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Blau ist eine warme Farbe Drucken E-Mail
Zutiefst berührender Film über die erste große Liebe Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Montag, 23 Dezember 2013
 
 
Blau ist eine warme Farbe
Originaltitel: La vie d'Adèle
Produktionsland/jahr: F 2013
Bewertung:
Studio/Verleih: Quat'sous Films/Wild Bunch
Regie: Abdellatif Kechiche
Produzenten: U.a. Brahim Chioua, Vincent Maraval & Abdellatif Kechiche
Drehbuch: Abdellatif Kechiche & Ghalia Lacroix, nach dem Comic von Julie Maroh
Filmmusik: -
Kamera: Sofian El Fani
Schnitt: Sophie Brunet, Ghalia Lacroix, Albertine Lastera, Jean-Marie Lengelle & Camille Toubkis
Genre: Drama
Kinostart Deutschland: 19. Dezember 2013
Kinostart Frankreich: 09. Oktober 2013
Laufzeit: 179 Minuten
Altersfreigabe: Ab 16 Jahren
Trailer: YouTube
Kaufen: Blu Ray, DVD, Comicvorlage
Mit: Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux, Salim Kechiouche, Aurélien Recoing, Catherine Salée, Benjamin Siksou, Mona Walravens, Alma Jodorowsky, Jérémie Laheurte, Anne Loiret, Benoît Pilot u.a.


Kurzinhalt: Die 15-jährige Adèle ist gerade dabei, erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln, als sie auf der Straße zufällig einer jungen Frau, Emma, begegnet, und von dieser sofort fasziniert und angezogen ist. Als sie Emma wenig später in einer Lesbenbar wiederfindet, ist dies der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung. In den darauffolgenden Monaten und Jahren, in denen sich vor allem Adèle weiterentwickelt und als sie zu einer Frau heranreift zunehmend zu sich selbst findet, durchleben die beiden zahlreiche Höhen und Tiefen – bis der Bruch zuletzt unausweichlich scheint…

Review: Adèle ist vom ersten Augenblick an von Emma fsziniert. Die erste große Liebe ist etwas ganz besonderes. Mit eben diesem Phänomen setzt sich "Blau ist eine warme Farbe" auseinander – und das ganz abseits des Kitsch, den man uns in Hollywood bei romantischen Filmen oftmals vorsetzt. Statt mit solchen Liebeskomödien hat der Film mehr mit "Blue Valentine" gemein – ist er doch eine angenehm ehrliche, realistische, schonungs- und kompromisslose Betrachtung der ersten großen Liebe von Adèle. Was mir dabei unter anderem sehr gut gefallen hat, ist dass die Tatsache, dass es sich dabei um eine andere Frau handelt, im Film eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Ja, natürlich wird es gelegentlich thematisiert, wie z.B. als erste Gerüchte in der Schule aufkommen, oder Adèle und Emma an einer Protestaktion für die gleichgeschlechtliche Ehe teilnehmen. Aber letztendlich könnte der Film genauso gut zwischen Mann und Frau, oder Mann und Mann spielen. Es geht nicht um homosexuelle Liebe per se, sondern eben einfach nur um Liebe. Darum, diese Gefühle zum ersten Mal zu empfinden, und wie überwältigend das sein kann. Das Ergebnis ist einer der besten Filme, die ich im Kinojahr 2013 gesehen habe, und eine unglaubliche emotionale Tour de Force, als wir zusammen mit Adèle alle Höhen und Tiefen ihrer Beziehung zu Emma durchleben.

Was vorab wohl am meisten für Aufregung und einige Kontroversen gesorgt hat, sind die expliziten Sexszenen, mit denen "Blau ist eine warme Farbe" aufwartet. Abdellatif Kechiche hält sich hier wirklich nicht zurück, und vor allem eine fast zehnminütige, leidenschaftliche Sexszene dürfte dem Kinobesucher noch länger in Erinnerung bleiben. Ich muss gestehen, diesen Szenen überwiegend ambivalent gegenüberzustehen. Ich kann verstehen, warum der Regisseur sich dazu entschieden hat, sie hineinzunehmen. Letztendlich gehört es zu einem ehrlichen Film über Beziehungen bzw. insbesondere die erste Liebe – und damit das sexuelle Erwachen – einfach dazu. Zumal Sex ein wesentlicher Bestandteil der Beziehung zwischen Adèle und Emma ist. Zugleich muss ich aber auch sagen: Mir hätte auch nichts gefehlt, wenn man diese Szenen gänzlich ausgespart oder zumindest gekürzt hätte. Letztendlich setzt man sich damit einfach immer der Gefahr aus, dass von jemandem der Vorwurf des Voyeurismus erhoben wird, und ich finde den Gedanken schade, dass der Film als Gesamtkunstwerk darunter leiden würde. Und, ganz ehrlich… wenn der Film von einer Frau geschrieben und inszeniert worden wäre, würde ich mich bei diesen Szenen auch wohler fühlen. Dennoch sehe ich diesen Aspekt des Films keinesfalls als Schwäche an. Es ist einfach ein weiteres Element, das ihn aus der Masse hervorstechen lässt und zu etwas besonderem macht. Ergo: Unbedingt notwendig waren sie in meinen Augen nicht, aber ich fand auch nicht, dass sie ihn auf irgendeine Art und Weise abgewertet hätten. Letztendlich gehört es für mich halt einfach zum Film dazu.

