Kurzinhalt:
In nicht allzu ferner Zukunft: Theodore arbeitet bei der Firma handwrittenletters.com, die personalisierte Liebes- und Grußbriefe für ihre Kunden verfassen. Vor rund einem Jahr hat er sich von seiner Ehefrau getrennt – konnte sich aber immer noch nicht dazu durchringen, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen und die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Seine Freunde, insbesondere Amy und Charles, versuchen ihn dazu zu bewegen, wieder auf Verabredungen zu gehen, doch noch kann sich Theodore dazu nicht durchringen, und verbringt seine Freizeit lieber mit Computerspielen und Telefonsex. Eines Tages stolpert er über eine Werbung für ein neues, revolutionäres Betriebssystem, das mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet ist. Er installiert es, und kurz darauf hört er zum ersten Mal die Stimme von "Samantha", seinem neuen Betriebssystem. In den nächsten Tagen unterhalten sich die beiden immer öfter miteinander und haben viel Spaß gemeinsam – bis Theodore schließlich klar wird, dass er dabei ist, sich in Samantha zu verlieben…
Review:
"Her" ist ein ungemein faszinierender Film. So wie die beste Science Fiction benutzt auch er das Genre, um einen genaueren Blick auf die Menschheit – insbesondere Liebe und Beziehungen – zu werfen, und diesem schon ausführlichst behandeltem Thema dadurch (ähnlich wie "Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin") neue Aspekte abzugewinnen. Im vorliegenden Fall geht es um einen Mann, der sich in die Persönlichkeit seines neuen Betriebssystems, eine künstliche Intelligenz, verliebt – und vice versa. Ist so etwas überhaupt möglich? Kann man sich verlieben, ohne den Körper der anderen Person sehen und berühren zu können? Dies ist nur eine der interessanten Frage, die "Her" aufwirft. Generell hat der Film so einiges – interessantes – über Liebe und Beziehungen zu sagen, und lässt sich auch vielfältig interpretieren. So kann man die im Mittelpunkt stehende Liebesgeschichte entweder traurig, erbärmlich und mitleidserregend, oder aber süß, romantisch und erstrebenswert finden. Letztendlich sind beide Sichtweisen legitim.
Die sehr ungewöhnliche Beziehung, die Theodore und Samantha miteinander teilen, erlaubt es, doch einiges darüber auszusagen, wie Beziehungen denn grundsätzlich funktionieren. Eine der zentralen Aussagen, die ich meine, im Film entdeckt zu haben – und, wieder: Das ist Interpretationssache – ist, dass in einer guten, gesunden Beziehung beide Seiten versuchen, den jeweils anderen dabei zu unterstützen, die bestmögliche Version seiner selbst zu werden, und als Person zu wachsen – selbst wenn die Tatsache, dass man sich weiterentwickelt, letztendlich bedeutet, dass man sich auseinanderentwickelt. Ich hätte noch viel mehr über die Ideen, Fragen und Aussagen, die der Film auswirft und trifft, zu sagen, letztendlich halte ich "Her" aber, wie so manch anderen Film, für einen Spiegel. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und Einstellungen wird jeder darin ein bisschen etwas anderes sehen – und dadurch vielleicht auch ein bisschen etwas über sich selbst lernen. Ich will daher gar nicht näher auf meine anderen Gedanken und Interpretationen eingehen, um euch nicht zu beeinflussen. Neben dem Beziehungsaspekt spielt natürlich auch unsere "Beziehung" zur Technologie in "Her" eine entscheidende Rolle. Auch bezüglich künstlicher Intelligenzen, die wir vielleicht eines nicht einmal so fernen Tages entwickeln werden, wirft "Her" einige interessante Fragen auf. Dass er sich nicht nur einem Aspekt widmet, sondern vielmehr viele verschiedene Themen zumindest streift, macht ihn sehr abwechslungsreich und vielschichtig.
Die wohl beeindruckendste schauspielerische Leistung des Films kommt von Scarlett Johansson. Selbst wenn du z.B. einem animierten Charakter deine Stimme leihst, kann deine stimmliche Performance dann durch die Mimik und Gestik der Figur noch aufgewertet werden. Johansson bleibt aber wirklich nur ihre Stimme, und keine sonstigen "Hilfsmittel", um die Emotionen ihrer künstlichen Intelligenz zu vermitteln. Eine große Herausforderung, die sie mit Bravour meistert. Nicht zuletzt dank ihrer charmanten, wohlklingenden, sympathischen Stimme ist für den Zuschauer (oder -hörer) zumindest nachvollziehbar, warum sich Theodore in sie verlieben würde (wobei dies natürlich zu einem großen Teil auch der Persönlichkeit zuzuschreiben ist, die ihr Spike Jonzes Drehbuch verleiht). Joaquin Phoenix ist in der Rolle von Theodore ebenfalls wundervoll. Es ist eine sehr reduzierte, aber nichtsdestotrotz (oder genau deshalb?) ungemein wirkungsvolle Performance. Aus der erweiterten Besetzung stechen dann in erster Linie noch Amy Adams als seine Kollegin und langjährige Freundin, sowie Rooney Mara als seine kalte Exfrau hervor.
