Kurzinhalt:
Im Jahr 1995 wird ein U-Boot der Sowjetunion von einem unbekannten Flugobjekt angegriffen. Das U-Boot – und seine Besatzung – verschwinden daraufhin spurlos. Im Jahr 2364 ist die U.S.S. Enterprise-D unter dem Kommando von Captain Jean-Luc Picard erst vor wenigen Wochen auf seine Reise durch das Weltall aufgebrochen, als Deanna Troi plötzlich von Alpträumen der russischeN Besatzung des U-Boots geplagt wird. Kurz darauf beginnt sie auch im wachen Zustand, quälende empathische Übertragungen der russischen Crew zu empfangen. Und einzelne Crewmitglieder – darunter auch Commander Riker – berichten von geisterhaften Erscheinungen an Bord der Enterprise. Kurz darauf stößt man auf jenes mysteriöse Wesen, das das russische U-Boot vor mehr als 300 Jahren verschlungen und dabei die Gedankenmuster der Crew gefangen genommen und auf ewig bewahrt hat. Sein nächstes Ziel: Die Enterprise…
Review:
Diane Carey hat ja durchaus den einen oder anderen brauchbaren "Star Trek"-Roman geschrieben (wenn sie auch nie zu meinen LieblingsautorInnen zählte); "Gespensterschiff" zählt nur leider nicht dazu. Von nicht wenigen wird "Gespensterschiff" als der schlechteste "Star Trek"-Roman aller Zeiten angesehen, und auch wenn ich noch nicht alle gelesen habe und daher mit einem endgültigen Urteil vorsichtig bin, sehe ich mich doch außerstande, dieser Aussage leichtfertig zu widersprechen. "Gespensterschiff" war anno dazumal der ersten "Star Trek"-Roman, den ich gekauft und gelesen hatte – und eigentlich ist es ein Wunder, dass er mich Anfang der 90er nicht derart abgeschreckt hat, dass es zugleich auch mein letzter war (die Tatsache, dass meine zweite Wahl auf den grandiosen Peter David-Roman "Vendetta" fiel, half dabei sicherlich, den bitteren Nachgeschmack den "Gespensterschiff" bei mir hinterlassen hatte wegzuspülen und mich gegenüber weiteren literarischen "Star Trek"-Abenteuern aufgeschlossen zu machen). Leider trug auch meine Zweitlesung nicht das Geringste dazu bei, meine negative Reaktion von damals zu relativieren – im Gegenteil, wenn überhaupt, fand ich "Gespensterschiff" nun, mit der Kenntnis vieler gelungener "Star Trek"-Romane, noch schwächer als damals.
Um fair zu bleiben: Diane Carey hatte es nicht unbedingt leicht. Der Heyne-Verlag mag "Gespensterschiff" - irritierenderweise - nach einigem Zögern erst als sechsten Roman der "Next Generation"-Reihe veröffentlicht haben, in den USA war "Ghost Ship", so der Originaltitel, aber vielmehr der allererste Roman (von der Romanfassung des Pilotfilms "Encounter at Farpoint" abgesehen), der zur Serie erschienen ist. Zwar erst im Juli 1988 und damit zu einem Zeitpunkt, als die erste Staffel bereits zur Gänze ausgestrahlt war, geschrieben wurde der Roman allerdings schon deutlich früher (vermutlich waren sich auch Pocket Books bezüglich dem, das Diane Carey hier abgeliefert hat, recht unsicher und beschlossen, mit der Veröffentlichung lieber solange zu warten, bis man weitere, bessere Romane zur Serie nachliefern konnte). Laut eigener Aussage standen Diane Carey dafür lediglich die Charakterbeschreibungen und das Drehbuch des Pilotfilms zur Verfügung. Es gab noch keine fertigen Szenen zu bestaunen, und auch die Schauspieler waren teilweise noch nicht gecastet. Insofern ist die Tatsache, dass die Figuren hier teilweise überhaupt nicht wieder zu erkennen sind, nicht gänzlich ihr anzulasten. Zugleich stellt sich mir die Frage: Wenn man sich eh noch ein knappes Jahr mit der Veröffentlichung Zeit gelassen hat – warum ließ man Diane Carey den Roman nicht noch einmal überarbeiten?
