführlichen Kritik: Vor allem stellenweise gelingt es "Gedankengift" – in erster Linie aufgrund des Humors – gut zu unterhalten. Egal, ob Data Picard mit einem befriedigten Grinsen von seiner vollen Funktionstüchtigkeit berichtet, Picard und Crusher ob ihrer Wuschigkeit kaum mehr voneinander lassen können, oder ein Techniker im Maschinenraum mit Computerchips Domino spielt – das herrlich schräge Verhalten der Besatzung sorgte bei mir für einige Lacher. Schade nur, dass man die Figuren bereits besser kennen muss, um diese Szenen so richtig genießen zu können. Insofern war "Gedankengift" in meinen Augen als erste reguläre Folge der Serie nicht besonders klug gewählt.
Fazit:
Bei "Gedankengift" kann vor allem der Humor überzeugen, welcher allerdings leider erst dann so recht zündet, wenn man mit den Figuren bereits gut vertraut ist. Trotz allen Humors wird es allerdings nach der Explosion der Sonne auch noch einmal durchaus spannend. Ausgesprochen schade finde ich hingegen, dass die eher nachdenklichen Momente aus der TOS-Vorlage "Implosion in der Spirale" gänzlich ausgespart wurden, und wir generell in "Gedankengift" kaum etwas Neues über die Figuren erfahren. Denn anstatt jedes Crewmitglied den Rausch auf andere Art und Weise ausleben zu lassen – und auf eine, die uns zugleich eine Seite der Figur zeigt, wie wir bislang noch nicht zu Gesicht bekommen haben – werden an Bord der Enterprise D einfach nur alle geil aufeinander. Im direkten Vergleich dazu sind die gelegentlich auffallenden logischen Ungereimtheiten da schon fast eine Lappalie, unerwähnt bleiben sollen sie aber dennoch nicht. Insgesamt wurde leider der Spaß, den ich mit "Gedankengift hatte", durch all diese Schwächen nicht unwesentlich getrübt. Punktuelle amüsante, unvergessliche Momente sowie einen gewissen Unterhaltungswert kann ich der Episode aber trotz aller Kritik nicht in Abrede stellen.