Kurzinhalt:
Teppic ist aus dem Königreich Djelibeybi, das von seinem Vater beherrscht wird, ausgezogen, um sich in Ankh-Morkpork an der Assassinen-Schule als Attentäter ausbilden zu lassen. Nun, ein paar Jahre später, hat er die Abschlussprüfung erfolgreich hinter sich gebracht, und ist bereit, in die Welt hinauszugehen und seinen Weg zu finden – was sein Vater stirbt. Das Königreich braucht einen König, und so kehrt Teppic widerwillig nach Djelibeybi zurück. Schon bald muss er erkennen, dass er trotz seiner Stellung nicht viel zu sagen hat. Der Hohepriester Dios "übersetzt" alles was er sagt und zwingt ihm seinen Willen auf. Als dieser eine Frau aus dem Harem seines Vaters zum Tode verurteilt, platzt ihm der Kragen, und er befreit sie aus dem Gefängnis. Um es Dios besonders recht zu machen, beauftragt er zudem den Bau der größten Pyramide aller Zeiten. Doch Pyramiden sind mächtige, magische Gebäude, und die Größe der von Teppic beauftragten Pyramide führt zu einem Bruch in Raum und Zeit – woraufhin das Königreich Djelibeybi von der Landkarte der Scheibenwelt verschwindet, die Mumien der alten Könige wieder zum Leben erwachen, und die von den Priestern angebeteten Götter wahrhaftig werden…
Review:
"Pyramids" unterscheidet sich nicht nur vom Schauplatz und den Figuren her deutlich von den bisherigen Scheibenwelt-Romanen. Auch der Ton und der Stil sind etwas anders. Terry Pratchetts amüsanten Kommentare und Beschreibungen drängen hier gegenüber einer herrlich einfallsreichen Dramatisierung verschiedenster historischer Fakten und Mythen über Ägypten, Pharaonen, Pyramiden, Mumien und so weiter in den Hintergrund. Angefangen von der Ausbildung bei der Assassinengilde zu Beginn, über den König von Djelibeybi (einen Namen, den man sich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Zunge zergehen lassen sollte!) der für Sonnenauf- und Untergang zuständig ist, das ewige Leben der in ihren Pyramiden eingesperrten mumifizierten Könige, die Zeit und Raum trotzende Pyramide, Kamele als Mathematikgenies, philosophische Diskussionen, eine amüsante Abwandlung des Mythos rund um das trojanische Pferd, bis hin zum kongenialen Zeitparadoxon am Ende, steckt "Pyramids" voller faszinierender, origineller und köstlicher Einfälle, die für sehr gute Fantasy-Unterhaltung sorgen. Wobei sich Pratchett hier nicht damit begnügt, "nur" zu amüsieren und zu unterhalten, sondern auch die eine oder andere politische, gesellschaftliche und philosophische Frage anreißt – was den Roman für mich zusätzlich aufgewertet hat. Generell bietet "Pyramids" alles andere als oberflächliche Unterhaltung. Der gehobene Schreibstil und die zahlreichen literarischen und historischen Referenzen fordern dem geneigten Leser einiges an Englischkünsten (zumindest, wenn man ihn so wie ich im englischen Original lesen will) und Vorwissen ab. Ein gehobenes Bildungsniveau ist jedenfalls sicherlich von Vorteil, und generell ist "Pyramids" kein Roman, den man mal so schnell nebenbei lesen kann; vielmehr erforderte er meine gesamte Aufmerksamkeit.
Bis auf einen Mini-Gastauftritt von TOD muss man völlig auf die bekannten, bislang etablierten Figuren verzichten. Damit sind wir auch schon bei meinem ersten kleinen Kritikpunkt, der eine höhere Wertung verhindert. Das Problem dabei ist nicht die Absenz der uns bekannten Figuren, als vielmehr, dass ihr Ersatz ihnen nicht ganz das Wasser reichen kann. Teppic ist zwar eine grundsolide Hauptfigur und man kann mit ihm durchaus sympathisieren, aber es fehlt ihm irgendwie das Besondere, eine prägende, auffällige Charaktereigenschaft. Auch Ptraci ist vergleichsweise blass und auch etwas einfallslos; sie ist halt einfach eine weitere feurige, mutige, attraktive Frau. Das ist zwar löblich – im Vergleich zum hilflosen Fräulein in Nöten, das einem sonst oft vorgesetzt wird – aber innerhalb der Scheibenwelt hat nichts sonderlich neues mehr. Einzig Dios sticht als Figur hervor, und vermochte es, mir Gefühle ihm gegenüber zu entlocken – wenn diese auch überwiegend negativ waren, aber genau so war das von Pratchett ja wohl auch beabsichtigt. Mein zweiter Kritikpunkt ist der Mittelteil. Zu Beginn nimmt der Roman zwar schnell Fahrt auf, aber nach Teppics Rückkehr nach Djelibeybi schläft die Handlung ein bisschen ein. Zudem ist es mit der Zeit doch etwas frustrierend, dabei zuzulesen, wie Teppic gegenüber Dios ständig den Kürzeren zieht. An dieser Stelle merkte man "Pyramids" jedenfalls doch ein wenig an, dass es sich um den bis dahin längsten Scheibenwelt-Roman handelt. Das furiose und in allen Sinnen des Wortes phantastische Finale vermag es dann allerdings durchaus, für den etwas zähen Mittelteil zu entschädigen; und das Ende an sich war überhaupt genial und ungemein clever.
Fazit:
"Pyramids" ist – nicht nur wegen des gänzlich neuen Schauplatzes und der Abwesenheit bekannter Figuren – ein etwas anderer Scheibenwelt-Roman. Zwar ist der typische Pratchett-Humor voller Wortwitze und amüsanter Kommentare nach wie vor vorhanden, macht diesmal allerdings eher einer satirischen Betrachtung des historischen und mythischen Ägyptens Platz. Das Ergebnis ist ein zwar ebenfalls wieder sehr unterhaltsamer Roman, bei dem der Humor jedoch etwas in eine andere Richtung geht; so, als wenn man sich nach einem "Dick und Doof"-Film eine Komödie von "Monty Python" anschauen würde. Dies ist zweifellos etwas gewöhnungsbedürftig, und ich kann mir vorstellen, dass manche den gewohnten Humor und die etablierten Figuren etwas vermissen werden. Mich hat "Pyramids" hingegen mit unzähligen großartigen, cleveren und amüsanten Einfällen sowie den gesellschaftskritischen Untertönen absolut überzeugt, und bestens unterhalten. Wichtig ist dabei: "Pyramids" ist kein literarisches Fast Food, sondern eher ein ergiebiges Fünfgang-Menü, für das man sich Zeit nehmen sollte, und diese auch braucht. Einfach nur so nebenher im vorbeigehen durchlesen ist nicht. Hilfreich wäre es zudem, wenn der eigene Geschichts-, Literatur- und Philosophie-Unterricht entweder noch nicht zu lange her ist oder man sich noch halbwegs an diesen erinnern kann – sonst wird man einige Anspielungen verpassen. Eine höhere Wertung wird lediglich von den Figuren, die einigen früheren Kreationen Pratchetts nicht ganz das Wasser reichen können, sowie dem etwas zähen Mittelteil verhindert.
Bewertung:
4/5 Punkten
Christian Siegel
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