Das Ergebnis, so wie es vorliegt, ist nämlich was die Charakterzeichnung betrifft eine absolute Katastrophe. Praktisch niemand ist hier wiederzuerkennen, die Figuren verhalten sich ganz anders, als wir das aus der Serie gewohnt sind. Picard ist ein arroganter, herrischer Arsch ("Rechtfertigen Sie sich!"), der Riker nicht ausstehen kann ("Und so entwickelte sich der Erste Offizier, der eigentlich eine getreue Verlängerung seiner selbst sein sollte, zu einem verhassten Hindernis.") – und vice versa. Data lässt sich von Rikers Abneigung aus der Ruhe bringen und agiert erstaunlich emotional. Geordi verhält sich teilweise wie ein Anfänger (z.B. wenn er an einer Stelle des Romans völlig erstarrt), insubordiniert gegen Riker ("Und das ist ihre Schuld, Sir!"), und klingt ebenfalls nicht so wie aus der Serie gewohnt ("Geordi, guck mal hier. Geordi, guck mal da. Geordi, guck mal, woraus das gemacht ist. Geordi, guck durch die Wände wie Superman. Klar, kein Problem. Ich gucke. Ich hab den Druchblick, also bin ich."). Deanna ist völlig verunsichert ob ihrer Rolle an Bord und fühlt sich unnütz (ok, da könnte ich sogar noch verstehen), Tasha offenbart sich als Litauerin (gut, ok, dass der Hintergrund der Figuren nicht von vornherein vernünftig ausgearbeitet wurde, ist nicht Diane Careys Schuld), und auch Wesley oder Doktor Crusher verhalten sich nicht wie gewohnt.
Am schlimmsten hat es aber Riker erwischt. Von der freundlichen, offenherzigen und toleranten Person, die wir in "Mission Farpoint" kennengelernt haben, ist nichts mehr übrig. Stattdessen hat er ständig Data auf dem Kieker, und lässt seinen Vorurteilen – und seiner Abneigung – gegenüber dem Androiden immer wieder freien Lauf. Kostprobe gefällig? -> "'Aus Ihnen wird nie ein Mensch werden', quetschte Riker hervor. 'Sie sind kein Mensch. Scheinbar sind Sie nicht in der Lage, den Unterschied zwischen eechtem Menschsein und bloßer Nachahmung zu erkennen. Sie werden niemals wirklich kreativ sein, weil Sie nur die äußere Form und nie den Inhalt sehen. Sie haben das Leben verpasst. Bevor Sie nicht den Unterschied begreifen, werden Sie immer eine Puppe bleiben.'" Was zum Teufel?!?! Und so erging es mir beim Lesen des Romans leider des Öfteren. Nun, wie gesagt… die Tatsache dass Diane Carey nur ein paar Figurenbeschreibungen hatte, machte es ihr natürlich nicht unbedingt leicht, die Figuren gut zu treffen. Zumal es durchaus möglich ist, dass die Figuren auf dem Papier noch anders angelegt waren, als es bei den Dreharbeiten dann schließlich umgesetzt wurde. Allerdings: Angesichts der Tatsache dass sie nicht wirklich wusste, wie sich die Figuren verhalten, wäre es wohl klüger gewesen, sich stärker darauf zu konzentrieren, eine spannende, packende Science Fiction-Geschichte zu erzählen und die Figuren eher nur oberflächlich zu behandeln – statt einfach eine Charakterisierung zu erfinden.
Denn da sind wir schon beim nächsten Problem: Es sind nicht nur die sich völlig untypisch verhaltenden Figuren, die "Gespensterschiff" so misslungen machen. Auch die Handlung selbst ist mehr als nur dürftig. Das Rätsel rund um die Energiewolke wird nie befriedigend aufgeklärt. Worum genau handelt es sich, worin besteht ihre Motivation? Ich habe ja grundsätzlich kein Problem damit, wenn nicht alle Fragen beantwortet werden, aber wir sprechen hier von den zentralen Mysterien des Romans. Generell ist die Idee rund um ein "Gespensterschiff" nicht sonderlich neu oder originell. Diane Carey haut zwar hie und da einen amüsanten Satz raus, insgesamt fand ich aber leider auch ihren Schreibstil nicht so besonders. Dass sie 1995 ein U-Boot der mittlerweile zerfallenen Sowjetunion auffahren lässt, ist ihr zwar nicht vorzuwerfen – wie hätte sie das 1988 ahnen können? – etwas irritierend ist es trotzdem. Hätte sie das Geschehen einfach in 1988 spielen lassen, wäre sie die Gefahr, von der Geschichte eingeholt zu werden, umgangen. Auch die Warp-Skala war offenbar zum Zeitpunkt als sie den Roman geschrieben hat noch nicht ausgearbeitet; so ist in "Gespensterschiff" z.B. auch von Warp 14,9 die Rede; wo in der Serie doch Warp 10 eine nicht zu erreichende Barriere dargestellt hat. Zudem behauptet sie, die Rumpfsektion würde über keine nennenswerten Geschütze verfügen – obwohl sich genau auf ihr die Phaserringe befinden. Den Vogel schoss aber Picards Befehl ca. zur Mitte des Romans ab: "Vermeiden Sie alle Geräusche." – im All! Ja Himmelherrschaftszeiten…