Die schauspielerische Leistung von Adèle Exarchopoulos ist ungemein eindringlich und beeindruckend. Die expliziten Sexszenen sind nicht der einzige Aspekt, wo "Blau ist eine warme Farbe" mit den üblichen Konventionen solcher Liebesdramen bricht. So spielt die Handlung des Films über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Auf Einblendungen von Jahreszahlen oder ähnlichem wird dabei allerdings verzichtet – die Tatsache, dass zwischen zwei Szenen ein größerer Zeitabschnitt vergangen ist, wird lediglich in den Dialogen bzw. den geänderten Lebensumständen der Protagonisten deutlich. Hier verlangt der Film vom Zuschauer also doch einiges an Aufmerksamkeit, um nicht den Überblick zu verlieren. Zudem verzichtet Abdellatif Kechiche auf so manche Szene, die man in so einem Film eigentlich erwarten würde – wie z.B. auf Adèle's "coming out" bei ihren Eltern. Damit hinterlässt man ganz bewusst Lücken, und überlässt es dem Zuschauer, diese zu füllen. Generell sind wir manchmal bei bestimmten Entwicklungen hautnah dabei, und haben gegenüber der einen oder anderen Figur einen Informationsvorsprung, und manchmal bleiben auch wir außen vor, und erfahren es erst zusammen mit den Protagonisten. Auch dies fand ich sehr interessant.

Eine der größten Stärken von "Blau ist eine warme Farbe" sind die schauspielerischen Leistungen. Lea Seydoux ist mir, nach einem kurzen Auftritt in "Inglorious Basterds", in erster Linie in "Midnight in Paris" und "Mission Impossible – Ghost Protocol" positiv aufgefallen. Hier zeigt sie aber für mich zum ersten Mal, was sie als Schauspielerin drauf hat. Und doch wird sie von ihrer Kollegin Adèle Exarchopoulos gnadenlos an die Wand gespielt. Ehrlich… das ist eine der besten schauspielerischen Leistungen, egal ob Frau oder Mann, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Was sie hier zeigt, ist wirklich ungemein beeindruckend. Zumal die Rolle keine leichte ist, sondern durchaus vielschichtig, sich ihre Figur zudem im Verlauf des Films entwickelt, und so manche Szenen ihr – und Lea Seydoux – alles abverlangt. Jedenfalls fand ich sie einfach nur umwerfend, atemberaubend und überwältigend. Was dem Film bei mir ebenfalls phantastisch gelang, ist mich in die Handlung hineinzuziehen, und mich die verschiedenen Höhen und Tiefen mit dem Figuren mitfühlen zu lassen. Zumindest bei mir kam auch trotz der Laufzeit von drei Stunden keine Sekunde Langeweile auf. Dafür fand ich das Geschehen viel zu faszinierend, anziehend und interessant. Auch die Entwicklung der Beziehung zwischen Adèle und Emma fand ich phantastisch – mehr möchte ich aber nicht verraten, soll das doch jeder selbst entdecken. Die letzte wesentliche Stärke sind dann zahlreiche grandiose, ungemein emotionale Einzelszenen, wie z.B. – und ich versuche, es vage genug zu halten, um nichts Wesentliches vorwegzunehmen – der Streit im Apartment, und insbesondere natürlich auch das Treffen im Café. Jedenfalls war ich emotional so involviert und den Figuren derart verbunden, dass ich eigentlich gar nicht wollte, dass der Film aufhört. Und das ist bei einer dreistündigen Laufzeit schon eine nicht zu unterschätzende Leistung.