Die hier präsentierte Zukunftsvision, mit den Smartphones mit Bluetooth-Kopfhörer im Ohr, den Videospielen, und und und, halte ich für sehr realistisch und gut ausgearbeitet. Dabei gelingt es dem Film phantastisch, auf aktuelle Technologien und Trends aufzubauen und diese auf plausible Art und Weise in die Zukunft zu extrapolieren. Ein Aspekt der Produktion, der mir sonst kaum positiv auffällt, hier jedoch hervorstach, ist das Set-Design. Auch was das betrifft haben alle Beteiligten eine tolle, überzeugende Arbeit abgeliefert, die auf aktuellen Trends basiert und so eine einerseits fortschrittliche Zukunftsvision, wo einem auf der anderen Seite aber auch vieles bekannt vorkommt, präsentiert. Was darüber hinaus besonders stark hervorsticht, ist das Drehbuch – einfach, da der Film zu weiten Teilen von seinen Dialogen (insbesondere zwischen Theodore und Samantha) lebt. Auch den Schwenk zwischen unterschiedlichen Tönen – mal heiter dann traurig, mal romantisch dann düster – gelingt Spike Jonze perfekt. Zudem reichert er den Film mit zahlreichen originellen, einigen urkomischen und auch so manchen schrägen bis richtiggehend unangenehmen Szenen an. Auch seine Regie lässt keine Wünsche offen. Wenn es etwas gibt, das ich an "Her" kritisieren würde, dann ist es eine ganz bestimmte Entwicklung rund um eine "Ersatzfrau". Zwar kann man argumentieren, dass man sich in dieser Szene, so wie auch Theodore, unwohl fühlen sollte, aber die komplette Szene fühlte sich irgendwie falsch an. Ich verstehe, was Jonze hier aussagen und machen wollte, aber für mich ist das der einzige Moment, der nicht wirklich stimmig ist, und wo die Idee wohl besser und interessanter klang, als es in der Ausführung dann ist. Von diesem kleinen Manko abgesehen ist "Her" aber ein wundervoller, außergewöhnlicher Film.
Fazit:
Mit "Her" ist Spike Jonze eine der originellsten, erfrischendsten und außergewöhnlichsten Liebesgeschichten der letzten Jahre gelungen. Der Film wirft dabei einige interessante Fragen zu unserer Einstellung zu modernen (und zukünftigen) Technologien auf, in erster Linie steht aber seine Betrachtung von Liebe und Beziehungen im Mittelpunkt des Geschehens. Das Science Fiction-Konzept wird dabei in erster Linie dazu benutzt, um diesem häufig behandelten Thema neue Aspekte abzugewinnen, und einen frischen Blick darauf zu werfen. Eben dies gelingt "Her" ausgesprochen gut. Aber auch mit der Frage, wie sich unser Verhältnis zu Computern in Zukunft entwickeln wird, und was passieren könnte, wenn es uns eines Tages tatsächlich gelingt, künstliche Intelligenzen zu erschaffen, beschäftigt sich der Film. Die Extrapolation der Zukunft aus gegenwärtigen Technologien und Trends gefiel mir dabei sehr gut, und erschien mir absolut plausibel. Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls phantastisch, wobei für mich neben Joaquin Phoenix in erster Linie noch Scarlett Johansson hervorstach, der es allein mit ihrer Stimme gelingt, eine ungemein charmante Präsenz aufzubauen, und uns an ihren Gefühlen jederzeit teilhaben zu lassen. Einzig eine Entwicklung an der 2/3-Marke des Films hat mich weniger überzeugt, und verhindert die Höchstwertung. Auf dem Papier mag es funktioniert haben und eine interessante Idee gewesen sein, ich persönlich fand es aber etwas verkrampft und erzwungen. Davon abgesehen ist "Her" aber ein wunderbarer, faszinierender und bedeutsamer Film, und einer der interessantesten, anspruchsvollsten Science Fiction-Filme der letzten Jahre.