Kurzinhalt:
Die Eröffnungssequenz zeigt eine junge, engagierte Frau namens Ila, die irgendwo im hektischen Mumbai ihrem Ehemann ein köstliches Mittagessen zaubert. Um ihm das Curry heiß und frisch zukommen zu lassen, verteilt sie es in kleinere stapelbare Blechdosen, die in einem isolierenden Stoffbeutel aufbewahrt werden. Dieser wird dann wiederum einem Dabbawalla, ein indischer Essenslieferant, übergeben. Mit seinem Fahrrad bringt er neben dieser Lunchbox auch noch zahlreiche andere zu einer größeren Sammelstelle, wo die Mittagessen zunächst sortiert und anschließend auf Lastwagen oder Zügen geladen werden. Auf diese Weise finden die unterschiedlichen Lunchboxen ihren Weg in die Innenstadt, wo sie durch einen weiteren Dabawalla den Büromitarbeitern persönlich übergeben werden. Ilas Lunchbox landet auf Saajans Schreibtisch. Doch die Art und Weise, wie er die Aromen der Lunchbox einatmet und die Speisen verzerrt, lassen schnell vermuten, dass es sich dabei nicht um Ilas Ehemann handelt. Saarjan genießt das Mittagessen und schickt das geleerte Türmchen aus Blech wieder auf seinen Weg nach Hause. Im Glauben daran, dass Liebe doch durch den Magen geht, freut sich Ila sehr, dass die Leidenschaft in ihrem Mann für sie wieder erblüht ist. Doch als dieser nach Hause kommt, verliert er kein Wort über die Köstlichkeiten, weshalb Ila zurecht schlussfolgert, dass jemand anderes ihre Box erhalten haben muss. Am nächsten Tag fügt sie dem Mittagessen einen kleinen Brief bei, indem sie sich für die leere Lunchbox und den kurzen Moment des Glücklichseins bedankt. Saarjan antwortet und bald werden aus den kleinen Briefchen eine richtige Unterhaltung über - natürlich - Essen, Fernsehsendungen, das tägliche Leben und die Liebe…
Review:
"Lunchbox" ist das Filmdebüt von Ritesh Batra, einem indischen Regisseur. Wer dabei nun an Bollywood mit Shahrukh Khan, Rani Mukherjee oder Aamir Khan denkt, dem sei gesagt, dass ihn in diesem Film kein knallbuntes Spektakel aus Tanz- oder Gesangseinlagen erwarten wird. "Lunchbox" ist ein sehr ruhiger Film, der besonders optisch und kulinarisch, als auch durch die Entwicklung seiner Charaktere zu überzeugen weiß. Zu Beginn hat "Lunchbox" einen ansprechenden Dokucharme, der durch die mit Menschen überfluteten Straßen und Brücken, mit den Dabbawallas auf ihren Fahrrädern und Lastwagen und mit der Information, dass eine Harvardstudie bestätigte, dass die Armee aus mumbasischen Lieferanten mit wenig bis gar keinen Dokumenten das Essen an Tausende und Abertausende Büromitarbeiter nahezu ohne Fehler ausliefert, verstärkt wird. Umso mehr hat es mich dann gefreut, dass die Dabbawallas ausgerechnet bei Ila und Saajan einen Fehler gemacht haben. Denn nur dadurch ist es den beiden möglich, sich einander näher kennenzulernen und mit ihnen zusammen auf die Erkundung ihres inneren Selbst zu gehen.
"Lunchbox" behandelt unterhalb der fragilen Handlung auch einige unangenehme Themen, wie die Vereinsamung in einer Großstadt nach dem Tod des Partners, den Altersunterschied zwischen zwei Liebenden, oder eine bröckelnde Ehe in einer Gesellschaft, in der die Frau darauf angewiesen ist wohlhabend zu heiraten, und in der eine Scheidung sozialer Abstieg bedeutet. Das Ende des Films war für mich und wird es auch für einige andere sein, der Punkt, an dem der Film triumphieren oder scheitern wird. Denn der eine sieht in diesem Ende seine Vorstellungen bestätigt und der andere, mich eingeschlossen, wird sich fragen, warum Batra sich entschieden hat "Lunchbox" so enden zu lassen. Ich möchte nicht sagen, dass mich der Film deshalb komplett enttäuscht hat, denn dafür hat er mich nämlich die restlichen 100 Minuten hervorragend unterhalten. Allerdings habe ich den Blu-Ray-Player eher mit einem bitteren als süßem Nachgeschmack ausgemacht. Dafür kann Batra in seinem Film mit der fantastischen Entwicklung seiner Charaktere punkten. Dies wird besonders bestärkt durch die recht dünne Handlung, da außer dem Dialog in Briefform - in unserer Gesellschaft wohl kaum noch denkbar - und wenigen Szenen aus dem aktuellen Lebensabschnitt von Saajan und Ila nicht wirklich viel passiert. Der Zuschauer verfolgt diese beiden Protagonisten, wie sie versuchen, ihr Dasein umzukrempeln. So erlebt der Zuschauer einen sturen, mürrischen, alten Saajan, der in einem überfüllten Büro ohne Computer, aber dafür riesigen Stapeln von abgenutzten Finanzbüchern, seine letzten Arbeitstage vor dem Ruhestand absolviert. Verbittert von der Einsamkeit stößt er seine Mitmenschen von sich. Doch mit der Zeit merkt er, wie seine innerliche Kälte ihn in seinen Taten und Wünschen blockiert.