Andere Stellen des Buchs leiden unter Diane Careys Angewohnheit, zu dick aufzutragen. So ist der Grundgedanke, für Captain Picard für einige Stunden die gleiche körperlose Existenz der gefangenen russischen Crewmitglieder zu simulieren, ja grundsätzlich interessant. Aber wenn der Captain dann nach wenigen Stunden das Gefühl hat, schon seit Tagen drin zu sein – und sich verzweifelt fragt, warum ihn die Crew denn vergessen hat – schießt sie halt einfach deutlich übers Ziel hinaus. Auch das Finale des Romans enttäuscht. Die Art und Weise, wie die Enterprise das Phänomen dann schließlich besiegt, konnte mich nicht wirklich überzeugen. Sehr bequem auch, dass Datas Bewusstsein ohne jegliche Erklärung plötzlich wieder in seinen Körper zurückkehrt: "Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist oder warum ich zurückgekehrt bin". Deus Ex Machina for the win! Und auch das Finale, mit der auf der Enterprise erscheinenden Crew, die zu Picard & Co. salutiert, war dermaßen peinlich und kitschig, dass es einfach nur mehr unfreiwillig komisch war. Angesichts all dieser Schwächen verkommen die gelegentlichen Fehler der eBook-Ausgabe (Trennfehler wie S-ternenfeld; zudem fehlte da und dort der doppelte Zeilenumbruch um einen neuen Absatz und damit einen Schauplatzwechsel anzuzeigen) zu einer vernachlässigbaren Lappalie.
Gibt es denn bei all dieser Kritik nicht auch irgendetwas Positives zu berichten? Nun, doch. Wenn Captain Picard die Abtrennung der Untertassensektion befiehlt und sich dem Wesen stellt, kommt kurzzeitig ansatzweise so etwas wie Spannung auf. Und dass Diane Carey eine Diskussion über ein so schwieriges Thema wie Euthanasie eingebaut hat, empfand ich ebenfalls als löblich – wobei der Grundgedanke hier besser war als die Umsetzung, da ich Doctor Crushers Ausführungen mit der Zeit leider etwas ausufernd fand. Zitat Picard: "Beverly, Sie ermüden mich langsam." Da sprach er mir mal wirklich aus der Seele – jedoch nicht nur was ihre Ausführungen, sondern auch den Roman an sich betrifft.
Fazit:
"Gespensterschiff" ist ein grauenhafter "Star Trek"-Roman. Einerseits ist die Geschichte an sich wenig interessant oder gar faszinierend, und lässt es auch an einer zufriedenstellenden Erklärung des zugrundeliegenden Mysteriums vermissen. Spannung kam nur viel zu sporadisch auf. Viele Momente waren mir zu dick aufgetragen und drifteten dadurch ins Lächerliche ab. Es gibt den einen oder anderen Kontinuitätsfehler, und auch sonst so manches, dass den geneigten Leser irritiert. Am schwersten wiegt aber die völlig misslungene Charakterisierung der Crew. Es tut mir ja wirklich leid für Diane Carey, dass sie außer den Figurenbeschreibungen und dem Drehbuch des Pilotfilms kein Material hatte, auf dass sie zurückgreifen konnte. Aber dann hätte sie halt die Figurenbeschreibung hintanstellen und sich lieber darauf konzentrieren sollen, eine spannende, interessante Science Fiction-Geschichte zu erzählen, statt eine fragwürdige Charakterzeichnung auszuwählen, der die TV-Machjer dann letztendlich – aus verständlichen Gründen – nicht gefolgt sind. Und auch warum man den Roman, der ohnehin monatelang bei Pocket Books herumlag, nicht noch bis zur Veröffentlichung noch einmal überarbeitet oder den einen oder anderen Fehler ausgebessert hat, verstehe ich nicht. Immerhin gab es zumindest zwei kleinere positive Aspekte – und somit auch die Möglichkeit, dass ich bei meiner Erforschung der "Star Trek"-Literatur vielleicht doch noch auf einen schwächeren Roman als "Gespensterschiff" stoßen werde (ein Gedanke, der mich erschaudern lässt). Vorerst kann ich demnach noch nicht guten Gewissens behaupten, dass "Gespensterschiff" der schlechteste "Star Trek"-Roman aller Zeiten ist. Er ist aber immerhin unbestritten der schlechteste "Star Trek"-Roman, den ich bislang gelesen habe. Ihr wurdet gewarnt.
Bewertung: 1/5 Punkten
Christian Siegel
Mitreden! Sagt uns eure Meinung zum Roman im SpacePub!
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