Fazit: Mit 'Blau ist eine warme Farbe' hat Abdellatif Kechiche ein absolutes Meisterwerk erschaffen. Am Ende des Films gibt es eine Stelle, wo ich schon vermutet hatte, dass man jetzt dann gleich abblenden wird – und auch wenn es eigentlich genau die richtige Stelle war, um den Film zu beenden, wollte ich nicht, dass er aufhört. Und wir reden hier immerhin von einem Film, der fast drei Stunden lang ist. Und trotzdem hätte ich mit Adèle und Emma gerne noch mehr Zeit verbracht, und sie noch ein wenig länger auf ihrem Lebensweg begleitet. Das sagt denke ich schon alles, was ihr über den Film wissen müsst. "Blau ist eine warme Farbe" ist, man kann es nicht anders sagen, ein Meisterwerk. Ein ungemein emotionaler Film über das Erwachsen werden, sexuelles Erwachen, und die erste große Liebe. Dabei nimmt er uns durch alle damit einhergehenden Höhen und Tiefen, und lässt uns kompromisslos an Adèles Erfahrungen teilhaben. Dazu gehören auch ihre ersten sexuellen Erfahrungen, und Kinobesucher sollten sich darauf einstellen, dass sie einige explizite und teils auch längere Sexszenen erwarten. Viel beeindruckender und denkwürdiger als diese fand ich aber einzelne ungemein emotionale Momente, sowie die umwerfenden schauspielerischen Leistungen. Lea Seydoux an sich ist ja schon toll, aber was Adèle Exarchopoulos hier zeigt, ist einfach nur atemberaubend. Insgesamt macht ihn dies zu einem der beeindruckendsten und besten Filme des Jahres, und zu einem absoluten Pflichttermin für alle Cineasten und/oder Freunde des Gefühlskinos.

Wertung:10 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2013 Wild Bunch)


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Weiterführende Links:
Review zu "Blue Valentine"





Kommentare (3)
RSS Kommentare
1. 24.12.2013 12:07
 
Wenn ein Drama von den Franzosen kommt, ist es doch schon von vornherein klar, dass da viel Sex vorkommen wird. Das machen die hauptsächlich deswegen, weil sich viele Typen das sonst nie ansehen würden. Aber sobald in nem Trailer schon Sex angedeutet wird, sind die sofort dabei. 
 
Passt "Blau ist eine warme Farbe" als Titel eigentlich oder ist das auch wieder so ein unpassender wie "Die Katze auf dem heißen Blechdach" oder "Der Gott des Gemetzels", wie ihn viele Filme haben, die entweder anspruchsvolles Drama sein wollen oder extra so inszeniert sind, um bei Filmfesten lauter Preise abzuräumen?
 
2. 30.12.2013 20:11
 
@Illuminat 
Die Franzosen haben eben einfach einen unverkrampfteren Umgang mit Sexualität und das zeigt sich auch in ihren Filmen, der Musik u.a. Kunstformen. Wenn deine Theorie stimmen würde, müssten französische Filme ja wesentlich erfolgreicher sein als die aus anderen Ländern, weil oftmals mehr Sex darin vorkommt. Aber irgendwie scheint das nicht ganz aufzugehen, denn die meisten Filme aus Frankreich laufen eher im Nischenprogramm und schaffen es nur selten in die Top 5 der Kinocharts.
 
brainy
3. 07.01.2014 15:59
 
@Illuminat: 
Zwar kenne ich durchaus auch französische Filme, die mit wenig oder teilweise sogar gänzlich ohne Sexszenen auskommen ;), aber du hast grundsätzlich sicherlich recht damit, dass Sex und Erotik im französischen Kino einen vergleichsweise höheren Stellenwert einnehmen, als dies in den meisten anderen Ländern der Welt der Fall ist.  
 
Der eigentliche, Original-Titel lautet ja übersetzt "Das Leben der Adéle - Kapitel 1 & 2" (was auch andeutet, dass irgendwann einmal vielleicht noch weitere Kapitel folgen könnten, was ich sehr begrüßen würde). Der deutsche Titel ist wiederum die recht genaue Übersetzung des englischen Titels "Blue is the Warmest Color". Ich finde ihn eigentlich sogar noch passender als den eher allgemein gehaltenen französischen Original-Titel. Normalerweise gilt blau ja als eine der kalten Farben, aber da Adele Emma mit blauen Haaren kennenlernt, ist es für sie eben "eine warme Farbe".
 

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