Irrfan Khan ist für die Rolle des Saajan die ideale Besetzung. Mit seiner Fähigkeit in seinem Hundeblick und weichen Zügen die Tiefe seiner Gefühle und Traurigkeit darzustellen, präsentiert Khan diesen zerknitterten und sehnsüchtigen Helden perfekt. Es ist einfach seine Persönlichkeit und Ausstrahlung, die mich, wie auch in "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger", sofort mit ihm sympathisieren und mitfiebern lassen. Darüber hinaus hat sein Charakter einen recht trockenen Humor, was Saajan noch einige Ecken und Kanten verleiht. Ila hingegen ist eine sanftmütige, junge Frau, die bereits mit den ganz kleinen Dingen im Leben zufrieden ist. Daher ist sie auch mit ihrer Existenz in der kleinen Küche im Obergeschoss eines Wohnhauses vermeintlich zufrieden. Doch auch sie während des Schriftverkehrs mit Saajan erkennt, dass sie mehr im Leben erreichen kann als Kinder, Küche und Gebetshaus. Allerdings kann ihr da der fremdgehende Mann oder ihre vom Leben enttäuschte Mutter nicht helfen, allein Ila ist für ihr Schicksal verantwortlich.
Aus dieser Erkenntnis heraus wirkt Nimrat Kaur als Ila weniger umgänglich. Das liegt keinesfalls an ihrer schauspielerischen Leistung, sondern vielmehr daran, dass ihre Rolle von Mal zu Mal melancholischer wird und sie sogar davon träumt, den Freitod zu wählen. Diese Schwermut verblasst aber durch die innere Schönheit von Kaur, welche im weiteren Verlauf von "Lunchbox" die Hoffnung und Romantik aufrechterhält. Die optische Präsentation, vor allem auf kulinarischer Seite, und auch der Ton der Blu-Ray sind den Standards entsprechend. Es gibt keine Bild- und Tonaussetzer, nichts ist zu leise oder zu laut. Einzig der Dokucharme, den ich zu Beginn der Rezension erwähnt habe, will nicht mit dem Rest von "Lunchbox" verschmelzen. Es wirkt manchmal als habe man diese Sequenzen nachträglich reingeschnitten, als dass sie tatsächlich zum Film gehören würden. Grund hierfür dürfte das weniger verschleierte Bildmaterial sein. Nichtsdestotrotz hat Michael Simmons, der Kameramann, sein Bestes gegeben, um die unterschiedlichen Facetten des heutigen Mumbais einzufangen. Dabei entstanden faszinierende Bilder von einer lauten, einer überfüllten, einer schnelllebigem, aber auch schmutzigen Großstadt. Faszinierend ist auch die Ausstattung der Blu-Ray. Neben den obligatorischen Interviews mit Darstellern und Regisseur, dem Kinotrailer und Audiokommentaren, haben die Produzenten von "Lunchbox" der Blu-Ray ein wunderschönes und hochwertiges Booklet beigelegt. Hier kann der Interessierte Rezepte aus dem Film nachschlagen und nachkochen, Information zu den Dabbawallas, sowie die gesellschaftliche, politische und kulturelle Situation in Mumbai nachlesen. Sogar die Namensänderung von Bombay zu Mumbai wird erklärt. Solche kleinen großen Extras machen den Kauf einer Blu-Ray, in diesem Fall "Lunchbox", erst recht attraktiv. So etwas sollte es immer geben.
Fazit:
Ich hätte es nicht für wahr gehalten, aber "Lunchbox" hat mich enorm beeindruckt. Denn Ritesh Batra zeigt, dass es abseits von dem schillerenden und quietschbunten Bollywood auch etwas anderes in der indischen Filmlandschaft gibt, was großes Kino und große Gefühle verspricht. Der Film besitzt eine erstaunliche Tiefe, Wärme, aber auch Bitterkeit, die das alltägliche Leben, vor allem in einer Großstadt wie Mumbai, mit sich bringen kann. "Lunchbox" ist eine feine Geschichte zweier einsamer Seelen, die sich in den Wirren ihres Schicksals zu finden scheinen, einander helfen und den Versuch starten glücklich zu werden. Doch mit dem von Batra gewählten Finale ist "Lunchbox" zwar eine schöne, aber doch recht bittersüße Filmerfahrung, die es auf jeden Fall verdient hat, gesehen zu werden.